S 4 RJ 169/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 4 RJ 169/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 51jährige Klägerin hat 1963 einen Abschluss als Hausgehilfin und 1972 als Krankenpflegehelferin erzielt. Von 1965 - 1971 war sie als Plakatmalerin von 1973 - 1988 als Krankenpflegehelferin, von 1990 - 1991 als Zimmerfrau und von 1992 - 1994 als Büglerin/Stofflegerin tätig. Seit 02.07.1994 besteht Arbeitslosigkeit.

Der GdB beträgt 50.

Nach dem Gutachten von Dr. ^Herrmann^ vom 22.05.2001 stellt sich das Leistungsvermögen der Klägerin wie folgt dar:
- vollschichtig leichte Tätigkeiten
- im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen
- ohne Schichtarbeit
- ohne wesentliche Anforderungen an die Merkfähigkeit und an das Konzentrationsvermögen.

Empfehlenswert sind einfache, repetitive Tätigkeiten.

Außerdem gibt Dr. ^Herrmann^ in seinem Gutachten an, dass Publikumsverkehr vermieden werden muss, da die Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung des Hör-, Sprach- und Sehvermögens aufweist.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, ob die Klägerin aus berufskundlicher Sicht für die Tätigkeit leichter Büro- und Montagetätigkeiten einsatzfähig ist und ob es auf dem Arbeitsmarkt in nennenswerter Zahl derartige Vollzeitstellen ohne Akkord, ohne Wechselschicht und ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen gibt.

Bürotätigkeiten

Da die Klägerin offenbar über keine kaufmännische oder Büroerfahrung verfügt, kann sie im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung erfahrungsgemäß nicht die Qualifikationsebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten oder der Facharbeiterberufe erreichen, sondern nur auf Hilfskraftniveau angesetzt werden. Bürohilfskräfte verrichten meist einfache Büroarbeiten. Sie erledigen beispielsweise Schreibarbeiten, kümmern sich um die Verteilung der Post und firmeninterner Umläufe, kopieren Unterlagen, sorgen für die Ablage, erfassen Daten - kurz, sie übernehmen alle Hilfsarbeiten, die im Büro anfallen.

Je nach vorhandenen Kenntnissen und Fertigkeiten können sie auch zum Beispiel einfache Buchhaltungsarbeiten ausführen, bei der Erstellung von Statistiken und Auswertungen mitwirken oder im Telefondienst arbeiten.

Bei ihren vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten verwenden sie oft moderne Büro- und Kommunikationsmittel und müssen daher mit Computern, Kopierern, Telefon, Telefax und anderen Bürogeräten nach entsprechender Einweisung umgehen können.

Bürohilfskräfte können in allen Branchen tätig sein.

Einfache Bürohilfstätigkeiten wie z.B. Karteiarbeiten, Listenführung, Schreibarbeiten sind durch den zunehmenden Einsatz von EDV und moderner Bürokommunikation rückläufig. Häufig sind allgemeine PC-Kenntnisse (Word, Excel, Outlook) erwünscht, im Einzelfall auch kaufmännische Grundkenntnisse und vertrauter Umgang mit dem Internet.

Der Wechsel zu schreibtischgebundenen Bürotätigkeiten erfordert üblicherweise ein erhöhtes Maß an Umstellungsfähigkeit, wobei auch auf Arbeitgeberseite im allgemeinen bis auf wenige Ausnahmen keine Bereitschaft besteht, leistungsgeminderte gewerbliche Arbeitskräfte - zumal im Alter der Klägerin - für solche Arbeiten neu einzustellen. Die Arbeiten sind in der Regel körperlich leicht und werden üblicherweise sehr weitgehend im Sitzen, u.U. sogar zeitweise in ausgeprägt statischer Haltung, wenn auch meist mit gelegentlichen Möglichkeiten zum Gehen und Stehen verrichtet.

Körperliche Voraussetzungen für Bürotätigkeiten sind u.a. normales (auch korrigiertes) Sehvermögen für die Nähe (Bildschirmtauglichkeit) u.a. normales (auch korrigiertes) Hörvermögen (Telefonkommunikation).

Als persönliche Mindestanforderungen werden Zuverlässigkeit, gepflegtes Äußeres, freundliches Auftreten, Teamfähigkeit und Flexibilität vorausgesetzt. Außerdem sollte eine gewisse psychische Belastbarkeit vorliegen, da auch Arbeiten und Zeit- bzw. Termindruck nicht vermieden werden können.

Anzumerken ist, dass der Diplom-Psychologe ^Huppmann^ in seinem psychologischen Gutachten vom 18.08.2001 (Bl. 112 der Gerichtsakte) angibt, dass die Klägerin mit einem IQ von 82 ein Intelligenzniveau im Bereich der Minderbegabung erreicht. Während die Klägerin zum Teil über beachtliche sprachliche Fähigkeiten verfügt, bestehen vor allen Dingen im sozialen und nonverbalen Bereich erhebliche kognitive Defizite. Der Klägerin fällt es schwer neuartige Situationen genau zu erfassen und zu verarbeiten.

Gedacht werden könnte außerdem noch an die Tätigkeit einer Bürobotin. Boten sammeln Vorgänge wie z.B. Schriftstücke, Akten, Briefe usw., aber teilweise auch Material oder Sachen ein und verteilen sie an die jeweiligen Empfänger im Haus. Teilweise werden auch Gänge oder Erledigungen außer Haus aufgetragen, zum Teil ist dafür die Benutzung eines Kfz erforderlich. Die Arbeiten sind überwiegend im Gehen (häufig einschließlich Treppensteigen) und teilweise im Stehen zu verrichten. Sitzen ist außer bei längeren oder häufigeren Fahrten mit dem Auto in der Regel nicht oder doch nicht in nennenswertem Umfang möglich. Boten müssen üblicherweise zumindest zeitweise bis mittelschwer belastbar sein, insbesondere entsprechende Lasten heben, tragen oder bewegen, sowie sich dabei auch bücken können. Häufig handelt es sich auch nur um einfache und weitgehend vorstrukturierte Arbeiten. Dennoch müssen bestimmte geistige und persönliche Voraussetzungen vorliegen. Dazu gehört u.a. die Fähigkeit, sich Kenntnisse der betrieblichen Organisation, der Organisationskennzeichen und Namen, der verschiedenen Vorgänge und ihrer unterschiedlichen Behandlung, der Räumlichkeiten und des Arbeitsablaufs anzueignen, außerdem Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit. Erwünscht sind gute Umgangsformen und ein gepflegtes Äußeres, im Einzelfall auch kaufmännische Grundkenntnisse und Pkw-Führerschein.

Außerdem ist ein zumindest ausreichend korrigiertes Sehvermögen unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit einer Bürobotin.

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle von Behörden und Firmen.

Sofern die Post nicht zusätzlich vom Postamt geholt werden muss, sind die eingehenden Sendungen (z.B. Postsäcke, - körbe, -pakete) einschließlich der Hauspost (z.B. auch Akten) anzunehmen und zu öffnen. Der Inhalt muss entnommen, auf Vollständigkeit geprüft, großteils mit einem Eingangvermerk sowie - nach Feststellung des Empfängers - mit einem Weiterleitungs-vermerk versehen und entsprechend sortiert werden. Die Verteilung im Haus wie auch das Einsammeln der Ausgangspost kann von den Mitarbeitern der Post miterledigt werden oder Boten übertragen sein. Üblicherweise ist jedoch die Ausgangspost zu sortieren, zu kuvertieren bzw. zu verpacken, korrekt zu frankieren und zur Abholung in Säcken, Körben o.ä. bereitzustellen oder ggf. auch selbst zum Postamt zu befördern. Verschiedentlich sind bei der Tätigkeit Maschinen (z.B. Brieföffnungs-, Kuvertier-, Frankiermaschinen) zu bedienen.

Die Arbeiten erfordern in der Regel gelegentlich mittelschwere Belastbarkeit, vor allen Dingen im Hinblick auf die zu bewegenden Lasten. In diesem Zusammenhang wird auch Bücken verlangt. Ein Wechsel der Körperhaltung ist möglich, wobei Gehen sogar in beachtlichem Umfang, u.U. einschließlich Treppensteigen, anfällt, wenn die Post auch ausgetragen und eingesammelt wird. Auch für die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in einer Poststelle wird ein zumindest ausreichend korrigierbares Sehvermögen vorausgesetzt.

Montagetätigkeiten

In der Großserienfertigung sind die Arbeitsabläufe in der Regel weitgehend automatisiert und sehr arbeitsteilig organisiert. Durch den vermehrten Einsatz von Fertigungsautomaten entfällt das eigentliche Montieren mit der Hand in immer weiteren Fertigungsbereichen.

Aufgaben und Tätigkeiten sind insbesondere:
- Zusammenbau und Montage fertiger (mechanischer) Baugruppen und Bauteile zu Geräten, (Klein-)Maschinen und Anlagen, überwiegend an Fließbändern, Lang- oder Werktischen, meist in der Serienfertigung
- Sichtkontrolle der zu montierenden Teile und Entfernen der fehlerhaften Teile

Verschiedene Fügtechniken, wie Schrauben, Kleben, Löten, (Punkt)Schweißen, Stecken und Klemmen sind anzuwenden. Die Arbeiten sind teilweise unter Verwendung von Lupen und anderen Vergrößerungsgeräten, nach Zeichnung, Montageanleitung, Muster, mündlichen Anweisungen durchzuführen. Die Arbeitsergebnisse sind zu überprüfen und ggf. die montierten Teile zu säubern.

Diese Montagearbeiten werden erfahrungsgemäß von kurzfristig angelernten Kräften, die körperlich leichten Tätigkeiten darunter überwiegend von Frauen weitestgehend in einseitiger Körperhaltung (Stehen oder Sitzen) unter Zeitdruck (Akkord, Bandarbeit) verrichtet. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist möglich, wenn die zu bearbeitenden Teile selbst an- und abtransportiert werden müssen, jedoch fällt u.U. auch schwerere Hebe- und Tragebelastung an. Die Tätigkeiten in diesem Bereich erfordern nicht selten Schichtarbeit und werden in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet.

Körperliche Eignungsvoraussetzung sind insbesondere gutes Seh- und Farbunterscheidungsvermögen, Handgeschicklichkeit, Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule und kein Handschweiß.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Betrachtung des Arbeitsmarktes des gesamten Bundesgebietes nicht doch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen gibt, die grundsätzlich für die Klägerin in Betracht kämen. Auf Arbeitgeberseite sind dabei jedoch erfahrungsgemäß besondere Zugeständnisse (z.B. der Restleistungsfähigkeit angepasster Zuschnitt der Aufgaben, Verzicht auf Flexibilität oder Vielseitigkeit, Änderungen am Arbeitsplatz, Herabsetzung des Arbeitstempos bzw. des erwarteten Produktivitätsgrades) erforderlich. Entsprechende Arbeitsplätze sind Außenstehenden daher unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens in der Regel nicht bzw. nicht direkt zugänglich, vielmehr handelt es sich nicht selten um vergönnungsweise Beschäftigung aufgrund sozialer Verpflichtungen oder die Arbeitsplätze wurden im Einzelfall durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen, z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen erschlossen.

Eine uneingeschränkt zumutbare Verweisungstätigkeit ist für die Klägerin sowohl in Büro- als auch in Montagetätigkeiten aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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