S 8 RJ 161/98

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 161/98
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 49jährige Kläger hat von 08.05.62 - 31.02.65 eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann absolviert, jedoch keinen Abschluss erreicht.

Von 1965 - 1969 war er als Verpacker, Verputzer und Lagerarbeiter tätig. Außerdem hat er in diesem Zeitraum seinen Wehrdienst abgeleistet. Danach war der Kläger bis 6/81 als Chemiearbeiter und im Anschluss daran als Kraftwerker tätig. Vom 07.05.84 - 08.06.84 hat der Kläger einen Kesselwärterlehrgang absolviert.

Der GdB beträgt 50.

Nach dem internistisch-kardiologischen Fachgutachten von Prof. Dr. ^Walter^ vom 02.11.99, von dem Ihrer Anfrage zufolge auszugehen ist, stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig leichtere Arbeiten
- sowohl im Sitzen als auch im Stehen und in wechselnder Stellung
- in geschlossenen Räumen
- ohne Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie
- Akkord-, Fließbandarbeit
- Wechsel-, Nachtschichtarbeit
- ohne Arbeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie
- Arbeit auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- ohne Heben und Tragen von Lasten
- ohne häufiges Bücken oder Überkopfarbeit und Arbeiten in Zwangshaltungen oder in Verbindung mit häufigem Steigen
- ohne Tätigkeiten unter ungünstigen Bedingungen wie
- Hitze, Kälte oder Zugluft.

Prof. Dr. ^Walter^ gibt in seinem Gutachten außerdem noch an, dass im Hinblick auf die Vermeidung von Hautreizstoffen die beim Kläger vorliegenden Allergien zu berücksichtigen sind.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kraftwerker nicht mehr verrichten kann. Die Beklagte verweist den Kläger jedoch in ihrem Schreiben vom 03.01.2000 auf die Tätigkeiten eines Pförtners oder eines Registrators.

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, welche angelernten Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bzw. welche höher qualifizierten Tätigkeiten der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann.

Registrator

In ihrem Schreiben vom 03.01.2000 verweist die Beklagte den Kläger auf die Tätigkeit eines Registrators.

Arbeiten in einer Registratur können sowohl auf der kurzfristig Angelernten- bis hin zur qualifiziert Angelerntenebene erfolgen.

Im BAT sind Angestellte in Büro-, Registratur-, Buchhaltereidienst usw. mit vorwiegend mechanischer Tätigkeit in VergGr. X, mit einfacheren Tätigkeiten in VergGr IXb und mit - gemessen an den vorgenannten - schwierigeren Tätigkeiten in VergGr. VIII eingruppiert.

Die Belastungen bei Arbeiten in einer Registratur sind üblicherweise zumindest zeitweise bis mittelschwer. Eine wechselnde Körperhaltung ist möglich, jedoch wird Bücken, Hantieren über Kopfhöhe und z.T. Besteigen von kleinen Leitern verlangt. Heben und Tragen von Lasten kann auch in einer Registratur nicht vermieden werden. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum können aus berufskundlicher Sicht die Leistungseinschränkungen des Klägers bei einer Tätigkeit in einer Registratur nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Pförtner

Die Beklagte nennt als weitere zumutbare Verweisungstätigkeit in ihrem Schreiben vom 03.01.2000 die Tätigkeit eines Pförtners.

Pförtnerarbeitsplätze gelten vielfach als Schonarbeitsplätze, die für die innerbetriebliche Umsetzung leistungsgeminderter Beschäftigter geeignet sind. In nennenswertem Umfang sind Arbeitsplätze für einfache Pförtner allerdings auch Außenstehenden zugänglich. Sie beinhaltet teilweise tatsächlich nur leichte Arbeiten. Ein gewisser Wechsel der Körperhaltung ist gleichfalls möglich, wobei Gehen im Vergleich zu Sitzen und/oder Stehen jedoch meist nur einen geringen Anteil hat. Arbeit in Zwangshaltungen, Bücken, schweres Heben und Tragen ist in der Regel nicht zu erwarten. Einflüsse von Kälte, Nässe und Zugluft sind allerdings nicht überall bzw. ganz zu vermeiden. Schichtarbeit ist üblich, nicht selten sogar rd. um die Uhr und/oder mit auf 12 Stunden verlängerten Schichten. Auch Zeitdruck ist zeitweise möglich. Außerdem sind andere Stressbelastungen (z.B. Gefahrensituationen, ggf. Auseinandersetzungen mit Besuchern oder Mitarbeitern) nicht völlig zu vermeiden. Eine Pförtnertätigkeit ist zwar verschiedentlich durch lange Zeiten der relativen Monotonie geprägt, gerade aber wenn die Routine durchbrochen wird, ist es die Aufgabe des Pförtners, zu reagieren und situationsgerecht schnell zu handeln. Zudem handelt es sich überwiegend um Alleinarbeit, so dass auf die ständige Anwesenheit und Aufmerksamkeit nicht verzichtet werden kann. Ein gewisses Maß an neurovegetativer und psychischer Belastbarkeit, aber auch ausreichendes Hörvermögen sind daher erforderlich.

Da der Pförtner für Kunden, Besucher, Lieferanten, ggf. Anrufer in der Regel der erste Ansprechpartner eines Unternehmens, einer Behörde etc. ist, werden auch bestimmte Mindestanforderungen an Umgangsformen, Auftreten, äußeres Erscheinungsbild u.ä. gestellt. Ob der Kläger diese persönlichen Mindestanforderungen erfüllt, kann nicht beurteilt werden. Qualifiziert ist eine Pförtnertätigkeit jedoch in der Regel erst dann, wenn zusätzliche Aufgaben wie z.B. die Erteilung von Auskünften, die weiterreichende Kenntnisse erfordern, schriftliche Arbeiten, umfangreiche Kontroll- und Sicherheitsaufgaben, die meist körperliche Belastung beinhalten, oder die Bedienung von Telefonanlagen mit mehreren Amtsleitungen zu erfüllen sind. Derartige Arbeitsplätze existieren in sehr viel geringerer Zahl als solche für einfache Pförtner. Sie werden in der Regel innerbetrieblich besetzt. Ein höchstens dreimonatiger Einarbeitungszeitraum reicht erfahrungsgemäß, zumal für einen Betriebsfremden nicht aus. Dem Kläger genügt für eine Tätigkeit als Pförtner, die auch von einem Ungelernten innerhalb von drei Monaten erlernt werden kann (einfacher Pförtner), ebenfalls ein dreimonatiger Einarbeitungszeitraum.

Für eine qualifizierte Pförtnertätigkeit würde auch der Kläger einen längeren Einarbeitungszeitraum als drei Monate benötigen.

Insgesamt können bei einer Pförtnertätigkeit nicht alle Leistungseinschränkungen (insbesondere Schichtarbeit) ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Telefonist

Aufgrund ihrer Bewertung in verschiedenen Tarifverträgen (mindestens qualifizierte Angelerntenebene) könnte noch an eine Telefonistentätigkeit gedacht werden. Sie ist - sofern nicht andere Arbeiten mit verrichtet werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches und vertieftes Wissen erforderlich ist - erfahrungsgemäß in maximal drei Monaten zu erlernen. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Mindestvoraussetzungen mitbringt und ob ausschließliches Sitzen u.U. in ausgeprägt statischer Haltung die Restgesundheit des Klägers gefährdet oder auf Dauer schädigt, kann nicht beurteilt werden. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Hausmeister

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die häufig genannte Tätigkeit eines Hausmeisters.

Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf, es gibt kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Die Tätigkeit liegt auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe. Beim Vorliegen einer verwertbaren Ausbildung(z.B. Gas-/Wasserinstallateur oder Elektroinstallateur, Schlosser oder Schreiner) ist die Tätigkeit oft auch auf Facharbeiterebene entlohnt. Je nach Aufgabenstellung und Vorkenntnissen ist von einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten bis zu einem Jahr auszugehen.

Die Aufgaben eines Hausmeisters variieren je nach Art des zu betreuenden Objekts (Wohnhaus oder -anlage, Büro- und Fabrikgebäude, Schule, Theater, Heime usw.). Dazu gehören: Mängel feststellen und beheben (z.B. an allen elektrischen Anlagen einschließlich Beleuchtungs-, Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Möbeln, Aufzügen), ggf. Fremdfirmen einschalten, deren Arbeit überwachen und abnehmen, Wartungsarbeiten und Schönheitsreparaturen durchführen, Reinigungsarbeiten im, ggf. auch außerhalb des Gebäudes vornehmen (z.B. auch Schneeräumen, Streudienst) oder Garten, Grün- und Sportanlagen pflegen, für die Einhaltung von Feuerschutz und sonstigen Sicherheitsbestimmungen sorgen, Mithilfe bei Umzügen, Aufstellen von Sitzgelegenheiten in Sälen etc., Beschilderungen anbringen, auch Botendienste, Wohnungsbesichtigungen mit Mietinteressenten durchführen usw. Abhängig von der Größe des Objekts und der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeit und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung. Es handelt sich aber immer um eine selbständige, eigenbestimmte und -verantwortliche Tätigkeit. Die körperlichen Belastungen sind überwiegend leicht bis mittelschwer, gelegentlich unter Umständen auch schwer. Gehen und Stehen überwiegt bei weitem, Zwangshaltungen (Bücken, Hocken, Knien, Überkopfarbeit) lassen sich in der Regel ebenso wenig ausschließen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auch Heben, Tragen und Bewegen von schwereren Lasten wird üblicherweise verlangt. Ein Hausmeister sollte daher über einen gesunden Stütz- und Bewegungsapparat verfügen. Das Leistungsvermögen des Klägers entspricht für eine Tätigkeit als Hausmeister nicht den üblichen Anforderungen.

Lagerverwalter

Eine ebenfalls häufig genannte Verweisungstätigkeit ist der Lagerverwalter. Dieser hat in der Regel sicherzustellen, dass die Warenannahme und Eingangskontrolle ordnungsgemäß erfolgt, die verschiedenen Waren fachgerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften gelagert, gepflegt und weiterbehandelt werden, eine betriebswirtschaftlich und produktionsbezogen optimale Lagerbestandsmenge vorgehalten wird, Lagervorschriften und Sicherheitsbestimmungen beachtet und alle Lagereinrichtungen ordnungsgemäß gehandhabt, gepflegt und instandgehalten werden. Je nach Lagergröße hat er die dabei anfallenden Arbeiten in erster Linie zu planen, zu organisieren, zu steuern und zu überwachen oder auch selbst praktisch mitzuarbeiten oder sie in ihrer Gesamtheit allein zu verrichten. Wenn der Schwerpunkt auf verwaltenden und leitenden Aufgaben liegt, handelt es sich üblicherweise um eine Aufstiegsposition. Obwohl der Kläger vor über 35 Jahren eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann ohne Abschluss absolviert hat, dürfte er nicht über verwertbare Kenntnisse (z.B. EDV-Kenntnisse, wie Umgang mit PC-Programmen und Datenbanken, Kenntnisse über moderne Geschäftsorganisation, -abläufe und -methoden, insbesondere Einbindung in logistische Prozesse und Denkweisen) verfügen, um innerhalb einer maximal dreimonatigen Einarbeitungszeit als Lagerverwalter angesetzt werden zu können.

Die bis zur Facharbeiterebene in der Regel erforderlichen, eigentlichen Lagerarbeiten beinhalten dagegen erfahrungsgemäß mindestens mittelschwere, u.U. auch schwere Belastungen, insbesondere entsprechende Hebe- und Tragebelastungen, Bücken und andere Zwangshaltungen, Klettern auf Lkw-Ladeflächen, u.U. auch Besteigen von Leitern, teilweise im Freien bzw. unter Witterungseinflüssen. Aus berufskundlicher Sicht ist im Lagerbereich keine für den Kläger uneingeschränkt zumutbare bzw. innerhalb von drei Monaten erlernbare Verweisungstätigkeit erkennbar.

Andere Verweisungsmöglichkeiten auf der Ebene der Anlernberufe, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die dem Kläger gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihm nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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Datum