S 8 RJ 407/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 407/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 43jährige Kläger hat keinen Beruf erlernt (Zusatzfragebogen Bl. 1a Beklagtenakte). Von 1971 bis 1978 war er als Fabrikarbeiter tätig. Im Anschluss daran war er von 1979 - 1998 als Verputzer tätig und wurde nach Arbeitgeberauskunft (Bl. 33a Beklagtenakte) als Facharbeiter entlohnt.

Nach dem Gutachten von Dr. ^Cornelssen-Berquet^ vom 05.02.2002 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig, mindestens 6-stündige leichte Tätigkeit
- in wechselnder Stellung
- in geschlossenen Räumen
- unter Vermeidung von Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie
- Arbeit auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- Arbeit an laufenden Maschinen
- unter Vermeidung von Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie
- überwiegendes Stehen oder Gehen
- häufiges Heben und Tragen von Lasten
- häufiges Bücken oder Überkopfarbeit
- Arbeiten in Zwangshaltungen
- häufiges Steigen
- unter Vermeidung von Tätigkeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist den Kläger im Bescheid vom 25.10.1999 auf die Tätigkeiten eines Bauhofverwalters und eines Verkäufers im Baustoffhandel. Im Widerspruchsbescheid vom.30.05.2000 nennt sie zusätzlich als weitere Verweisungstätigkeit den Baustoffprüfer. Im Schriftsatz vom 14.06.2002 verweist die Beklagte den Kläger weiterhin auf die bereits im Bescheid und im Widerspruchsbescheid genannten Verweisungstätigkeiten.

Bauhofverwalter

Bauhofverwaltern obliegt z.B. bei Kommunen oder großen Baufirmen die Verwaltung des zentralen Material- und Gerätelagers (Sortimentsumfang bis zu einigen tausend Artikeln, z.T. Millionenwerte), Mitwirkung bei der Material- und Geräteeinsatzplanung und -beschaffung, Veranlassung von Reparaturen, Organisation, Überwachung und Registrierung des Material- und Geräteein- und -ausgangs usw. Die größtenteils verwaltende, kaufmännisch-betriebswirtschaftlich und organisatorisch geprägte Tätigkeit setzt üblicherweise eine kaufmännische Ausbildung oder eine einschlägige Meister- oder ähnliche Qualifikation voraus. Aber auch dann wird der zur Einarbeitung noch erforderliche Zeitraum erfahrungsgemäß mit mehr als drei Monaten beziffert. Erst recht gilt das, wenn - soweit im Einzelfall überhaupt möglich - von schlichter Facharbeiterqualifikation auszugehen ist.

In großen Betrieben handelt es sich üblicherweise um eine weitgehend im Sitzen am Schreibtisch zu verrichtende, körperlich leichte Tätigkeit. In kleineren Bauhöfen mit wenigen weiteren, dem Bauhof zugeteilten Arbeitskräften ist es aber durchaus üblich, dass auch vom Verwalter zumindest gelegentlich Mithilfe z.B. bei Be- und Entlade- oder Lagerarbeiten (d.h. Bücken, schwereres Heben und Tragen, Hochhantierungen usw.) verlangt wird. Auch Witterungseinflüsse sind nicht immer völlig zu vermeiden.

Insgesamt ist in der Tätigkeit eines Bauhofverwalters aus berufskundlicher Sicht keine geeignet berufliche Alternative zu sehen.

In anderen Branchen werden in der Werkzeug- und Materialausgabe - unabhängig vom Leistungsvermögen des Klägers - keinesfalls Verputzer, sondern einschlägig ausgebildete Fachkräfte bevorzugt (im Metallbereich Metallfacharbeiter, im Elektrobereich Elektriker etc.). Außerdem werden entsprechende Stellen nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind.

Verkäufer im Baustoffhandel

In Betrieben, die Waren überwiegend in Selbstbedienung anbieten (Bau-, Heimwerkermärkte) stellen Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Plazierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung die Tätigkeitsschwerpunkte. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, Preisangaben und -berechnungen stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen. Arbeitgeberbefragungen bestätigen, daß auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden. Eine vollständige Einarbeitung ist jedoch üblicherweise nicht in einem Zeitraum von höchstens drei Monaten möglich. Der Kläger, der keinen Beruf erlernt hat, jedoch von der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 14.06.2002 als Spezialbaufacharbeiter bewerten wird, benötigt für eine Tätigkeit als Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten mindestens einen Einarbeitungszeitraum von drei Monaten. Verlangt wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, auch Recken, gelegentlich Überkopfarbeit bzw. Hochhantierungen und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum entspricht das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Anzumerken ist, dass eine Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) zum Fachberater in Bau- und Heimwerkermärkten als berufliche Fortbildung im Anschluss an einen einschlägig anerkannten Ausbildungsberuf existiert. Die zuständige Stelle für diese Fortbildungsprüfung ist die zuständige Industrie- und Handelskammer. Zum anderen kann die Ausbildung zum Fachberater in Bau- und Heimwerkermärkten als berufliche Fortbildung durchgeführt werden, die mit einem internen Zertifikat des jeweiligen Lehrgangsträgers abgeschlossen wird.

Die Dauer der Fortbildungslehrgänge ist unterschiedlich. Vollzeitfortbildungen liegen zwischen fünf Monaten und einem Jahr, berufsbegleitende Teilzeitlehrgänge dauern zwischen vier Monaten und einem Jahr.

Für Kundenberatung im Baustoff-Fachhandel trifft es vielfach zu, daß der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerische Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildetes Personal (vor allem Groß- oder u.U. auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Aufgrund seines beruflichen Werdeganges verfügt der Kläger nur über begrenzte bzw. sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher bei weitem zu kurz.

Baustoffprüfer

Baustoffprüfer (drei Fachrichtungen: Boden, Mörtel und Beton, bituminöse Massen) ist ein eigenständiger dreijähriger industrieller Ausbildungsberuf, in den sich der Kläger - obwohl er bisher als Verputzer tätig war - nicht innerhalb von drei Monaten einarbeiten kann. Arbeitnehmer aus Bauberufen mit Vorkenntnissen in der Herstellung, Verarbeitung und Prüfung von Beton können jedoch auch zum Betonprüfer angelernt werden und/oder sich die erforderlichen vertieften Kenntnisse im Rahmen eines mehrwöchigen Lehrganges aneignen. Auch hier dürfte allerdings im Fall des Klägers allein eine Einarbeitung von max. drei Monaten Dauer nicht genügen. Betonprüfung findet vor, während und nach der Verarbeitung, d.h. auf der Baustelle im Freien und im Labor statt; bei großen Baubetrieben mit einem Zentrallabor oder bei Betonfertigteilwerken ist u.a. auch ein Ansatz ausschließlich im Labor bzw. im Betrieb möglich. Die in Normen geregelten Prüfungen sind erfahrungsgemäß überwiegend im Gehen und Stehen durchzuführen, erlauben üblicherweise aber auch zeitweises Sitzen. Zur Prüfung der Druckfestigkeit müssen Probekörper hergestellt und unter bestimmten Bedingungen gelagert werden; die Probekörper sind im allgemeinen Würfel mit einer Kantenlänge von 20 cm und einem Gewicht von ca. 18 - 20 kg. Insgesamt ist aus berufskundlicher Sicht auch in diesem Bereich keine für den Kläger geeignete berufliche Alternative zu sehen.

Hausmeister

In die Überlegungen mit einbezogen wurde noch die Tätigkeit eines Hausmeisters, da sie in ähnlich gelagerten Fällen häufig als Verweisungstätigkeit genannt wird.

Die Aufgaben eines Hausmeisters variieren je nach Art des zu betreuenden Objekts (Wohnhaus oder -anlage, Büro- und Fabrikgebäude, Schule, Theater, Heime usw.). Dazu gehören: Mängel feststellen und beheben (z.B. an allen elektrischen Anlagen einschließlich Beleuchtungs-, Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Möbeln, Aufzügen), ggf. Fremdfirmen einschalten, deren Arbeit überwachen und abnehmen, Wartungsarbeiten und Schönheitsreparaturen durchführen, Reinigungsarbeiten im, ggf. auch außerhalb des Gebäudes vornehmen (z.B. auch Schneeräumen, Streudienst) oder Garten, Grün- und Sportanlagen pflegen, für die Einhaltung von Feuerschutz und sonstigen Sicherheitsbestimmungen sorgen, Mithilfe bei Umzügen, Aufstellen von Sitzgelegenheiten in Sälen etc., Beschilderungen anbringen, auch Botendienste, Wohnungsbesichtigungen mit Mietinteressenten durchführen usw. Abhängig von der Größe des Objekts und der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeit und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung.

Erforderlich ist üblicherweise Verständnis für technische Dinge und handwerkliches Geschick mit z.T. vielfältigen handwerklichen Kenntnissen und Fertigkeiten.

Eine Hausmeistertätigkeit würde noch auf zumutbarer Qualifikationsebene liegen. Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf, es gibt kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Eine abgeschlossene Ausbildung ist nicht immer Voraussetzung, jedoch meist erwünscht. Besonders eignen sich Berufe wie Sanitär-, Heizungs- oder Elektroinstallateur, Schlosser, ggf. auch Schreiner. Die Tätigkeit liegt auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe. Beim Vorliegen einer verwertbaren Ausbildung ist die Tätigkeit oft auch auf Facharbeiterebene entlohnt. Je nach Aufgabenstellung und Vorkenntnissen ist von einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten bis zu einem Jahr auszugehen. Dem Kläger dürfte ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum genügen, um die qualifizierte Angelerntenebene zu erreichen. Jedoch ist die Einsatzbreite eines Verputzers relativ gering und entspricht nur auf Arbeitsplätzen den fachlichen Anforderungen, bei denen Instandsetzungsarbeiten, Reparaturarbeiten an Bauwerken, Bauwerksteilen u.ä. durchzuführen sind.

Die Arbeiten eines Hausmeisters sind in der Regel leicht bis mittelschwer, können u.U. aber auch gelegentlich schwer sein. Stehen und Gehen überwiegt deutlich, ein Wechsel der Arbeitshaltung ist jedoch möglich (90% Stehen und Gehen mit Treppensteigen und 10% Sitzen). Heben und Tragen von schweren Lasten ist zwar in der Regel nicht täglich oder häufig erforderlich, läßt sich meist aber nicht ganz ausschließen. Zwangshaltungen (Bücken, Hocken, Knien) lassen sich ebensowenig ausschließen wie Arbeiten auf Leitern und Überkopfarbeiten. Ein Hausmeister sollte daher über einen gesunden Stütz- und Bewegungsapparat verfügen. Die Leistungseinschränkungen des Klägers können bei einer Hausmeistertätigkeit nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Telefonist

Geprüft wurde noch die berufsfremde Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist.

Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen, keinesfalls in wechselnder Stellung ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muß so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Mindestvoraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Unabhängig davon können die Leistungseinschränkungen des Klägers auch bei einer Tätigkeit als Telefonist nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Andere angelernte Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bzw. höher qualifizierte Tätigkeiten, die der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann und entsprechende Arbeitsplätze innerhalb des Bundesgebietes in nennenswerter Anzahl vorhanden sind können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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