S 8 RJ 790/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 790/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 47jährige Kläger hat vom 01.09.67 - 17.09.70 den Beruf des Metzgers erlernt und anschließend ausgeübt. Nach eigenen Angaben (Bl. 69 Gerichtsakte - nervenärztliches und psychotherapeutisches Fachgutachten von Dr. ^Franke^ vom 31.10.2002) hat der Kläger von 1981 bis 1984 eine Tätigkeit als angelernter Arbeiter in der kunststoffverarbeitenden Industrie verrichtet. Im Anschluss daran war er wiederum im erlernten Beruf als Metzger tätig. Ab 06.07.99 bestand Arbeitsunfähigkeit. Seit 25.02.2002 bezieht der Kläger Arbeitslosenhilfe.

Nach dem neurologischen und psychiatrischen Gutachten von Dr. ^Franke^ vom 31.10.2002 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtige leichte und mittelschwere Tätigkeiten (acht Stunden täglich und mehr) bzw. eine mindestens sechsstündige Tätigkeit
- im Sitzen, im Stehen und in wechselnder Stellung
- im Freien wie in geschlossenen Räumen.

Zu vermeiden sind Arbeitsbedingungen wie:
- Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie
- Akkord- und Fließbandarbeit
- Nachtschicht
- Lärm
- Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie
- Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- Arbeiten an laufenden Maschinen
- Tätigkeiten mit häufigem Bücken oder Überkopfarbeit sowie häufigem Steigen
- Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie an den technischen Wandel
- Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie an Aufmerksamkeit
- Tätigkeiten mit Verantwortung für Maschinen oder Steuerung komplexerer Arbeitsvorgänge
- Tätigkeiten, die einen Umgang mit alkoholischen Getränken erfordern.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist den Kläger im Bescheid vom 25.07.2000 weiterhin auf seinen erlernten Beruf als Metzger. Im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2000 nennt sie als zumutbare Verweisungstätigkeiten den Verkaufsmetzger, den Fachberater im Lebensmittelgroßhandel und den Tankstellenkassier. Im Schriftsatz vom 25.11.2002 gibt die Beklagte an, dass der Kläger die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Metzger im Schlachthof nicht mehr ausüben kann. Sie verweist ihn jedoch auf die Tätigkeiten als Fachberater im Lebensmittelgroßhandel, Verkäufer in der Wurst- oder Fleischabteilung, Tankstellenkassier und Registrator.

Fachberater im Lebensmittelgroßhandel

Die Tätigkeit eines Fach- bzw. Verkaufsberaters im Großhandel ist eine typische Berufsausübungsform für einen gelernten Groß- und Außenhandelskaufmann (3jährige Ausbildung).

Kaufleute im Groß- und Außenhandel sind Bindeglieder zwischen Produktion und Verbrauch. Sie sorgen für den reibungslosen Warenfluss zwischen Herstellern, Weiterverarbeitern und Endverteilern.

Zunehmend fungieren Kaufleute im Groß- und Außenhandel als Markt-, Absatz- und Verkaufsberater bzw. Fachberater. Ihre Tätigkeit orientiert sich an den Anforderungen des Marktes. Sie gestalten maßgeschneiderte Sortimente und bieten den Kunden rationalisierungs- und kostenbewusst Allround-Serviceleistungen an.

Der Einsatz von Computern, zum Beispiel für die Buchhaltung, und moderner Logistikmethoden erleichtert es ihnen, den wachsenden Anforderungen von Herstellern und Abnehmern gerecht zu werden.

Für Kundenberatung im Großhandel trifft es vielfach zu, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird und daher z.B. lediglich leichte Belastbarkeit ausreichend ist. Längerfristiges Sitzen kann erforderlich sein. Für Arbeit am Computer-Terminal ist normales oder gut korrigiertes Sehvermögen erforderlich (Bildschirmtauglichkeit).

Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus.

Ein Metzger verfügt zwar über die entsprechenden Waren- und Produktkenntnisse und hat Erfahrung im Kundenkontakt, jedoch fehlen ihm üblicherweise kaufmännische und bürotechnische Kenntnisse. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischen Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und daher kaufmännisch ausgebildeten Personal beschäftigt. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist aus berufskundlicher Sicht für den Kläger aufgrund seines beruflichen Werdeganges bei weitem zu kurz.

Unabhängig davon entspricht das Leistungsvermögen des Klägers, der nach dem nervenärztlichen und psychotherapeutischen Fachgutachten vom 31.10.2002 Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie an den technischen Wandel und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie an Aufmerksamkeit vermeiden soll, nicht mehr den üblichen Anforderungen, die an einen Fachberater gestellt werden.

Verkaufsmetzger bzw. Verkäufer in der Wurst- oder Fleischabteilung

Die Beklagte nennt im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2000 die Tätigkeit eines Verkaufsmetzgers als zumutbare Verweisungsmöglichkeit. Im Schriftsatz vom 25.11.2002 gibt sie außerdem die Tätigkeit eines Verkäufers in der Wurst- oder Fleischabteilung an.

Für einen gelernten Metzger ist die Tätigkeit eines Verkaufsmetzgers eine typische Berufsausübungsform

Diese beinhaltet insbesondere:
- Sachgerechtes Zerlegen von Fleisch und Fleischerzeugnissen einschließlich Überwachung von Qualität und Verkaufswürdigkeit
- Herstellen von Hackfleisch (unter Beachtung der Hackfleischverordnung)
- Beraten der Kunden
- Verkaufen von Fleisch und Fleischerzeugnissen
- Warten, Pflegen von Maschinen, Geräten, Werkzeugen
abhängig von der Betriebsstruktur können noch folgende Aufgaben anfallen:
- Auslegen von Fleisch und Fleischerzeugnissen im Verkaufraum
- Dekorieren
- Feststellen des Warenbedarfs, Durchgeben der Bestellung, Kontrollieren des Wareneingangs
- Herstellen zum Beispiel von Braten, Frikadellen, Salaten, Schmalz, Suppen, Imbissen
- Betreiben von Party- und Plattenservice, Liefergeschäft
- Verkaufen von Käse (Käsetheke)

Ein Teil der dargestellten Aufgaben (wie Kundenberatung, Verkauf, Dekorieren) wird auch von Fachverkäufern im Nahrungsmittelhandwerk - Schwerpunkt Fleischerei ausgeführt.

Die Tätigkeit eines Verkaufsmetzgers, aber auch eines Verkäufers für Fleisch- und Wurstwaren ist körperlich leicht und mittelschwer (u.U. auch schwer) und wird überwiegend in geschlossenen, temperierten, z.T. klimatisierten Räumen, aber auch in kühlen Räumen, oft mit künstlicher Dauerbeleuchtung verrichtet.

Ganztägiges Stehen mit kurzen Gehstrecken, teilweise Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken, Überkopfarbeit, z.T. Transportieren schwerer Waren, z.T. Geruchsbelästigung, z.T. Verletzungsgefahr, Arbeit unter Zeitdruck (Stoßzeiten) und Publikumsverkehr kennzeichnen eine Verkaufsmetzgertätigkeit.

Der Arbeitsbeginn ist z.T. vor den üblichen Ladenöffnungszeiten, Samstagsarbeit kann nicht ausgeschlossen werden.

Vorausgesetzt wird sowohl für die Tätigkeit eines Verkaufsmetzgers, als auch eines Verkäufers für Fleisch- und Wurstwaren weitgehende Funktionstüchtigkeit der Wirbelsäule, Arme und Beine, psychische Belastbarkeit, auch in Stresssituationen, gutes Zahlen- und Personengedächtnis, Einfühlungsvermögen und Flexibilität im Umgang mit Kunden, Konzentrationsfähigkeit, sprachliches Ausdrucksvermögen, Kontaktfähigkeit und Sorgfalt bei der Hygiene.

Ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit eines Verkaufsmetzgers ist eine übertragbare Infektionskrankheiten nach dem Bundesseuchengesetz.

Insgesamt entspricht das Leistungsvermögen des Klägers, wie im nervenärztlichen und psychotherapeutischen Fachgutachten von Dr. ^Franke^ vom 31.10.2002 angegeben, aus berufskundlicher Sicht nicht mehr den üblichen Anforderungen, die an einen Verkaufsmetzger oder Verkäufer für Fleisch- und Wurstwaren gestellt werden.

Tankstellenkassier

Eine in nennenswertem Umfang isoliert vorkommende Teilaufgabe des Tankwartes ist das Kassieren.

Im Tarifvertrag z.B. des Bayerischen Einzelhandels werden Kassierer der Beschäftigungsgruppe II zugeordnet. Voraussetzung dafür ist eine einschlägig abgeschlossene Ausbildung (auch eine 2jährige z.B. als Verkäufer) oder eine 3jährige Berufstätigkeit. Die reine Kassenbedienung kann nach kürzerer Anlernung verrichtet werden, erlaubt aber in der Regel keine wechselnde Körperhaltung.

Ist neben der Kasse der gesamte sogenannte "Shop" zu betreuen, ist zeitweise ein Wechsel vom Sitzen zum Gehen und Stehen möglich, daneben wird aber bei der Warenannahme, Lagerhaltung, Gestaltung des Verkaufsraumes, dem Auffüllen der Regale und Auszeichnen der Waren auch Heben und Tragen von schwereren Lasten, Bücken und Besteigen von Leitern verlangt. Da die tägliche Öffnungszeit einer Tankstelle in der Regel die Arbeitszeit eines einzelnen Mitarbeiters übersteigt, ist Schichtarbeit üblich. Auch Zeitdruck ist zumindest zeitweise kaum zu vermeiden. Da der Kläger über keinerlei kaufmännische Vorkenntnisse verfügt, reicht eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit erfahrungsgemäß nicht aus, um die Qualifikationsebene der Anlernberufe zu erreichen. Die Leistungseinschränkungen des Klägers können auch bei einer Tätigkeit als Tankstellenkassier nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Nach dem neurologischen und psychiatrischen Gutachten von Dr. ^Franke^ vom 31.10.2002 sollte der Kläger Tätigkeiten vermeiden, die einen Umgang mit alkoholischen Getränken erfordern. Anzumerken ist, dass in Tankstellen alkoholische Getränke verkauft werden. Ob dadurch die Restgesundheit bzw. Erwerbsfähigkeit des Klägers dauerhaft gefährdet wird, kann nicht beurteilt werden.

Registrator

Als weitere Tätigkeit, kommt nach Ansicht der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 25.11.2002 der Registrator in Betracht.

Die Belastungen bei Arbeiten in einer Registratur sind üblicherweise zeitweise bis mittelschwer. Eine wechselnde Körperhaltung ist möglich, jedoch wird Bücken, Hantieren über Kopfhöhe und z.T. Besteigen von kleinen Leitern verlangt.

Tätigkeiten in einer Registratur auf zumutbarer Qualifikationsebene erfordern Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt und Konzentrationsfähigkeit.

Gelegentlicher Zeitdruck kann auch bei Arbeiten in einer Registratur z.B. bei Wiedervorlageterminen nicht ausgeschlossen werden. Registraturen befinden sich häufig im Keller in beengten Räumen mit Hochregalen. Ausgehend vom erlernten und nahezu ausschließlich ausgeübten Beruf des Metzgers dürfte der Kläger über keinerlei verwertbare Kenntnisse für Arbeiten in einer Registratur auf zumutbarer Qualifikationsebene verfügen. Unabhängig vom Leistungsvermögen des Klägers, ist daher ein Einarbeitungszeitraum von maximal drei Monaten aus berufskundlicher Sicht zu kurz.

Fleisch- und Trichinenbeschauer

In ähnlich gelagerten Fällen wurde diese Tätigkeit für einen Metzger als zumutbare Verweisungstätigkeit genannt. Trichinenbeschauer werden nach den jeweiligen Landesgesetzen in mehrwöchigen Lehrgängen ausgebildet, geprüft und bestellt. Sie sind in der Regel nicht in Vollzeit, sondern nur stunden- oder tageweise an bestimmten Schlachttagen an den Schlachthöfen beschäftigt. Sie arbeiten - meist in tage- oder wochenweisen Wechsel - im Schlachthof direkt und im Labor. Aus dem Tierinneren der am laufenden Band aufgehängt vorbeitransportierten, geschlachteten Tiere ist mit dem Messer ein Stück an bestimmten Partien herauszuschneiden (keine Möglichkeit zum Sitzen, Bücken, Überkopfarbeit) und davon eine Probe abzutrennen. Diese Proben werden im Labor aufbereitet (mit Zusätzen vermischen, weiterbehandeln) und mikroskopisch untersucht. Unabhängig vom Leistungsvermögen des Klägers genügt ein lediglich dreimonatiger Einarbeitungszeitraum nicht, um einen Ansatz als Trichinenbeschauer zu erhalten Um die Tätigkeit eines Fleischkontrolleurs (ehemals Fleischbeschauer) ausüben zu dürfen, ist der erfolgreiche Abschluss eines viermonatigen Lehrganges (siehe Fleischkontrolleur-Verordnung - Bundesgesetzblatt I 1992, Seite 1227) erforderlich. Eine Einarbeitung von maximal drei Monaten reicht nicht aus. Daher ist auch hier keine für den Kläger geeignete Verweisungsmöglichkeit zu sehen.

Andere angelernte Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bzw. höher qualifizierte Tätigkeiten, die der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann und für die entsprechende Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl innerhalb des Bundesgebietes vorhanden sind, können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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