S 8 RJ 810/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 810/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 43jährige Kläger hat von 1971 - 1974 den Beruf des Bau- und Möbelschreiners erlernt und anschließend bis 1980 ausgeübt. Danach war er als Einschaler und von April 82 -April 86 als Fräser in einem Holzverarbeitungsbetrieb tätig. Von August 1986 - September 1989 hat der Kläger eine Tätigkeit als Schreiner und Versandarbeiter und im Anschluss daran bis Mai 1990 als Bauschreiner verrichtet. Zuletzt war er ab Mai 1990 wieder als Einschaler beschäftigt. Ab Anfang April 1998 bestand Arbeitsunfähigkeit und ab 18.05.1998 bezog der Kläger Krankengeld.

Der GdB beträgt 40.

Nach dem Gutachten von Frau ^Cornelssen-Berquet^ vom 17.09.2002 ist von folgendem Leistungsvermögen auszugehen:
- vollschichtige bzw. mindestens 6-stündige leichte Tätigkeit
- in wechselnder Stellung
- in geschlossenen Räumen
- unter Vermeidung von
- Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, wie
- überwiegendes Stehen oder Gehen
- häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten
- häufiges Bücken
- Tätigkeiten im Knien oder in der Hocke
- Überkopfarbeit
- Tätigkeiten mit besonderer Belastung der linken Schulter
- Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie
- Arbeit auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- Arbeit an laufenden Maschinen
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Spezialbaufacharbeiter nicht mehr verrichten kann. Jedoch verweist die Beklagte den Kläger im Bescheid vom 07.08.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 16.11.2000 auf die Tätigkeit eines Lagerverwalters und eines Fachberaters im Baumarkt.

Lagerverwalter

Aufgrund der Ausbildung zum Bau- und Möbelschreiner und des beruflichen Werdeganges des Klägers könnte bei der von der Beklagten in ihren Bescheiden genannten Verweisungstätigkeit eines Lagerverwalters an die Tätigkeit eines Verwalters eines Holzlagers gedacht werden.

Der Lagerverwalter trägt Verantwortung für eine optimale Lagerbestandsmenge und für die fachgerechte Lagerung und Pflege des Holzes (in der Regel kein Rund-, sondern Schnittholz), der Holzwerkzeuge, Hilfsstoffe und/oder der Zwischen- und Endprodukte unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten (z.B. Holzfeuchte, Luftfeuchtigkeit), von Lagervorschriften, Sicherheitsbestimmungen etc. Die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten - nicht nur die Lagergüter und ihre Behandlung, den Umgang mit Lager- und Transporteinrichtungen usw., sondern auch kaufmännisch-betriebswirtschaftliche, organisatorische, bürotechnische u.ä. Belange betreffend - können einem Forstwirt nicht durch eine höchstens dreimonatige Einarbeitung vermittelt werden. Nach dem Gutachten von Dr. ^Grünberg^ vom 08.02.99 sind neue und sehr differenzierte Tätigkeiten nicht zumutbar.

Die reinen Verwaltungsaufgaben sind in der Regel körperlich leicht. Allerdings sind auch hierbei Witterungseinflüsse wie Kälte und Nässe (Lagerplätze im Freien), üblicherweise nicht zu vermeiden. Häufig, vor allem in kleineren Lagern ohne umfassend technische Hilfsmittel und ausreichendes Hilfspersonal, kann auf die praktische Mitarbeit des Lagerverwalters bei manuellen Lagerarbeiten nicht verzichtet werden. Dabei wird häufiges Bücken und schwereres oder schweres Heben verlangt. Eine zumutbare berufliche Alternative für den Kläger ist hier nicht zu sehen.

Da der Kläger zuletzt als Spezialbaufacharbeiter tätig war, wurde die im Baugewerbe existierende qualifizierte Anlerntätigkeit des Baustellenmagaziners in die Überlegungen miteinbezogen. Dieser hat auf der Baustelle Bau- und Werkstoffe, Werkzeuge, Geräte und Schutzausrüstungen zu lagern, auszugeben und ggf. zu warten sowie Bestandslisten zu führen. Wechselrhythmus ist dabei möglich, Gehen und Stehen überwiegt jedoch deutlich. Durchaus häufig wird auch Bücken verlangt. Nur leichte Belastbarkeit genügt nicht, vor allem nicht im Hinblick auf die zu bewegenden Lasten, die teilweise mittelschwer und sogar schwer sind. Dazu ist z.T. im Freien zu arbeiten. Schon aus gesundheitlichen Gründen ist hierin keine geeignete Beschäftigungsalternative für den Kläger zu sehen. Anzumerken ist außerdem, dass die Zahl derartiger Arbeitsplätze abnimmt und sie - wo noch vorhanden - im Regelfall nur innerbetrieblich besetzt werden.

Im Lagerbereich können aus berufskundlicher Sicht und vermittlerischer Erfahrung auch keine anderen Tätigkeiten benannt werden, bei denen alle Leistungsminderungen des Klägers berücksichtigt werden können und gleichzeitig eine nicht mehr als dreimonatige Einarbeitung erforderlich ist.

Fachberater im Baumarkt

Im Bescheid vom 07.08.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 16.11.2000 nennt die Beklagte den Kläger die Tätigkeit eines Fachberater im Baumarkt als zumutbare Verweisungsmöglichkeit.

Beratung ist nicht alleiniger Tätigkeitsinhalt, vielmehr liegt der Schwerpunkt erfahrungsgemäß auf dem Verkauf. Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Platzierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung und speziell im Holzbereich vielfach der Zuschnitt von Leisten, Platten, Brettern usw. nach Kundenwunsch stellen die Tätigkeitsschwerpunkte dar. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung dar. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen.

Die Arbeiten sind üblicherweise in jedem Fall bis mittelschwer - insbesondere hinsichtlich der zu bewegenden Lasten - und nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen zu verrichten. Sie erfordern aber auch durchaus häufiges Bücken, Recken, ggf. sogar gelegentlich Überkopfarbeit oder Besteigen von Leitern. Beim Zuschnitt kommt noch Arbeit an laufenden Maschinen dazu. Facharbeiter der jeweils passenden Sparte werden nicht selten in solche Verkaufstätigkeiten eingearbeitet. Zur Vermittlung von Grundkenntnissen - entsprechende Eignung vorausgesetzt - können u.U. bereits sechs Wochen genügen, der zur vollständigen Einarbeitung erforderliche Zeitraum wird jedoch üblicherweise mit mindestens drei Monaten angegeben. Auch der Kläger dürfte aufgrund seines beruflichen Werdeganges keinen kürzeren Zeitraum benötigen. Unabhängig vom Einarbeitungszeitraum entspricht das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Qualitätsprüfer in der holzbe- und verarbeitenden Industrie

Häufig wurde die Tätigkeit eines Qualitätsprüfers als zumutbare Verweisungstätigkeit benannt.

Eigenständige Arbeitsplätze für qualifizierte Kontrolleure existieren erfahrungsgemäß in begrenztem Umfang in der Fertigung hochwertiger bzw. teuerer Produkte - insbesondere, wenn z.B. Garantie gegeben werden muss oder bestimmte Normen, Gütebedingungen, Vorschriften etc. eingehalten werden müssen. Ansatz finden - sofern nicht überhaupt eine höhere wie z.B. Meister- oder Techniker- oder eine anders geartete Qualifikation verlangt wird - in der Regel besonders qualifizierte und/oder bewährte Fachkräfte, bevorzugt und weitestgehend aus den Reihen der firmeneigenen Mitarbeiter, die mit den Produkten und den Produktionsverfahren vertraut sind.

Die Belastungen bei der Prüfung der Qualität der Zwischen- oder Endprodukte oder der Arbeitsausführung hängen insbesondere von der Größe des Produkts und den anzuwendenden Prüfverfahren (Maßkontrolle, optische Prüfung, Belastungstests, Laboruntersuchungen etc.) ab. Vielfach besteht keine nennenswerte Möglichkeit zum Sitzen. Auch Vorbeugen, Bücken oder sogar Hocken, Knien, Recken oder evtl. Überkopfarbeit ist oft nicht zu vermeiden. Da das Prüfgut üblicherweise in gewissem Umfang bewegt werden muss, ist auch Heben und Tragen (oder zumindest Anheben, Ziehen, Schieben o.ä.) meist nicht gänzlich zu umgehen.

Der Kläger, der ausschließlich als Schreiner und Spezialbaufacharbeiter tätig gewesen ist, dürfte aufgrund seines beruflichen Werdeganges über keinerlei Industrieerfahrung verfügen. Arbeitsplätze, die der Kläger nach maximal drei Monaten Einarbeitungszeit ausfüllen könnte, auf denen alle Leistungseinschränkungen berücksichtigt werden könnten, gibt es unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens meines Wissens nicht oder nicht in nennenswerter Zahl.

Sofern sonst in der Fertigung von Holz- und Sportgeräten oder Holzwaren überhaupt reine Kontrollarbeitsplätze eingerichtet sind und die Arbeiten nicht von den Produktionskräften oder z.B. bei der Material- und Warenannahme oder beim Verpacken mitverrichtet werden, handelt es sich üblicherweise um Tätigkeiten unterhalb der zumutbaren Qualifikationsebene.

Hausmeister

Auf zumutbarer Qualifikationsebene würde noch eine Hausmeistertätigkeit liegen. Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf, es gibt kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Gute handwerkliche Ausbildung (Sanitär-, Heizungs- oder Elektroinstallateur, Schlosser, ggf. auch Schreiner). Die Tätigkeit liegt auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe. Beim Vorliegen einer verwertbaren Ausbildung ist die Tätigkeit oft auch auf Facharbeiterebene entlohnt. Je nach Aufgabenstellung und Vorkenntnissen ist von einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten bis zu einem Jahr auszugehen. Die Aufgaben eines Hausmeisters variieren je nach Art des zu betreuenden Objekts (Wohnhaus oder -anlage, Büro- und Fabrikgebäude, Schule, Theater, Heime usw.). Dazu gehören: Mängel feststellen und beheben (z.B. an allen elektrischen Anlagen einschließlich Beleuchtungs-, Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Möbeln, Aufzügen), ggf. Fremdfirmen einschalten, deren Arbeit überwachen und abnehmen, Wartungsarbeiten und Schönheitsreparaturen durchführen, Reinigungsarbeiten im, ggf. auch außerhalb des Gebäudes vornehmen (z.B. auch Schneeräumen, Streudienst) oder Garten, Grün- und Sportanlagen pflegen, für die Einhaltung von Feuerschutz und sonstigen Sicherheitsbestimmungen sorgen, Mithilfe bei Umzügen, Aufstellen von Sitzgelegenheiten in Sälen etc., Beschilderungen anbringen, auch Botendienste, Wohnungsbesichtigungen mit Mietinteressenten durchführen usw. Abhängig von der Größe des Objekts und der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeit und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung. Es handelt sich aber immer um eine selbständige, eigenbestimmte und -verantwortliche Tätigkeit. Die körperlichen Belastungen sind überwiegend leicht bis mittelschwer, gelegentlich unter Umständen auch schwer. Gehen und Stehen überwiegt bei weitem, Zwangshaltungen (Bücken, Hocken, Knien, Überkopfarbeit) lassen sich in der Regel ebenso wenig ausschließen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auch Heben, Tragen und Bewegen von schwereren Lasten wird üblicherweise verlangt. Ein Hausmeister sollte daher über einen gesunden Stütz- und Bewegungsapparat verfügen. Unabhängig von der erforderlichen Einarbeitungszeit, entspricht die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht mehr den Anforderungen, die üblicherweise an einen Hausmeister gestellt werden.

Telefonist

Gedacht werden könnte noch an die berufsfremde Telefonistentätigkeit, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Wenn mit dem von Frau ^Cornelssen-Berquet^ im Gutachten vom 17.09.2002 genannte Erfordernis in wechselnder Stellung zu arbeiten, der Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen gemeint ist, wird auch hier keine geeignete Verweisungstätigkeit gesehen, da - wie bereits ausgeführt - die Tätigkeit eines Telefonisten ausschließlich im Sitzen verrichtet wird. Arbeitsplätze für Telefonisten sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Andere Verweisungsmöglichkeiten auf der Ebene der Facharbeiter- oder Anlernberufe, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die dem Kläger gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihm nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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