L 10 RI 75/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 10 RI 75/00
Auskunftgeber
Sachverständiger, Diplom-Verwaltungswirt
Anfrage
Der 53-jährige Kläger hat bei der Deutschen Bundespost den Beruf des Fernmeldehandwerkers erlernt und bis 1995 durchgeführt. Es folgte dann eine innerbetriebliche Umsetzung zum Lkw-Fahrer mit Be- und Entladen. Der Beruf des Fernmeldehandwerkers wurde bis 1987 in der Form, wie der Kläger sie erlernt hat, ausgeführt. Ab 1987 erfolgte eine Umstellung in den Bereich der Elektronik. Der Kläger hat hier zwar keine neunen grundsätzlichen Arbeitsinhalte gehabt. Er musste sich aber auf die neue Systemtechnik umstellen. Fernmeldehandwerker/Anlagenelektroniker errichten, bauen, prüfen, instandhalten und nehmen Geräte und Anlagen der Telekommunikationstechnik in Betrieb. Dazu gehören Netzwerke, Übertragungs- und Verbindungseinrichtungen und Endgeräte wie Telefon, Telefax, Modems für Computer u. ä ... Sie führen den Zusammenbau von Baugruppen und Geräten durch, Zuarbeitseinheiten, sie installieren Leitungen, verbinden Kabel mit der Anlage und schließen letztlich die Stromversorgung an. Dabei müssen sie häufig Prüf- und Messaufgaben durchführen. Sie sind auch in der Fehlersuche und der Reparatur eingesetzt. Es handelt sich um körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen und Stehen. Gelegenheit zum Sitzen besteht nicht. Sie müssen häufig vorn übergebeugt im Knien und Hocken, teils auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Die Arbeiten finden in geschlossenen Räumen und im Freien statt. Teilweise ist der Umgang mit Starkstrom erforderlich. Nach den medizinischen Feststellungen kann der Kläger noch leichte Arbeiten im Wechsel Sitzen, Gehen, Stehen, in klimatisierten Räumen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Einfluss nass-kalter Witterung oder Zugluft, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, ohne Vibrationsbelastung durch Maschinen oder Fahrzeuge vollschichtig verrichten. Die Möglichkeit zum selbständigen Haltungswechsel sollte gegeben sein.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Auszug aus der Sitzungsniederschrift

Vergleicht man berufskundig die Arbeitsplatzanforderungen, die an den Fernmeldehandwerker gestellt werden mit dem Restleistungsvermögen des Klägers, dann steht fest, dass er in diesem Bereich nicht mehr tätig sein kann. Auch die zuletzt ausgeführte Tätigkeit als Lkw-Fahrer mit Be- und Entladen kann der Kläger nicht mehr ausführen, weil hier zum einen länger andauernde Zwangshaltungen wie Sitzen anfallen und zum andere eine Hebefähigkeit von bis zu 10 kg nicht ausreichend ist.

Mit den Kenntnissen, die Kläger aus seiner Tätigkeit als Fernmeldehandwerker besitzt, also Verdrahtungsarbeiten, Löt- und Klemmarbeiten, Schaltplanlesen usw., ist er in der Lage, eine Tätigkeit im Schaltschrankbau in Handwerksbetrieben, die Medizin- oder Laborbau betreiben, auszuführen. Es handelt sich hier im Wesentlichen um die Arbeitsplatzanforderungen, die er auch als Fernmeldehandwerker im Bereich der Komplettierung und Installation ausgeführt hat. Allerdings mit dem Unterschied, dass es sich nicht um so komplexe Arbeitsbereiche wie bei der Post handelt. Im Kleingerätebau werden auf Bestellung in Einzelarbeit oder Akkord vorgefertigte Schaltschränke für bestimmte Bedürfnisse komplettiert, d. h. hier müssen ebenfalls Zeichnungen oder Arbeitsanweisungen gelesen werden. Es müssen einzelne Verdrahtungsarbeiten und Installationsarbeiten mit den normalen fernmeldetechnischen Arbeitsaufgaben ausführt werden. Der Unterschied allerdings liegt darin, dass diese Arbeiten an einem sitzenden Arbeitsplatz ausgeführt werden, dass die Arbeiten nur sehr kurzzeitig sind und dass sie einen Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen zulassen und dass sie auch einen häufigen Wechsel der einzelnen Arbeitsgänge, wie z. B. Messen, Prüfen, Installieren, haben. Bei dieser Tätigkeit können alle gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers berücksichtigt werden. Nach dem Gutachten A. sind die Finger, Handgelenke, Hände und Ellenbogengelenke völlig ohne Befund. Auch sonst liegen für diese Tätigkeit keine atypischen Einschränkungen vor. Es handelt sich, wenn der Nachweis eines Gesellenbriefes erbracht wird, um Facharbeit. Ansonsten ist es eine angelernte Tätigkeit im oberen Bereich für Personen, die bereits elektrotechnische Arbeitsaufgaben ausgeführt haben, aber keinen Berufsabschluss besitzen. Einarbeitung ist üblich. Der Kläger wäre in der Lage, hier nach einer kurzfristigen Einarbeitung von 4 - 6 Wochen etwa die Arbeit vollwertig auszuführen. Bundesweit gibt es 1.500 Betriebe mit einer in 1995 ausgezählten Beschäftigtenzahl von 19.000 in Ost- und Westdeutschland.

Für eine Tätigkeit als Fachberater bzw. Verkäufer im Telekom-Bereich besitzt der Kläger keine Qualifikation. Er war immer handwerklich tätig, musste keine Verkaufsgespräche führen und hat auch nur fertiggestellte Geräte und Systeme eingebaut, über deren Eigenschaften er kein besonderes Wissen besaß. Hinzukommt, dass diese Tätigkeit auch nur gehend, stehend ausgeführt wird und keine Möglichkeit zum Sitzen bietet.

Eine Tätigkeit als Telefonist ist ebenfalls nicht zu realisieren. Der Kläger hat bei Bedarf nur Kurzanfragen an seine Zentralstelle telefonisch erledigt, um abzuklären, ob die gemachte Installation funktioniert. Verwaltend-organisatorische Kenntnisse, wie sie von einem Telefonisten erfordert werden, besitzt er nicht. Insgesamt kann er für eine Telefonistentätigkeit mit einer Einarbeitungszeit von bis zu 3 Monaten nicht qualifiziert werden.

Für den Fernmeldetechniker im Innendienst hatte die Bundespost bereits keine Verwendungsmöglichkeit. Sonst wäre eine innerbetriebliche Umsetzung erfolgt. Außerhalb der Deutschen Bundespost, also bei den Firmen, die mit der Installation von Telefonanlagen befasst sind, muss man davon ausgehen, dass hier auch normale Installationsarbeiten von Zuleitungen durchgeführt werden müssen, die dann wieder z. B. kniend, hockend oder über Kopf ausgeführt werden müssen und deshalb für den Versicherten nicht zumutbar sind.

Eine Tätigkeit als Auslieferungsfahrer kommt für den Versicherten nicht in Frage, weil während der Fahrzeiten von A nach B immer wieder nur ausschließend sitzend gearbeitet werden kann. Hinzukommt, dass eine Hebe- und Tragefähigkeit von bis zu 10 kg in der Regel nicht ausreichend ist. Die Tätigkeit ”Ausfahrer von Tabakwaren und medizinischen Artikeln” ist eine ungelernte Tätigkeit, die z. B. auch von Hausfrauen und Studenten ausgeführt wird. Wenn der Auslieferungsfahrer für Tabakwaren oder Süßigkeiten oder ähnliches als Verkaufsfahrer im eigentlichen Sinne tätig ist, dann fehlem dem Kläger hier die kaufmännischen Kenntnisse, weil hier regelmäßig Inkassogeschäfte abgewickelt werden. Für Fahrertätigkeiten im Lkw-Bereich reicht eine Hebe- und Tragefähigkeit von bis zu 10 kg generell nicht aus. Wenn Massengüter (Schüttgut wie Kies, Sand, Steine und ähnliches) transportiert werden, dann müssen immer wieder Reinigungs- und kleinere Reparaturarbeiten durchgeführt werden, die teilweise erhebliche körperliche Anforderungen stellen. Zum anderen fahren diese Fahrzeuge häufig auf unbefestigtem Boden. Bei den Mengengütern wie Heizöl, Milch, Lebensmittel u.ä. müssen beim Be- und Entladen Verbindungsleitungen hergestellt werden, die ebenfalls eine Hebebelastung von über 10 kg haben. Bei Personenbeförderungen oder bei Gütertransporte besteht ebenfalls wieder das Problem des ständigen Sitzen. Und es müssen auch immer wieder Be- und Entladearbeiten ausgeführt werden, die der Kläger nicht leisten kann.

Auf Nachfragen des Prozessbevollmächtigten des Klägers:

Die Komplettierung der Schaltschränke in Handwerksbetrieben der Medizin- und Labortechnik ist eine individuelle Arbeit, die auf Einzelarbeitsplätzen ausgeführt wird und die einen selbstbestimmbaren Haltungswechsel zwischen Gehen und Stehen und Sitzen zulässt. Die Arbeitsgänge im Einzelnen beanspruchen nur eine geringe Zeit. Unterbrechungen entstehen durch Nachlesen in den Zeichnungen, durch Messen und Prüfen und durch die Versorgung von Teilen, die einzubauen sind. Die Schaltschränke sind lediglich gehäusemäßig in der Industrie hergestellt und müssen individuell technisch ausgestattet werden. Langanhaltende Zwangshaltungen, insbesondere im Sitzen, fallen nicht an.
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