L 1 RA 49/03

Berufskundekategorie
Gutachten
Land
Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 1 RA 49/03
Auskunftgeber
Agentur für Arbeit, Diepholz
Anfrage
Die Klägerin hat von 1963 bis 1966 den Beruf einer "Gehilfin in landwirtschaftlichen Buchstellen" erlernt und mit der Prüfung vor der Landwirtschaftskammer Braunschweig abgeschlossen. Dieser damalige dreijährige Ausbildungsberuf existiert seit vielen Jahren nicht mehr. Er ist inhaltlich aufgegangen in dem anerkannten Ausbildungsberuf "Steuerfachangestellte". Dieser Beruf wurde letztmalig 1996 durch eine Rechtsverordnung novelliert.

Seit 1966 hat sie ununterbrochen in ihrem Beruf bei verschiedenen Steuerberatern gearbeitet. Damit ist sie als sehr berufserfahrene gelernte Kraft zu bezeichnen.

In ihrem Beruf hat die Klägerin eine Fülle verschiedener Tätigkeiten auszuführen. Dazu benötigt sie umfassende Fach- und Sachkenntnisse. Steuerfachangestellte leisten Vorarbeiten für die Beratung der Mandanten und Mandantinnen. Sie lesen sich in vorhandene Akten ein, prüfen das vorhandene Material, stellen die Arbeitsergebnisse zusammen und fertigen Schriftsätze an. Sie übernehmen für die Mandanten auch fortlaufend anfallende Arbeiten bei der Buchführung, bei Lohn- und Gehaltsabrechnungen, sowie bei der Erstellung von Jahresabschlüssen und in Steuerangelegenheiten. Bei der Buchführung kontrollieren sie für die Mandanten Unterlagen wie Kassenbücher, Rechnungen oder Belege. Dazu führen sie die für eine ordnungsgemäße Buchführung erforderlichen Arbeiten durch oder kontrollieren die von den Mandanten erstellten Abrechnungen. Steuerfachangestellte übernehmen auch Aufgaben aus dem Bereich der Lohnbuchhaltung. Sie melden Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung an und ab und führen Lohnsteuerkarten und Versicherungsnachweise. Hierbei sind Lohn- und Kirchensteuer und Sozialabgaben zu berechnen. Der Computer ist im gesamten Tätigkeitsbereich des Rechnungs- und Organisationswesens das wichtigste Arbeitsmittel. Bei der Bearbeitung der Steuerbescheide prüfen Steuerfachangestellte eingegangene Steuerbescheide auf eventuelle Unstimmigkeiten, damit gegebenenfalls innerhalb der zulässigen Fristen Einspruch erhoben werden kann. Um keine Fristen zu versäumen, führen sie Fristen- und Terminkalender. Bei der Fertigung von Einkommensteuererklärungen, aber auch zum Beispiel von Gewerbe- oder Vermögenssteuererklärungen, nutzen sie ebenfalls die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung. In den Kanzleien sind Steuerfachangestellte auch für die allgemeinen Büroarbeiten zuständig. Mittels Büromaschinen und -materialien führen sie Register über laufende Vorgänge und Aufträge, bereiten Termine vor, bearbeiten den Postein- und -ausgang und kontaktieren Mitarbeitern von Behörden und Finanzgerichten ebenso wie Mandanten, entweder persönlich oder per Telefon und Fax. Steuerfachangestellte müssen den Mandanten komplizierte Zusammenhänge und Gesetzestexte erläutern können, und sind deshalb im Hinblick auf das Steuer- und Finanzrecht ständig auf dem Laufenden.

Es handelt sich um eine vorwiegend sitzende körperliche Tätigkeit, die nur mit geringen Hebe- und Trageleistungen verbunden ist. An Zwangshaltungen fallen insbesondere Armvorhalte durch die Bedienung der Computertastatur an, was außerdem eine besondere Belastung der Hand- und Fingergelenke darstellt. Die monotone Sehtätigkeit am Bildschirm ist Schwerstarbeit für die Augen. Das lange statische Sitzen und die daraus resultierende Bewegungsarmut belastet den Stütz- und Bewegungsapparat sowie das Herz-Kreislaufsystem.

Die Klägerin ist nach den vorhandenen ärztlichen Unterlagen übereinstimmend im Bereich der HWS und der LWS leistungsgemindert. Sie macht geltend, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen ihr eine Ausübung des erlernten Berufes nicht mehr erlauben. Hierzu ist aus berufskundlicher Sicht festzustellen, dass aus den vorliegenden Akten nicht hervorgeht, inwieweit durch eine leidensgerechte Arbeitsplatzausstattung versucht wurde, den Beschwerdekomplex zu lindern. Zu nennen sind hier in erster Linie Büromöbel und vor allem Schreibtische, die elektrisch höhenverstellbar sind und insofern eine wechselnde Arbeitshaltung im Stehen oder im Sitzen erlauben. Die Höhe dieser Schreibtische kann stufenlos zwischen 70 cm und 140 cm verändert werden. Wichtig ist jeweils, die Tischhöhe immer so einzustellen, dass im Sitzen und im Stehen Ellenbogen im Winkel von 90° auf der Tischplatte aufliegen. Die vom Mitarbeitender je nach Befindlichkeit einzustellende Höhe der Arbeitsfläche wird durch entsprechende Sitzhilfen unterstützt. Da die Klägerin nach Aktenlage über einen GdB von 30 verfügt, steht ihr grundsätzlich die Möglichkeit offen, sich mit den Schwerbehinderten gleichstellen zu lassen. Das wiederum eröffnet ihr die Möglichkeit, eine finanzielle Förderung bei der Einrichtung eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes durch das Niedersächsische Landesamt für Integration zu bekommen.
Auskunft
Berufskundliches Gutachten

Somit komme ich zur Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts:

Ad 1a) Die Klägerin geht in ihrer Argumentation von einer üblichen Arbeitsplatzausstattung aus. Durch die o.g. Maßnahme könnte jedoch ein ihrem Beschwerdebild besser angepasster Arbeitsplatz eingerichtet werden, der es ihr erlaubt, in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Empfehlungen (S. 129 Punkt 3., S. 179) ihrem erlernten Beruf als Steuerfachangestellte vollwertig nachzugehen.

Ad 1b) Diese Beurteilung gilt für die Zeit seit Dezember 2000.

Ad 2a) In jedem Fall kann die Klägerin auf artverwandte Berufe im Bürobereich verwiesen werden, die mit ihrem Leistungsvermögen vereinbar sind. Dazu gehören: I. Bürogehilfinnen Bürogehilfinnen erledigen einfache Büroarbeiten. Dazu gehören Kleinere Schreibarbeiten Vervielfältigungsarbeiten Postein- und Ausgang erledigen, Post verteilen einfache Registraturarbeiten einfache Karteiführungsarbeiten

Es handelt sich um leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen zwischen Gehen, Stehen und Sitzen. Der Wechsel der Körperhaltungen kann weitgehend selbst bestimmt erfolgen. Heben und Tragen über 5 kg findet nicht statt. Längere Bildschirmarbeit ist ebenfalls ausgeschlossen. Zwangshaltungen wie Überkopfarbeit, Armvorhaltungen und andere belastende Körperhaltungen sind weitgehend ausgeschlossen. An die intellektuelle Leistungsfähigkeit werden durchschnittliche Anforderungen gestellt. Die Klägerin kann diesen Beruf ausüben, weil sie über langjährige Berufspraxis in der Büroarbeit verfügt. Die Bearbeitungsvorgänge sind ihr von daher grundsätzlich bekannt und bedürfen höchstens einer kürzeren betrieblichen Einarbeitung von maximal 3 Monaten Dauer. In der Bundesrepublik sind derzeit rund 200.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in diesem Segment tätig. Der Beschäftigungsindex (1996 = 100) ist relativ stabil und beträgt im Jahr 2002 = 98. Bürogehilfinnen werden je nach Branchenzugehörigkeit vergütet. In der Metall- und Elektroindustrie werden sie nach Gehaltsgruppe 1 ("einfache Tätigkeiten mit wechselnden Anorderungen. Sie erfordern Kenntnisse, die in der Regel nach einer Einarbeitungszeit von 1 Monat erworben werden. Beispiele: Schreiben einfacher Texte, Bedienen von Schreibautomaten, Fernschreiber oder Telefone; Sortieren und Ablegen von Unterlagen, Tätigkeiten in der Poststelle; Locharbeiten, Erstellen von maschinell lesbaren Datenträger") mit ca. 1.600 EUR/Monat vergütet. In der Kunststoff verarbeitenden und chemischen Industrie werden ähnliche Anforderungen genannt ("Arbeitnehmer, die Tätigkeiten verrichten, die eine kurze Einweisung erfordern, z.B. Botengänge, Verteilen der Post, Fotokopieren, Aufnehmen von Daten, Sortieren von Unterlagen) und ein ähnliches Gehalt gezahlt.

II. Bürobotin in Verwaltungen In vielen größeren Verwaltungen arbeiten Büroboten. Sie nehmen eingehende Post in Empfang, versehen sie mit Eingangsstempel und verteilen sie ebenso wie die interne Post. Ausgehende Post wird von ihnen frankiert. Bei Botengängen überbringen sie mündliche oder schriftliche Benachrichtigungen oder Schriftstücke, Akten, Briefe, Material sowie Waren aller Art an verschiedene Stellen im Hause. Daneben sind sie gelegentlich mit Aufgaben speziell im Eingangs- oder Schalterraum wie Besucherempfang, Auskunftserteilung oder Bedienen der Telefonanlage befasst sein. Beispielsweise werden auch Arbeiten wie Belege sortieren, Kopieren, Zeitungsartikel ausschneiden und aufkleben von Büroboten verrichtet. Die körperlichen und geistigen Beanspruchungen decken sich mit dem unter I. gesagten. Die Klägerin kann diese Aufgaben auch mit ihren bestehenden Leistungseinschränkungen verrichten. Derzeit arbeiten in der Bundesrepublik ca. 38.000 Personen sozialversicherungspflichtig als Bote. Die Beschäftigungslage ist weitgehend stabil. Der Beschäftigungsindex (1996 = 100) ist auch im Jahr 2002 konstant bei 100 geblieben. Die Vergütung richtet sich in der freien Wirtschaft nach den unter I. genannten Größen. Im öffentlichen Dienst werden Boten nach Vergütungsgruppe X BAT bezahlt. Dies entspricht für die Klägerin einem Bruttogehalt von ca. 1.650 EUR.

Ad 2b) Diese Beurteilung gilt für die Zeit seit Dezember 2000.
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