L 6 RJ 594/03

Berufskundekategorie
Gutachten
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
L 6 RJ 594/03
Auskunftgeber
Regionaldirektion Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der Kläger hat am 28.10.1997 mit 48 Jahren erstmals Antrag auf BU-/EU-Rente gestellt, der von mit Bescheid vom 20.10.1999 abgewiesen wurde. Auch sein Widerspruch wurde mit Bescheid vom 22.2.2000 abschlägig beschieden. Hiergegen legte keine weiteren Rechtsmittel ein. Am 29.11.2000 stellte er erneut erfolglos Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (Ablehnungsbescheid der vom 30.10.2001).

Der Kläger erlangte 1967 in einer Berufsschule in Zagreb die Befähigung zur Ausübung des Berufs eines Schlossers. Dies entspricht nicht der deutschen Qualifikation zum Facharbeiter. Jedoch wird von der Firma mit Schreiben vom 21.1.2004 bestätigt, dass er infolge einer über zweijährigen Anlernzeit eine Facharbeitertätigkeit ausübte. Nach den Angaben des kroatischen Versicherungsträgers arbeitete er mit Unterbrechung von 1967 bis 1970 und von 1984 bis Ende 1997 in Jugoslawien bzw. Kroatien. In Deutschland war er vom 20.5.1970 bis 21.5.1971 als Hilfselektriker und Schlosser, vom 24.5.1971 bis 30.9.1983 als Traffomonteur beschäftigt. Seit dem 1.1.1998 ist nicht mehr berufstätig. Bis 23.11.1998 bezog er Arbeitslosengeld. Seit dem 26.11.1998 bezieht er wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit Rente nach kroatischem Recht.

Nach dem ärztlichen Gutachten vom 28./29.7.2003 sind dem Kläger wegen Bluthochdrucks schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und an gefährdenden Maschinen sowie Arbeiten mit Stressbelastung nicht zuzumuten. Aufgrund einer linksseitigen Sehminderung bestehe praktisch Einäugigkeit, das rechte Auge erreiche jedoch eine 100%ige Sehleistung. Der Kläger sei im Stande, mindestens 6 Stunden täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde zu verrichten.

Die Beklagte verweist im Schreiben vom 17.3.2004 auf fünf Tätigkeiten, die der Kläger ihrer Meinung nach ausüben könnte. Bei deren Erörterung beschränke ich mich bewusst nicht auf die o. a. gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, sondern verweise vorsorglich auf weitere mit diesen Tätigkeiten einhergehende körperliche Belastungen.
Auskunft
Montierer von Kleinteilen

Montagearbeiten im feinmechanisch-feinwerktechnischen Bereich sind insbesondere Teilaufgaben von Feinmechanikern bzw. Industriemechanikern/Fachrichtung Geräte- und Feinwerktechnik. Schlosser verfügen jedoch häufig über so gut verwertbare Vorkenntnisse, dass sie die Tätigkeit nach einer 3-monatigen Einarbeitung ausüben können. Auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten handelt es sich üblicherweise um typische Arbeitsplätze für Frauen. Diese existieren zwar in vergleichsweise geringem, bundesweit jedoch nennenswertem Umfang.

Die Montagearbeiten sind leicht bis mittelschwer. Dennoch ist in der Regel in überwiegend einseitiger Körperhaltung, häufig leicht vorgebeugt, u. U. bis hin zu Zwangshaltungen im Rücken- oder Schulter-Nacken-Bereich mit lediglich gelegentlicher Möglichkeit zum Haltungswechsel zu arbeiten. Häufiges Heben und Tragen von Lasten kann oft vermieden werden, jedoch ist die volle Funktionsfähigkeit beider Arme und Hände mit Eignung für Fein- bzw. Feinst- und Präzisionsarbeiten erforderlich, weswegen für diese Tätigkeit überwiegend Frauen eingesetzt werden.

Für Montagetätigkeiten wird erfahrungsgemäß gutes Nahsehvermögen vorausgesetzt. Dem steht die Einäugigkeit des Klägers entgegen. Einfache und wiederkehrende Tätigkeiten wurden und werden zunehmend in automatisierte Fertigungsabläufe integriert. Sie unterliegen somit in aller Regel einem bestimmten Produktionsrhythmus, Maschine bzw. Fließband geben die Arbeitsgeschwindigkeit vor. Folglich wird die Tätigkeit durch beachtlichen Zeitdruck bestimmt. Gleichwohl werden hohe Anforderungen an Genauigkeit, Sorgfalt, Geduld, Ausdauer, Daueraufmerksamkeit und an das Konzentrationsvermögen gestellt. Dies wird häufig als Nervenbelastung und Stress erlebt.

Aus berufskundlicher Sicht ist dem Kläger eine Montagetätigkeit aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht uneingeschränkt zumutbar.

Tätigkeiten in der Schaltschrankmontage (Einbau, Bestückung, Komplettierung und Verdrahtung elektrischer Geräte und anderer Betriebsmittel - z.B. Schaltgeräte, Lasttrenner, Leistungschalter) in Schalt und Steuerschränke und Vorprüfung der Funktionsfähigkeit der Schränke) Bei den von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten in der Schaltschrankmontage handelt es sich um Teilaufgabengebiete eines Elektromechanikers, nach der Neuordnung dieses Berufes seit dem 1.8.2003 eines Systemelektronikers. Allerdings werden dem Arbeitsmarkt ausgebildete Systemelektroniker erst ab 2006 zur Verfügung stehen.

Elektromechaniker planen, fertigen, montieren, warten und entstören elektromechanische Anlagen, Geräte und Baugruppen. Haupttätigkeiten sind hierbei Verdrahten, Verbinden, Verlegen, Löten und Schweißen, aber auch Prüfen, Testen und Kontrollieren der Bauteile, Schaltungen und Geräte.

In der Regel wird für den Zugang zur Tätigkeit eine abgeschlossene Ausbildung vorausgesetzt. Auf Grund vergleichbarer und ähnlicher Tätigkeiten kommen die ebenfalls zum Elektrotechnikerhandwerk gehörigen Berufe Elektroinstallateur und Fernmeldeanlagenelektroniker in Frage, ebenso wie die nahe verwandten Ausbildungsberufe Elektromaschinenbauer und Mechatroniker.

Wegen der Größe der Schränke ist bei Tätigkeiten in der Schaltschrankmontage in der Regel im Stehen zu arbeiten. Beim Verdrahten, der Fehlersuche u. Ä. ist im Schaltschrank zu arbeiten. Aufgrund der Enge und Vielzahl von Verkabelungen müssen hier die Arbeiten häufig in Zwangshaltung (Strecken, Knien und Bücken) verrichtet werden.

Eine Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten erscheint aus hiesiger Sicht nicht ausreichend zu sein, um die Tätigkeit vollwertig ausüben zu können. Auch kann den gesundheitlichen Leistungseinschränkungen des Klägers wohl nicht gebührend Rechnung getragen werden.

Tätigkeiten in der Prüfung und Kontrolle von elektro-mechanischen Geräten und Bauteilen

Prüf-, Kontroll- und Messtätigkeiten gibt es in der Elektroindustrie auf den verschiedensten Qualifikationsebenen. Dabei sind Bauelemente, Baugruppen, Geräte oder Anlagen auf unterschiedliche Art und Weise - z.B. optisch (u. a. unter der Lupe oder am Mikroskop), mit einfachen Messinstrumenten, an Messgeräten, komplexen Messplätzen oder mit Prüfcomputern nach Schaltplänen, Prüfanweisungen, mit Hilfe von Prüfprogrammen etc. zu kontrollieren.

Auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten gibt es Arbeitsplätze mit nur leichten Belastungen. Meist ist jedoch überwiegend bis nahezu ausschließlich im Sitzen zu arbeiten, wobei es z.B. durch Feinarbeit auf engem Raum, durch Arbeit am Mikroskop oder am Bildschirm zu gewissen Zwangshaltungen im Schulter-Nacken-Bereich und Rücken kommen kann. Bei ggf. erforderlichen Auf- oder Umbau des Messplatzes kann gelegentlich Bücken und Heben und Tragen anfallen. Notwendig ist in der Regel gutes Nahseh-, Raum- und Farbensehvermögen, beidhändige feinmanuelle Geschicklichkeit und ein hohes Maß an Sorgfalt und Konzentration. Üblicherweise sind Elektronikkenntnisse, Kenntnisse in der Mikroprozessortechnik und ähnliches notwendig. Sofern es sich nicht um einfache Serienprüfungen und Abgleichaufgaben handelt, ist erfahrungsgemäß Anpassungsbereitschaft an neue Entwicklungen und ständige Weiterbildung erforderlich, um mit dem raschen technischen Wandel mithalten zu können. Ob der Kläger über die erforderlichen Elektronikkenntnisse und Kenntnisse in der Mikroprozessortechnik verfügt, ist aufgrund seiner beruflichen Biographie fraglich. Allgemein ist anzumerken, dass durch die veränderten Qualitätsanforderungen in Industrie und Handwerk und die Einführung von Qualitätsmanagement- und Qualitätssicherungsnormen nach DIN ISO 9000 ff inzwischen der &8222;Qualitätsfachmann&8220; bzw. die &8222;Qualitätsfachfrau&8220; ausgebildet und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird.

Außenstehende Bewerber haben üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, z.B. wenn sie (bei in der Regel voller Leistungsfähigkeit) über einschlägige besondere Qualifikationen (Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer - nach einer Umschulung) oder mit Zertifikat - DGQ-Schein Güteprüfung - Weiterbildung bei der Deutschen Gesellschaft für Qualität) oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Für nicht so qualifizierte und zusätzlich leistungsgeminderte Bewerber können geeignete Arbeitsplätze nur vereinzelt durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen (z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen) erschlossen werden.

Obwohl Arbeitsplätze in nennenswertem, wenn auch geringer werdenden Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, ist - wie bereits ausgeführt - außenstehenden leistungsgeminderten Bewerbern, die nicht über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen, der direkte Zugang erfahrungsgemäß nicht möglich. Gegen eine entsprechende Berufsausübung spricht auch die Sehbehinderung des Klägers.

Tätigkeiten im elektro-mechanischen Montagebetrieb in Werkstätten und Werkhallen

Bei körperlich leichten Montagetätigkeiten in der Elektroindustrie handelt es sich um Feinarbeiten, die überwiegend im Sitzen mit nur gelegentlichem Gehen und Stehen verrichtet werden. Je kleiner die Teile, desto statischer die geforderte Arbeitshaltung. Insbesondere in der Montage können Zwangshaltungen über einen längeren Zeitraum notwendig sein. Auch für diese Tätigkeit ist in der Regel gutes Nahsehvermögen unabdingbar.

Kassierer an Selbstbedienungstankstellen

(Entgegennahme und Herausgabe von Zahlungsmitteln, Verkauf von Zeitschriften, von Kfz-Zubehör oder von Waren zum Verzehr, Platzierung der Waren im Verkaufs- sowie Lagerraum). Im Tarifvertrag des Bayerischen Einzelhandels werden Kassierer der Beschäftigungsgruppe II zugeordnet. Voraussetzung dafür ist eine einschlägig abgeschlossene Ausbildung (auch eine zweijährige z.B. als Verkäufer) oder eine dreijährige Berufstätigkeit. Die reine Kassenbedienung kann nach kürzerer Anlernung verrichtet werden.

Ist neben der Kasse der gesamte so genannte "Shop" zu betreuen, ist zeitweise ein Wechsel vom Sitzen zum Gehen und Stehen möglich.

Bei der Warenannahme, Lagerhaltung, Gestaltung des Verkaufsraumes, dem Auffüllen der Regale und Auszeichnen der Waren ist auch Bücken sowie Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm erforderlich. Daher handelt es sich nach Auskunft des Zentralverbandes des Tankstellen- und Garagengewerbes (ZTG) beim Platzieren der Waren im Verkaufsraum und im Lagerraum sowie der Regalpflege um eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit. In diesem Zusammenhang wird auch das Besteigen von Leitern verlangt, so dass es sich um keine Tätigkeit ausschließlich zu ebener Erde handelt. Da die tägliche Öffnungszeit einer Tankstelle in der Regel die Arbeitszeit eines einzelnen Mitarbeiters übersteigt, ist Schichtarbeit üblich. Bei großem Kundenandrang ist Zeitdruck und die damit verbundene nervliche Belastung nicht zu vermeiden. Da der Kläger über keinerlei kaufmännische Vorkenntnisse verfügt, reicht eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit erfahrungsgemäß nicht aus, um die Qualifikationsebene der Anlernberufe zu erreichen. Unabhängig davon können die gesundheitlichen Leistungseinschränkungen des Klägers nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.
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Datum