L 13 RJ 423/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
L 13 RJ 423/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

a) Berufsbild:
8/69 – 8/71 kaufm. Lehrling
01.08.1971 – 01.02.1974 Lehre im Maler- und Lackiererhandwerk (Gesellenprüfung am 31.07.1981)
01.04.1974 – 31.12.1974 Spüler, Bauhelfer und Reiniger von Flugzeugen in Luxemburg 11.12.1975 – 05.07.1976 Arbeitslosigkeit 12.01.1977 – 30.09.1979 Maler und Lackierer
01.04.1980 – 31.12.1980 Gipser im väterlichen Gipsergeschäft
23.03.1981 – 08.04.1981 Gipser im väterlichen Gipsergeschäft
15.06.1981 – 17.07.1981 Gipser im väterlichen Gipsergeschäft Ende August 1981 bis Ende Dezember 1982 Umschulung zum Industriekaufmann seit 01.01.1983 arbeitslos

b) Das Leistungsvermögen des Klägers ist unstreitig wie folgt eingeschränkt:

Leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen, ohne einseitige Körperhaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne häufiges Bücken, nicht in bebückter Stellung, nicht in der Hocke, ohne Heben und Tragen von Lasten von mehr als 5 kg (gelegentlich auch darüber), ohne Klettern oder Steigen auf Leitern und Gerüsten, ohne Einwirkungen von Kälte, Nässe, Hitze, Zugluft und Atemwegsreizstoffe, ohne besondere Anforderungen an das Hörvermögen (wegen des geklagten Ohrgeräusches rechts), ohne besondere Stresstoleranz, ohne besonderes Umstellungs- und Anpassungsvermögen, ohne besondere Verantwortung vollschichtig.

Die zu beantwortenden Fragen stellen sich wie folgt:

I. Welche berufsnahen oder bisher ausgeübten Tätigkeiten kommen für den Kläger noch in Betracht?

II. a) Welche berufsfremden Tätigkeiten kommen noch in Betracht?

b) Kann der Kläger noch im Umschulungsberuf des Industriekaufmanns nach einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten arbeiten?

III. a) Welche qualifizierten Tätigkeiten kommen noch in Betracht?

b) Kann der Kläger als Telefonist arbeiten?

IV. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang zur Verfügung?

V. Welche Einarbeitungszeiten sind für die in Betracht kommenden Tätigkeiten

a) allgemein b) für den Kläger erforderlich?
Auskunft
Stellungnahme:

zu I)
Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger nicht mehr für in der Lage, die bisher ausgeübten Tätigkeit als Gipser und Industriekaufmann zu verrichten. Berufsnahe Tätigkeiten kann er ebenfalls nicht mehr ausüben.

zu II.)

a) Bei Beachtung des beruflichen Werdeganges und des gesundheitlichen Leistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht noch für in der Lage, folgende berufsfremde bzw. qualifizierte Verweistätigkeiten zu verrichten:

Büro-/Verwaltungshilfskraft Bürohilfskräfte / Verwaltungshilfskräfte verrichten meist einfache Büroarbeiten. Sie erledigen beispielsweise Schreibarbeiten, kümmern sich um die Verteilung der Post und firmeninterner Umläufe, kopieren Unterlagen, sorgen für die Ablage, erfassen Daten - kurz, sie übernehmen alle Hilfsarbeiten, die im Büro anfallen. Je nach vorhandenen Kenntnissen und Fertigkeiten können sie auch zum Beispiel einfache Buchhaltungsarbeiten ausführen, bei der Erstellung von Statistiken und Auswertungen mitwirken oder im Telefondienst arbeiten. Bei ihren vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten verwenden sie oft moderne Büro- und Kommunikationsmittel und müssen daher mit Computern, Kopierern, Telefon, Telefax und anderen Bürogeräten nach entsprechender Einweisung umgehen können. Bürohilfskräfte können in allen Branchen tätig sein.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Datenverarbeitung, zunehmend Arbeit am Bildschirm.

Mitarbeiter/Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde Die Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist, umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

b) Der Kläger hat 1981 bis 1982 eine Umschulung zum Industriekaufmann absolviert. Er war danach aber nie in diesem Beruf tätig und hat nach Aktenlage auch keine EDV-Kenntnisse. Er verfügt somit über keinerlei berufliche Praxis in einer kaufmännischen Tätigkeit. Aus berufskundlicher Sicht halte ich den Kläger deshalb nicht für in der Lage, die Tätigkeit eines Industriekaufmannes nach einer Einarbeitungs-/ Einweisungszeit von drei Monaten Dauer zu verrichten.

zu III.)

a) Für den Kläger kommen noch die unter II. genannten qualifizierten berufsfremden Verweistätigkeiten einer Bürohilfskraft und eines Mitarbeiters in der Poststelle eines Betriebs oder einer Behörde in Betracht.

b) Die Tätigkeiten eines Telefonisten kommen für den Kläger nicht in Betracht, da nach fachärztlichen Feststellungen keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden können.

zu IV.) Die unter II. genannten Tätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

zu V.) Für die genannten Tätigkeiten sind im allgemeinen Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer erforderlich. Da der Kläger seit über 20 Jahren keine berufliche Tätigkeit mehr ausgeübt hat, halte ich ihn nicht für in der Lage, die unter II. aufgeführten Verweistätigkeiten nach einer dreimonatigen Einarbeitungs-/ bzw. Einweisungszeit zu verrichten. Dies wird auch deutlich durch die Ausführungen im nervenärztlichen Gutachten. Der Gutachter stellt bei dem Kläger ein “langsames psychomotorisches Grundtempo und eine deutlich verminderte Umstellungsfähigkeit“ fest. Er empfiehlt sogar eine berufliche Rehabilitation in der Form, dass der Kläger wieder stufenweise in das Erwerbsleben eingegliedert wird und das Anfangs geringe zumutbare Arbeitstempo von 2 Stunden/Tag langsam bis zur vollen Erwerbtätigkeit gesteigert werden sollte.

Dies ist aus berufskundlicher Sicht keinesfalls innerhalb drei Monaten möglich. Wie lange in diesem Fall die tatsächliche Dauer der Einarbeitungszeit dauern kann vermag ich jedoch nicht zu beurteilen.
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