S 9 RJ 1188/04

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 9 RJ 1188/04
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen d. Kl.:
Der Kläger verfügt nach eigenen Angaben über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Es bestand ein Anlernverhältnis als Glaser. Ab. 1972 hat der Kläger als Glaser gearbeitet. Seit 01.01.2003 ist der Kläger arbeitslos

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen d. Kl.:
Ausweislich der Feststellungen des auf orthopädischem Fachgebiet gehörten Sachverständigen Prof. Dr. EB. bestehen bei dem Kläger folgende Erkrankungen: Z. n. BWK-12-Fraktur und degenerative Veränderungen im Segment L4/5. Der Sachverständige gelangte zu der Auffassung, dass der Kläger trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet noch über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für körperlich mittelschwere Arbeiten verfüge. Tätigkeiten, die mit einer Zwangshaltung sowie Hebe- und Bückarbeiten verbunden seien, könnten vom Kläger nicht mehr ausgeübt werden. Die maximale Hebebelastung solle als Dauer- oder Einzelbelastung 10 kg nicht überschreiten. Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten seien dem Kläger nicht mehr zumutbar. Der Sachverständige verwies jedoch auf eine schwere Sehbehinderung durch Erblindung des linken Auges und ein eingeschränktes sehen auf dem rechten Auge. Diesbezüglich hat das Gericht ein augenfachärztliches Gutachten bei Prof. Dr. TE. eingeholten. Dieser stellte im Rahmen einer ambulanten Untersuchung des Klägers eine Hornhauteintrübung am linken Auge, eine chronische Bindehautentzündung des linken Auges, eine Erblindung des linken Auges, eine Sehverschlechterung des rechten Auges und einen Verschluss des unteren Tränenkanals am rechten Auge fest. Allerdings ist der Kläger nicht mehr in der Lage Arbeiten zu verrichtende, die hohe Anforderungen an das räumliche Sehen stellen. Ferner sind Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten nicht zumutbar. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Gericht ein weiteres augenärztliches Gutachten bei Dr. NK. eingeholt. Dieser ist auf der Grundlage einer Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger keine Tätigkeiten verrichten könne, bei denen viel und dauerhaft gelesen werden muss. Ferner könne der Kläger keine Tätigkeiten verrichtet, die das Auto fahren oder die Betätigung gefahrgeneigter Maschinen erfordern. Wegen der medizinischen Einzelheiten wird auf das Gutachten von Prof. Dr. EB., das Gutachten von Prof. Dr. TE. sowie das Gutachten von Dr. NK. Bezug genommen.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann d. Kl. noch ausüben?
a) Kann der Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Glasers noch verrichten?
b) Ist der Kläger in der Lage, die Tätigkeiten eines Telefonisten oder Poststellenmitarbeiters auszuüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann d Kl. unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1.) und zu 2.):
a) Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger nicht mehr für in der Lage, die bisher ausgeübte Tätigkeit als Glaser zu verrichten.

Glaser im Fenster- und Fassadenbau
Glaser/innen der Fachrichtung Fenster- und Glasfassadenbau arbeiten meist in Handwerksbetrieben überschaubarer Größe. Oft sind sie unterwegs, reparieren in Privathaushalten Fenster oder führen Montagearbeiten auf wechselnden Baustellen durch.

Ihre körperliche Belastung ist so unterschiedlich wie ihre Arbeitsorte. In der Massenproduktion mit weitgehender Automatisierung brauchen sie nur noch wenig Muskelkraft aufzubringen, wohingegen ein Verandafenster für die Montage erst einmal gestemmt sein will! Denn die letzten Meter vom Fahrzeug zum Montageort nimmt einem auch heute noch keine Maschine ab. Stets ist bei ihrer Arbeit höchste Aufmerksamkeit angebracht: Geht Glas zu Bruch, entsteht nicht nur materieller Schaden, sondern auch eine erhebliche Verletzungsgefahr.

Es handelt sich um körperlich leichte bis mittelschwere, zeitweise auch schwere Arbeiten, überwiegend im Stehen und Gehen, oft in Zwangshaltungen wie Bücken, Knien und Überkopfarbeit auf Leitern und Gerüsten unter Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft, auch in geschlossenen Räumen und Werkhallen. Besonders groß ist die Absturz- und die Schnittverletzungsgefahr. Berufsnahe Tätigkeiten kann er ebenfalls nicht mehr ausüben.

b) Ich halte den Kläger jedoch noch für in der Lage die folgenden berufsfremden Tätigkeiten auszuüben:

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Je nach Art des Betriebes/ der Behörde können diese Tätigkeiten auch mit der Verrichtung von einfachen Büroarbeiten und /oder dem Empfangen und Anmelden von Besuchern gekoppelt sein.

Mitarbeiter/Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Die Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist, kann wechselweise im Sitzen, Stehen und Umhergehen verrichtet werden. Sie umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher. Es handelt sich um überwiegend leichte Tätigkeiten in geschlossenen, temperierten Räumen

zu 3.): Bei den vorgenannten Verweistätigkeiten handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können. Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt. Die erbetene Auskunft über die tarifliche Einstufung kann ich nicht erteilen, da die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit keine Tarifsammlung führen. Entsprechende Anfragen bitte ich an die Tarifvertragsparteien oder an die Tarifregisterstelle im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung zu richten.

zu 4.): Für die genannten Tätigkeiten sind im allgemeinen Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer erforderlich. Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers - auch für ihn ausreichend sein.

zu 5.): Die genannten Verweistätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

zu 6.): Die genannten Verweistätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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