Krankenkasse muss Therapiedreirad bezahlen

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Kategorie
Entscheidungen
Behinderte sind beim Gebrauch eines Hilfsmittels nicht mit Gesunden vergleichbar. Ein Therapiedreirad ist bei behinderten Minderjährigen im Grundschulalter ein geeignetes Hilfsmittel, wenn hierdurch die soziale Integration in die Gruppe Gleichaltriger ermöglicht wird. Die Integration wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Dreirad nur bei Anwesenheit von Erwachsenen genutzt werden kann.

Dies hat kürzlich das Sozialgericht Fulda entschieden. Der achtjährige Kläger leidet an dem Angelman-Syndrom. Es handelt sich hierbei um eine genetisch bedingte Erkrankung, die mit einer erheblichen geistigen und körperlichen Behinderung einher geht. Die beklagte Krankenkasse hatte die Bewilligung des Therapiedreirades abgelehnt, weil der Kläger zu einer eigenbestimmten und selbstständigen Nutzung des Rades nicht in der Lage sei. Eine soziale Integration sei nicht möglich, weil beim Gebrauch ständig die Anwesenheit eines Erwachsenen erforderlich sei.

Während des gerichtlichen Verfahrens hatte das Gericht zunächst zwei Termine vor Ort durchgeführt, um sich einen persönlichen Eindruck von dem Kläger zu verschaffen. Die Beklagte hatte ihm daraufhin für drei Monate leihweise ein Therapiedreirad zur Erprobung zur Verfügung gestellt. Das Gericht hat die Beklagte nach Ablauf des Dreimonatszeitraums auf Grundlage von Videoaufnahmen, die den Jungen beim Gebrauch des Rades zeigen, zur Leistung verurteilt: Die Aufnahmen zeigten, dass der Kläger gelernt habe, das Therapiedreirad zu bedienen. Erforderlich, aber auch ausreichend sei es, das Therapierad nach vorne zu bringen. Gezielte Lenkbewegungen
oder deutliche Richtungswechsel seien hingegen nicht Voraussetzung für die Bewilligung. Da Behinderte keinen vollständigen Behinderungsausgleich verlangen könnten, sei umgekehrt auch nicht zu verlangen, dass sie sich beim Gebrauch eines Hilfsmittels wie ein Gesunder verhalten würden, heißt es in dem Urteil. Ferner ist in der Entscheidung ausgeführt, dass die durch den Ausgleich der Behinderung bezweckte soziale Integration in eine Gruppe Gleichaltriger nicht durch die Anwesenheit eines Erwachsenen ausgeschlossen sei. Auch gesunde Kinder im Grundschulalter bedürften noch der regelmäßigen Kontrolle und Überwachung durch aufsichtspflichtige
Personen. Das gelte vor allen Dingen bei der Teilnahme am Straßenverkehr.

Sozialgericht Fulda, Urteil vom 16.12.2010, Az.: S 11 KR 7/09
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