Ärzte über 65 müssen nicht umsonst in die Altersversorgung zahlen

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Kategorie
Entscheidungen
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen verfügt als einzige KV in Deutschland mit der sogenannten Erweiterten Honorarverteilung (EHV) über eine eigene Altersversorgung für die niedergelassenen Vertragsärzte. Hieran können auch Ärzte teilnehmen, die nach Vollendung ihres 65. Lebensjahr ihre vertragsärztliche Tätigkeit ausüben. Sie werden dann weiterhin zur Finanzierung der EHV herangezogen. Wirkt sich dies nicht erhöhend auf ihren EHV-Versorgungsanspruch aus, verstoße dies – soweit der betreffende Arzt den Anspruchshöchstsatz noch nicht erreicht habe - gegen die Honorarverteilungsgerechtigkeit. Dies entschied in einem heute veröffentlichten Urteil der 4. Senat des Hessischen Landessozialgerichts.

84jähriger Internist wehrt sich gegen Versorgungsabzüge
Ein Ende 1934 geborener Arzt aus dem Landkreis Waldeck-Frankenberg war in den Jahren 1980 bis 2002 zur vertragsärztlichen Versorgung in Hessen zugelassen. Anschließend erhielt er Versorgungsleistungen der EHV mit einem Anspruchssatz von rund 12 %. Im April 2012 wurde der Arzt im Alter von 77 Jahren erneut als hausärztlich tätiger Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Für die Zahlung im Rahmen der EHV wurden Honoraranteile einbehalten. Der Arzt hielt dies für rechtswidrig.

Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verletzt
Die Richter beider Instanzen gaben dem Vertragsarzt Recht. Es verstoße gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, wenn Vertragsärzten, die nach Vollendung des 65. Lebensjahres an der EHV teilnehmen und weiterhin vertragsärztlich tätig seien, Versorgungsbeiträge abgezogen werden, ohne dass sich dies auf die Höhe ihrer Versorgungsansprüche auswirkt. Dies gelte jedenfalls, solange der Anspruchshöchstsatz von 18 % nicht erreicht sei.

Die EHV sei ein umlagefinanziertes kollektives Versorgungssystem zur Absicherung der Risiken von Invalidität und Alter. Der Satzungsgeber habe das beitragsrechtliche Äquivalenzprinzip und den solidarischen Charakter der Alterssicherung gegeneinander abzuwägen und in Ausgleich zu bringen.

Mit dem Äquivalenzprinzip sei es zwar grundsätzlich vereinbar, dass die Gruppe der über 65jährigen Vertragsärzte, die bereits Honorar aus der EHV bezögen und noch weiter vertragsärztlich aktiv seien, durch Abzug des EHV-Honorars zur Finanzierung der EHV herangezogen würden. Stehe diesem Abzug jedoch keinerlei Leistung im Sinne einer Anwartschaftserhöhung oder einer Erhöhung des EHV-Honorars als Beitragsäquivalent gegenüber, so verstoße dies gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG soweit der Anspruchshöchstsatz noch nicht erreicht sei.

Eine Änderung der Rechtslage ist zum 1. Juli 2012 erfolgt.

Hinweise zur Rechtslage

Art. 3 Grundgesetz (GG)
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Art. 12 GG
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

§ 1 Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (GEHV) i.d.F.v. 11. Mai 2010
(1) Jeder niedergelassene Vertragsarzt nimmt (…) an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. ( …)

§ 2 GEHV
Die Teilnahme an der EHV setzt voraus:
(1) vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis, nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen
(2) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme an der EHV beantragt wird.

§ 8 GEHV
(1) (…) Nimmt ein Vertragsarzt nach Vollendung des 65. Lebensjahres an der EHV teil und ist er zugleich vertragsärztlich im Sinne von § 2 Abs. 2 GEHV tätig, erhöht sich der bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erworbene Anspruch auf Teilnahme an der EHV durch weitere vertragsärztliche Tätigkeit nicht.

§ 1 Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (GEHV) i.d.F.v. 1. Juli 2012
(1) Jeder niedergelassene Vertragsarzt nimmt ( …) an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. ( …)
(2) Die Teilnahme an der EHV beginnt ohne Antrag für den Vertragsarzt ab dem Ersten des Monats, der auf die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 67. Lebensjahres (Regelaltersgrenze) folgt.

§ 2 GEHV
(1) Die Teilnahme an der EHV setzt voraus:
a) eine vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis
nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen ( …)
b) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertrags-
ärztlicher Tätigkeit nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze ( …) nicht
erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter
Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme
an der EHV beantragt wird, ( …)

§ 4 GEHV
( …)
(7) Nimmt ein Vertragsarzt nach Erreichen der Regelaltersgrenze an der EHV teil und ist er zugleich vertragsärztlich tätig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b), ist er weiter zur Beitragsleistung verpflichtet. Er erwirbt ab dem Erreichen der Regelaltersgrenze abweichend von Abs. 1 die Hälfte der für die Beitragsklasse festgeschriebenen Punkte, sofern die in § 4 Abs. 2 Satz 3 festgelegte maximale Punktzahl von 14.000 Punkten noch nicht erreicht ist. Die seit dem Erreichen der Regelaltersgrenze erworbenen Punkte werden für die Berechnung des EHV-Anspruchs mit der endgültigen Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit wirksam. ( …)

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.12.2018, Az,: L 4 KA 78/14
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