Leistungsausschluss für EU-Ausländer verfassungswidrig?

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Kategorie
Entscheidungen
Sozialgericht: Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

In Deutschland lebende EU-Ausländer, die nicht arbeiten und kein anderes Aufenthaltsrecht haben, erhalten kein Arbeitslosengeld II (sog. Hartz IV). Ende 2016 hat der Gesetzgeber auch für die Sozialhilfe einen entsprechenden Leistungsausschluss in das Gesetz aufgenommen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) und Sozialhilfeleistungen in der Regel auf einen Monat begrenzt. EU-Ausländer, die gegen den Verlust ihres Aufenthaltsrechts vor dem Verwaltungsgericht klagen, sind damit während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens nahezu vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen. Ausländer aus Drittstaaten erhalten in dieser Situation regelmäßig Asylbewerberleistungen.

Alleinerziehende Mutter mit drei Kindern erhält keine Leistungen

Im konkreten Fall geht es um eine Mutter mit drei minderjährigen Kindern. Sie sind rumänische Staatsangehörige und leben seit 2010 in Deutschland. Die Kinder gehen hier zur Schule. Im Jahr 2018 stellte die Ausländerbehörde das Fehlen eines Freizügigkeitsrechts fest. Dagegen klagt die Familie vor dem Verwaltungsgericht. Arbeitslosengeld II wird ihr im Hinblick auf das ungeklärte Aufenthaltsrecht nicht mehr geleistet. Ein Antrag auf Sozialhilfe wurde ebenso abgelehnt. Hiergegen hat die Familie Ende Oktober 2019 einen Eilantrag vor dem Sozialgericht Darmstadt gestellt.
Gegenwärtig sichert die Familie ihren Bedarf notdürftig im Wesentlichen durch Sachspenden einer Kirchengemeinde. Es droht die Obdachlosigkeit, da eine Räumungsklage wegen rückständiger Mieten erhoben wurde.

Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt?

Der fast vollständige Leistungsausschluss verletzt zur Überzeugung der 17. Kammer des Sozialgerichts Darmstadt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren. Das Sozialgericht hat deshalb dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die maßgebliche Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Beschluss vom 14.01.2020 - Az. S 17 SO 191/19 ER.
Der Beschluss wurde unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de ins Internet eingestellt.
Das Aktenzeichen des BVerfG ist noch nicht bekannt.

Hinweis zur Rechtslage:
§ 23 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII - Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer)
(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. (…)
(2) (…)
(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn
1. (…)
2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
3. (…)

Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Art. 20 Abs. 1 GG
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
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