Zwischenbilanz der Sozialgerichte in Bayern: „Bisher erstaunlich gut durch die Corona-Zeit gekommen – Digitalisierung jetzt deutlich auf dem Vormarsch“

Bundesland
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Kategorie
Entscheidungen
Die vergangenen Monate waren für die Sozialgerichte außerordentlich kräftezehrend, trotz vorübergehendem leichten Rückgang der Verfahrenszahlen. Bis zum heutigen Tag hat die Sozialgerichtsbarkeit die Herausforderungen der Corona-Pandemie bestens gemeistert, nicht zuletzt durch Homeoffice. Nach einem halben Jahr Corona-Krise zieht der Präsident des Bayerischen Landessozialgerichts Günther Kolbe folgende Zwischenbilanz:

„Das Coronavirus hat auch die Sozialgerichtsbarkeit fest im Griff. Gleich zu Beginn der Krise stellte sich für alle Gerichte die Frage, was zu tun wäre, wenn wegen Infektionsgefahr das Gesundheitsamt ein oder mehrere Gerichte schließen müsste. Und wie kann ggf. eine Notbesetzung den weiteren Geschäftsbetrieb gerade für Eilverfahren gewährleisten? Mit bemerkenswerter Besonnenheit wurden in Rekordzeit Konzepte, Leitfäden, Empfehlungen und Notfallpläne erarbeitet. Nach Hilferufen stellte sich zudem zahlreiche Gerichtsangehörige den Gesundheitsbehörden zur Verfügung, die bei Gericht Verbliebenen erledigten deren Arbeit mit.

Nach etwa einem halben Jahr Corona-Zeit kann ein Resümee gezogen werden: Bisher sind die Sozialgerichte erstaunlich gut durch die Corona-Zeit gekommen. Alle haben bis zum heutigen Tag die vielen Herausforderungen bestens gemeistert. Der Sitzungsbetrieb war für mehrere Wochen ausgesetzt, Termine wurden verlegt und Fristen großzügig gesetzt. Etwa 2.850 geplante Verhandlungen wurden verschoben, Eilsachen jedoch wie bisher unverzüglich entschieden. Der Gerichtsbetrieb lief im Übrigen in vollem Umfang weiter. Währenddessen wurden die Sitzungssäle mit Schutzvorrichtungen ausgestattet. Im Laufe des Mai bis Anfang Juni 2020 konnte der Sitzungsbetrieb in den einzelnen Häusern unter strikter Beachtung der Hygienevorschriften und Verhinderung von Kontaktfällen wiederaufgenommen werden.

Gleichzeitig werden Möglichkeiten des Prozessrechts, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, weiterhin ausgeschöpft und finden bei den Beteiligten gute Akzeptanz.


Nach der Delle droht die Welle

Die Zahl der neuen Verfahren ging in den letzten Monaten zurück, insbesondere auch aufgrund reduzierter Verbescheidungen durch die Behörden bzw. Leistungsträger. Die Statistik zeigt insofern eine kleine Delle:

Die 1. Instanz verzeichnete im ersten Halbjahr dieses Jahres einen im Vergleich zum 1. Halbjahr 2019 leichten Klagerückgang von knapp 13 % (bereinigt um die Klagen in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten nur 4,66 %), in Eilverfahren um knapp 16 %. Insgesamt verringerte sich der Verfahrenszugang um etwas über 13 %; bereinigt um einen außergewöhnlichen Klageeingang in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten im Dezember 2019 beträgt der Rückgang der Verfahren jedoch insgesamt nur 5,66 %. Der Verfahrensbestand konnte stabil gehalten werden (+ 0,43 %).

Die 2. Instanz weist bei den Berufungen einen Rückgang um 5,7 % aus (bereinigt um die Schwankungen aufgrund der Auswirkungen der Klagewellen in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten). Bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist ein Zuwachs um fast 21 % zu verzeichnen, bei Beschwerden gegen Entscheidungen im Eilverfahren ein Rückgang um fast 10 %. Insgesamt reduzierte sich der Zugang um gut 11 %. Der Bestand konnte um knapp 2 % abgebaut werden.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Klagen erhöhte sich im 1. Halbjahr nur leicht von 9,3 auf 10,4 Monate, in Eilverfahren unmerklich von 1,1 auf 1,2 Monate. Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Berufungen erhöhte sich ebenfalls nur leicht von 14,7 auf 15,2 Monate, in Eilverfahren vor dem Landessozialgericht sank sie deutlich von 1,9 auf 0,9 Monate, bei Beschwerden gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz von 1,8 auf 1,5 Monate.

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich der Rückgang der Verfahrenszahlen auf niedrigerem Niveau verfestigt. Wegen der deutlichen wirtschaftlichen Eintrübung wird bald mit erheblich höheren Verfahrenseingängen zu rechnen sein. Kurz: Nach der Delle droht die Welle. Nach den zwei Klagewellen 2018 und 2019 mit Streitigkeiten von Krankenkassen und Krankenhäusern wird wohl als dritte eine „Coronawelle“ mit Sozialleistungsklagen in bisher noch nicht abschätzbarer Dimension folgen. Das Ausmaß des zu erwartenden Verfahrenszuwachses aufgrund der Corona-Krise wird dafür maßgebend sein, ob die Laufzeiten auf gegenwärtigem Niveau gehalten werden können; bei vorsichtigem Blick in die Zukunft dürften sie wohl ansteigen.

Die bayerische Sozialgerichtsbarkeit wird alles daransetzen, diese Herausforderungen bestmöglich zu schultern und für die Rechtssuchenden effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.


Corona Impulsgeber für die weitere Digitalisierung

Die Digitalisierung der Justiz ist jetzt deutlich auf dem Vormarsch und bewährt sich in der Corona-Pandemie. Die Ausweitung von Homeoffice wurde in der bayerischen Sozialgerichtsbarkeit unverzüglich in Angriff genommen. Dank zunehmender mobiler Ausstattung und elektronischem Workflow hat Homeoffice die Arbeit der Sozialgerichte in Bayern weiter ermöglicht. Trotz Lockdown wurde auch die elektronische Aktenübersendung erfolgreich pilotiert. Seit 3. August 2020 können nun erstmals in Deutschland alle Arbeitsagenturen und Familienkassen den Sozialgerichten in Bayern ihre Akten elektronisch übermitteln. Ab 2022 soll die gesamte Fallbearbeitung an den bayerischen Sozialgerichten elektronisch erfolgen, auch am häuslichen Schreibtisch. Auch die Videokonferenztechnik haben wir fest im Blick. Mit der Einführung der elektronischen Gerichtsakte wollen wir bis zum Jahr 2022 sämtliche Sitzungssäle neu ausstatten. Wir streben hier als integrierte Lösung eine Mediensteuerung incl. Videokonferenz an.“

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