Eingliederungshilfe in Form eines persönlichen Budgets

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Kategorie
Entscheidungen
Unter den Voraussetzungen des § 29 SGB IX besteht ein Rechtsanspruch des Leistungsberechtigten auf die Ausführung der Leistungen in Form eines persönlichen Budgets. Wenn die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf ein persönliches Budget vorliegen, ist der Leistungsträger zum Abschluss einer Zielvereinbarung nach § 29 Abs. 4 SGB IX verpflichtet. Mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG wäre es nicht vereinbar, den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen des Fehlens einer Zielvereinbarung und einer entsprechenden Hilfeplanung abzulehnen.

Der Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Höhe von Eingliederungshilfeleistungen in der Ausführungsform eines persönlichen Budgets. Die 2001 geborene, im Landkreis Gießen lebende Antragstellerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie Typ IIa. Sie benötigt eine 24-Stunden-Assistenz, worüber die Beteiligten nicht streiten. Am 11.02.2020 beantragte die Antragstellerin Leistungen für ein persönliches Budget. Mit Schreiben vom 02.10.2020 erhielt sie die Zulassung für das Wintersemester 2020/2021 an der Hochschule Mannheim (Bachelorstudiengang „Soziale Arbeit“).
Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt keine Zielvereinbarung abgeschlossen wurde, machte die Antragstellerin mit ihrem Eilantrag ihren Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget geltend.

Die Entscheidung
Das Gericht gab der Antragstellerin Recht. Ihr war vorläufig ein persönliches Budget zu gewähren. Es war nur noch streitig die Höhe der Leistungserbringung. Während der Antragsgegner eine Berechnung vorlegte, aus der sich ein monatlicher Auszahlungsbetrag in Höhe von 12.782,50 € ergab, berechnete die Antragstellerin die Gesamtkosten auf 17.808,52 € monatlich. Auf das persönliche Budget bestand nach Auffassung des Gerichts ein Rechtsanspruch gem. § 29 SGB IX.
Auch wenn der Abschluss einer Zielvereinbarung unabdingbare Voraussetzung für die Gewährung eines persönlichen Budgets sei, so sei davon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus mehreren Gründen abzusehen: Der Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget laufe ins Leere, wenn der Leistungsträger durch sein Unterlassen beliebig den Abschluss einer Zielvereinbarung verhindern kann.
Eine Ausnahme sah das Gericht nur dann, wenn sich schon im Vorfeld des Abschlusses der Zielvereinbarung Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Leistungsträger sofort nach § 29 Abs. 4 S. 6 SGB IX kündigen werde. Das wäre nur der Fall, wenn absehbar wäre, dass der Leistungsberechtigte etwa Nachweise zur Bedarfsdeckung und Qualitätssicherung nicht erbringen werde.
Da die Antragstellerin einen Anspruch auf ein persönliches Budget habe, dürfe der Antragsgegner die Antragstellerin nicht dazu zwingen, diese zu den von ihm aufgestellten Bedingungen zu zahlen. Das Gericht konnte offenlassen, wie sich das Fehlen der Zielvereinbarung im Hauptsacheverfahren auswirke. Im Lichte des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) müsse im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung gewährt werden, weil ansonsten keine Leistungsgewährung möglich wäre. Hinsichtlich des Umfangs des persönliches Budgets orientierte sich das Gericht an den Angaben der Gewerkschaft ver.di (3.60 „Tariflöhne sind für mich existenziell“). Danach koste eine 24-Stunden-Assistenz bei Tariflöhnen zwischen 17.000 und 20.000 € im Monat.

Hinweis zur Rechtslage: § 29 SGB IX persönliches Budget

(Abs. 3) Werden Leistungen zur Teilhabe in der Leistungsform des persönlichen Budgets beantragt, ist der nach § 14 leistende Rehabilitationsträger für die Durchführung des Verfahrens zuständig. Satz 1 findet entsprechend Anwendung auf die Pflegekassen und die Integrationsämter. Enthält das persönliche Budget Leistungen, für die der Leistungsträger nach den Sätzen 1 und 2 nicht Leistungsträger nach § 6 Abs. 1 sein kann, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Leistungsträge nach § 15 zu.

Sozialgericht Gießen, Beschluss vom 29.10.2020, Az.: S 18 SO 146/20 ER
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