L 6 AS 401/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 976/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 401/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Einem Bescheid fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit im Sinne von § 33 SGB X, wenn in diesem der Adressat der Entziehung nicht eindeutig benannt wird.

2. Einem Bescheid fehlt es an einer Regelung im Sinne des § 31 SGB X, wenn sich aus dem Verfügungssatz nicht ergibt, dass Leistungen teilweise entzogen werden sollen.

3. Der Unterhaltsvorschuss ist nicht an den Vorschriften der Einkommensanrechnung zu messen, wenn er nicht zufließt.  
 

I.    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juli 2019 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Sozialgerichts wird klarstellend neu gefasst: Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 27. Juli 2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. Oktober 2018 in der Gestalt des Bescheides vom 20. Dezember 2018 verurteilt, den Klägern endgültige Leistungen nach dem SGB II, entsprechend des Bescheides vom 20. Dezember 2018 ohne Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 154 Euro bei der Klägerin zu 2) für die Monate Juli 2018 bis Dezember 2018, festzusetzen. 

II.    Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 in Höhe von monatlich 154 Euro.

Die Klägerin zu 1) bezieht gemeinsam mit ihren Kindern, den Klägern zu 2) bis 4), laufend Grundsicherungsleistungen. 

Mit Schreiben der Beklagten vom 6. Juli 2017 (Bl. 57 VA) und 26. Februar 2018 (Bl. 43 VA) forderte sie die Klägerin zu 1) auf, einen Antrag auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für die Klägerin zu 2) beim zuständigen Träger zu stellen. In den Schreiben vom 6. Juli 2017 (Bl. 57 VA) und 26. Februar 2018 (Bl. 43 VA) wird wortlautidentisch ausgeführt:

„Sehr geehrte Damen und Herren, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II wurden unter der Voraussetzung bewilligt, dass Sie Ihren notwendigen Lebensunterhalt und den der mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus Ihrem Einkommen und Vermögen decken können. 
Gemäß § 5 SGB II werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes grundsätzlich nur nachrangig gewährt. Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen (§ 12a SGB II). Dies bedeutet, dass Sie vorrangig gewährte Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. 
Antrag auf Unterhaltsvorschuss: 
Zu den vorrangig gewährten Sozialleistungen zählt u.a. Unterhaltsvorschuss. Sie sind daher verpflichtet, unverzüglich einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss zu stellen (Kreis Offenbach, Unterhaltskasse, Werner-Hilpert-Str.1, 63128 Dietzenbach) und die entsprechend erforderlichen Belege den Anträgen beizufügen. 
Sobald Ihnen die Nachweise der Unterhaltskasse Kreis Offenbach vorliegen, bitten wir um eine Bestätigung der Antragsstellung oder eine Kopie der eingereichten Unterlagen, damit ein Nachweis erbracht wird, dass Sie Ihrer Mitwirkungspflichten nachgekommen sind. Bitte beachten Sie, dass es sich bei diesen Angaben bzw. Unterlagen um entscheidungserhebliche Tatbestände bzw. Dokumente im Sinne von § 60 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) handelt. Aufgrund dieser Vorschrift sind Sie zur Mitwirkung verpflichtet. 
In Ihrem Interesse empfehlen wir, die vorstehend erbetenen Angaben bzw. Unterlagen (Beweismittel) so bald wie möglich vorzulegen. Erst danach können wir abschließend über Ihre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entscheiden.“ 

Die Schreiben vom 6. Juli 2017 (Bl. 57 VA) und 26. Februar 2018 (Bl. 43 VA) enthielten folgenden Hinweis: „Sollten wir bis spätestens zum 15.03.2018 [bzw. 23.07.2018] keine weitere Nachricht von Ihnen erhalten; nehmen wir fehlende Mitwirkung (§ 66 SGB I) an. Dies hätte zur Folge, dass wir die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gemäß den §§ 60, 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung ohne weitere Ermittlungen versagen können bzw. auch bereits bewilligte Leistungen künftig entziehen können. 
Falls Sie trotz dieser Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf die vorrangige Leistung nicht stellen, kann die Pro Arbeit den Antrag auf diese Leistung gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II stellen. Sollten die Leistungen aufgrund eines solchen Antrages vom Träger der vorrangigen Sozialleistung nach § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) bestandskräftig entzogen oder versagt werden, sind wir gemäß § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II verpflichtet, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis Sie oder die leistungsberechtigten Mitglieder Ihrer Bedarfsgemeinschaft Ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 SGB I gegenüber dem Träger der vorrangigen Sozialleistung nachgekommen sind. Sobald die Mitwirkung gegenüber dem Träger der vorrangigen Sozialleistung nachgeholt werden würden, wäre dann die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben, § 5 Abs. 3 Satz 5 SGB II.“

Am 6. März 2018 beantragte die Klägerin zu 1) für die Klägerin zu 2) Unterhaltsvorschussleistungen.

Mit Bescheid vom 11. April 2018 lehnte das Jugendamt diesen Antrag ab und versagte die Unterhaltsvorschussleistungen. Zur Begründung führte es aus, dass die Klägerin zu 1) ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. Es sei angegeben worden, dass der Vater der älteren Kinder auch der Vater der Klägerin zu 2) sei. Bislang sei die Vaterschaft aber nicht festgestellt worden (Bl. 31 VA). Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Widerspruch ein.

Im Schreiben vom 17. April 2018 (Bl. 29 VA) führte der Beklagte aus: „Sehr geehrte Frau A., kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalte erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Prüfung die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind (§ 66 Abs. 1 SGB I). 
Mit Bescheid vom 11.04.2018 wurde der Anspruch für Ihre Tochter B. auf Unterhaltsvorschuss in Höhe von 154,00 Euro mit Erreichen des 6. Lebensjahres in Höhe von 250,00 Euro versagt, da Sie laut dem vorliegenden. Bescheid des Fachdienstes Jugend und Familie Unterhaltsvorschuss, Kreis Offenbach keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen haben um den Kindesvater ausfindig zu machen beziehungsweise feststellen zu lassen. Sie sind somit Ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht gemäß § 1 Absatz 3 Unterhaltsvorschuss Gesetz nicht nachgekommen und daher wurde die Unterhaltsvorschussleistung versagt. 
Sie werden daher aufgefordert, im Rahmen Ihrer Mitwirkungspflicht (§§ 60 bis 62, 65 SGB I) für die Gewährung von Leistungen entscheidungserhebliche Unterlagen einzureichen, damit über Ihre weitere Hilfegewährung abschließend entschieden und die Hilfebedürftigkeit nachgewiesen werden kann. Die Folgen fehlender Mitwirkung sind in diesem Schreiben genannt. 
Zur abschließenden Prüfung benötigen wir bis zum 04.05.2018 noch folgende Unterlagen bzw. Auskünfte: 
- Nachweis der erfolgreichen Mitwirkung im Rahmen des Anspruches auf Unterhaltsvorschuss für Ihre Tochter B. 
- sollten Sie mit der Entscheidung des Fachdienstes Jugend und Familie, Unterhaltsvorschuss des Kreises Offenbach nicht einverstanden ist, wird dringend nahegelegt gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen.
Bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss Gesetz handelt es sich um Sozialleistungen die vorrangig vor den Leistungen SGB II einzusetzen sind § 5 SGB II in Verbindung mit § 12a SGB II.“

Im Schreiben vom 14. Mai 2018 (Bl. 117 GA) wird ausgeführt: „Zur abschließenden Prüfung ihrer oben genannten noch folgenden Unterlagen bzw. Auskünfte: 
[…]
- aktueller Sachstand bezüglich des Anspruches Unterhaltsvorschuss für Ihre Tochter B. - hierbei erinnern wir an unser Mitwirkungsschreiben vom 17.04.2018, welches wir in der Anlage diesem Schreiben beifügen. Die in dem Schreiben genannte Frist zur Erledigung der 04.05.2018 wurde nicht beachtet“. 

Die Schreiben vom 17. April 2018 und 14. Mai 2018 waren mit folgender Belehrung versehen: „Wir weisen Sie darauf hin, dass es sich bei diesen Angaben bzw. Unterlagen um entscheidungserhebliche Tatsachen bzw. Dokumente im Sinne von § 60 des Sozialgesetzbuches 1 (SGB I) handelt. Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhalt, alle Tatsachen anzugeben und Unterlagen vorzulegen, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Aufgrund dieser Vorschrift sind Sie somit zur Mitwirkung verpflichtet. 
In Ihrem Interesse empfehlen wir, die vorstehend erbetenen Unterlagen (Beweismittel) oder Angeben so bald wie möglich einzureichen. Erst nach Vorlage und entsprechender Auswertung der oben bezeichneten Unterlagen können wir über Ihren Antrag abschließend entscheiden. 
Wichtiger Hinweis: Sollten wir bis zum oben genannten Zeitpunkt keine weitere Nachricht von Ihnen erhalten, nehmen wir fehlende Mitwirkung (§ 66 SGB I) an, aufgrund derer uns die Voraussetzungen für eine Leistungserbringung nicht nachgewiesen sind. Dies hätte zur Folge, dass wir die oben genannten beantragten Leistungen gemäß den §§ 60, 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung ohne weitere Ermittlungen versagen können bzw. auch bereits bewilligte Leistungen künftig entziehen können“ (Bl. 117 f GA).

Mit Schreiben vom 8. Mai 2018 teilte die Klägerin zu 1) dem Jugendamt die Adresse des Kindsvaters mit (Bl. 8 GA).

Mit Bescheid vom 1. Juni 2018 bewilligte der Beklagte den Klägern vorläufige Leistungen nach dem SGB II für die Monate Juni bis Dezember 2018 (Bl. 95 VA). Die vorläufigen Leistungen wurden für den Monat Juni in Höhe von 851,55 Euro, Juli in Höhe von 1.225,55 Euro, für den Monat August 2018 in Höhe von 1.215,55 Euro, für September 2018 in Höhe von 1.215,55 Euro, für Oktober 2018 in Höhe von 1.220,55 Euro, für November 2018 in Höhe von 1.235,05 Euro und für Dezember 2018 in Höhe von 1.236,55 Euro bewilligt. Aus dem Bescheid geht hervor, dass bei der Klägerin zu 2) ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 154,00 Euro angerechnet wurde. Zur Begründung wurde im Bescheid ausgeführt: „Für Ihre Tochter B. bestehen dem Grunde nach Ansprüche auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Mit Mitwirkungsschreiben vom 14.05.2018 wurden Sie letztmalige aufgefordert für Ihre Tochter Unterhaltsvorschuss zu beantragen beziehungsweise nach Versagung seitens der Unterhaltsvorschusskasse mitzuwirken, darüber hinaus wurden Sie in dem Mitwirkungsschreiben über die Folgen der nicht geleisteten Mitwirkungspflicht hingewiesen. Nachdem am 06.03.2018 von Ihnen für B. Unterhaltsvorschuss beantragt wurde, ist dieser Antrag durch den Fachdienst Jugend Familie und Soziales Unterhaltsvorschuss des Kreis Offenbach wegen fehlender Mitwirkung mit Bescheid vom 11.04.2018 versagt worden. 

Bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetzt handelt es sich um Leistungen die gemäß § 12 a SGB II vorrangig vor den Leistungen SGB II einzusetzen sind. 
Da nunmehr diese Leistungen aufgrund nicht erfolgter Mitwirkung durch den Kreis Offenbach versagt wurden und Sie somit nicht mitwirkten um Ihren Leistungsanspruch SGB II zu mindern, werden diese Leistungen für Ihre Tochter in Höhe des ihr im Grunde nachzustehenden Unterhaltsvorschuss bis zu Erreichung des 6. Lebensjahres von 154,00 Euro und ab dem 6. Lebensjahr von 250,00 Euro bis zur Nachholung der Mitwirkung für die Zukunft entzogen. 
Näheres entnehmen Sie bitte den beigefügten Berechnungsbögen“.

Mit Bescheid vom 20. Juni 2018 wurden die Leistungen zum 30. Juni 2018 zunächst eingestellt (Bl. 63 VA). Dieser Bescheid wurde mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Juli 2018 aufgehoben, die Beklagte bewilligte den Klägern für den Zeitraum 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Unterhaltsvorschusses in Höhe von 154 Euro bei der Klägerin zu 2). Die vorläufigen Leistungen wurden für den Monat Juli in Höhe von 1.555,55 Euro, für den Monat August 2018 in Höhe von 867,55 Euro, für September 2018 in Höhe von 867,55 Euro, für Oktober 2018 in Höhe von 872,55 Euro, für November 2018 in Höhe von 887,05 Euro und für Dezember 2018 in Höhe von 888,55 Euro bewilligt. Die Begründung ist wortlautidentisch zum Bescheid vom 1. Juni 2018.

Gegen den Bescheid vom 27. Juli 2018 legten die Kläger am 6. August 2018 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, dass ein Einkommen angerechnet werde, welches jedoch nicht zufließe.

Mit Schreiben vom 28. August 2018 bat die Klägerin zu 1) den Beigeladenen um Bescheidung ihres Widerspruchs vom 8. Mai 2018 und teilte diesem erneut die Adresse des Kindsvaters mit (Bl. 15 GA).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sie die Leistungen nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II analog ab Juli 2018 wirksam entzogen habe. Eine Analogie sei anzuwenden, da dies dem gesetzgeberischen Willen entspreche. Eine Vergleichbarkeit zwischen § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und § 1 Abs. 3 UVG sei gegeben. Die Klägerin zu 2) hätte bei vollständiger Mitwirkung einen Anspruch auf monatlich 154 Euro gehabt. Daraus ergebe sich der entzogene Betrag. Die Entziehung könne rückwirkend wieder aufgehoben werden, sobald die unterlassene Mitwirkung nachgeholt werde.

Am 24. Oktober 2018 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. 

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2018 hat die Beklagte die Leistungen für die Monate Juli 2018 bis Dezember 2018 endgültig festgesetzt. Mit diesem Bescheid sind die Leistungen der Kläger für den Monat Juli in Höhe von 1.555,55 Euro, für den Monat August 2018 in Höhe von 867,02 Euro, für September 2018 in Höhe von 937,76 Euro, für Oktober 2018 in Höhe von 954,37 Euro, für November 2018 in Höhe von 832,95 Euro und für Dezember 2018 in Höhe von 877,99 Euro endgültig festgesetzt worden (Bl. 1 VA). Hierbei wurde ein monatliches Einkommen der Klägerin zu 2) in Höhe von 154 Euro berücksichtigt (Bl. 1 VA). Die Begründung ist wortlautidentisch zum Bescheid vom 1. Juni 2018.

Die Kläger haben ausgeführt, dass die Klägerin zu 1) durch Mitteilung der Adresse des Kindsvaters ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Sie seien zunächst davon ausgegangen, dass der Bescheid des Beigeladenen vom 11. April 2018 nicht bestandskräftig geworden sei, da das Schreiben vom 8. Mai 2018 als Widerspruch zu werten sei. Die Angelegenheit sei noch vom Beigeladenen geprüft worden. Die Leistungen dürften nicht entzogen werden, solange der Bescheid des Jugendamts noch nicht bestandskräftig geworden sei. Ferner sei die Entziehung zeitlich bis zum Zeitpunkt zu beschränken, indem die leistungsberechtigte Person ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Dies sei mit Schreiben vom 8. Mai 2018 und 28. August 2018 geschehen, in dem die Adresse des Kindsvaters angegeben worden sei. Ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft könne von der Klägerin zu 1) nicht gefordert werden.

Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihnen unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 ohne die Entziehung von Leistungen in Höhe von monatlich 154,00 Euro zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren berufen. Ergänzend hat sie vorgetragen, dass der Bescheid der Unterhaltsvorschussstelle bestandskräftig sei. Die Kläger hätten das dort geführte Widerspruchsverfahren zwischenzeitlich für erledigt erklärt. Eine Nachholung der Mitwirkung gegenüber der Unterhaltsvorschussstelle sei nicht belegt.

In der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2019 hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärt, der Bescheid des Jugendamts vom 11. April 2018 sei bestandskräftig geworden (Bl. 32 GA). 

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 15. Juli 2019 stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2018 verurteilt, an die Kläger für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 monatlich weitere 154 Euro zu zahlen.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage sei zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2018 sei insoweit rechtswidrig, als er den Klägern einen Betrag in Höhe von 154 Euro monatlich entziehe, und verletze die Kläger insoweit in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei es den Klägern im vorliegenden Fall möglich, nicht nur eine reine Anfechtungsklage zu erheben, sondern auch auf Leistungsgewährung zu klagen, da sich eine Leistungsverurteilung im vorliegenden Fall aufdränge. Grundsätzlich sei gegen die Versagung einer Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung nur die reine Anfechtungsklage gegeben. Eine unmittelbare Klage auf existenzsichernde Leistungen komme jedoch in Betracht, wenn sich eine Leistungsverurteilung aufdränge, da sich bei einer Aufhebung der Entscheidung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 78/08 R, m.w.N.). Bei dem Bescheid vom 27. Juli 2018 handele es sich nicht um einen originären Entziehungsbescheid, da die Beklagte in diesem Bescheid zeitgleich eine Bewilligung und eine Teilversagung vornehme. Die teilweise Aufhebung des Bescheides habe somit auch unmittelbar Auswirkungen auf die Höhe der bewilligten Leistungen, sodass sich nicht nur die Aufhebung, sondern auch die Zahlung aufdränge. Ferner werde durch die teilweise Aufhebung des Bescheides und Verurteilung zur Leistung eine bloße Wiederholung des Verwaltungsverfahrens vermieden, da der Sachverhalt zwischen den Beteiligten unstreitig sei und die Beteiligten lediglich um die Rechtsfrage der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II streiten würden.

Zunächst bleibe festzuhalten, dass es sich zwar bei dem Unterhaltsvorschuss um ein Einkommen des Kindes handele, sodass grundsätzlich nur das entsprechende Kind von einer Entziehung der Leistung betroffen sei. Im vorliegenden Fall seien jedoch aufgrund der variierenden Einkommensverteilung des Einkommens der Klägerin zu 1) alle Kläger von der Entziehung des Unterhaltsvorschusses betroffen.

Die Beklagte stütze die teilweise Entziehung der Grundsicherungsleistung in Höhe von 154 Euro auf § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II, obwohl die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm nicht erfüllt seien. Nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II seien die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ganz oder teilweise solange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen sei, sofern eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 SGB I bestandskräftig entzogen oder versagt werde. Die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II könne für den Unterhaltsvorschuss keine Anwendung finden, da § 1 Abs. 3 UVG bei mangelnder Mitwirkung nur zur Ablehnung, nicht aber zur Versagung berechtige (vgl. Groth/Siebel-Huffmann in: NJW 2016, Satz 3404). Im vorliegenden Fall habe das Jugendamt Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 Abs. 3 UVG abgelehnt. Diese Ablehnung könne nicht mit einer Versagung oder Entziehung nach § 66 SGB I gleichgesetzt werden. Eine Ablehnung unterscheide sich nicht nur der Wortbedeutung nach erheblich von einer Versagung oder Entziehung, sondern auch rechtlich und strukturell. Dies werde vor allen Dingen deutlich, wenn man § 66 SGB I mit § 1 Abs. 3 UVG vergleiche. Diese Normen könnten rechtlich nicht gleichgesetzt werden, da sie dem Träger völlig differenzierte Entscheidungsspielräume eröffneten. § 66 SGB I räume dem Träger eine Ermessensentscheidung ein. Dahingehend handele es sich bei einer Ablehnung nach § 1 Abs. 3 UVG um eine bindende Entscheidung des Trägers, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien.

Sofern die Beklagte vortrage, § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II müsse dahingehend ausgelegt werden, dass auch eine Ablehnung eines anderen Trägers von der Norm gedeckt werde, so sei dem nicht zu folgen. Einer Auslegung der Norm stehe deren eindeutiger Wortlaut entgegen. 

Im Übrigen scheide eine analoge Anwendung von § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II aus, da es hierfür an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Der Gesetzgeber habe die Norm des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II in der heute gültigen Form mit Wirkung zum 1. Januar 2017 durch das Gesetz vom 26. Januar 2016 (BGBl. I Satz 1824) in das SGB II aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sei § 1 Abs. 3 UVG bereits in der heute gültigen Fassung in Kraft gewesen. Dem Gesetzgeber habe folglich bewusst gewesen sein müssen, dass das UVG nur eine Ablehnung von Unterhaltsvorschussleistungen vorsehe. Hätte er den vorliegenden Fall regeln wollen, so hätte er dies durch Verwendung von anderen Begrifflichkeiten in die Fassung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II nF aufnehmen können. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass in der Bundestagsdrucksache 18/8909 auf Seite 29 ausdrücklich der Unterhaltsvorschuss genannt werde. Durch diese Formulierung werde deutlich, dass dem Gesetzgeber die Regelung der Ablehnung der Unterhaltsvorschussleistung nach dem UVG bekannt gewesen sei. Nachdem der Gesetzgeber diesen Fall - trotz Kenntnis - nicht in die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II aufgenommen habe, könne gerade nicht von einer Planwidrigkeit ausgegangen werden. Auch vor dem Hintergrund der Berücksichtigung eines Unterhaltsvorschusses als Einkommen des Kindes sei eine (analoge) Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II auf derartige Fallkonstellationen abzulehnen, da dies eine teilweise Leistungsentziehung in Bezug auf Grundsicherungsleistungen des Kindes bedeuten würde, welche auf einen bestandskräftigen Bescheid aufgrund der Nichtmitwirkung der Mutter erfolgen würde. Dies stelle eine Minderung des Leistungsanspruches des Kindes dar, obwohl dieses das Verhalten der Mutter in Bezug auf die Mitwirkung vor dem Jugendamt nicht beeinflussen könne. 

Das Urteil ist der Beklagten am 30. Juli 2019 zugestellt worden (Bl. 45 GA). 

Die Beklagte hat am 16. August 2019 Berufung eingelegt.

Mit Beschluss vom 13. Februar 2020 ist der Kreis Offenbach – Fachdienst Jugend und Familie zum Verfahren beigeladen worden (Bl. 79 GA).

Mit gerichtlichem Schreiben vom 22. Oktober 2021 sind die Beteiligten um Vorlage des Schreibens vom 14. Mai 2018 gebeten worden. Die Kläger haben dieses mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 übersandt und haben ausgeführt, dass die Klägerin zu 1) sich nicht mehr erinnern könne, ob sie damals das Schreiben vom 14. Mai 2018 erhalten habe. Dagegen spreche, dass die Prozessbevollmächtigte dieses im Rahmen des Widerspruchsverfahrens habe anfordern müssen, weil es sich nicht im Besitz der Klägerin befunden habe (Bl. 116 GA).

Die Beklagte verweist darauf, dass das Sozialgericht in seinem Urteil unterstellt habe, dass die Ablehnung gemäß § 1 Abs. 3 UVG auch für den Zeitraum ab 1. Juli 2018 durch den Bescheid des Beigeladenen vom 11. April 2018 rechtmäßig gewesen sei, obwohl die Klägerin zu 1) in diesem Zeitraum vom Kindsvater keinerlei Unterhaltsleistungen bekommen habe. Es unterstelle ferner, dass die Klägerin zu 2) dem Grunde nach einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss gehabt habe und dieser Anspruch ausschließlich daran gescheitert sei, dass die Klägerin zu 1) ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei. 

Zu der Frage, welcher Art Mitwirkung die Klägerin zu 1) geschuldet habe, seien jedoch keine weiteren Feststellungen getroffen worden. Nach dem Bescheid des Beigeladenen habe die Klägerin im ursprünglichen Antrag eine Angabe zum Kindsvater gemacht. Allerdings sei die Vaterschaft nicht „festgestellt“ worden. Dazu hätte es eines Verfahrens bei dem Amtsgericht bedurft, was hier schon deshalb mit erheblichen Problemen belastet gewesen wäre, weil der Kindsvater seinen ständigen Aufenthalt in Bulgarien habe und hatte. Die Versagung beruhe allein auf der fehlenden Mitwirkung der Klägerin zu 1). 
Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität habe der Gesetzgeber der Beklagten die Befugnis eingeräumt, ausnahmsweise anstelle der Leistungsberechtigten einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers zu stellen. Dies folge aus § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Dieser Antrag ersetze nicht die vom Jugendamt als fehlend bezeichnete Mitwirkungshandlung. Die Beklagte könne die vom Gesetz angeordnete Subsidiarität nicht dadurch herstellen, dass sie anstelle der Klägerin zu 1) einen Antrag beim Jugendamt stelle.
Genau für diese Situation habe der Gesetzgeber nun in § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II geregelt, dass es zu Lasten der Kläger gehe, wenn der andere Träger wegen unterlassener Mitwirkung eine Leistung versage. Nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II habe die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Grundsicherung in Höhe des Unterhaltsvorschusses ablehnen müssen, da es allein in der Hand der Klägerin gelegen hätte, am Verfahren derart mitzuwirken, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss realisiert werde. 

Das Sozialgericht verneine die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm, ohne dies näher zu begründen: Warum § 1 Abs. 3 UVG die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II ausschließe, werde nicht näher dargelegt. Tatsächlich habe das Jugendamt den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss versagt mit dem ausdrücklichen Bemerken, es fehle an einer Mitwirkungshandlung.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, sie sei nicht befugt, diese Mitwirkungshandlung ihrerseits zu ersetzen, da dies einen Eingriff in die persönlichen Rechte der Klägerin und gegebenenfalls des Kindsvaters darstellen würde.

Das Sozialgericht meine unzutreffend, dass eine Ablehnung des Anspruchs sich von der „Versagung oder Entziehung“ erheblich unterscheide, und zwar rechtlich und strukturell. Wer notwendige Mitwirkungshandlungen unterlasse, verliere den Anspruch unabhängig davon, wie dies im Bescheid formuliert sei. Nach § 66 SGB I bedürfe es zur Ablehnung nicht eines bestimmten Wortlautes im Bescheid. Einerlei, ob man die Leistungsgewährung „versage“, den Leistungsantrag „ablehne“ oder aber auch eine auf Dauer angelegte Leistung „entziehe“. Maßgeblich sei der Kausalzusammenhang zwischen fehlender Mitwirkung und Anspruchsverlust.

Die Erwägungen über die analoge Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II im Urteil beschränkten sich darauf, dass bei Formulierung des § 5 SGB II der § 1 Abs. 3 UVG bereits existiert habe. Genau diese gesetzgeberische Situation und die Gesetzesbegründung bestätigten aber, dass die unterbliebene Mitwirkung im Verfahren nach dem UVG die Leistungsablehnung nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II rechtfertige. Der Gesetzgeber habe hier unterstellt, dass die fehlende Mitwirkung im Verfahren nach dem UVG gegebenenfalls Gründe habe, die sich dem Grundsicherungsträger nicht erschlössen.

Daher sei die Ablehnung der Leistung durch die Beklagte rechtmäßig erfolgt. Denn die Klägerin sei darüber informiert gewesen, dass ihr ein Anspruch nach dem UVG zustehe. Sie habe diesen Anspruch nicht wahrgenommen, sondern an Stelle dessen Leistungen nach dem SGB ll beantragt. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe eindeutig nicht bestanden, weil die Klägerin sich auf die vorrangigen Leistungen nach dem UVG habe verweisen lassen müssen. Der Klägerin sei dieser Sachverhalt auch bekannt gewesen. Die Klägerin habe nach dem Gesetz kein „Wahlrecht" zwischen diesen Sozialleistungen. Wenn von den Klägern vorgetragen werde, die Beklagte hätte selbst einen Antrag auf UVG-Leistungen stellen können, verkenne dieser Hinweis, dass es sich bei den Leistungen nach dem UVG um höchstpersönliche Leistungen handele und dass zur Antragstellung entsprechende Erklärungen und Nachweise der betroffenen Personen erforderlich seien. Der bloße Antrag der Beklagten hätte keinerlei Wirkung gehabt. 

Es komme hier auch nicht darauf an, ob die Leistungen nach dem UVG „bereite Mittel" gewesen seien. Es habe eine Bedarfslage nach dem SGB II nicht bestanden; denn es habe in der Hand der Klägerin gelegen, diesen Anspruch zu realisieren.

Die Beklagte beantragt,
1.    das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15.07.2019 – S 27 AS 976/18 – aufzuheben und die Klage der Kläger gegen den Bescheid vom 27.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2018 zurückzuweisen und
2.    die Zulassung der Revision.

Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juli 2019 zurückzuweisen und den Tenor des erstinstanzlichen Urteils zu berichtigen und diesen um den Bescheid vom 20. Dezember 2018 zu ergänzen.

Die Kläger halten das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Sie verweisen zudem darauf, dass der Beigeladene den Bescheid erlassen habe, obwohl diesem die Identität des Kindesvaters der Klägerin zu 2) namentlich bekannt gewesen sei, denn diese sei von der Klägerin zu 1) mitgeteilt worden. Wenn der Beigeladene den Aufenthaltsort des Kindesvaters bis dahin durch die Klägerin zu 1) nicht erfahren gehabt habe, dann nur deshalb, weil die Klägerin zu 1) selbst über diese Information auch nicht verfügt habe. Der Beigeladene habe der Klägerin zu 1) die Verletzung von Mitwirkungspflichten vorgeworfen, welche die Klägerin zu 1) zum damaligen Zeitpunkt ohnehin nicht hätte erfüllen können. 
Die Klägerin zu 1) habe die anfänglich unmögliche und später möglich gewordene Mitwirkungspflicht gegenüber dem Beigeladenen bereits nachgeholt gehabt, als die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juli 2018 den Klägern Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 154,- Euro im Monat ab dem 1. Juli 2018 nach § 5 Abs. 3 SGB II entzogen habe. Dies widerspreche den Vorgaben in § 5 Abs. 3 SGB II, wonach die Leistungen nur bis zur Nachholung der Mitwirkungspflichten entzogen oder versagt werden könnten. 

Sofern die Beklagte sich für die Versagungsentscheidung auf § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II stütze, seien die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift auch deshalb nicht erfüllt, weil der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen vom 8. März 2018 von der Klägerin zu 1) persönlich, und nicht von der Beklagten, gestellt worden sei. § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II sei nach dem eigenen Wortlaut nur in dem Fall anwendbar, in dem der Leistungsträger den Antrag selbst stellen müsse, weil der Leistungsberechtigte dies trotz Aufforderung nicht tue. 

Mit dieser Begründung habe das SG Duisburg in seinem Beschluss vom 12. Februar 2019 - S 49 AS 5042/18 ER — in einer ähnlich gelagerten Konstellation die Leistungskürzung für rechtswidrig erklärt und dies mit einer überzeugenden Argumentation begründet.

Zudem verweisen die Kläger darauf, dass im Jahr 2019 der Beklagte wohl doch einen Antrag auf UVG-Leistungen für die Kinder der Klägerin zu 1) gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II gestellt habe. Darüber sei die Klägerin zu 1) mit dem Schreiben vom 26. November 2019 informiert worden. Die Klägerin zu 1) sei im Rahmen dieses zweiten Antragsverfahrens besser über die Rechtslage und ihre Mitwirkungspflichten informiert worden, so dass sie sich konstruktiv habe einbringen können. Die Vaterschaft der Kinder habe festgestellt werden können, und die Leistungen nach dem UVG seien entsprechend bewilligt worden.

Der Beigeladene hat im Verfahren mitgeteilt, dass der in Rede stehende Bescheid der Unterhaltsvorschussstelle vom 11. April 2018 bestandskräftig sei. Er sei der Klägerin zu 1) am 14. April 2018 zugestellt worden. Die Widerspruchsfrist habe damit am 14. Mai 2018 geendet. Das von Klägerseite genannte Schreiben vom 8. Mai 2018 habe selbst bei meistbegünstigender Auslegung als Widerspruch die Widerspruchsfrist nicht mehr wahren können, weil es erst am 15. Mai 2018 bei dem Beigeladenen eingegangen sei. Es bestünde zwischen Klägerseite und Beigeladenem Einvernehmen, dass der genannte Bescheid bestandskräftig sei.

Ohne dass es wegen der geschilderten Bestandskraft noch entscheidungserheblich wäre, sei inhaltlich zu dem Bescheid vom 11. April 2018 anzumerken, dass die Klägerseite ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei: Der Mitwirkungspflicht werde nur dadurch nachgekommen, dass die Kindesmutter unverzüglich entweder als gesetzliche Vertreterin des Kindes die erforderlichen Schritte zur Feststellung der Vaterschaft selbst einleite, also den mutmaßlichen Vater zum Anerkenntnis veranlasse oder das gerichtliche Feststellungsverfahren betreibe, oder das Jugendamt gemäß § 1712 BGB zum Beistand bestelle und mit den erforderlichen Angaben über die Person des mutmaßlichen Vaters versehe. 

Die Bestellung des Beistands und die Erteilung der erforderlichen Auskünfte an diesen sei von der Mutter durch eine entsprechende Bescheinigung des Beistands gegenüber der Unterhaltsvorschussstelle nachzuweisen. 

Keine der vorgenannten Mitwirkungsalternativen habe die Klägerin zu 1) ergriffen, so dass wie geschehen zu entscheiden gewesen sei. 

Der Beigeladene hat mitgeteilt, dass von einer eigenen Antragstellung im hiesigen Verfahren abgesehen werde. 

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (Bl. 97, 100, 102 GA).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und des Beigeladenen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die Berufung ist zulässig. 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juli 2019 der Bescheid vom 27. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2018 in der Gestalt des Bescheides vom 20. Dezember 2018, durch welchen die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 unter Anrechnung eines monatlichen Einkommens der Klägerin zu 2) in Höhe von 154 Euro endgültig festgesetzt hat. 

Der Bescheid vom 20. Dezember 2018 ist nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt (§ 96 Abs. 1 SGG). Da der Bescheid vom 20. Dezember 2018 die mit Bescheid vom 27. Juli 2018 vorläufig bewilligten Leistungen in abweichender Höhe endgültig festsetzt, liegen die Voraussetzungen nach § 96 Abs. 1 SGG vor. Der Bescheid vom 20. Dezember 2018 ist daher Gegenstand des Klageverfahrens geworden, ohne dass es einer Willensbetätigung der Beteiligten oder der Durchführung eines Vorverfahrens bedurft hätte. Auch der Umstand, dass dem Sozialgericht vor seiner Entscheidung der Erlass des Verwaltungsakts entgegen § 96 Abs. 2 SGG von der Beklagten nicht mitgeteilt worden ist, ändert am Eintritt dieser gesetzlichen Rechtsfolge nichts (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. März 2021 – L 6 P 8/17 –, Rn. 39, juris).

Statthaft ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), da das Klagebegehren der Kläger auf weitere Zahlungen über die vorläufig erbrachten Leistungen hinaus zielt (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 R –, BSGE 126, 294-307, SozR 4-4200 § 41a Nr. 1, Rn. 11).

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, da der Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750 Euro aufgrund der Verurteilung zur Zahlung von weiteren 154 Euro monatlich für den Zeitraum Juli 2018 bis Dezember 2018 überschritten wird (6 x 154 Euro = 924 Euro). 

Die Berufung ist unbegründet.

Zutreffend kam das Sozialgericht – allerdings ohne Einbeziehung des Bescheides vom 20. Dezember 2018 – zum Ergebnis, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt.  

Das Sozialgericht kam ebenfalls zutreffend zum Ergebnis, dass die Beklagte unter Abänderung des angegriffenen Bescheides zur Zahlung von weiteren 154 Euro monatlich für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 zu verurteilen war. Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 19, 23 und 22 SGB II haben. 

Streitig ist insoweit allein, ob die Beklagte berechtigt ist, den zutreffend berechneten Bedarf der Kläger neben der Anrechnung von bereinigtem Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1) und von für die Kläger zu 2) bis 4) gewährtem Kindergeld um weitere 154 Euro monatlich eines nicht bewilligten Unterhaltsvorschusses für die Klägerin zu 2) nach dem UVG zu mindern.

Der Bescheid vom 27. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2018 in der Gestalt des Bescheides vom 20. Dezember 2018 ist hinsichtlich der Entziehung von monatlichen Leistungen in Höhe von 154 Euro rechtswidrig.

a) Der Bescheid ist rechtswidrig, da er nicht hinreichend bestimmt ist. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Hinreichend bestimmt müssen bei einem Verwaltungsakt sowohl der Sachverhalt als auch die darauf fußende Regelung sein (Mutschler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2021, § 33 SGB X, Rn. 4; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 33 Rdnr. 3). Maßgeblich ist insoweit in erster Linie der Wortlaut des Verwaltungsakts; es genügt, wenn sich der Inhalt im Wege der Auslegung bestimmen lässt. Ein Verwaltungsakt ist also hinreichend bestimmt, wenn für den verständigen Beteiligten der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist (vgl. Mutschler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2021, § 33 SGB X, Rn. 4). Es muss insbesondere klar ersichtlich sein, dass eine Regelung bereits getroffen worden ist und welchen Inhalt sie hat (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. Juni 2006 – L 9 AS 239/06 ER –, Rn. 37, juris). Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes (BSG SozR 4-1300 § 33 Nr. 1 RdNr 16). Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R, BeckRS 2013, 74043 Rn. 15, mit weiteren Nachweisen). 
Es ist zunächst festzustellen, dass sich aus dem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheids nicht ergibt, dass die Beklagte die Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit „teilweise entziehen“ wollte. Mit dem Verfügungssatz des Bescheids vom 27. Juli 2018 werden den Klägern vorläufige Leistungen für den Monat Juli in Höhe von 1.555,55 Euro, für den Monat August 2018 in Höhe von 867,55 Euro, für September 2018 in Höhe von 867,55 Euro, für Oktober 2018 in Höhe von 872,55 Euro, für November 2018 in Höhe von 887,05 Euro und für Dezember 2018 in Höhe von 888,55 Euro bewilligt. 

Der Widerspruchsbescheid weist nur den Widerspruch zurück und enthält darüber hinaus keinen Verfügungssatz.

Mit dem Verfügungssatz im Bescheid vom 20. Dezember 2018 werden zu Gunsten der Kläger für den Monat Juli Leistungen in Höhe von 1.555,55 Euro, für den Monat August 2018 in Höhe von 867,02 Euro, für September 2018 in Höhe von 937,76 Euro, für Oktober 2018 in Höhe von 954,37 Euro, für November 2018 in Höhe von 832,95 Euro und für Dezember 2018 in Höhe von 877,99 Euro endgültig festgesetzt.

Des Weiteren geht aus dem Bescheid nicht eindeutig hervor, wer Adressat der Entziehung sein soll. Im Bescheid wird der nicht gewährte Unterhaltszuschuss als Einkommen der Klägerin zu 2) angerechnet. Die Begründung des Bescheides richtet sich jedoch an die Klägerin zu 1) und weist auf die fehlende Mitwirkung der Klägerin zu 1) hin. Eine fehlende Mitwirkung der Klägerin zu 2) wird nicht dargelegt. Aus diesem Grund bleibt offen, wer Adressat der Entziehung ist. Daher fehlt es dem Bescheid an der notwendigen Bestimmtheit im Sinne von § 33 SGB X.

b) Darüber hinaus ist der Bescheid rechtwidrig, weil es ihm bezüglich der Entziehung an einer Regelung im Sinne des § 31 SGB X fehlt. Wie bereits dargelegt enthalten weder der Bescheid vom 27. Juli 2018, der Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2018 noch der Bescheid vom 20. Dezember 2018 entsprechende Verfügungssätze. Aus keinem der Verfügungssätze der genannten Bescheide ergibt sich, dass die Beklagte die Leistungen mangels Hilfebedürftigkeit „teilweise entziehen“ wollte. 

Statt eines entsprechenden Verfügungssatzes rechnet der Beklagte bei der Klägerin zu 2) monatlich einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 154 Euro als Einkommen an. 
Für die Anrechnung des fiktiven Einkommens fehlt es jedoch an einer tragfähigen Rechtsgrundlage (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B –, Rn. 16 - 17, juris). Es fehlt ein Hinweis darauf, dass Hilfebedürftigkeit in gewissem Umfang verneint wird und darauf, dass die Beklagte die Leistungsgewährung teilweise versagen wollte, weil die Hilfebedürftigkeit in Höhe des angesetzten Unterhaltsvorschusses anderweitig beseitigt werden könne. 

Dies ergibt sich erst aus der Begründung des Bescheides. 

Legt man eine objektive Betrachtungsweise zugrunde, wird dieser Unterhaltsvorschuss mit monatlich 154 Euro als Einkommen angerechnet, wie sich der Überschrift der in den Bescheiden enthaltenen Tabelle unschwer entnehmen lässt („Ermittlung des einsetzbaren Einkommens für jede Person“).

Das „einsetzbare Einkommen“ wird in diesen Bescheiden sodann bei der Klägerin auch insgesamt mit 342,07 Euro angegeben; dieses setzt sich aus 188,07 Euro Kindergeld und 154 Euro UVG zusammen. 

Einkommen kann in der jeweils zu bestimmenden Höhe nach dem eindeutigen Wortlaut insbesondere von § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II nur dann bedarfsmindernd berücksichtigt werden, wenn es dem Hilfebedürftigen auch tatsächlich zur Verfügung steht (sog. bereite Mittel) (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B –, Rn. 18, juris; G. Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 5 (Stand: 29. Juni 2021), Rn. 102). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl.  BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R –, BSGE 123, 199-205, SozR 4-4200 § 11 Nr. 80, Rn. 24; BSG vom 19. August 2015 - B 14 AS 43/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 74 RdNr 16 m.w.N.).

Auf das „Erhalten“ von Leistungen stellt § 9 Abs. 1 SGB II aber auch im Hinblick auf solche anderer Träger von Sozialleistungen ab. Hätte der Gesetzgeber hier anderes gewollt und etwa schon eine Vorleistungspflicht des Trägers der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes insoweit ausschließen wollen, hätte dies ausdrücklich etwa mit dem Zusatz „erhalten kann“ zum Ausdruck gebracht werden müssen. Eine Rechtsgrundlage für die Anrechnung fiktiven Einkommens enthalten die Vorschriften nicht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B –, Rn. 18, juris).

Der Unterhaltsvorschuss ist nicht an den Vorschriften der Einkommensanrechnung zu messen, wenn er nicht zufließt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B –, Rn. 18, juris).

Der Antrag der Klägerin zu 1) auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem UVG ist mit Bescheid vom 11. April 2018 bestandskräftig abgelehnt worden. Es ist unstreitig zwischen den Beteiligten, dass der Unterhaltsvorschuss im streitigen Zeitraum nicht gewährt wurde. 

Damit stellt der angerechnete Unterhaltsvorschuss fiktives Einkommen dar, welcher den Klägern zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stand.

c) Des Weiteren kann sich der Beklagte hinsichtlich der teilweise Entziehung der Leistung an die Klägerin zu 2) nicht auf § 5 Abs. 3 SGB II berufen, da die Entziehung materiell rechtwidrig ist. 

Es fehlt an der Ermessensausübung sowohl nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II als auch nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II.

§ 5 Abs. 3 Satz 1- 5 SGB II in der Fassung vom 26. Juli 2016 lautet:
Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf von Fristen, die ohne Verschulden der Leistungsträger nach diesem Buch verstrichen sind, wirkt nicht gegen die Leistungsträger nach diesem Buch; dies gilt nicht für Verfahrensfristen, soweit die Leistungsträger nach diesem Buch das Verfahren selbst betreiben. Wird eine Leistung aufgrund eines Antrages nach Satz 1 von einem anderen Träger nach § 66 des Ersten Buches bestandskräftig entzogen oder versagt, sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch ganz oder teilweise so lange zu entziehen oder zu versagen, bis die leistungsberechtigte Person ihrer Verpflichtung nach den §§ 60 bis 64 des Ersten Buches gegenüber dem anderen Träger nachgekommen ist. Eine Entziehung oder Versagung nach Satz 3 ist nur möglich, wenn die leistungsberechtigte Person vom zuständigen Leistungsträger nach diesem Buch zuvor schriftlich auf diese Folgen hingewiesen wurde. Wird die Mitwirkung gegenüber dem anderen Träger nachgeholt, ist die Versagung oder Entziehung rückwirkend aufzuheben.

Der Beklagte hat mit den Schreiben vom 6. Juli 2017 (Bl. 57 VA), 26. Februar 2018 (Bl. 43 VA), 17. April 2018 (Bl. 29 VA) die Klägerin zu 1) aufgefordert einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss für die Klägerin zu 2) zu stellen. Dieser Aufforderung steht nicht entgegen, dass damit die Klägerin zu 1) zur Antragstellung hinsichtlich von Ansprüchen aufgefordert wird, die in der Bedarfsgemeinschaft nicht der Klägerin zu 1), sondern der Klägerin zu 2) zugutekommen würden (vgl. G. Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 5 (Stand: 29. Juni 2021), Rn. 100). 

Ob das Schreiben vom 14. Mai 2018 der Klägerin zu 1) zuging, bedarf keiner Entscheidung, da die vier Aufforderungsschreiben vom 6. Juli 2017, 26. Februar 2018, 17. April 2018 und vom 14. Mai 2018, welche Verwaltungsaktsqualität haben (vgl. Armborst, in: Münder/ Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage, 2021, § 5 Rn. 49), mangels Ermessensausübung rechtswidrig sind. 

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II steht es im Ermessen des Leistungsträgers, ob er einen Antrag stellt. Allerdings liegt nicht nur die Stellung des Antrags an Stelle der Klägerin zu 1) in seinem Ermessen, sondern schon die Aufforderung selbst bedarf einer Ermessensentscheidung (vgl. Armborst, in: Münder/ Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage, 2021, § 5 Rn. 49; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2012 - L 7 AS 916/12 B ER -, m. w. N.; zitiert nach juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2013 – L 28 AS 2330/13 B ER –, Rn. 6, juris). 

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. An einer solchen Ermessensentscheidung fehlt es den vier Aufforderungsschreiben. Die vier Schreiben verweisen auf die Pflicht zur Antragstellung und Mitwirkung. Sie enthalten keine Ausführungen, die erkennen lassen, dass die Beklagte die Verpflichtung zur Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 SGB I) erkannte und erfüllte. Damit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Fall der Ermessensreduzierung auf null. Dass im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen sind (§ 2 Abs. 2 SGB II), begründet keine solche Ermessensreduzierung auf null.

Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Aufforderungsschreiben liegen die Voraussetzungen für die Entziehung der Leistungen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht vor.

d) Die Entziehung der Leistungen in Höhe von 154 Euro monatlich gegenüber der Klägerin zu 2) ist aus einem weiteren Grund rechtswidrig.  

Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II können Leistungen wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten gemäß §§ 60 ff. SGB I i.V.m. § 66 SGB I gekürzt oder versagt werden. Das setzt jedoch eine ordnungsgemäße Ermessensausübung hinsichtlich der Höhe der Leistungen voraus (Armborst, in: Münder/ Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage, 2021, § 5 Rn. 52; G. Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 5 (Stand: 29. Juni 2021), Rn. 101).

Der den angegriffenen Bescheiden vom 27. Juli 2018 und 20. Dezember 2018 niedergelegten Begründung kann keine solche Ermessensausübung entnommen werden. Die Beklagte gibt in der Begründung zunächst den Sachverhalt wieder und erläutert anschließend, dass es sich bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz um Leistungen handelt, die gemäß § 12a SGB II vorrangig vor den Leistungen SGB II einzusetzen sind. 

Des Weiteren heißt es: „Da nunmehr diese Leistungen aufgrund nicht erfolgter Mitwirkung durch den Kreis Offenbach versagt wurden und Sie somit nicht mitwirkten um Ihren Leistungsanspruch SGB II zu mindern, werden diese Leistungen für Ihre Tochter in Höhe des ihr im Grunde nachzustehenden Unterhaltsvorschuss bis zu Erreichung des 6. Lebensjahres von 154,00 Euro und ab dem 6. Lebensjahr von 250,00 Euro bis zur Nachholung der Mitwirkung für die Zukunft entzogen. Näheres entnehmen Sie bitte den beigefügten Berechnungsbögen“. Aus der Begründung lassen sich keine Ermessenserwägungen des Beklagten hinsichtlich der Höhe entnehmen. Vielmehr scheint der Beklagte von einer gebundenen Entscheidung auszugehen. 

Auch im Widerspruchsbescheid fehlt es an einer entsprechenden Ermessensausübung. Zwar hat die Beklagte erkannt, dass ihr bei der zu treffenden Entscheidung Ermessen hinsichtlich der ganzen oder teilweisen Entziehung eingeräumt ist. In ihren Ausführungen bezieht sie sich allein auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 3 SGB II und schlussfolgert daraus, dass bei vollständiger Mitwirkung ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 154 Euro gewährt worden wäre, weshalb die Leistungen in dieser Höhe zu entziehen seien. Eine Abwägung verschiedener Kriterien findet neben der einfachen Subsumtion nicht statt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2013 – L 28 AS 2330/13 B ER –, Rn. 6, juris), so dass auch hinsichtlich der Entziehung der Leistung ein Ermessensnichtgebrauch vorliegt.

Mangels Ermessensausübung ist der angegriffene Bescheid rechtwidrig. Daher besteht ein Anspruch der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum auf endgültige Festsetzung weiterer Leistungen in Höhe von 154 Euro monatlich.

Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob eine analoge Anwendung von § 5 Abs. 3 SGB II eröffnet ist, da der angegriffene Bescheid bereits aus den genannten Gründen rechtswidrig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 SGG. Die Revision war insbesondere nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Das gilt auch im Hinblick auf die - höchstrichterlich noch nicht entschiedene - Frage der Anwendung von § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II auf Leistungen nach dem UVG. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt aber nur bei Entscheidungserheblichkeit der zu klärenden Rechtsfrage in Betracht (LSG Darmstadt, Urteil vom 21. Januar 2021, L 3 U 131/18, juris; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 13. Auflage, 2020, § 160 Rn. 9). Im Ergebnis ist diese Frage hier nicht entscheidungserheblich, da die Rechtswidrigkeit der Entziehung aus der fehlenden Bestimmtheit des Bescheides und dem Ermessensnichtgebrauch folgt. Zu diesen Fragen erging eine Vielzahl von höchstrichterlichen Entscheidungen. 

Rechtskraft
Aus
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