L 14 KR 367/18 KL

Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 KR 367/18 KL
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Auch wenn der Antragsteller in Verfahren nach § 137e Abs. 7 SGB V bei der Auswahl der Patientenklientel, die von der zu erprobenden Untersuchungs- oder Behandlungsmethode profitieren soll, grundsätz-lich frei ist, darf der Gemeinsame Bundesausschuss das Potential für eine Erprobung verneinen, wenn die Patientenklientel nicht hinrei-chend konkretisiert ist. 2. In Verfahren nach § 137e Abs. 7 SGB V besteht für den Gemeinsa-men Bundesausschusses auch nach der Änderung von § 137e Abs. 1 SGB V durch das Implantateregister-Errichtungsgesetz vom 12. De-zember 2019 ein Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Methoden mit festgestelltem Potential.

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin begehrt den Erlass einer Erprobungsrichtlinie (Erprobungs-RL) durch den beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA).

 

Die klagende GmbH stellt ein Robotersystem in Form eines Exoskeletts (Hybrid Assistive Limb – HAL) zur Durchführung der sogenannten neuromuskulären Feedbacktherapie her. Das HAL-System wird neuronal gesteuert und verfügt über zwei bewegliche Beine, die physiologisch-menschliche Bewegungen imitieren können, einen Beckenring zur Fixierung des Systems am Patienten und Hautelektroden. Mit diesem System erhalten Querschnittgelähmte ein Robotertraining, bei dem zur Muskelkontraktion führende Restnervenimpulse über Hautelektroden erfasst und über das Exoskelett in eine Bewegung umgesetzt werden. Dies führt – nach Darstellung der Klägerin – zu einem verbesserten Ansprechen der Teilgelenksmuskulatur auf den neuronalen Stimulus und zum Aufbau der ansprechbaren Muskeln, was zu einer partiellen Wiederherstellung der Steh- und Gehfähigkeit des Patienten beiträgt. Insgesamt entstehe „eine geschlossene Biofeedbackschleife aus intrinsischer Bewegungsidee mit sensorischem Feedback“. Die Klägerin nimmt für sich in Anspruch, diese Methode führe bei Patienten regelhaft zur Gangverbesserung.

 

Unter Verwendung von vom Beklagten vorgegebenen Vordrucken stellte die Klägerin am 13. April 2017 einen Antrag auf Erprobung nach § 137e Abs. 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die „Neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten“. Darin machte sie u.a. folgende Angaben (hier wiedergegeben in der überarbeiteten Fassung vom 22. Mai 2017):

 

Abschnitt II - Zusammenfassung

 

1. Beschreibung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (Zweck, Wirkprinzip)

 

Die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie mit willensgesteuerter bio-elektrischer Regelung ist eine neuartige Therapiemethode zur Behandlung von querschnittgelähmten Patienten, die über mindestens schwache, willkürlich generierte Restimpulse in der Muskulatur der unteren Extremitäten verfügen. Die neuromuskuläre Feedbacktherapie basiert auf der Ableitung von neuronalen Bewegungsbefehlen an spezifischen Muskeln der unteren Extremitäten. Auf der Grundlage dieses abgeleiteten Bewegungsbefehls erfolgt die individuelle Bewegungsunterstützung durch den körpergetragenen Roboter. Dadurch wird eine Verbesserung des Ansprechens der Skelettmuskulatur auf die Steuerungsbefehle des Gehirns ermöglicht. Die Patienten erlangen ihre Gehfähigkeit teilweise zurück und weisen insbesondere eine signifikante Verbesserung der Fortbewegungsfähigkeit und des Stehvermögens aus eigener Kraft auf. Eine Reduktion von neuropathischen Schmerzen und spinaler Spastik wird beobachtet.

 

Gegenwärtig werden die Patienten außerhalb der Akutphase schwerpunktmäßig physiotherapeutisch, auch unter Nutzung von Anwendungen auf neurophysiologischer Basis, behandelt. Dabei erfolgt ein Training der Muskulatur und der Bewegungsfähigkeit durch die konventionelle Gangschule mittels der Nutzung von Gehbarren, Gehhilfen wie Vier-Punkt-Stützen, Gehwagen etc. sowie mittels mechanischer Orthesen, teilweise auch laufbandbasiert.

 

Im Rahmen der Hilfsmittelversorgung erhalten sie teilweise auch Exoskelette als Orthesen. Diese Verfahren weisen im Vergleich zur vorliegenden Methode jedoch den Nachteil auf, dass kein spezifisches neuromuskuläres Feedback generiert wird, da die Bewegung der Beinmuskulatur nicht mit den Bewegungsimpulsen neurologisch verknüpft wird. Das zur Unterstützung der neuromuskulären Feedbacktherapie verwendete robotische System komplettiert dagegen die physiologischen Bewegungssteuerungsabläufe der Beine durch die Unterstützung der willkürlichen Muskelaktivität. Dies ermöglicht es, im Verlauf eine Muskelaktivität zu erlangen, die auch ohne Unterstützung des robotischen Systems in adäquate Gehbewegungen umgesetzt werden kann. Dieses spezifische Feedback führt zur Rückerlangung der intrinsischen Bewegungssteuerung der Patienten, was bei anderen gegenwärtig verwendeten Verfahren nicht gelingt. Bei den bisher etablierten Lokomotionstherapien verbleibt der Gelähmte zu passiv, sodass die Rückerlangung der Bewegungsfähigkeit bei diesen Verfahren langsamer und weniger effektiv als unter Anwendung der intrinischen neuromuskulären Feedbacktherapie ist. Durch die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie können somit auch noch Patienten behandelt werden, die mit den gegenwärtig verfügbaren Therapieoptionen als austherapiert gelten.

 

2. Beschreibung des zu erwartenden, insbesondere patientenrelevanten Nutzens

 

Das Haupttherapieziel der Behandlung mit der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie ist die Linderung von Krankheitsbeschwerden durch die Verringerung der Morbidität und die Verbesserun der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Durch die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie wird die alltägliche Mobilität der Patienten gesteigert, indem die Gehfähigkeit außerhalb des Rollstuhls hergestellt oder verbessert wird. Durch die eigenständige aufrechte Fortbewegung sind positive Effekte auf weitere Körperfunktionen wie die Extremitätendurchblutung, das Herz-Kreislauf-System, auf die Prophylaxe einer Dekubitusbildung, die Darm- und Blasenfunktion sowie diverse weitere Körperfunktionen, die infolge einer chronischen Querschnittlähmung mittelbar beeinträchtigt sind zu erwarten. Das besondere Potenzial der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie liegt insbesondere darin, dass sie eine weitergehende Behandlung derjenigen Patienten, deren rehabilitative Behandlung abgeschlossen ist — die also austherapiert sind — und die daher mit den gegenwärtig verfügbaren Therapieformen keine weitere Verbesserung mehr erzielen können, ermöglicht.

 

3. Die Therapie erfolgt obligat unter Verwendung eines neuronal gesteuerten Robotersystems. Das Robotersystem verfügt über zwei bewegliche Beine, die physiologische menschliche Bewegungen imitieren können, einen Beckenring zur Fixierung des Systems am Patienten und Hautelektroden. Die neuronalen Bewegungsbefehle an die Beinmuskulatur werden von den Hautelektroden aufgenommen und im Robotersystem verarbeitet. Das robotische System unterstützt dadurch die Bewegungsidee des Trägers und setzt diese in vollständige Bewegungen um. Dies führt zu einem verbesserten Ansprechen der teilgelähmten Muskulatur auf den neuronalen Stimulus. Hierdurch kommt es außerdem zu einem Muskelaufbau der ansprechbaren Muskeln, was zu einer partiellen Wiederherstellung der Geh- und Stehfähigkeit des Patienten beiträgt. Aufgrund des vollständigen Bewegungsablaufs ist eine sensorische Rückkopplung aus den teilgelähmten Extremitäten an das Gehirn anzunehmen, die das Bewegungsverständnis der gelähmten Patienten verbessert. Zum jetzigen Zeitpunkt steht ausschließlich das „Hybrid Assistive Limb®"-System (HAL®) des japanischen Unternehmens C als robotisches System für die Durchführung der neuromuskulären Feedbacktherapie zur Verfügung. Beim HAL-System handelt es sich um ein Medizinprodukt mit CE-Zertifizierung der Risikoklasse Ila. Zwar existieren robotische Exoskelette von anderen Herstellern, die zudem auch in der Rehabilitation von Patienten mit Rückenmarkverletzung eingesetzt werden, diese werden aber anders als das HAL®-System nicht neuronal, sondern über Joysticks, Kommunikatoren oder Positionskontrolle gesteuert. Mit diesen Steuermethoden kann aber die für die neuromuskuläre Feedbacktherapie charakteristische geschlossene Biofeedbackschleife aus intrinsischer Bewegungsidee und sensorischem Feedback durch die tatsächliche Ausführung der Bewegung nicht hergestellt werden. Sie sind daher für die Anwendung der neuromuskulären Feedbacktherapie nicht geeignet.

 

Um Stürze zu vermeiden, sollte die Methode ausschließlich in Verbindung mit einem umfassenden Sicherungssystem verwendet werden, wie beispielsweise eine Aufhängung mit Becken-Bein-Gurt zur Sturzsicherung. Dazu können übliche Systeme aus dem Bereich der Gangrehabilitation wie Deckenlifter, schienengeführte Überkopfsicherung, oder mobile Lifter mit Patientengurt dienen. […]

 

4. Angaben zu Indikation und zur Zielpopulation (z.B. Patientengruppe, Krankheit, Indikationsgebiet, Krankheitsstadien, Kontraindikationen usw.)

 

Indikation

 

Die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie ist indiziert zur Behandlung von Patienten mit chronischen Rückenmarkschädigungen, bei denen motorische Restfunktionen an den unteren Extremitäten erhalten sind, die das neuromuskuläre Feedback triggern können.

Dabei ist die Wirkweise der neuromuskulären Feedbacktherapie unabhängig von den hier genannten Ausprägungen der Querschnittlähmung, so dass diese im Folgenden zusammengefasst und als eine Indikation betrachtet werden.

Im Detail handelt es sich um ein Kollektiv an Patienten, die eine chronische (über 12 Monate Posttrauma) inkomplette Querschnittlähmung, unabhängig von der Höhe der Rückenmarkschädigung (AIS-CD) mit mindestens Kraftgrad >=2/5, in Einzelfällen Kraftgrad >=1/5 in den unteren Extremitäten oder ein definitionsgemäß komplettes Querschnittsyndrom (AIS-A) aber motorische Zonen partieller Präservation an den unteren Extremitäten mit den oben beschriebenen Kraftgraden aufweisen.

 

Zielpopulation

 

Das Potenzial der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie besteht aufgrund des wissenschaftlich-therapeutischen Konzepts insbesondere bei solchen Patienten, die bei den gegenwärtig verfügbaren Therapieoptionen als austherapiert gelten. Hierbei handelt es sich regelhaft um Patienten, die sich im chronischen Stadium der Rückenmarkverletzung befinden. […]

 

5. […]

 

Derzeitige Verbreitung der Methode

 

Die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie wird derzeit in 5 auf die Behandlung von Patienten mit Rückenmarkverletzung spezialisierten Zentren (2 berufsgenossenschaftliche Unfallkliniken in Berlin, Bochum und Frankfurt sowie weitere Kliniken in Berlin und Adorf/Vogtland) angewendet. Zum jetzigen Zeitpunkt wird die neuromuskuläre Feedbacktherapie durch die Berufsgenossenschaften erstattet. Im Erstattungsschema der Berufsgenossenschaften erhalten die Patienten mindestens 60 individuelle Therapiesitzungen (5 Sitzungen pro Woche über insgesamt 3 Monate).

Neben den Berufsgenossenschaften wird die neuromuskuläre Feedbacktherapie auch durch die private Krankenversicherung erstattet; die betroffenen Patienten werden hierzu für den Zeitraum der Behandlung in die spezialisierten Behandlungszentren verlegt.

Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wurde die Therapie bisher nur in Ausnahmefällen erstattet. Es bestehen keine Verträge mit Krankenkassen über die Erbringung oder Erprobung der Methode.

 

Zukünftige Verbreitung der Methode    

 

Es ist davon auszugehen, dass die Methode auch in vielen weiteren Behandlungszentren und spezialisierten vertragsärztlichen Praxen angewendet wird, sobald die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung gesichert ist. Die notwendigen Anforderungen an die Infrastruktur kann durch einen Großteil der Einrichtungen erfüllt werden, die auf die Behandlung von Patienten mit Rückenmarkverletzung spezialisiert sind. Im Speziellen setzt die Anwendung der Methode folgende Punkte voraus:

• Um die Effektivität der Behandlung zu maximieren, sollten alle an der Therapie beteiligten Patienten ausreichend über die Methode aufgeklärt und in ihre Anwendung eingewiesen sein. Insbesondere sollten Ärzte sowie deren Assistenzpersonal (je nach Einrichtung z. B. medizinische Fachangestellte, Physiotherapeuten, Krankenschwestern) an einem entsprechenden Training von C teilgenommen haben.

• Die Methode muss grundsätzlich durch einen Arzt/eine Ärztin durchgeführt werden.

• Um Stürze zu vermeiden, sollte die Methode ausschließlich in Verbindung mit einem umfassenden Anti-Sturz-System verwendet werden (übliche Systeme aus dem Bereich der Gangrehabilitation wie Deckenlifter, schienengeführte Überkopfsicherung, oder mobile Lifter mit Patientengurt). Dementsprechend muss im behandelnden Zentrum ein solches Anti-Sturz-System vorhanden sein.

 

Abschnitt III - Medizinproduktbezogene Angaben […]

 

1. d) Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme gemäß § 6 MPG: 

 

ja […]

f) Auflistung von vergleichbaren Produkten der Mitbewerber mit CE-Kennzeichnung

 

Verschiedene mobile Exoskelette werden bei querschnittgelähmten Patienten bereits eingesetzt, die sich dabei in ihrer Steuerung (Joystick, Kommunikator + Positionskontrolle, Positionskontrolle + Variable Assist) unterscheiden. […]

Abschnitt IV Angaben zur neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode/ Aktueller Erkenntnisstand

 

1. Angaben zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Potenzial der Methode

 

1.1 Indikation, Anwendungsgebiet und Angaben zum postulierten Nutzen im Vergleich zur angemessenen Vergleichsintervention und Patientengruppe […]

 

b) Angemessene Vergleichsintervention

 

Das Potenzial der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie besteht aufgrund des wissenschaftlich-therapeutischen Konzepts insbesondere bei solchen Patienten, die mit den gegenwärtig verfügbaren Therapieoptionen als austherapiert gelten (vgl. folgende Abschnitte). Aufgrund dessen kann in der Patientenpopulation, für die das Potenzial der Behandlung mit der neuromuskulären Feedbacktherapie besteht, keine angemessene Vergleichsintervention definiert werden. Bereits definitionsgemäß haben die austherapierten Patienten alle übrigen rehabilitativen Behandlungsmethoden durchlaufen und können durch diese Methoden keine weitere Steigerung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit mehr erwarten. Mehrheitlich handelt es sich in der Therapiesituation, in der das neuromuskuläre Feedbacktraining zur Anwendung kommt, um Patienten mit chronischer Rückenmarkverletzung, d.h. mindestens 1 Jahr nach dem zur Verletzung führenden traumatischen Ereignis. Zu diesem Zeitpunkt ist der Zustand des Patienten als stabil in Bezug auf den Kreislauf sowie die neurologische Situation einzuschätzen. Insbesondere eine spontane Verbesserung des Zustands ohne therapeutische Intervention ist unwahrscheinlich.

In Abwesenheit einer geeigneten angemessenen Vergleichsintervention kann der Behandlungserfolg des Patienten daher auch durch den Vergleich der körperlichen Leistungsfähigkeit des Patienten nach der Durchführung der Therapie mit dem Zustand vor Beginn der Therapie bestimmt werden. […]

 

1.7 Zusammenfassende Bewertung des aktuellen Kenntnisstandes zum Potenzial der Methode, einschließlich einer Einschätzung zur Ergebnissicherheit der dargestellten Studien

 

Identifizierte Studien und Verzerrungspotential

 

Zur Bewertung des Potenzials der neuromuskulären Feedbacktherapie zur Wiedererlangung der Gehfähigkeit bei Patienten mit kompletter oder inkompletter Querschnittlähmung als Folge einer chronischen Rückenmarkverletzung wurden insgesamt 4 relevante Studien identifiziert. In jeder dieser 4 Studien wurde die neuromuskuläre Feedbacktherapie mit Hilfe des robotischen Körperanzugs „Hybrid Assistive Limb" (HAL) durchgeführt. Studien, in denen die neuromuskuläre Feedbacktherapie durch andere robotischen Körperanzügen außer HAL unterstützt wurde, konnten nicht identifiziert werden.

 

Bei 3 der insgesamt 4 identifizierten Studien handelt es sich um einarmige Interventionsstudien. Zentrales Ziel der einarmigen Interventionsstudien war es zu bestimmen, in welchem Ausmaß die körperliche Leistungsfähigkeit im Verlauf eines 12-wöchigen Trainings durch die neuromuskuläre Feedbacktherapie verbessert werden kann. In die einarmigen Interventionsstudien wurden zwischen 8 und 55 Patienten mit kompletter oder inkompletter Querschnittlähmung als Folge einer chronischen Rückenmarkverletzung eingeschlossen. Um an der Studie teilnehmen zu können, mussten die eingeschlossenen Patienten zusätzlich eine motorische Restfunktion aufweisen.

 

Neben den einarmigen Interventionsstudien liegen die Ergebnisse eines interventionellen Fallberichts vor, in dem bei 2 Patienten die Veränderung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und des neuropathischen Schmerzes im Verlauf einer 12-wöchigen neuromuskulären Feedbacktherapie untersucht wurde. Ebenso wie die einarmigen Interventionsstudien wurden auch in die interventionelle Fallstudie nur Patienten eingeschlossen, bei denen eine chronische Rückenmarkverletzung mit kompletter oder inkompletter Querschnittlähmung vorlag. Gleichzeitig musste bei den Patienten aber eine motorische Restfunktion messbar sein. Da es sich um eine Studie zur Untersuchung der Entwicklung des Schmerzes handelte, mussten die Patienten zum Beginn der Studie zusätzlich chronische neuropathische Schmerzen haben.

 

Bei allen identifizierten Studien ist durch das einarmige Studiendesign bzw. allgemein durch das Fehlen einer Kontrollgruppe von einem hohen Verzerrungspotential auszugehen. […]

 

Fazit

 

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der relevanten Studien eindeutig, dass die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie zu einer deutlichen Verbesserung der Gehfähigkeit, d.h. der körperlichen Leistungsfähigkeit der Patienten führt und damit wirksam im Sinne einer Verbesserung des Gesundheitszustands der Patienten im Vergleich zum natürlichen Verlauf der Erkrankung ist. Erkennbar wird dies an den durchweg positiven Ergebnissen in den funktionalen Tests 10MWT, 6MWT, TUG sowie an der Verbesserung des WISCI Il- aber auch des LEM-Scores. Bei denjenigen Tests, für die eine etablierte MCID bei Patienten mit Rückenmarkverletzung bekannt ist (10MWT, 6MWT), überschreiten die Ergebnisse der Patienten in diesen Tests den Wert der jeweiligen MCID deutlich. Es handelt sich damit klar um klinisch-relevante Effekte.

Neben der Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit der Patienten, führt die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie auch zu einer deutlichen Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sowie zu einer Verringerung der Schmerzintensität bei Patienten mit Rückenmarkverletzung, die unter neuropathischen Schmerzen leiden.

Schließlich sind weder unerwünschte noch schwerwiegende unerwünschte Ereignisse bekannt, die während der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie auftraten.

 

Potenzial der Methode

 

Nach der AWMF-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie verfolgt die rehabilitative Therapie als Behandlungsziel die Erhaltung und Stärkung der verbliebenen motorischen Fähigkeiten sowie die Vermeidung von Kontrakturen durch physio- und ergotherapeutische Verfahren und Lokomotionstherapie. Die bekannte Lokomotionstherapie basiert maßgeblich auf Physiotherapie, therapeutischen Übungen auf dem Laufband sowie passiver Bewegungstherapie, die teilweise bereits mit Robotern durchgeführt wird. Diese Therapieverfahren sind als extrinsisch zu klassifizieren. Dies bedeutet, dass die Therapieverfahren von außen auf den Körper des Patienten einwirken und die Muskulatur entspannen, aufbauen und zur Aktivierung von Reflexen anregen, damit die Verknüpfung zwischen zentralem Steuerungsimpuls und peripherer Reaktion hergestellt wird.

Demgegenüber nutzt die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie die vorhandenen neuronalen Impulse auf der Grundlage des therapeutischen Konzepts der neuronalen Rückkopplung, d.h. im Gegensatz zur gängigen Standardtherapie wird hier ein intrinsischer Behandlungsansatz verfolgt. Der primäre Mechanismus zur Verbesserung der neuronalen und muskulären Funktion besteht dabei nicht in externen, passiven Bewegungsreizen, sondern in der Umsetzung der intrinsisch generierten neurologischen Bewegungssignale in Muskulaturaktivität und Extremitätenfunktion. Durch die willkürlich initiierte Bewegung des Patienten und den mittels des robotischen Körperanzugs unterstützten vollständigen Bewegungsablauf kann somit ein spezifisches, nämlich intrinsisches Feedback der Extremitäten an das Gehirn generiert werden. Dieses entspricht der physiologischen Rückkopplung der Extremitätenbewegung an das Gehirn, wobei einzelne Untersuchungen Hinweise kortikaler Veränderungen liefern, die eventuell für eine Reorganisation im Gehirn stehen. Dies wiederum könnte in einem verbesserten Bewegungsverständnis der Patienten resultieren.

Im Unterschied zur extrinsischen Lokomotionstherapie beruht die intrinsische neuromuskuläre Feedbacktherapie auf einer verstärkten Rekrutierung und Aktivierung der teilgelähmten Muskulatur durch die restaktiven motorischen Leitungsbahnen, d.h. auf einem intrinsischen Wirkprinzip. Durch die willkürliche nervliche Ansteuerung, die BES-Ableitung über die teilgelähmte Muskulatur und die vollständige, von dem körpergetragenen Roboter unterstützte Bewegung kommt es zu einer kompletten sensomotorischen Schleife. Die Bewegungseinleitung und -umsetzung reagiert spezifisch auf die neuronalen Aktivitäten, sodass ein positives Feedback an das Gehirn erzeugt wird. Theoretisch kann hierdurch im Sinne eines motorischen Lernens die teilgelähmte Muskulatur besser eingesetzt werden, da die Querschnittgelähmten ein verbessertes Bewegungsverständnis entwickeln.

Die in der neuromuskulären Feedbacktherapie erzielten Trainingserfolge sind nach der bislang vorliegenden Evidenz nachhaltig, wenn die Patienten eine Aktivitätssteigerung erreichen, die zum selbstständigen Gehen und Stehen ausreicht. Hierdurch wird es ermöglicht, die beschriebene Verbesserung der Krankheitssymptomatik zu erzielen, die dann über das Therapieende hinaus anhält.

Im Gegensatz zu den gegenwärtig verfügbaren Therapieoptionen ist der Patient mit Hilfe der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie also in der Lage die intrinsische Bewegungssteuerung wiederzuerlangen. Bei den bisher etablierten Lokomotionstherapien verbleibt der Gelähmte hingegen zu passiv, sodass die Rückerlangung der Bewegungsfähigkeit bei diesen Verfahren zu langsam und damit nicht ausreichend effektiv stattfindet.

Das besondere Potenzial der intrinsischen neuromuskulären Feedbacktherapie liegt insbesondere darin, dass sie eine weitergehende Behandlung derjenigen Patienten ermöglicht, deren rehabilitative Behandlung abgeschlossen ist – die also austherapiert sind – und die daher mit den gegenwärtig verfügbaren Therapieformen keine weitere Verbesserung mehr erzielen können.

 

Notwendige Voraussetzungen für die Anwendung

 

Die Methode sollte nur von der folgenden Gruppe von Personen angewendet werden: Ärzte, unterstützt von ärztlichem Assistenzpersonal und weiterem medizinischem Personal (insbesondere Physiotherapeuten, Krankenschwestern), die an einem entsprechenden Training von C teilgenommen haben und bei denen diese Teilnahme zertifiziert wurde. […]

 

Der Beklagte forderte zunächst weitere Angaben bzw. Unterlagen zur Vervollständigung des klägerischen Antrags nach (Schreiben vom 28. April 2017) und bat die Klägerin um die Beantwortung ergänzender Fragen (Schreiben vom 5. Mai 2017). Sodann veranlasste er die Stellungnahme des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 11. Juli 2017. Dieses gelangte zum Ergebnis, dass für die eine (nicht vergleichende) zur Verfügung stehende Studie unklar geblieben sei, ob es sich um Patientinnen und Patienten handele, die ein stabiles Leistungsniveau erreicht hätten. Darüber hinaus fehlten Daten, die mittels eines Vergleichs hätten erkennen lassen, dass die Methode patientenrelevante Vorteile im Sinne eines Potenzials habe.

 

Mit Bescheid vom 17. August 2017 lehnte der Beklagte den o.g. Antrag ab, weil er das von der Klägerin behauptete, für eine Erprobung notwendige Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative nicht erkennen lasse. Für die Ableitung eines Potenzials reiche die sich aus den Publikationen zur vorgelegten Studie ergebende Erkenntnislage nicht aus.

Die Klägerin konkretisiere nicht, wann eine Patientin oder ein Patient aus ihrer Sicht als „austherapiert" anzusehen sei. Insbesondere spezifiziere sie nicht, welche konkreten Behandlungsmaßnahmen die Patientinnen und Patienten über welche Dauer und ohne Verbesserung des Gesundheitszustands durchlaufen haben müssten, um aus ihrer Sicht als „austherapiert" zu gelten. Die Dauer der Querschnittlähmung erscheine als alleiniges Merkmal nicht ausreichend. Auch nach über einem Jahr, also in der chronischen Phase, könne die Gehleistung durch intensives physiotherapeutisches Training in einer für die Patientin oder den Patienten bedeutsamen Weise gesteigert werden.

Keine der vorgelegten Unterlagen sei geeignet, für das Anwendungsgebiet Erkenntnisse für die Annahme eines Potenzials zu liefern. Es seien vier klägerseitig eingereichte Publikationen herangezogen worden, welche aufgrund größtenteils überlappender Patientenkollektive als zu einer abgeschlossenen nicht-vergleichenden Studie zugehörig betrachtet würden. Hierbei werde vornehmlich die Publikation von Grasmücke et al. (2017) zur Bewertung herangezogen, da die Auswertungen dieser Publikation auf der größten Anzahl an Patientinnen und Patienten basierten. Die Ergebnissicherheit dieser einarmigen Verlaufsbeobachtungsstudie mit der Evidenzstufe IV werde als minimal eingestuft.

Die Studienergebnisse zu den unterschiedlichen Operationalisierungen zum Endpunkt Gehfähigkeit (Geschwindigkeit im 10-Meter-Gehtest, erreichte Distanz im 6-Minuten-Gehtest, Timed up and go Test, Walking Index for Spinal Cord Injuries Il Score) zeigten eine signifikante Verbesserung der Gehfähig­keit nach Behandlung. Aus den zur Bewertung herangezogenen Unterlagen gehe aber nicht hervor, ob es sich – wie von der Klägerin für die Anwendung der Methode vorausgesetzt – um ein „austherapiertes" Patientenkollektiv handele. Dies liege insbesondere daran, dass sich aus den Angaben zur Gehfähigkeit und zu den Therapieformen vor Interventionsbeginn nicht beurteilen lasse, ob die Gehfähigkeit der Patientinnen und Patienten mithilfe von anderen Gangtherapien im Vorfeld stabil gewesen sei.

Darüber hinaus fehlten Daten, die einen Vergleich mit einer angemessenen Vergleichsintervention ermöglichten. Aus Sicht der Klägerin könne keine angemessene Vergleichsintervention definiert werden, da das Potenzial der Methode bei „austherapierten" Patientinnen und Patienten bestehe. Allerdings erhielten auch Patientinnen und Patienten mit einer chronischen inkompletten oder kompletten traumatischen, seit mehr als 12 Monaten bestehenden Querschnittlähmung weiterhin Therapien, die sich jeweils nach dem Beschwerdebild richteten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass – insbesondere bei entsprechender Intensität der Therapie – nicht noch in einem gewissen Rahmen Funktionsverbesserungen durch rehabilitatives Training erreicht werden könnten. So sei nicht auszuschließen, dass eine erneute intensive, die Gehfähigkeit verbessernde Gangtherapie bei Patientinnen/Patienten mit über Jahre bestehender Paraparese nach traumatischer Querschnittlähmung in den von der Klägerin genannten und in der Studie von Grasmücke et al. untersuchten AIS-Scores zu einer solchen Zunahme der Gehleistung führe, wie sie der in der Studie von Grasmücke et al. erreichten entspricht. Dieser Effekt könne zudem über das Ende der Therapie hinaus anhaltend sein, ein patientenrelevanter Aspekt, der von der bewerteten Studie nicht untersucht worden sei.

Vor diesem Hintergrund wären für den Nachweis des Potenzials Daten erforderlich, die einen direkten oder indirekten Vergleich der neuromuskulären Feedbacktherapie mit anderen die Gehfähigkeit verbessernden Gangtherapien wie zum Beispiel der physiotherapeutischen Lokomotionstherapie erlaubten. Nur auf Basis solcher Daten kön­ne beurteilt werden, ob mit der neuromuskulären Feedbacktherapie eine weitergehende Verbesserung der Gehfähigkeit erreicht werden könne als mit anderen Therapien oder ob andere Therapien gegenüber der neuromuskulären Feedbacktherapie im Hinblick auf Elemente des Bewegungsablaufes bei bestimmten Behinderungsgraden sogar überlegen sein könnten.

Die vorliegenden Daten ließen schließlich nicht erkennen, inwiefern die beobachtete Verbesserung der Gehfähigkeit auf die neuromuskuläre Feedbacktherapie oder die in der Studie begleitend zur Anwendung gekommene Physiotherapie anteilig zurückzuführen sei. 

Im anschließenden Widerspruchsverfahren beauftragte die Klägerin ihre – noch heutigen – Prozessbevollmächtigten mit ihrer Vertretung und übersandte dem Beklagten die diesbezügliche Vollmacht vom 7. Dezember 2017. Zur Begründung ihres Widerspruchs wies sie darauf hin, dass der Beklagte die am 17. Dezember 2017 erfolgte Zulassung der in Rede stehenden Methode durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration – FDA) noch nicht habe berücksichtigen können. Sowohl zu dem hier streitigen Potenzial der Methode als auch hinsichtlich der Frage, ob hinreichend aussagefähige wissenschaftliche Unterlagen für die Beplanung einer Studie vorlägen, verleihe die FDA-Zulassung eine gewichtige Indizwirkung. Denn die klinischen Daten, die der FDA für die Zulassung vorgelegen hätten, stammten aus denselben in Deutschland durchgeführten Studien, welche auch im hiesigen Verfahren vorgelegt worden seien.

Der Beklagte überspanne die Anforderungen an den Begriff des „Potenzials“ und die insoweit beizubringenden Unterlagen maßgeblich. Zur streitgegenständlichen Methode habe das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum seit Anfang 2013 zwei große Studien mit querschnittgelähmten Patienten durchgeführt. Die Anwendung der Methode könne zur Zunahme einer eigenverantwortlichen Gehleistung bei ansonsten „austherapierten“ Patienten führen. „Austherapiert“ in diesem Sinne sei ein Patient dann, wenn mindestens ein Jahr seit dem das Rückenmark verletzenden Ereignis vergangen sei. Wenn sie – die Klägerin – ihre Methode aufgrund eigener Erprobung für diejenigen Patienten für Potenzial tragend halte, die seit mindestens einem Jahr querschnittgelähmt seien, stehe dem Beklagten nicht die Befugnis zu, ihre Potenzialeinschätzung zu ändern und die zeitliche Abgrenzung für nicht ausreichend zu erachten. Vielmehr habe er für die definierte Zielgruppe das Potenzial der Methode anhand der vorgelegten Unterlagen zu bewerten.

Das beigefügte Punktediagramm setze für die Patienten der Grasmücke-Studie die Dauer der Verletzung in Monaten ins Verhältnis zum Ergebnis der Gehleistung des 10m-Gehtests vor HAL-Behandlung. Daraus werde erkennbar, dass es keine nachvollziehbare Abhängigkeit zwischen Dauer der Verletzung und Testergebnis gebe. Hieraus könne rückgefolgert werden, dass herkömmliche Methoden den jeweiligen Zustand nicht verbesserten, sondern allenfalls erhielten.

Ähnliches ergebe sich aus dem weiteren beigefügten Diagramm, welches auf einem Arbeitspapier von Fawcett et. al. („Guidelines for the conduct of clinical trials for spinal cord injury as developed by the ICCP panel: spontaneous recovery after spinal cord injury and statistical power needed for therapeutic clinical trials“, Spinal Cord volume 45, pages190–205 (2007)“)beruhe. Hier würden kumulative Verbesserungen der motorischen Fähigkeiten und die Zeit nach Verletzung ins Verhältnis zueinander gesetzt. Es werde erkennbar, dass die größte Verbesserung innerhalb der ersten sechs Monate nach Verletzungsereignis erfolge und nach etwa zwölf Monaten zu stagnieren beginne. Demnach sei die Dauer der Querschnittlähmung sehr wohl ein taugliches Merkmal, um einen Patienten als „austherapiert“ zu klassifizieren. Die Annahme, es gebe nach Ablauf von zwölf Monaten noch intensives physiotherapeutisches Training, was in bedeutsamer Weise die motorischen Fähigkeiten des Patienten verbessern könne, sei nicht korrekt.

Soweit der angegriffene Bescheid schließlich darauf abstelle, dass „nicht auszuschließen“ sei, dass eine erneute intensive, die Gehfähigkeit verbessernde Gangtherapie bei einem Patienten mit über Jahre bestehender Paraparese nach traumatischer Querschnittlähmung ebenfalls zu einer Zunahme der Gehleistung führen könne, verkenne der Beklagte den Erprobungscharakter der Methode und die hier zu treffende Bewertung. Gegenstand des vorliegenden Antrags sei die Bewertung eines „Potenzials“, nicht einer Gewissheit. Ob eventuell andere alternative Verläufe auszuschließen seien oder nicht, sei insgesamt für die Potenzialbewertung ohne Belang. Aus § 14 Abs. 3 und 4 der Verfahrensordnung (VerfO) des Beklagten ergebe sich, dass für die Bewertung eines Potenzials belastbare Annahmen genügten. Nach § 14 Abs. 3 S. 2 VerfO solle sich das fehlende Potenzial dann ergeben, wenn der GBA auf Grundlage vorliegender Evidenz positiv feststelle, dass die Methode schädlich oder unwirksam sei. Nützlichkeit werde (also) unterstellt, erst Schädlichkeit führe zum Wegfall des Potenzials. Die allein für die Annahme zur Erprobung notwendige Erwartung, dass das Wirkprinzip der beantragten Methode eine Optimierung der Behandlung bedeute oder in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermögliche, sei vorliegend gegeben.

Aus dem für die Patienten der Grasmücke-Studie belegten Umstand, dass deren Gehleistung „nach 10m WT“ nicht im nachvollziehbaren Verhältnis zur seit der Verletzung vergangenen Zeit stehe, könne geschlussfolgert werden, dass die derzeitigen Standardmethoden nach einem Jahr Querschnittlähmung die motorischen Funktionen des Patienten nicht verbesserten. Dies bedeute mit anderen Worten, dass es derzeit keine existierende Methode für querschnittgelähmte Patienten ab deren zweitem Jahr nach Verletzung gebe, um deren motorische Funktionen zu verbessern.

Ausweislich der Grasmücke-Studie hätten 80 % der betrachteten Fälle eine Verbesserung erfahren. Die wissenschaftliche Unterlage zur Planung einer Studie liege damit ebenfalls vor.

 

Diesen Widerspruch wies der Beklagte, nachdem er eine weitere Stellungnahme des IQWiG (vom 12. Juni 2018) veranlasst hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2018 zurück. Zur Begründung führte er u.a. aus:

Der Bescheid vom 17. August 2017 sei „weder rechtswidrig noch unzweckmäßig“.  Auch unter Berücksichtigung der im Widerspruchsverfahren eingereichten Unterlagen lasse sich kein Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative zur derzeitigen Standardtherapie ableiten. 

Sechs dieser Dokumente enthielten ergänzende Informationen zur Verlaufsbeobachtung von Grasmücke (2017). Allerdings gebe es Hinweise, dass es sich um Patientinnen und Patienten handele, die möglicherweise bereits in der Studie von Grasmücke et al. 2017 ausgewertet worden seien. Dennoch seien diese Studien zur Frage des Vorliegens eines Potenzials herangezogen worden.

Die eingereichten Unterlagen hätten nicht berücksichtigt werden können, weil sie ein anderes Krankheitsbild (Schlaganfall) beträfen, keine Ergebnisse zu patientenrelevanten Endpunkten und Surrogatendpunkten böten, als bloße Fallberichte keine zusätzlichen Informationen enthielten und minimale Ergebnissicherheit aufwiesen.

Zur Beantwortung der Fragestellung fehlten weiterhin Daten, die mittels eines (direkten oder indirekten) Vergleichs gegenüber angemessenen Vergleichsinterventionen hätten erkennen lassen, dass die Methode patientenrelevante Vorteile im Sinne eines Potenzials habe. Anhand der Vorher-Nachher-Vergleiche der eingereichten Studien sei es auch unter Hinzuziehung der weiteren Unterlagen nicht möglich, den möglichen zusätzlichen Effekt der neuromuskulären Feedbacktherapie von einem Trainingseffekt abzugrenzen, der von der üblichen physiotherapeutischen Übungsbehandlung, die bereits im Rahmen der GKV erbracht werden kann, zu erwarten sei.

Die Argumentation der Klägerin, dass für ein Potenzial nicht notwendigerweise ein Vergleich zur Standardbehandlung notwendig sei, lasse sich widerlegen. So lasse sich allein schon methodisch ohne einen Vergleich mit einer entweder unbehandelten oder aber mit üblichen Standardverfahren behandelten Patientengruppe nicht unterscheiden, ob eine Veränderung im Zeitverlauf auf Behandlungseffekten der zur Frage stehenden Methode beruhe, ob die Veränderung auf anderen Einflussfaktoren beruhe oder ob sie dem natürlichen Verlauf der Erkrankung entspreche. 

Eine US-amerikanische Medizinprodukt-Zulassung komme einem Potenzialnachweis nicht gleich. Außerdem betreffe diese Zulassung ein Re-Walk-Exoskelett, das im Gegensatz zum System der Klägerin nicht den therapeutischen Anspruch eines Neurofeedback erhebe.

Dem Argument, die Patientinnen und Patienten seien „austherapiert", sodass jegliche Veränderung als Effekt zu werten sei, könne nicht gefolgt werden, da weiterhin keine Angaben zur früheren Behandlung der Patientinnen und Patienten in den einarmigen Verlaufsbeobachtungen zur neuromuskulären Feedbacktherapie vorgelegt wurden. 

Das auf Daten der Grasmücke-Studie basierende Diagramm sei ungeeignet, weil es keine Daten zu einer Verbesserung oder Veränderung mit oder ohne Therapie enthalte. Das andere Diagramm zeige die kumulative Verbesserung eines motorischen Scores (ASIA motor score) bei (anderen) chronisch-paraplegischen Patientinnen und Patienten über einen Zeitraum bis zu 24 Monaten. Die Tatsache, dass eine zunehmende Dauer des Querschnitts mit einer geringeren Verbesserung der Beweglichkeit einhergeht, begründe jedoch nicht, warum nach einem Jahr keine Therapie mehr zu erfolgen brauche. Das Diagramm zeige nämlich, dass eine Verbesserung des ASIA motor score sehr wohl auch nach diesem Zeitraum noch erfolge. Die Behauptung, dass ein Ausmaß der Verbesserung des ASIA motor score nicht patientenrelevant sei, bedürfe einer Begründung.

Auch ein indirekter Vergleich der Behandlungsergebnisse der neuromuskulären Feedbacktherapie mit denjenigen von physiotherapeutischen Verfahren sei aufgrund zu unterschiedlicher und daher nicht vergleichbarer Patientencharakteristika in den vorliegenden Studien nicht möglich.

 

Diesen Widerspruchsbescheid adressierte und übersandte der Beklagte an die Klägerin – dort wurde er am 11. September 2018 zugestellt –, nicht aber an deren Bevollmächtigte. Nachdem sich diese Anfang November beim Beklagten nach dem Sachstand erkundigt hatten, ließ der Beklagte ihnen am 14. November 2018 per Fax den Widerspruchsbescheid vom 6. September 2018 zukommen. Am 21. November 2018 hat die Klägerin Klage erhoben und Wiedereinsetzung in der Klagefrist beantragt.

 

Während des Klageverfahrens hat sich die Klägerin an den Beklagten mit der Frage gewandt, ob durch die von ihr entsprechend dem beigefügten Konzept geplante Studie („Exoskeletal Rehabilitation in chronic Spinal Cord Injury - a control group clinical trial for the purpose of comparing the neurological Feedback Therapy vs. conventional body weight supportet treadmill training“) die im Bescheid vom 17. August 2017 hinsichtlich der Datenlage erhobenen Bedenken des Beklagten ausgeräumt werden könnten (Schreiben vom 26. April 2019).

Der Beklagte teilte, nachdem er das IQWiG mit einer Prüfung des Studienkonzepts beauftragt hatte, der Klägerin daraufhin mit (Schreiben vom 23. September 2019), dass die Studie grundsätzlich geeignet sei, in Ergänzung zu den bereits eingereichten Studien Erkenntnisse zum Potenzial der neuromuskulären Feedbacktherapie zu liefern. Die dargestellte einarmige Studie könne unter bestimmten Voraussetzungen einen Vergleich ihrer Ergebnisse mit denen der Publikation von Grasmücke et al. 2017 hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte und somit einen relevanten Vergleich der neuromuskulären Feedbacktherapie mit einer anderen Gangtherapie erlauben. Voraussetzung sei jedoch, dass in wesentlichen Aspekten eine Vergleichbarkeit beider Studien bestehe. Dies lasse sich aus den übermittelten Angaben nicht in Gänze erschließen. So wäre darauf zu achten, dass die Ko-Interventionen, die bei dem einzuschließenden Patientenkollektiv ermöglicht werden, denen der Grasmücke-Studie gleichen. Die beiden Behandlungsgruppen sollten sich lediglich darin unterscheiden, dass sie entweder die neuromuskuläre Feedbacktherapie oder ein konventionelles Laufbandtraining (Body Weight Supported Treadmill Training, BWSTT) erhalten. Im Weiteren müssten hinreichende Angaben zu den wesentlichen therapeutischen Ko-Interventionen beider Studien gemacht werden. Der Vergleich einzelner Arme aus unterschiedlichen Studien könne, insbesondere wenn beide Studien von derselben Studiengruppe am selben Studienort durchgeführt würden, als retrospektiv vergleichende Studie der Evidenzstufe III zugeordnet werden. Ein solcher Vergleich weise aufgrund einer fehlenden Kontrolle für Störgrößen bestenfalls eine sehr geringe Ergebnissicherheit auf. Diese würde vorbehaltlich des Risikos, dass der Vorteil der Intervention durch Verzerrung überdeckt werde, einer positiven Bewertung eines anhand der Studiendaten gezeigten Potenzials nicht entgegenstehen. Die geplante Fallzahl von 30 Personen sei für den Vergleich mit dem bereits mit dem Erprobungsantrag eingereichten Unterlagen wahrscheinlich ausreichend.

Eine Alternative zur geplanten Studie bestünde in der Konzeption einer vergleichenden Studie mit zeitlich paralleler Kontrollgruppe. Die Zuteilung könnte dabei z.B. gemäß Arzt- oder Patientenwunsch oder anhand einer (auch nicht randomisierten) Wartelistengruppe erfolgen. Eine solche prospektiv geplante Kohortenstudie sei nach der VerfO ohne Randomisierung der Evidenzstufe IIb und mit Randomisierung der Evidenzstufe Ib zuzuordnen. Sie weise damit in jedem Fall eine höhere Ergebnissicherheit als die von der Klägerin geplante Studie auf. Sie wäre weniger anfällig für Verzerrungen und daher verlässlicher. Das Risiko, dass der Vorteil der Intervention durch Verzerrung überdeckt würde, würde sich mit einem höherwertigen Studiendesign reduzieren. Des Weiteren besäße eine Studie mit zeitlich paralleler Kontrollgruppe auch ohne ergänzende Betrachtung der bisher eingereichten Unterlagen das ausreichend sichere Erkenntnisniveau für die Bewertung des Potenzials. Zudem würde eine solche Studie ermöglichen, vergleichende Daten zu weiteren relevanten Endpunkten zu erheben, die bisher nur für einzelne Personen unter neuromuskulärer Feedbacktherapie (z.B. gesundheitsbezogene Lebensqualität, Schmerzintensität, unerwünschte Ereignisse sowie weitere Morbiditätsaspekte, die sich durch Steigerung der Mobilität verbessern sollen) vorlägen.

 

Zur Begründung der Klage verweist die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor:

Bei der Frage des Potenzials gehe es nicht darum, einen tatsächlichen patientenrelevanten Vorteil festzustellen oder zu quantifizieren, sondern darum, eine entsprechende Erwartung feststellen zu können, auf deren Basis dann eine weitere Studie planbar würde.

Aus der Grasmücke-Studie ergebe sich, dass bei Patienten, die mit dem o.g. HAL-System behandelt worden seien, sowohl eine signifikante Verbesserung der Laufleistung (50 %) als auch der Laufgeschwindigkeit (47 %) habe festgestellt werden können. 43,6 % der Patienten seien nach der Behandlung weniger abhängig von Gehhilfen. Alle 55 in die Studie eingeschlossen Patienten seien nach ihrem – der Klägerin – Verständnis „austherapiert“, bei ihnen sei mithin mehr als ein Jahr seit dem querschnittauslösenden Ereignis vergangen. In ihrer Zusammenfassung stelle diese Studie dar, dass bei den betroffenen Patienten eine HAL-gestützte Laufbandtherapie erheblich bessere Werte hinsichtlich Laufleistung und Laufgeschwindigkeit erwarten lasse als eine reine Laufbahntherapie. Dies werde vom Beklagten auch nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Er glaube lediglich, dass noch klarzustellen sei, dass diese zu erwartende Verbesserung nicht auf sonstiges Training zurückzuführen sei. Dem sei allerdings nach ihrer – der Klägerin – Auffassung bereits dadurch hinreichend begegnet, dass die Patienten, die in die Studie Eingang gefunden hätten, zuvor sämtlich mindestens ein Jahr in konventioneller Behandlung gewesen seien. Hierauf komme es aber letztlich nicht an, da jedenfalls die vom Beklagten angenommene Evidenzlücke durch eine einfache weitere (Erprobungs-)Studie geschlossen werden könnte.

Dass es lediglich einer weiteren, in einem begrenzten Zeitraum durchführbaren Studie bedürfe, um diese Evidenzlücke zu schließen, stelle der Beklagte selbst in seinem Schreiben vom 23. September 2019 nicht in Abrede. Darin schildere der Beklagte als Reaktion auf ihre Anfrage und dem hierbei übermittelten Studienkonzept, wie aus seiner Sicht eine Studie aussehen müsste, um die von ihm angenommene Evidenzlücke zu schließen. Die von ihm geschilderte, ergänzend als hilfreich erachtete Studie manifestiere nicht die Erwartungen, die an die Methode gestellt würden, sondern deren Nutzen. Die Studie fülle damit den Erprobungsantrag aus, sei mithin nicht seine Voraussetzung, sondern seine Folge. Bereits dies trage für sich genommen den vorliegenden Anspruch.

Nur ergänzend und vorsorglich weise sie daher auf die derjenigen von Grasmücke vergleichbare beigefügte Studie von Edelle Field-Fote („Influence of a Locomotor Training Approach on Walking Speed and Distance in People with Chronic Spinal Cord Injury: A Randomized Clinical Trial“) hin. In dieser Studie seien die behandelten Patienten, die in ihrer Anzahl demjenigen entspräche, was auch der Beklagte in seinen Hinweisen vorgeschlagen habe, in vier Behandlungsgruppen unterteilt worden: Laufbandtraining mit manueller Unterstützung, Laufbandtraining mit Elektrostimulation, Overgroundtraining mit Elektrostimulation und Laufbandtraining mit Robotic-Unterstützung. Obwohl die Patienten der Grasmücke-Studie durchschnittlich stärker funktionsbeeinträchtigt gewesen seien (ASIA A Klassifikation, höheres Alter, complete SCI) als diejenigen in der Studie von Field-Fote, hätten sie bessere Ergebnisse erzielt. Sie – die Klägerin – habe Protokoll und Ergebnisse beider Studien verglichen und in einem eigenen (beigefügten) Dokument zusammengefasst.

 

 

 

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 17. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2018 zu verpflichten, die Behandlungsmethode „neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittsgelähmten Patienten“

a) als Potenzialmethode anzunehmen sowie

b) eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber zu treffen, ob diese Methode für den Erlass einer Richtlinie gemäß § 137e Abs. 1 SGB V vorzusehen ist.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und trägt vor: Mit seinem Schreiben vom 23. September 2019 fordere er – entgegen der Darstellung der Klägerseite – nicht bereits diejenigen Daten, die für den Nutzenbeleg erforderlich seien. Vielmehr habe der in einer überobligatorischen unverbindlichen Beratung unterbreitete Vorschlag der Anregung gedient, anstelle der von der Klägerin vorgeschlagenen bloßen Gewinnung von Daten allein zum Vergleichsarm gleich ein weniger verzerrtes Design zu wählen. Hintergrund sei die Gefahr gewesen, dass der von der Klägerin gewählte Ansatz eventuell aufgrund von Verzerrungen (andere Patienten etc.) doch nicht für die Begründung eines Potenzials ausreichen könnte. Weil mit Blick auf die vielen offenen Fragen, welche jeweils detailliert begründet würden, nicht sicher gesagt werden könne, dass die mit der klägerseitig geplanten Studie zu gewinnenden Daten geeignet sein würden, die o.g. Datenlücke zu füllen, sei explizit eine Alternative vorgeschlagen worden. Gegenstand seiner Ausführungen sei nicht eine Erprobungsstudie gewesen, also die erst nach einer möglichen Potenzialfeststellung zu planende Studie zur Schließung der Evidenzlücke. Auch eine solche wäre zwar grundsätzlich als vergleichende Studie anzulegen. Die für einen Nutzenbeleg zu erfüllenden Anforderungen an die Ergebnissicherheit ginge jedoch weit über die für einen Potenzialnachweis geltenden Anforderungen hinaus. Dies betreffe insbesondere Punkte wie die adäquate Verblindung, die abgesicherte Randomisierung, den Bezug auf patientenrelevante Endpunkte sowie die Absicherung der erforderlichen statistischen Signifikanz für die mit der Studie zu gewinnenden Aussagen zu einem patientenrelevanten Endpunkt.

Die Bejahung eines Potenzials bzw. die Erprobung setze auch voraus, dass „der Nutzen noch nicht hinreichend belegt“ sei. Entsprächen die vorgelegten Antragsunterlagen bereits dem für eine positive Nutzenbewertung zu fordernden Erkenntnisniveau, wäre die Erprobung ebenso ausgeschlossen wie bei einer Unterschreitung des zuvor dargestellten Mindestniveaus für die Feststellung des Potenzials.

Der neue Vortrag im Rahmen der Klagebegründung könne am Ergebnis des Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahrens nichts ändern. Die Bewertung von erstmals im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen bleibe einem erneuten Erprobungsverfahren vorbehalten; dies setze einen neuen Erprobungsantrag voraus. Zwar habe der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) die Ergänzung der Antragsunterlagen durch präsentes Material für möglich gehalten, wenn im Eintrag offensichtliche Unklarheiten bestanden hätten, die der Antragsteller gegebenenfalls durch präsente Informationen unschwer hätte ergänzen können. Im vorliegenden Fall bestünden jedoch weder Unklarheiten noch Widersprüche in den Antragsunterlagen.

Im Rahmen von § 137e Abs. 7 SGB V stehe ihm, – so das Vorbringen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – nach wie vor Ermessen zu.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

 

Die zulässige Klage ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte den Erlass einer Erprobungs-RL mangels Potenzial abgelehnt.

 

A. Die Klage ist zulässig.

 

I. Die Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 29 Abs. 4 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil Entscheidungen des GBA angefochten sind.

 

II. Statthaft ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). 

 

1. Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten sind die durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) vom 22. November 2011 (BGBl. I 2983) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 eingeführten, seither mehrfach geänderten Regelungen des § 137e SGB V. Nach dessen Abs. 1 – in der Fassung, die bei Erlass der angefochtenen Bescheide galt (alte Fassung - aF) – kann der GBA, wenn er bei der Prüfung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V oder § 137c SGB V zu der Feststellung gelangt, dass eine Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. Aufgrund der Richtlinie wird die Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenbehandlung oder der Früherkennung zulasten der Krankenkassen erbracht. Der GBA regelt in der Richtlinie nach Absatz 1 Satz 1 die in die Erprobung einbezogenen Indikationen und die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest (§ 137e Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB V). An der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer und nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser können in dem erforderlichen Umfang an der Erprobung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode teilnehmen (§ 137e Abs. 3 SGB V). Die von den Leistungserbringern nach Absatz 3 im Rahmen der Erprobung erbrachten und verordneten Leistungen werden unmittelbar von den Krankenkassen vergütet (§ 137e Abs. 4 Satz 1 SGB V).

 

Darüber hinaus können gemäß § 137e Abs. 7 Satz 1 SGB V Hersteller eines Medizinprodukts, auf dessen Einsatz die technische Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode maßgeblich beruht, und Unternehmen, die in sonstiger Weise als Anbieter einer neuen Methode ein wirtschaftliches Interesse an einer Erbringung zulasten der Krankenkassen haben, unabhängig von einem Beratungsverfahren nach § 135 SGB V oder § 137c SGB V beim GBA beantragen, dass dieser eine Richtlinie zur Erprobung der neuen Methode nach § 137e Absatz 1 Satz 1 SGB V beschließt. Nach Satz 2 der Vorschrift hat der Antragsteller aussagekräftige Unterlagen vorzulegen, aus denen hervorgeht, dass die Methode hinreichendes Potenzial für eine Erprobung bietet. Der GBA entscheidet innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung auf der Grundlage der vom Antragsteller zur Begründung seines Antrags vorgelegten Unterlagen (§ 137e Abs. 7 Satz 3 SGB V). Beschließt der GBA eine Erprobung, entscheidet er gemäß § 137e Abs. 7 Satz 4 SGB V – seit dem 11. Mai 2019: unverzüglich – im Anschluss an die Erprobung auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse über eine Richtlinie nach § 135 SGB V oder § 137c SGB V.

 

In Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben nach der zum Zeitpunkt der angefochtenen Bescheide geltenden Rechtlage entschied der GBA nach seiner VerfO – soweit hier von Bedeutung: in der bis zum 12. Oktober 2020 geltenden alten Fassung (aF) – zunächst in drei aufeinander aufbauenden Schritten über einen Antrag auf Erprobung nach § 137e Abs. 7 SGB V: über die Annahme, die Auswahl und den Erlass einer Erprobungs-RL. Die Annahme des Antrags hatte zum Gegenstand, ob die vom Antrag erfasste Methode die Voraussetzungen des § 137e Abs. 7 SGB V erfüllt. Der Beklagte erteilte dem Antragsteller hierüber einen Bescheid (§ 137e Abs. 7 Satz 3 SGB V; 2. Kap. § 20 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VerfO aF). Der Beklagte traf – zur Vermeidung des „Windhundprinzips“ – die Auswahl unter den Methoden mit festgestelltem Potentzial einmal jährlich im Rahmen seiner Haushaltsaufstellung für das Folgejahr nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 137e Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis zum 17. Dezember 2019 geltenden aF) ebenfalls durch Verwaltungsakt (2. Kap. § 20 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 VerfO aF). Der Beklagte erließ schließlich für die ausgewählte Methode aufgrund eines Beratungsverfahrens eine Erprobungs-RL (§ 137e Abs. 7 Satz 1 SGB V; 2. Kap. § 20 Abs. 4 Satz 5 i.V.m. § 22 VerfO aF). Dieses mehrstufige Entscheidungsverfahren, das mit den Vorgaben des SGB V vereinbar war, führte zur Statthaftigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, Rn. 40; Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, Rn. 10; jeweils juris und m.w.N.).

 

2. Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 18. Dezember 2019 durch das Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters Deutschland und zu weiteren Änderungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregister-Errichtungsgesetz - EIRD) vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I, 2494) teilweise umgestaltet. Der dem GBA bis dahin durch § 137e Abs. 1 Satz 1 SGB V eingeräumte Entscheidungsspielraum bezüglich des „Ob“ einer Erprobungs-RL wurde beseitigt. Stattdessen muss er nunmehr bei Feststellung eines Potenzials „gleichzeitig“ (§ 137e Abs. 1 Satz 1 SGB V) nicht nur eine Erprobung, sondern „immer auch die Vorgaben an die Durchführung der Erprobung (Erprobungsrichtlinie)“ beschließen (BT-Drs. 19/10523, S. 105). Damit ist der zweiten Stufe (Auswahl) der o.g. dreistufigen Entscheidungsverfahrens der Boden entzogen. Damit übereinstimmend sieht die VerfO (2. Kap. § 20 Abs. 3 Satz 1 in der seit dem 13. Oktober 2020 geltenden Fassung) vor, dass mit der Annahme des Antrags (nicht nur) das Potenzial einer Erprobung festgestellt, sondern das Verfahren zur Erprobung gemäß dem 1. Kap. § 5 Absatz 1 VerfO eingeleitet und im Anschluss das Verfahren der Erprobung entsprechend § 6 (des 2. Kap. der VerfO) angekündigt wird. Dem GBA verbleibt aufgrund dessen noch ein Entscheidungsspielraum bezüglich des „Wie“ der Erprobungs-RL. Prozessual wäre aufgrund dessen die gegen den ablehnenden Verwaltungsakt des GBA gerichtete Anfechtungsklage nunmehr mit einer Feststellungsklage zu verknüpfen, die die Rechtswidrigkeit des normgeberischen Unterlassens des GBA feststellt (BSG, Urteil vom 21. März 2012 – B 6 KA 16/11 R –, Rn. 28; jeweils juris und m.w.N.).

 

3. Allerdings betrifft diese Änderung allein Verfahren nach § 137e Abs. 1 SGB V (Propp, in: Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht (Stand: 1. März 2021), § 137e SGB V, Rn. 33; a.A. möglicherweise, da ohne Differenzierung nach § 137e Abs. 1 und Abs. 7: Deister, NZS 2019, 583). Anhaltspunkte dafür, dass die Beseitigung des dem GBA bislang im Rahmen von § 137e Abs. 1 SGB V zustehenden Entscheidungsspielraums durch das EIRD auch Verfahren nach § 137e Abs. 7 SGB V erfassen sollte, finden sich in den Gesetzesmaterialien nicht. Zu Recht geht der Beklagte daher, auch wenn dies in seiner VerfO (2. Kap. § 20 Abs. 2 und 3 Satz 1 in der seit dem 13. Oktober 2020 geltenden Fassung) nicht zum Ausdruck kommt, davon aus, dass das o.g. dreistufige Verfahren im Rahmen von § 137e Abs. 7 SGB V nach wie vor zur Anwendung gelangt. Dies entspricht i.Ü. auch der Rechtsauffassung des gemäß § 91a SGB V die Aufsicht über den GBA führenden Bundesministeriums für Gesundheit (Schreiben an den GBA vom 21. Januar 2020 zum Beschluss des GBA vom 17. Oktober 2019, veröffentlicht unter www. g-ba.de, Stichwortpfad: Beschlüsse, Verfahrensbeschlüsse, Verfahrensordnung, Verfahrensordnung: Verfahren zur Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – Umsetzung der Änderungen des § 137e SGB V in der Verfahrensordnung).

 

Da es für den Ausgang des Rechtsstreit indes nicht auf die Klärung dieser Frage ankommt, weil schon die Anfechtungsklage keinen Erfolg hat (hierzu sogleich) und ein fehlender Entscheidungsspielraum nur für die mit ihr ggf. zu kombinierende Verpflichtungs- oder Feststellungsklage von Bedeutung ist, kann ihre Beantwortung letztlich dahinstehen.

 

III. Die Klagefrist ist gewahrt, nachdem der Senat der Klägerin in der mündlichen Verhandlung insoweit gemäß § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat. Nachdem der Beklagte über die Vertretung der Klägerin im Widerspruchsverfahren informiert worden war, durfte sie sich darauf verlassen, dass er den Widerspruchsbescheid entweder auch ihren Bevollmächtigten bekannt geben oder sie zumindest über die Zustellung nur  an sie informieren würde. Sie war infolge dessen ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 1 SGG) gehindert.

 

B. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig, weil es der Methode der neuromuskulären Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten am erforderlichen Potenzial fehlt.

 

I. Die Gerichte müssen bei der Überprüfung von Entscheidungen des GBA beachten, dass dessen Beschlüsse einschließlich RL, welche unterhalb des Gesetzesrechts stehende normative Regelungen zum Gegenstand haben, der formellen und inhaltlichen gerichtlichen Überprüfung unterliegen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen selbst als untergesetzliche Normen erlassen hätte. Bei der Auslegung der gesetzlichen Rechtsbegriffe und bei der Einhaltung des gesetzlich vorgegebenen Verfahrens, einschließlich der Vollständigkeit der zu berücksichtigenden Studienlage, unterliegt der GBA der vollen gerichtlichen Überprüfung. Erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes entscheidet der GBA als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom GBA getroffenen Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Bereichen darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen. Dem GBA steht dementsprechend bei allen Schritten bis zum Erlass einer Erprobungs-RL nach § 137e Abs. 1 SGB V erst bei der Bewertung des Potenzials einer erforderlichen Behandlungsalternative eine Einschätzungsprärogative, d.h. ein – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer – Entscheidungsspielraum im Sinne eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zu (BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, Rn. 69; Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, Rn. 14 ff.; jeweils juris und m.w.N.). Hierbei existieren keine Unterschiede zwischen dem „Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative“ i.S.v. § 137e Abs. 1 Satz 1, § 137c Absätze 1 und 3 SGB V und dem „hinreichenden Potenzial für eine Erprobung“ i.S.v. § 137e Abs. 7 Satz 2 SGB V (BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, Rn. 69; Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, Rn. 33, jeweils juris). Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein Normsetzungsverfahren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben durch den Antrag eines Normunterworfenen in Gang gesetzt wird und eine Bescheidungspflicht des Normgebers besteht (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, juris, Rn. 16., m.w.N.)

 

II. Hieran gemessen sind die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig.

Zu Recht hat der Beklagte auf der Grundlage seiner auf § 91 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB V beruhenden VerfO den Antrag der Klägerin nicht angenommen.

 

1. Der Antrag nach § 137e Absatz 7 SGB V ist  – so 2. Kap. § 20 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VerfO – anzunehmen, wenn

1. er von einem Antragsberechtigten nach § 17 gestellt wurde,

2. das Antragsformular nach Anlage I vollständig gemäß § 18 in der Geschäftsstelle des GBA eingereicht wurde,

3. die neue Methode bei Vorliegen eines hinreichenden Belegs des Nutzens nach § 135 oder § 137c SGB V vom Leistungsanspruch des gesetzlich Krankenversicherten umfasst wäre,

4. der Erbringung der Methode im Rahmen der Erprobung oder als Regelleistung der GKV keine rechtlichen Gründe entgegenstehen und

5. der Antragsteller mit dem Antrag durch aussagekräftige Unterlagen darstellt, dass die Methode das hinreichende Potenzial nach den Kriterien gemäß § 14 Absatz 3 und 4 für eine Erprobung bietet.

 

a. Die Klägerin ist antragsberechtigt. Sie ist Herstellerin des HAL-Robot-Suits bzw. HAL-Systems. Die für dieses Medizinprodukt erforderliche Konformitätsbewertung liegt vor.

 

b. Die Klägerin hat das Antragsformular nach Anlage I vollständig und unterschrieben in der Geschäftsstelle des Beklagten eingereicht. Zweifel hieran wurde nicht vorgebracht und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.

 

c. Der Antrag der Klägerin richtet sich auf eine neue Methode, die bei Vorliegen eines hinreichenden Belegs des Nutzens nach § 135 oder § 137c SGB V vom Leistungsanspruch des gesetzlich Krankenversicherten umfasst wäre. Die neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten ist eine Behandlungsmethode i.S.v. § 137e Abs. 7 Satz 1 SGB V. Es handelt sich bei ihr um eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapien unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG a.a.O.). Diese Methode ist neu. Eine Methode ist in der vertragsärztlichen Versorgung "neu", wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab nach § 87 SGB V enthalten ist (BSG a.a.O.).

 

d. Die neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten wäre bei einem hinreichenden Beleg ihres Nutzens (§ 135 oder § 137c SGB V) vom Leistungsanspruch des gesetzlich Krankenversicherten umfasst. Rechtliche Gründe, die ihrer Anwendung entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

 

e. Die neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten verfügt derzeit nicht über das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative.

 

Der Beklagte ging bei seiner Bewertung von einem zutreffenden Potenzialbegriff aus (hierzu aa). Er durfte sich hierbei grundsätzlich für die medizinischen Entscheidungsgrundlagen auf die von der Klägerin eingereichten Unterlagen einschließlich der in Bezug genommenen Studien beschränken und musste weitere Erkenntnisse nur berücksichtigen, wenn sie ihm präsent waren. Er war dagegen im Allgemeinen nicht verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln (hierzu bb). Der Beklagte hat rechtmäßig ein hinreichendes Potenzial für die neuromuskuläre Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten verneint (hierzu cc.).

 

aa. Eine Methode bietet das hinreichende Potenzial im Rechtssinne, wenn ihr Nutzen mangels aussagekräftiger wissenschaftlicher Unterlagen weder eindeutig belegt noch ihre Schädlichkeit oder Unwirksamkeit festgestellt werden kann, die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse aber mit der Erwartung verbunden ist, dass sie im Vergleich zu anderen Methoden eine effektivere Behandlung ermöglichen kann und dass die nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin bestehende Evidenzlücke durch eine einzige Studie in einem begrenzten Zeitraum geschlossen werden kann (BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, Rn. 70; Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, Rn. 32; jeweils juris und m.w.N.). Nach dem gesetzgeberischen Willen soll eine Methode, deren Nutzen nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin noch nicht ausreichend belegt ist, dann in einem strukturierten Verfahren durch eine Studie erprobt werden, wenn aufgrund der bisher vorliegenden Erkenntnisse zu erwarten ist, dass die bestehende Evidenzlücke durch diese Studie in einem begrenzten Zeitraum geschlossen werden kann (BT-Drs. 17/6906, S 87 f). Sämtlichen eine Erprobung betreffenden Regelungen des Neunten Abschnitts („Sicherung der Qualität der Leistungserbringung“) im Vierten Kapitel („Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern“) des SGB V – auch § 137h SGB V („Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse“) – liegt offenkundig die Vorstellung zugrunde, dass im Rahmen der Erprobung nur eine einzige Studie durchgeführt werden soll. Hierauf weisen insbesondere die Ausführungen des Gesetzgebers zu den jeweiligen Regelungen hin („Konzeption des Studiendesigns“, BT-Drs. 17/6906, S. 89; „an einer erforderlichenfalls vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Erprobungsstudie nach § 137e“, BT-Drs. 18/4095, S. 52, vgl. dort ferner S. 122, 124, 125 und 218). Dementsprechend überträgt auch § 22 Abs. 2 Satz 1 VerfO für die Richtlinie nach § 137e SGB V dem GBA die Aufgabe, die „Eckpunkte der Studie“ festzulegen (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juni 2018 – L 7 KA 46/14 KL –, juris, Rn. 185).

 

Grundsätzlich bedarf es hierzu einer Studie mit einem randomisierten, kontrollierten Design, um die bestehende Evidenzlücke zu füllen (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, juris, Rn. 38). Sind die praktischen Möglichkeiten, eine Evidenz für den Nutzen einer Methode zu erzielen, eingeschränkt, können sich die Anforderungen an das Evidenzniveau des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse vermindern. Hierzu bestimmt der GBA im 2. Kap § 13 Abs. 2 VerfO gesetzeskonform: Der Nutzen einer Methode ist durch qualitativ angemessene Unterlagen zu belegen. Dies sollen, soweit möglich, Unterlagen der Evidenzstufe I mit patientenbezogenen Endpunkten (z.B. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität) sein. Bei seltenen Erkrankungen, bei Methoden ohne vorhandene Alternative oder aus anderen Gründen kann es unmöglich oder unangemessen sein, Studien dieser Evidenzstufe durchzuführen oder zu fordern. Soweit qualitativ angemessene Unterlagen dieser Aussagekraft nicht vorliegen, erfolgt die Nutzen-Schaden-Abwägung einer Methode aufgrund qualitativ angemessener Unterlagen niedrigerer Evidenzstufen. Die Anerkennung des medizinischen Nutzens einer Methode auf Grundlage von Unterlagen einer niedrigeren Evidenzstufe bedarf jedoch – auch unter Berücksichtigung der jeweiligen medizinischen Notwendigkeit – zum Schutz der Patientinnen und Patienten umso mehr einer Begründung, je weiter von der Evidenzstufe I abgewichen wird. Dafür ist der potenzielle Nutzen einer Methode insbesondere gegen die Risiken der Anwendung bei Patientinnen oder Patienten abzuwägen, die mit einem Wirksamkeitsnachweis geringerer Aussagekraft einhergehen (BSG a.a.O., Rn. 39 f.). Die Bewertung der medizinischen Notwendigkeit erfolgt im Versorgungskontext unter Berücksichtigung der Relevanz der medizinischen Problematik, Verlauf und Behandelbarkeit der Erkrankung und insbesondere der bereits in der GKV-Versorgung etablierten diagnostischen und therapeutischen Alternativen. Maßstab ist dabei auch die von der Anwendung der Methode bereits erzielte oder erhoffte Verbesserung der Versorgung durch die GKV unter Berücksichtigung der mit der Erkrankung verbundenen Einschränkung der Lebensqualität und den besonderen Anforderungen an die Versorgung spezifischer Patientengruppen unter Berücksichtigung der Versorgungsaspekte von Alter, biologischem und sozialem Geschlecht sowie der lebenslagenspezifischen Besonderheiten (2. Kap § 13 Abs. 3 VerfO).

 

Bei der Klassifizierung der Unterlagen zu diagnostischen Methoden gelten dabei entsprechend den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin folgende Evidenzstufen (2. Kap § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VerfO):

I a   systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe I b,

I b   randomisierte kontrollierte Studien,

II a systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe II b,

II b prospektive vergleichende Kohortenstudien,

III    retrospektive vergleichende Studien,

IV   Fallserien und andere nicht vergleichende Studien,

V    Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Expertinnen und Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen.

 

bb. Der Beklagte darf bei Prüfung eines Antrags auf Erlass einer Erprobungs-RL nach § 137e Abs. 7 Satz 1 SGB V seine Ermittlung der medizinischen Entscheidungsgrundlagen für die Bewertung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit der betroffenen Methode grundsätzlich auf die vom Antragsteller eingereichten Unterlagen beschränken, insbesondere auf die von ihm in Bezug genommenen Studien (vgl. § 137e Abs. 7 Satz 2 SGB V).

 

cc. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nutzen der neuromuskulären Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten bisher nicht hinreichend belegt. Auch dass der Beklagte das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative als nicht nachgewiesen ansieht, ist nicht zu beanstanden. Im Rahmen der bereits dargelegten, nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten kann der Senat nicht feststellen, dass der Beklagte bei der Bewertung des Potenzials Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen verletzt hat. Die gesetzlichen Vorgaben hat er nachvollziehbar und widerspruchsfrei berücksichtigt, um seinen Gestaltungsspielraum auszufüllen. Die gegen die angefochtenen Bescheide erhobenen Einwände der Klägerseite überzeugen nicht.

 

(1) Die Klägerin geht fehl in der Annahme, die Nützlichkeit ihrer Methode werde unterstellt. Diese Annahme lässt sich nicht auf das 2. Kap. § 14 Abs. 3 Satz 2 VerfO stützen. Danach ergibt sich das fehlende Potenzial „insbesondere dann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Grundlage der vorliegenden Evidenz positiv feststellt, dass sie schädlich oder unwirksam ist.“ Aus dieser Formulierung lässt sich nicht der Schluss ableiten, dass eine Nützlichkeit i.S.e. positiven Effekts einer Methode in allen Fällen gegeben sei, wenn ihre Schädlichkeit oder Unwirksamkeit nicht positiv festgestellt wurde. Einem solchen Verständnis der Vorschrift steht das einleitende „insbesondere“ entgegen. Dieser Begriff verdeutlicht, dass im Folgenden nur Beispiele eines fehlenden Potenzials aufgeführt werden. Weitere Konstellationen eines fehlenden Potenzials sind damit nicht ausgeschlossen. Im Übrigen ergibt sich auch aus dem vorangehenden Satz (2. Kap. § 14 Abs. 3 Satz 1 VerO), dass das Potenzial vom GBA in jedem einzelnen Fall zu prüfen und positiv festzustellen ist. Diese Vorschrift lautet:

 

„Das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich etwa ergeben, wenn sie aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreich einsetzbare Methoden ersetzt werden können, die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann.“

 

Diese Regelung wäre bei der von der Klägerin angenommenen Unterstellung bedeutungslos.

 

(2) Mit Recht durfte der Beklagte die Auswahl der Patientenklientel, für das die Klägerin im Hinblick auf ihre Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative in Anspruch nimmt, beanstanden. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass Antragsteller nach § 137e Abs. 7 Satz 1 SGB V bei der Bestimmung derjenigen Patientenklientel, für das sie anhand der von ihnen eingereichten Unterlagen ein Potenzial belegen wollen, grundsätzlich frei sind. Dies kann indes nicht einschränkungslos gelten. So liegt es etwa auf der Hand, dass die Prüfung eines Potenzials von vornherein ausscheiden müsste, wenn die Patientenklientel nach sachfremden Kriterien, etwa Augenfarbe, Schuhgröße oder dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens, bestimmt worden wäre. Auch schon eine zu weit gefasste Patientengruppe – etwa „alle Personen über 50 Jahre“ – dürfte für sich genommen die Sinnhaftigkeit einer Potenzialprüfung in Frage stellen. Die Forderung, die von einem Potenzial – und (nach der Erprobung) von einem Nutzen – begünstigte Patientengruppe müsse angemessen konkretisiert sein und sich durch sachgerechte Kriterien möglichst eindeutig eingrenzen lassen, wird daher zu Recht erhoben.

 

Dem genügt der Begriff „austherapiert“ nicht. Nachvollziehbar bemängelt der Beklagte, dieser Begriff lasse nicht erkennen, welche konkreten Behandlungsmaßnahmen die Patientinnen und Patienten über welche Dauer und ohne Verbesserung des Gesundheitszustands durchlaufen haben müssten, um als „austherapiert" zu gelten. Der Beklagte durfte auch die Dauer der Querschnittlähmung als alleiniges Merkmal für nicht ausreichend erachten. Für ihre Annahme, ab einem Jahr nach dem querschnittauslösenden Ereignis, also in der klägerseitig so bezeichneten chronischen Phase, könnten relevante Verbesserungen im Zusammenhang mit der Querschnittlähmung nicht mehr erzielt werden, ist die Klägerin jeden Beleg schuldig geblieben. Aus der von ihr in Bezug genommenen S1-Leitlinie „Querschnittlähmung“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ergibt sich die Annahme der Klägerin schon deshalb nicht, weil ihre Empfehlungen in zeitlicher Hinsicht bei frührehabilitativen Maßnahmen enden. Auf den Umstand, dass die am 29. September 2017 endende Gültigkeit dieser Leitlinie seither nicht erneuert wurde, kommt es somit nicht an.

(3) Für die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten vorgenommenen Potenzialbewertung spricht, dass sie mit dem Ergebnis des IQWiG-Berichts vom 11. Juli 2017 übereinstimmt.

 

(a) Der Beklagte hat das IQWiG gemäß § 139a SGB V beauftragt, das Erprobungspotenzial der neuromuskulären Feedbacktherapie zur Behandlung von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten zu bewerten. Das IQWiG gelangte in seinem Bericht vom 11. Juli 2017 zum Ergebnis, dass für die eine zur Verfügung (nicht vergleichende) stehende Studie (Grasmücke et al. (2017)) unklar geblieben sei, ob es sich um Patientinnen und Patienten handele, die ein stabiles Leistungsniveau erreicht hätten. Darüber hinaus fehlten Daten, die mittels eines Vergleichs hätten erkennen lassen, dass die Methode patientenrelevante Vorteile im Sinne eines Potenzials habe. Diese Empfehlung des IQWiG hatte der  Beklagte gemäß § 139b Abs. 4 Satz 2 SGB V bei seiner Prüfung des klägerseitigen Antrags zu berücksichtigen. Er hatte insoweit zu beachten, dass vor dem Hintergrund der gesetzlichen Absicherung von Neutralität und Qualität der Tätigkeit des IQWiG bei Einhaltung aller gesetzlicher Vorgaben eine Rechtsvermutung für die Richtigkeit seiner medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilung streitet. Dies folgt aus Ausstattung, Aufgabe und Gesetzeszweck der Einrichtung des IQWiG (BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, juris, Rn. 61, m.w.N.). Übernimmt also der Beklagte für seine Entscheidung Ergebnis und Begründung des mit einer Richtigkeitsvermutung behafteten IQWiG-Berichts, so kommt dem erhebliches Gewicht bei der Überprüfung der angefochtenen Bescheide zu.

 

(b) Der Beklagte durfte sich daher zur Potenzialbewertung im Wesentlichen auf die Studie von Grasmücke et al. (2017) stützen. Soweit er die anderen von der Klägerin eingereichten Unterlagen entweder unberücksichtigt ließ oder ihre fehlende Relevanz im Einzelnen begründete, sind Bedenken an diesem Vorgehen weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich geworden. Der Senat verweist insofern gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 16. September 2018.

 

(c) Bei der Auswertung der Studie von Grasmücke et al. (2017) ist der Beklagte – wie bereits zuvor das IQWiG – nachvollziehbar und widerspruchsfrei zum Ergebnis gelangt, dass sich aus ihr kein Potenzial i.S.v. § 137e Abs. 1 und 7 SGB V ableiten lässt. Dass sie als einarmige Kohortenstudie nur sehr geringe Evidenz und minimale qualitative Ergebnissicherheit liefert, stimmt mit der Einschätzung des IQWiG (S. 7 seines o.g. Berichts) überein, entspricht dem o.g. Evidenzschema, das sich wortgleich z.B. auch in § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die Verfahrensgrundsätze der Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung und im Krankenhaus – Methodenbewertungsverfahrensverordnung – vom 23. Juni 2020, (BGBl. I 1379, bezogen auf die Methodenbewertung nach § 135 und § 137c SGB V) findet, und steht auch mit dem Methodenpapier des IQWiG (Version 6.0, S. 78, s. www.iqwig.de, Stichwortpfad: Über uns, Methoden, Methodenpapier) in Einklang.

 

dd. Unberechtigt ist der Einwand der Klägerseite, die vom Beklagten in seinem Schreiben vom 23. September 2019 angeregte Studie würde die von ihm angenommene Evidenzlücke bereits schließen, indem sie den Nutzen der Methode belegt. Zu Recht hält der Beklagte dem entgegen, dass an eine dem Nutzennachweis dienende Studie erheblich höhere Anforderungen zu stellen wären. Da er den Nutzennachweis grundsätzlich von Unterlagen der höchst(möglich)en Evidenzstufe – gemäß 2. Kap. § 13 Abs. 2 Satz 2 VerfO: „Evidenzstufe I mit patientenbezogenen Endpunkten (z. B. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität)“ – abhängig machen darf (BSG, Urteil vom 29. November 2017 – B 6 KA 34/16 R –, Rn. 50; Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 25/15 R –, Rn. 48; jeweils juris), erfordert eine dies leistende Studie z.B. eine adäquate Verblindung, die abgesicherte Randomisierung und den Bezug auf patientenrelevante Endpunkte. Insbesondere sinkt mit zunehmender Größe der Studienklientel die Gefahr  statistischer Verzerrungen.

ee. Die erstmals im Klageverfahren eingereichte Studie von Field-Fote darf der Senat, sofern darin neues Vorbringen erblickt werden könnte, nicht berücksichtigen.

 

(1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Verwaltungs- oder gerichtlichen Verfahren Erkenntnisse zugrunde gelegt werden dürfen, die sich nicht aus vom Antragsteller bereits im Verwaltungsverfahren eingereichten Unterlagen ergeben, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.

 

(a) Der 6. Senat des BSG (Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 17/18 R –, juris, Rn. 71 f.) vertritt die Auffassung, Wissensgrundlage der Potenzialentscheidung seien im Regelfall allein die vom Antragsteller bei Antragstellung eingereichten Studien. Er beruft sich hierfür auf die – bereits dargelegte – fehlende Amtsermittlungspflicht des GBA in Verfahren nach § 137e Abs. 7 SGB V, aber auch auf die enge zeitliche Vorgabe, gemäß Satz 3 dieser Regelung innerhalb von drei Monaten ab Antragseingang entscheiden zu müssen. Eine erneute Potenzialbewertung aufgrund jeder nachträglich – etwa auch im gerichtlichen Verfahren – eingereichten Begründungsänderung ‌oder -ergänzung sei praktisch vom GBA nicht zu leisten, jedenfalls nicht innerhalb der Frist von drei Monaten. Dem GBA sei es jedoch nicht immer "verwehrt", andere Erkenntnisse als die vom Antragsteller eingereichten Unterlagen jedenfalls auch zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Dies folge bei Erkenntnissen, die für eine Schädlichkeit oder Unwirksamkeit der jeweiligen Methode sprechen, schon aus dem grundgesetzlichen Schutzauftrag zugunsten von Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit der GKV-Versicherten. Sofern der GBA bereits über Erkenntnisse verfüge, dass eine beantragte Methode entgegen den Antragsunterlagen schädlich oder unwirksam ist, könne er dies zur Grundlage einer ablehnenden Entscheidung machen. Gleiches müsse aber – ebenfalls im Interesse der GKV-Patienten und ihres gesetzmäßigen Zugangs zu innovativen Behandlungsmethoden – auch gelten, wenn der GBA über Erkenntnisse verfüge, die dafür sprächen, dass eine Methode größeres Potenzial habe, als aus den vom Antragsteller eingereichten Unterlagen ersichtlich werde.

 

(b) Demgegenüber nimmt der 1. Senat des BSG (Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 11/18 R –, juris, Rn. 34 ff.) trotz fehlender Amtsermittlungspflicht keine Präklusion späterer Erkenntnisse für sich anschließende Gerichtsverfahren an. Eine Präklusion widerspreche dem Zweck des § 137e SGB V, den Versicherten innovative Methoden möglichst zeitnah zur Verfügung zu stellen. Antragsteller könnten Erkenntnisse, die ein Erprobungspotenzial der Methode belegen, andernfalls nur in ein neues Antragsverfahren einbringen. Eine Präklusion würde auch dem Patientenschutz widersprechen, dürfte das Gericht z.B. nicht Erkenntnisse berücksichtigen, dass eine laufende Studie außerhalb des Erprobungsverfahrens aufgrund eingetretener Erkrankungen oder Todesfälle abgebrochen werden musste. Wie der 6. Senat des BSG geht somit auch dessen 1. Senat davon aus, dass die Einbeziehung dem Beklagten bzw. dem Gericht präsenter Erkenntnisse nicht ausgeschlossen ist. Die Einschränkung der Amtsermittlung des Beklagten und des Gerichts – so der 1. Senat des BSG weiter –  erstreckt sich z.B. nicht auf die Prüfung, inwieweit bereits dem Qualitätsgebot genügende methodische Alternativen bestehen. Der GBA muss die hierzu vorgelegten Angaben des Antragstellers nicht etwa ungeprüft seiner Beurteilung zugrunde legen.

 

(c) Der Senat kann im vorliegenden Fall dahinstehen lassen, welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist. Auch nach der weitergehenden Ansicht des 1. Senats des BSG darf die Studie von Field-Fote keine Berücksichtigung finden. Denn auch der 1. Senat des BSG knüpft die Möglichkeit, nachträglich eingereichte Erkenntnisse in das Verfahren einzuführen zu dürfen, an die Voraussetzung einer sich aus dem Antrag ergebenen offensichtlichen Unklarheit. Nur eine solche kann die Pflicht zur Nachfrage, ob der Antragsteller sich zur Ergänzung bereit erklärt, auslösen (BSG a.a.O., Rn. 44). Dass der Antrag der Klägerin eine solche offensichtliche Unklarheit aufweist, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

 

Unabhängig hiervon ist der Beklagte durch seine Schreiben an die Klägerin vom 26. April und 5. Mai 2017 seiner Pflicht zur Nachfrage nachgekommen.

 

ff. Schließlich sind die Entscheidungen der US-amerikanischen FDA für die Potenzialbewertung schon wegen der völlig unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen grundsätzlich irrelevant. Hinzukommt, dass die klägerseitig angeführte Zulassung der FDA nicht das hier streitgegenständliche HAL-System mit Neurofeedback betroffen haben dürfte.

 

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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