L 8 U 81/19

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 25 U 114/14
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 U 81/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Schickt die rechtsmittelführende Partei jedwede Gerichtspost ungeöffnet an das Gericht zurück, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis, da offenkundig kein Interesse mehr an einer gerichtlichen Entscheidung des Rechtsstreits besteht.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung weiterhin gegen die teilweise Versagung bzw. Entziehung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, soweit das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung den Bescheid der Beklagte nicht aufgehoben hat.

Die 1955 geborene Klägerin arbeitete als zunächst selbständige Physiotherapeutin. Am 13. Juni 2001 spendete sie im B-Haus in S Blut. Bei dieser Blutentnahme kam es zu Komplikationen, weshalb ihr anschließend ein Druckverband angelegt und eine Eisgel-Salbe mitgegeben wurde. Im Laufe dieses Tages schwoll der Arm deutlich an, so dass der Druckverband nach 3 Stunden erneuert werden musste.

In der Folgezeit wurden zu den Folgen des Unfalls zahlreiche Gutachten eingeholt und die Staatskanzlei B1 erkundigte sich im Januar 2002 nach dem Stand des Verfahrens. Nach Einholung weiterer Gutachten gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 14. August 2002 beginnend ab dem 13. September 2001 eine vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 von Hundert (vH). Der Rentenberechnung wurde vorläufig ein Jahresarbeitsverdienst (JAV) in Höhe von 16.492,23 EUR (Mindest-JAV) zugrunde gelegt. Mit Bescheid ebenfalls vom 14. August 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum 13. September 2001 bis 31. Dezember 2001 entsprechende Mehrleistungen und mit weiterem Bescheid vom 14. August 2002 Mehrleistungen für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. September 2002. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer berufsbegleitenden Fortbildung zur Heilpraktikerin/psychischen Beraterin. Mit Bescheid vom 20. August 2003 setzte die Beklagte den mit Bescheid vom 14. August 2002 vorläufig festgesetzten Mindest-JAV endgültig fest.

Mit Bescheid vom 11. November 2003 setze die Beklagte eine Rente nach einer MdE von 25 vH ab 1. Dezember 2003 auf unbestimmte Zeit unter Anerkennung folgender Gesundheitsstörungen fest:

  • Persistierendes komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) mit Dysästhesien am linken Arm,
  • Bewegungseinschränkungen des Ellengelenkes sowie der Feinmotorik der linken oberen Extremität, insbesondere im Bereich der Finger,
  • Thermodysästhesie des linken Armes,
  • Muskelminderung am linken Ober- und Unterarm,
  • Minderung der Handflächenbeschwielung links.

In einem sich hieran anschließenden Widerspruchs- (Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2003) und vor dem Sozialgericht Augsburg geführten Klageverfahren (S 3 U 22/04) schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2006 einen Vergleich, nach dem die Beklagte der Klägerin ab 1. Juni 2005 eine Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH gewährt (bei maßgeblichem JAV in Höhe von 17.938,68 EUR).

Im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung holte die Beklagte ein Gutachten bei Dr. W ein, der mit schriftlichen Ausführungen vom 25. Februar 2009 berichtete. Eine relevante Befundänderung im Vergleich zum Gutachten vom 13. Juli 2005 ergebe sich nicht. Mit von der Beklagten in Auftrag gegebenem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vom 2. August 2010 kam Dr. S1 zu dem Ergebnis, es bestünden keine neurologischen Ausfallerscheinungen. Es sei aber festzustellen, dass die Klägerin Verdeutlichungstendenzen zeige. Die MdE sei mit höchstens 20 vH zu bewerten. Zudem holte die Beklagte ein Gutachten auf chirurgischem Fachgebiet von Dr. K ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, eine wesentliche Veränderung in den Funktionseinschränkungen sei im Vergleich zu den Vorbefunden nicht eingetreten (Gutachten vom 26. April 2012). Schließlich wurde der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F mit einem Gutachten beauftragt, an dessen Begutachtung die Klägerin nicht teilnehmen wollte. Nach Klärung der Mitwirkungsobliegenheiten teilte Dr. F am 20. Juni 2013 in Beantwortung der von der Beklagten gestellten Fragen mit, dass die Klägerin die Begutachtung unter Einbeziehung körperlicher Befunde insbesondere dadurch vereitelt habe, dass sie eine Untersuchung abseits des betroffenen Armes, also auch des gesunden Armes, abgelehnt habe. Auch habe die Klägerin eine weitere Sachaufklärung zur etwaigen seelischen Mitverursachung ihres Störungsbildes abgelehnt. Mit Durchführung der duldungspflichtigen Untersuchungen hätte eine genauere Aussage zu den geklagten Beschwerden und damit zur MdE getroffen werden können.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Minderung der bewilligten Verletztenrente wegen fehlender Mitwirkung an und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin teilte hierzu mit, dass sie bereit sei, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen; sie fordere aber die Bewertung durch einen anderen Gutachter.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2013 entzog die Beklagte die aufgrund des Bescheids vom 11. November 2003 in Gestalt des vor dem Sozialgericht Augsburg geschlossenen Vergleiches gezahlte Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) sowie die Mehrleistungen zur Verletztenrente teilweise. Ab 1. August 2013 bestehe Anspruch auf Verletztenrente und Mehrleistungen zur Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH.

Hiergegen erhob die Klägerin am 1. August 2013 Widerspruch mit Hinweis darauf, dass ihr eine fehlende Mitwirkung nicht angelastet werden könne.

Am 18. August 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige, die bisher nach einer MdE von 35 vH gewährte Verletztenrente ab dem 1. August 2013 auf 20 vH herabzusetzen. Ausweislich der eingeholten Gutachten sei eine wesentliche Verbesserung im Unfallfolgenzustand eingetreten.

Mit Bescheid vom 23. September 2014 setzte die Beklagte die gewährte Verletztenrente mit Wirkung zum 1. August 2013 auf 20 vH fest. Da eine Funktionszunahme des linken Armes zu verzeichnen sei, sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten.

Den hiergegen von der Klägerin am 29. September 2014 eingelegten Widerspruch und denjenigen gegen den Bescheid vom 25. Juli 2013 (teilweise Entziehung der Verletztenrente und der Mehrleistungen zur Verletztenrente) wies die Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2014 zurück.

Am 29. Dezember 2014 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Itzehoe erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, eine wesentliche Besserung in den Unfallfolgen sei nicht eingetreten. Das Gutachten von Dr. G vom 10. Juli 2014 leide an einem Mangel. Dieser habe die Klägerin an einem Tag für zwei Auftraggeber untersucht und sodann die Untersuchungsmethoden und -ergebnisse durcheinandergebracht. Die ihr – der Klägerin – möglichen Bewegungsausmaße des Armes und der Schulter stellten sich schlechter dar, als der Gutachter festgestellt habe.

Das Sozialgericht hat von Amts wegen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet die Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B2 (Gutachten vom 14. September 2016) und Dr. H (Gutachten vom 24. Mai 2018) sowie auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet die Fachärztin für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S2 gehört.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 26. Juni 2019 den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014 aufgehoben und den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014 dahingehend abgeändert, dass eine Festsetzung der Verletztenrente nach einer MdE von 25 vH ab dem 1. Oktober 2014 erfolgt und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. November 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Dezember 2019 Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Weitergewährung der Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH begehrt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. Juni 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014 insoweit aufzuheben, dass eine Festsetzung der Verletztenrente nach einer MdE von 35 vH auch über den 1. Oktober 2014 durch die Beklagte zu gewähren ist.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat von Amts wegen den Facharzt für Orthopädie und (Unfall-)Chirurgie Dr. K1 gehört, der sein Gutachten am 11. März 2022 nach Aktenlage – die Klägerin hat sich für eine gutachtliche Untersuchung im Berufungsverfahren nicht zur Verfügung gestellt – erstattet hat. Weiter hörte der Senat von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H1, der sich mit schriftlichen Ausführungen vom 11. Juli 2022 der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K1 ausdrücklich anschloss. Gegenüber 2003/2006 sei bei den Unfallfolgen eine wesentliche Besserung eingetreten; dies spätestens seit den Begutachtungen durch Dres. K2 und G (Sommer 2014). Denn auch zu dieser Zeit hätten die Röntgenaufnahmen der Hände keine Kalksalzminderungen gezeigt. Es habe entsprechend der Einschätzung von Dr. K2 eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks und der Finger links bestanden. Die unfallbedingte MdE rechtfertigte wegen der Schmerzen letztlich keine MdE von 20 vH, da die klaren Voraussetzungen für das Vorliegen eines komplex-regionalen Schmerzsyndroms I oder II nicht vorgelegen hätten. Vielmehr sei die Gesamt-MdE mit 10 vH zu bewerten.

Den mit Postzustellungsurkunde zugestellten Beweisbeschluss vom 3. Mai 2018 hat die Klägerin mit dem ungeöffneten Umschlag des Gerichts mit der handschriftlichen Aufschrift „Zurückgewiesen“ an das Gericht zurückgeschickt.

Nach Niederlegung des Mandats durch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat diese mit Schriftsatz vom 15. Mai 2022 mitgeteilt, dass sie Schreiben des Gerichts nur noch unter folgenden Voraussetzungen annehme:

„a) Sie erbringen Ihre amtliche Legitimation. Sie weisen darin in notariell beglaubigter Form nach, wofür, wie, wodurch und von wem Sie Rechte zur Vornahme hoheitlicher Handlungen übertragen bekommen haben. Gleichzeitig weisen Sie nach, auf welchen Staat Sie vereidigt worden sind.

b) Sie erbringen eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde des Staates, auf den Sie ihre Vereidigung begründen.

c) Sie erbringen eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde des Bundeslandes, sowie des Regierungspräsidiums der Stadt auf den Sie ihre Vereidigung begründen.

Ihnen wird hiermit Gelegenheit gegeben, dieses innerhalb einer angemessenen Frist von 21 Tagen unter Eid und unter unbeschränkter Haftung zu erbringen.“

Seitdem hat die Klägerin die Annahme bzw. Kenntnisnahme an sie gerichteter Schreiben des Gerichts abgelehnt, indem sie die verschlossenen Umschläge des Gerichts entweder beschriftet oder mit einem Aufkleber versehen an das Gericht zurückgeschickt hat. Dabei handelte es sich um den geänderten Beweisbeschluss vom 11. Juli 2022, das Schreiben des Gerichts vom 19. Juli 2022, mit dem das Gericht das Sachverständigengutachten von Dr. H1 zu übermitteln versuchte sowie die Ladung zum Termin.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
 


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unzulässig geworden.

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts die Bescheide der Beklagten vom 25. Juli 2013 und 23. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2014.

2. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise ihre Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ihr wörtlich gestellter Antrag, der auf eine Aufhebung der Bescheide und die Festsetzung der Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 35 v.H. gerichtet ist, legt eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG nahe. Nach ihrem Vorbringen ist die Klage auf eine Fortsetzung der Rentenzahlung gerichtet. Hierfür ist es bei verständiger Würdigung des Vorbringens notwendig, aber auch ausreichend, dass der Bescheid vom 23. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2014 aufgehoben wird. Gleiches gilt für die Entziehungsentscheidung vom 25. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2014. In beiden Fällen würde der ursprüngliche Rechtszustand wiederhergestellt werden. Statthaft ist insoweit die Anfechtungsklage, mit der sie sich gegen die Absenkung ihrer Verletztenrente und damit gegen die Veränderung ihres Rechtsanspruchs wendet. Auch die teilweise Entziehung nach § 66 SGB I wäre insofern aufgehoben.

3. Die Berufung ist unzulässig geworden. Das Rechtschutzbedürfnis der Klägerin für das Berufungsverfahren ist entfallen. Durch ihr Verhalten hat die Klägerin mehrfach, wahrnehmbar und deutlich dokumentiert, dass sie kein Interesse am Ausgang des von ihr eingelegten Rechtsmittels mehr hat. Es bedarf zumindest für denjenigen, der die Klage oder das Rechtsmittel anhängig gemacht hat, einer Bereitschaft, die Handlungen des Gerichts zur Kenntnis zu nehmen. Dies ist im Fall der Klägerin nicht mehr gegeben.

a) Das Rechtschutzbedürfnis für ein Verfahren korrespondiert mit dem aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) resultierenden Anspruch auf eine gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns in den Fällen, in denen jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist oder sein könnte. Dieser Garantieanspruch richtet sich neben den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verfahrensrechten auch an die Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 1998 – 1 BvR 661/94 –, juris, Rn. 73; gegen gerichtliche Vereitelung gesetzlicher Rechtsbehelfe BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99 –, juris, Rn. 89 ff; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juni 2005 – 1 BvR 2615/04 –, juris, Rn. 17 ff.; Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2021, GG Art. 19). Durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG formuliert das Grundgesetz ein Grundrecht, das es dem Grundrechtsträger ermöglicht, staatliche Akte zur Überprüfung zu stellen, soweit dieser in seinen Rechten verletzt sein kann und für die Durchsetzung ein gerichtliches Verfahren benötigt. Diese regelmäßig in einem Über- und Unterordnungsverhältnis ergehenden Akte der öffentlichen Hand bzw. Behörden gestalten subjektive Rechtspositionen. Sie räumen sie bei Gewährung ein und entziehen diese ganz oder teilweise bei einer Aufhebungs- oder Entziehungsentscheidung. Diese Rechtsgestaltung ist kein freies und damit unkontrolliertes Recht der öffentlichen Hand. Sie vollzieht Gesetze durch konkretisierende rechtsgestaltende Verwaltungs- oder einfache Realakte. Die Folge der Rechtsweggarantie ist die mögliche Kontrolle der Handlungen und Entscheidungen der öffentlichen Gewalt durch die Gerichte.

Dieses Recht korreliert mit einem Mindestmaß der Bereitschaft zur Mitwirkung seitens der jeweiligen Aktivpartei, damit nicht eine funktionslose Anrufung eines Gerichtes erfolgt, dessen Entscheidung und Verfahrensförderung ohne Wahrnehmung durch diejenigen bleibt, die das Rechtsmittel angestrengt haben. Ist das Interesse an dem Rechtsmittel erloschen, entfällt das Rechtschutzbedürfnis. Dieser Rechtsgedanke ist in der Prozessordnung teilweise in § 102 Abs. 2 SGG sowie § 156 Abs. 2 SGG eingeflossen. Diese Regelung ist eine gesetzliche Regelung über die Ausgestaltung des Rechtschutzbedürfnisses für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel durch die aktive Partei betrieben werden sollte und es einer prozessualen Mitwirkungshandlung bedarf (BSG, Urteil vom 4. April 2017 - B 4 AS 2/16 R – juris, Rn. 28; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Juli 2015 – L 12 AS 1287/13 –, Rn. 22, juris).

b) Das gerichtliche Verfahren ist geprägt von einer Vielzahl von aktiven Handlungen der Verfahrensbeteiligten. Die Klage ist aktiv einzulegen, § 90 SGG. Sie ist nicht automatisch nach erfolglosem Widerspruch bei dem Gericht anhängig, sondern bedarf einer Handlung mit einem voluntativen Element. § 92 Abs. 1 SGG erfordert Mindestangaben bei der Klageerhebung. Kläger, Behörde und Gegenstand des Klagebegehrens sind zu bezeichnen. Neben den zwingenden Mindestangaben soll die Klage begründet werden, zumindest sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel nach § 92 Abs. 1 S. 3 SGG angegeben werden. Zwar gilt im sozialgerichtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 103 SGG. Dennoch muss das Gericht nicht ungefragt nach Tatsachen forschen, wenn es keine vorgetragenen Anhaltspunkte für einen Dissens zwischen den Beteiligten gibt (BSG, Urteil vom 3. Juni 2004 – B 11 AL 71/03 R – juris; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 103 Rn. 7a). Den Beteiligten werden Klage und Schriftsätze mit der Aufforderung zur Stellungnahme übermittelt (§ 104 SGG). Zulässig ist eine Nichtäußerung nach § 104 S. 4 SGG.

Dies gilt jeweils auch für die Berufungsinstanz. Auch hier bedarf es der Anrufung durch einen Verfahrensbeteiligten. Die Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung bestehen auch für den Rechtsmittelführer. Auch ohne Zustimmung des Gerichts oder des Berufungsgegners kann bis zur mündlichen Verhandlung jederzeit nach § 156 Abs. 1 SGG die Berufung zurückgenommen werden. Diese Dispositionsmaxime betrifft auch den Gegenstand des Berufungsverfahrens. Bei mehreren entschiedenen Streitgegenständen kann der Berufungsführer selbst darüber entscheiden, welche er zum Gegenstand des Rechtmittelverfahrens macht.

c) Das Rechtsschutzinteresse beinhaltet grundsätzlich keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Es ergibt sich regelmäßig ohne weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelführers, der mit seinem im Antrag des erstinstanzlichen Verfahrens zum Ausdruck gekommenen Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist. Mit dem Erfordernis der Beschwer als Ausformung des Rechtschutzbedürfnisses ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nur eingelegt wird, wenn hierfür ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers für ein Tätigwerden des Gerichts besteht. Vorliegend bestand dies zunächst. Die Klägerin war vor dem Sozialgericht mit ihrem Begehren der vollständigen Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte teilweise und überwiegend nicht erfolgreich.

d) Das Interesse an einer Entscheidung des Berufungsgerichts ist nach Würdigung des Verhaltens der Berufungsführerin durch den Senat inzwischen offenkundig entfallen. Ein Mindestmaß eines Interesses am Fort- und Ausgang des Verfahrens bzw. Rechtsmittels ist bei der Berufungsführerin nicht mehr gegeben. Die auch gegenüber dem Gericht dokumentierte Weigerung Schriftstücke entgegen zu nehmen, zeigt ein offenkundiges Desinteresse an dem Ausgang des Verfahrens und der rechtlichen Würdigung des Sach- und Streitstandes durch den Senat, wie es in einer Sachentscheidung zum Ausdruck kommen würde. Der vom Gericht mittels Postzustellungsurkunde übermittelte Beweisbeschluss, ein Beweisbeschluss mit einfacher Post sowie die zugestellte Ladung zum Termin wurden von der Berufungsführerin ungeöffnet zurückgeschickt. Kommentiert war dies anfangs damit, dass das Gericht nicht befugt sei, Zustellungen vorzunehmen. Nachdem die Klägerin zunächst handschriftlich den Umschlag beschrieben hatte, wechselte sie zu einem Aufkleber, der mit der Aufschrift „Zurück an Absender“, „Verdacht auf Strohmanngeschäft/Nichtiges Scheingeschäft“, „fehlender Vollmacht, Vertrag“ sowie „Zurückweisung und Ablehnung unversicherter Namensvarianten wegen fehlender Lizenz“ versehen war. Nach Niederlegung des Mandats durch die Prozessbevollmächtigten entsprach dies dem fortgesetzten und nicht unterbrochenen Verhalten der Klägerin.

Dieses Verhalten gleicht der verweigerten Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, Berufungsführer usw.) genannt wird. Erfolgt dies nicht, ist das Rechtsmittel nach der ganz überwiegenden Auffassung der Rechtsprechung und Literatur auch zu den Parallelvorschriften anderer Prozessordnungen unzulässig (in diesem Sinne: BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 1996 – 1 BvR 2211/94 –, juris; BGH, Urteil vom 31. Oktober 2000 – VI ZR 198/99 –, BGHZ 145, 358-366; BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24/97 – juris; BSG, Beschluss vom 18. November 2003 – B 1 KR 1/02 S – juris jeweils mit weiteren Nachweisen). Kommt der Rechtssuchende dieser Verpflichtung nicht nach und verhindert er dadurch bewusst eine Kontaktaufnahme durch das Gericht, fehlt es bereits an einem formal-ordnungsgemäßen prozessualen Begehren.

Dass auf das verfahrensrechtliche Mittel einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts des Betroffenen (vgl. § 202 SGG iVm. § 185 Nr. 1 der Zivilprozessordnung [ZPO]) zurückgegriffen werden kann, steht dem nicht entgegen. Diese Zustellungsart kommt nach ihren strengen Voraussetzungen wegen der Gefahr der möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht; als Regelzustellung bei planmäßigem, nicht gerechtfertigtem Schweigen eines Betroffenen über seinen Aufenthalt ist sie nicht vorgesehen (vgl BSG, Beschluss vom 18. November 2003, aaO). Vorliegend ist die Klägerin nicht unbekannten Aufenthalts, so dass diese Form der Zustellung ohnehin ausscheidet.

Diese Grundsätze überträgt der erkennende Senat auf Fälle wie den Vorliegenden. Die Berufungsführerin hat erkennbar und mehrfach deutlich gemacht, dass sie weder an dem Fortgang des Verfahrens interessiert ist noch ein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens hat. Damit zeigt sie, dass sie den grundgesetzlichen Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG verlässt und nicht mehr in Anspruch nehmen will. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass sie das Rechtsmittel nicht weiterverfolgt, ohne es formell zurück zu nehmen. Nach Würdigung des Senats geht es ihr nicht mehr darum, einen gegenüber dem Prozessgegner durchsetzbare Rechtsposition verschaffenden Rechtsschutz zu erhalten (vgl auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. März 2009 – L 13 R 392/07 – juris, Rn 19).

 

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

5. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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