L 10 U 304/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 79 (21) U 304/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 304/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 93/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29.04.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt die Einholung eines toxikologischen Gutachtens durch die Beklagte.

 

Er wurde am 03.02.2010 gegen Tollwut und am 04.03.2010 gegen Hepatitis A und B geimpft. Die Beklagte als zuständiger Unfallversicherungsträger erkannte mit Bescheid vom 19.10.2010 die Impfungen als Arbeitsunfall mit dem Gesundheitserstschaden Guillain-Barré-Syndrom an und leistete in der Folge ua Verletztengeld.

 

Seit September 2012 forderte der Kläger die Beklagte mehrfach auf, diese solle zur weiteren Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren bezüglich des Arbeitsunfalls ein toxikologisches Gutachten, insbesondere zum Impfstoff-Adjuvans Aluminiumhydroxid und zu Entgiftungsmöglichkeiten, einholen, was diese bereits 2013 zweimal schriftlich ablehnte. Mit Schreiben vom 30.01.2014 forderte der Kläger ausdrücklich die Erstellung eines rechtsbehelfsmäßigen Bescheides „zur Verweigerung eines toxikologischen Gutachtens“.

 

Die Beklagte lehnte es mit Schreiben vom 28.11.2016 erneut ab, eine toxikologische Begutachtung zu veranlassen und versah dieses Schreiben mit einer Rechtsbehelfsbelehrung. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, die begehrte toxikologische Begutachtung sei für die Feststellung, welche Körperschäden durch die verabreichten Impfseren verursacht worden seien, zwingend erforderlich. Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2017 zurück: Sie bestimme als eine zur Amtsermittlung verpflichtete Sozialbehörde selbst Art und Umfang der Ermittlungen und sei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

 

Zwischenzeitlich hatte es die Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2017 abgelehnt, Verletztenrente wegen des anerkannten Arbeitsunfalls zu zahlen, da nach einem von ihr eingeholten Gutachten unfallbedingte Funktionseinschränkungen nicht feststellbar seien und mit Bescheid vom 30.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2017 die Kostenübernahme weiterer ärztlicher Behandlungen abgelehnt, da keine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehe. Um die Gewährung der Verletztenrente sowie um die Übernahme von bestimmten Heilbehandlungskosten streitet der Kläger weiterhin in noch anhängigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren.

Am 16.03.2017 hat der Kläger gegen das Schreiben vom 28.11.2016 und den Widerspruchsbescheid vom 01.03.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und vorgetragen, die Einholung eines toxikologischen Gutachtens sei zwingend erforderlich, um auf wissenschaftlicher Grundlage feststellen zu können, welche giftigen Stoffe ihm injiziert worden seien, welche Wirkungen diese hätten und welche Erkrankungen dadurch verursacht worden seien.

 

Das SG hat mit Urteil vom 29.04.2021 die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Verurteilung der Beklagten zur Einholung eines toxikologischen Gutachtens. Eine Anspruchsgrundlage für dieses Begehren sei nicht zu erkennen.

 

Der Kläger hat gegen das ihm am 18.06.2021 zugestellte Urteil am 21.06.2021 Berufung eingelegt. Das SG habe in einem Verfahren S 79 U 913/16/SG Dortmund, in welchem er um die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr 1317 der Berufskrankheiten-Verordnung  streite, ein toxikologisches Gutachten in Auftrag gegeben, was die Begründetheit der vorliegenden Klage belege. Ein Anspruch auf Einholung des begehrten GA ergebe sich iü aus §§ 26 bis 34 SGB VII.

 

Mit am 30.05.2022 eingegangenen Schriftsätzen vom 27.05.2022 hat der Kläger die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht (LSG) G, die Richterin am LSG C und den Richter am LSG E wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, ohne das Ablehnungsgesuch zu begründen.

 

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.06.2022 ist für den Kläger niemand erschienen.

 

Er beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29.04.2021 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2017 zu verurteilen, ein toxikologisches Gutachten einzuholen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der zwischenzeitlich beigezogenen Vorprozessakten, insbesondere S 79 U 913/16/SG Dortmund, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

1. Der Senat durfte trotz der gegen die Vorsitzende Richterin am LSG G, die Richterin am LSG C und den Richter am LSG E gerichteten Ablehnungsanträge in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung zur Hauptsache verhandeln und entscheiden, ohne gegen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter zu verstoßen (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG), denn den Ablehnungsgesuchen ist nicht stattzugeben.

 

Zuständig für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche ist der erkennende Senat unter Mitwirkung der abgelehnten Richter. Entgegen § 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO dürfen die abgelehnten Richter an der Entscheidung mitwirken, da die Befangenheitsanträge offensichtlich unzulässig sind.

 

Zwar ist grundsätzlich über das Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO). Im Fall eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs ist jedoch eine Selbstentscheidung über das Gesuch zulässig (st Rspr, vgl ua: BSG, Beschluss vom 13. November 2017 – B 13 R 152/17 B –, Rn 13, juris mwN). Art 101 Abs 1 S 2 GG steht dem nicht entgegen (ua: Bayerisches LSG, Beschluss vom 20. Mai 2022 – L 2 SF 103/22 AB –, Rn 8, juris mwN).

 

Die gegen die Vorsitzende Richterin am LSG G, die Richterin am LSG C und den Richter am LSG E gerichteten Ablehnungsgesuche sind offensichtlich unzulässig, weil der Kläger sie entgegen seiner schriftsätzlichen Ankündigung nicht begründet hat. Ablehnungsanträge, denen jede Begründung fehlt, sind nach hM offensichtlich unzulässig; bei ihnen erübrigt sich jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens, und jede Bewertung oder Erklärung von Verhalten der abgelehnten Richter (Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 60 SGG (Stand: 10.12.2021), Rn 147 mwN).

 

Daran ändert auch die pauschale Bezugnahme des Klägers auf die noch fristgerecht einzureichende Anhörungsrüge im Verfahren L 10 U 122/22 ER sowie auf die bereits ergangenen Beschlüsse des Senats nichts. Denn es werden auch insoweit keine objektiven Anknüpfungspunkte dafür genannt, dass die og Richterinnen und/oder der og Richter voreingenommen seien. Die Rechtsmissbräuchlichkeit der hiesigen Ablehnungsgesuche wird überdies auch durch die angesichts der zahlreichen bereits erstinstanzlich gestellten Befangenheitsanträge wiederholte Praxis des Klägers deutlich, beteiligte Richter wegen der seiner Ansicht nach jeweils unzutreffenden rechtlichen Bewertungen und Vorgehensweisen abzulehnen (vergleiche BSG, Beschluss vom 23.05.2018, B 8 SO 1/18 BH, juris Rn. 8).

 

Der Senat konnte auch in Abwesenheit des Klägers den Rechtsstreit mündlich verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist in der ihm - ausweislich der Postzustellungsurkunde am 17.05.2022 - ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, §§ 110 Abs 1 Satz 2, 126 SGG.

 

Entgegen der Ansicht des Klägers konnte der Senat auch entscheiden, ohne die gesetzliche Krankenkasse des Klägers beizuladen. Die Krankenkasse ist an dem hier streitigen Rechtsverhältnis weder derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann, § 75 Abs 2 SGG noch sind ihre berechtigten Interessen durch die Entscheidung hinsichtlich der Einholung eines toxikologischen Gutachtens durch die Beklagte im Rahmen des Verwaltungsverfahrens berührt, § 75 Abs 1 SGG. Interessen der gesetzlichen Krankenkasse des Klägers werden durch das hiesige Verfahren vielmehr in keiner Weise tangiert.

 

2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

 

Die Klage ist bereits unzulässig, da sie sich isoliert gegen Verfahrenshandlungen der Beklagten richtet.

 

Nach § 56a SGG, worauf der Kläger selbst hingewiesen hat, können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Diese Vorschrift schließt einen unmittelbaren und isolierten Rechtsbehelf gegen einzelne behördliche Verfahrenshandlungen im Interesse der Verfahrens- und Prozessökonomie aus. Verfahrenshandlungen sollen nicht schon selbständig angefochten werden können, solange noch keine Sachentscheidung getroffen wurde und noch offen ist, ob der Betroffene überhaupt durch die Sachentscheidung beschwert wird (Axer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 56a SGG (Stand: 15.07.2017), Rn 8).

 

Die Vorschrift ist auch einschlägig. Mit dem begehrten toxikologischen Gutachten erstrebt der Kläger eine Verfahrenshandlung im Sinne dieser Norm. Verfahrenshandlungen sind diejenigen behördlichen Maßnahmen, die Teil eines Verwaltungsverfahrens sind und keine Sachentscheidung darstellen, sondern diese nur vorbereiten (Axer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 56a SGG (Stand: 15.07.2017), Rn 14). Die Einholung eines Gutachtens zur Sachaufklärung bzw die Weigerung, ein solches einzuholen, stellt erkennbar keine Entscheidung über die Sache selbst dar. Sie dient vielmehr der Vorbereitung einer Leistungsentscheidung, zB über die Gewährung einer Rente. Damit ist sie eine typische Verfahrenshandlung und kann nicht isoliert geltend gemacht werden.

 

Das von dem Kläger seitens der Beklagten seit 2012 in dem Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Arbeitsunfalls erstrebte toxikologische Gutachten stellt eine behördliche Maßnahme dar, die in Zusammenhang mit diesem damals noch nicht abgeschlossenen, im Wesentlichen auf Anerkennung von (weiteren) Unfallfolgen, Zahlung einer Verletztenrente und Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen gerichteten Verwaltungsverfahren stand und der Vorbereitung insoweit regelnder Sachentscheidungen dienen sollte. Die Klage ist mithin unzulässig. Soweit der Kläger darauf verweist, dass seitens des Sozialgerichts in dem Klageverfahren S 79 U 913/16 ein toxikologisches Gutachten eingeholt werde, vermag auch dieser Umstand kein Rechtsschutzinteresse zu begründen. Es verbleibt vielmehr bei der Regelung gemäß § 56a SGG.

 

Da die Klage bereits unzulässig ist, ist für die vom Kläger angeregte Zurückverweisung in die Verwaltung nach § 131 Abs 5 SGG kein Raum.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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