L 18 AS 784/22 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 AS 6359/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 784/22 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

 

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2022 aufgehoben.

Den Klägern wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten bewilligt.

 

Gründe

 

Die Beschwerde der – im Sinne des Prozesskostenhilferechts (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §§ 114 ff Zivilprozessordnung <ZPO>) als bedürftig anzusehenden – Kläger ist begründet. Diesen ist für das Verfahren bei dem Sozialgericht (SG) Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren. Die erstinstanzlich erhobene Klage auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2021 bis 30. Juni 2022 hat schon deshalb hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil es weiterer Sachermittlungen und einer Beweiserhebung des SG zu den streitentscheidenden Fragen des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft der Kläger mit Issam Askari (A) – dem Vater des Klägers zu 2) – und bejahendenfalls zu dessen Einkommens- und Vermögensverhältnissen im Hinblick auf das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit der Kläger (vgl § 9 Abs. 1 und 2 SGB II) bedarf.

 

Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl BVerfGE 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357>; Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 – juris - Rn 10; Beschluss vom 5. Dezember 2018 - 2 BvR 1122/182 BvR 1222/182 BvR 1583/18 – juris – Rn 10). Dies ergibt sich aus dem in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) allgemein verankerten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, der für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG eine besondere Ausprägung gefunden hat, in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Unbemittelte muss allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 81, 347 <357>; BVerfG, Beschluss vom 1. April 2015 - 2 BvR 3058/14 – juris - Rn 19; Beschluss vom 21. November 2018 - 1 BvR 1653/181 BvR 1888/181 BvR 1889/181 BvR 1890/181 BvR 2381/18 – juris - Rn 8; stRspr).

 

Die Prüfung der Erfolgsaussichten dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH, in dem nur eine summarische Prüfung stattfindet, zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 2 BvR 2726/17 – juris - Rn 13 mwN). Im PKH-Verfahren dürfen grundsätzlich keine strittigen Rechts- oder Tatsachenfragen geklärt werden (vgl BVerfG, Beschluss vom 28. August 2014 - 1 BvR 3001/11 - juris, Rn 13 mwN). Allerdings begegnet die Verweigerung von PKH keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 1. April 2015 - 2 BvR 3058/14 – juris - Rn 20 mwN). Daher ist auch eine Beweisantizipation im PKH-Verfahren in begrenztem Rahmen zulässig. Soweit konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme über die streitigen Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, kommt eine PKH-Ablehnung in Betracht (vgl BVerfG, Beschluss vom 3. September 2013 - 1 BvR 1419/13 – juris - Rn 23). Kommt jedoch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens PKH zu verweigern (vgl BVerfG, Beschluss vom 25. April 2012 - 1 BvR 2869/11 – juris  - Rn 18 mwN; Beschluss vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 1813/18 – juris – Rn 27 mwN; stRspr). Letzteres ist hier der Fall.

 

Zwar spricht die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3a Nrn. 1 bis 3 SGB II für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft der Klägerin mit A und damit für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft der Kläger mit A (vgl § 7 Abs. 3 Nr 3c und Nr 4 SGB II). Zweifelsfreie Feststellungen hierzu sind im gerichtlichen Verfahren hingegen noch nicht getroffen worden. Insbesondere sind hierzu im Wege der Amtsermittlung (vgl § 103 SGG) sämtliche erreichbaren Beweismittel zu nutzen, wozu auch eine Vernehmung des A als Zeuge zählt. Diese wäre selbst dann nicht entbehrlich, wenn vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft – wie das SG meint – auszugehen wäre. Denn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des A im Streitzeitraum sind nicht bekannt. Entsprechende Feststellungen können nicht durch Vermutungen ersetzt werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Streitzeitraum kein Elterngeld mehr bezogen hat. Dessen Bezug endete im April 2021 (vgl Bescheid des Bezirksamtes Treptow-Köpenick von Berlin vom 18. November 2020). Das SG wird auch zu ermitteln haben, ob die Klägerin, die augenscheinlich seit Oktober 2021 Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezieht und nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kontoauszügen zuletzt für Juni 2022 BAföG-Leistungen iHv 844,- € bezogen hat, insoweit einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGG unterfällt. Auch diesbezüglich ist eine weitere Sachaufklärung erforderlich.

 

Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl § 127 Abs. 4 ZPO analog).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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