L 16 R 551/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 188 R 1421/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 551/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes – AAÜG - <AVItech>) und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellen muss.

 

Der 1953 geborene Kläger erwarb nach einem Studium der Kraftwerkstechnik die Berechtigung, den akademischen Grad „Diplomingenieur“ zu führen (Urkunde der Ingenieurhochschule Zittau vom 30. August 1979). Ausweislich des Sozialversicherungsausweises des Klägers war er danach zunächst im Zeitraum vom 1. September 1979 bis 29. Februar 1987 beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Energiekombinat Berlin als Ingenieur und ab dem 1. März 1987 nach dem Arbeitsvertrag vom 12. Februar 1987 beim Hauptauftraggeber (HAG) komplexer Wohnungsbau Berlin (im Folgenden: HAG) – einer dem Magistrat von Berlin nachgeordneten staatlichen Einrichtung – als Leitungsingenieur beschäftigt. Dem Kläger wurde keine Versorgungszusage erteilt und er war zu Zeiten der DDR nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG einbezogen. Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung leistete er nicht. Ihm wurde eine Versorgungszusage auch nicht im Wege einer Rehabilitierungsentscheidung zuerkannt.

 

Den Antrag des Klägers vom April 2019 auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 5. Februar 2020, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2020, mit der Begründung ab, der Kläger sei am 30. Juni 1990 bei dem HAG beschäftigt gewesen. Hierbei habe es sich weder um einen volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) im Sinne der Versorgungsordnung noch um einen iSv § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 einem volkseigenen Produktionsbetrieb gleichgestellten Betrieb gehandelt.

 

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei beim Magistrat von Berlin, einer Hauptverwaltung, tätig gewesen. Durch Urteil vom 12. August 2021 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung von Zeiten der Zugehörigkeit zum AAÜG. Er falle bereits nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG, da er bei dessen Inkrafttreten weder einen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger noch eine Versorgungsanwartschaft innegehabt habe. Er habe am 1. August 1991 auch keinen Anspruch auf fiktive Einbeziehung in ein Versorgungssystem nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehabt, da er am 30. Juni 1990 nicht bei einem VEB oder einem gleichgestellten Betrieb, sondern beim rechtlich selbständigen HAG beschäftigt gewesen sei.

 

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er trägt vor, seine Tätigkeitszeit beim HAG sei auch vom Land Berlin als Vordienstzeit und tarifliche Beschäftigungszeit anerkannt worden. Auf die Schriftsätze vom 10. Januar 2022, 7. März 2022 und 11. Mai 2022 wird Bezug genommen.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. August 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nebst der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

II.

 

Der Senat hat gemäß § 153 Absatz 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die zulässige Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (vgl § 153 Absatz 4 Satz 2 SGG).

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech und der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch iSv § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Er hat auch keine fiktive Anwartschaft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG inne. Denn es war bis zum Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 kein Versorgungsfall (Alter, Invalidität) eingetreten. Zu seinen Gunsten begründet auch nicht ausnahmsweise § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG eine gesetzlich fingierte Anwartschaft ab dem 1. August 1991, weil der Kläger in der DDR nie konkret in ein Versorgungssystem einbezogen worden war und er diese Rechtsposition deshalb später auch nicht wieder verlieren konnte (vgl hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 Nr. 15).

 

Der Kläger hat auch unter Zugrundelegung der vom BSG in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG bezogen auf den Stichtag 30. Juni 1990 aus bundesrechtlicher Sicht keine (fiktive) Anwartschaft auf Versorgung iSv § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG erworben, weil er keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte. Er erfüllte zwar die persönlichen Voraussetzungen, weil er berechtigt war, den akademischen Grad  Diplomingenieur zu führen sowie die sachlichen Voraussetzungen, weil er eine dieser Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtete, nicht jedoch die betrieblichen Voraussetzungen nach § 1 der Verordnung über die AVItech (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl I Nr 93 S 844) und der dazu ergangenen 2. DB vom 24. Mai 1951 (GBl Nr 62 S 487). Denn bei seinem Arbeitgeber im streitgegenständlichen Zeitraum, dem HAG, handelte es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 2. DB) oder um einen durch § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestellten Betrieb.

 

Für die fiktive Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem iSv § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, maßgeblich, ob aus der Sicht des bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 1991 geltenden Bundesrechts nach der in tatbestandlicher Rückanknüpfung maßgeblichen Sachlage am Stichtag 30. Juni 1990 aufgrund der zu Bundesrecht gewordenen zwingenden Bestimmungen der Versorgungssysteme ein Anspruch auf Einbeziehung/Versorgungszusage bestanden hätte (vgl BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 3/02 R -, SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 56). Die Frage, ob der Kläger am Stichtag 30. Juni 1990 bei einem VEB beschäftigt war und damit neben der persönlichen und sachlichen Voraussetzung die betriebliche Voraussetzung der VO-AVItech iVm der 2. DB erfüllt (vgl zu den Voraussetzungen der Einbeziehung in die AVItech BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R – SozR 4-8570 § 1 Nr. 1; zur Rechtsnatur der Versorgungsordnungen im Zusammenhang des § 1 AAÜG BSG, Urteil vom 18.10.2007 – B 4 RS 28/07 R - SozR 4-8570 § 5 Nr. 10 Rn 18 ff), bestimmt sich nach dieser Rechtsprechung danach, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten an diesem Tag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war und welchem Zweck der Betrieb des Arbeitgebers - nicht eines Dritten, bei dem die Arbeit tatsächlich verrichtet wurde - tatsächlich diente (vgl BSG, Urteil vom 7. September 2006 - B 4 RA 41/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 11 Rn 15 und BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 20/03 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 2).

 

Vorliegend war Arbeitgeber des Klägers am 30. Juni 1990 der HAG, nicht der Magistrat von Berlin. Das erhellt zweifelsfrei daraus, dass nach dem maßgebenden Statut des HAG vom 13. März 1986, mit dem der Kläger auch seinen Arbeitsvertrag geschlossen hatte, dieser eine dem Magistrat von Berlin nachgeordnete staatliche Einrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit war (§ 1 Abs. 1 des Statuts). Aus dem Namen allein („Magistrat von Berlin, Hauptstadt der DDR, Hauptauftraggeber komplexer Wohnungsbau Berlin“) kann daher nicht gefolgert werden, dass der Magistrat selbst Arbeitgeber des Klägers war. Auch aus der Anordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der Hauptauftraggeber komplexer Wohnungsbau vom 19. September 1983 (AO-HAG; GBl I Nr 28 S 269) folgt, dass der HAG juristische Person und dem örtlichen Rat – hier dem Magistrat – unterstellt war. Er war indes nicht Teil des Magistrats, sondern wurde von diesem beauftragt (vgl § 2 Abs. 1 AO-HAG). Dass das Land Berlin die Beschäftigungszeit tariflich als Vordienstzeit beim Land Berlin anerkannt hat, ergibt keine andere Beurteilung und ist für die hier anzustellende Prüfung, ob Zugehörigkeitszeiten zur AVItech zurückgelegt wurden, ohne Relevanz.

 

Bei dem HAG handelte es sich nicht um einen VEB, denn er war nicht als solcher organisiert (vgl auch § 14 AO-HAG) und im Übrigen gab ihm auch nicht die Massenproduktion von Bauwerken sein Gepräge, sondern Vorbereitungs-, Leitungs- und Organisationsaufgaben für Wohnungsbauprojekte (vgl §§ 2 bis 8 AO-HAG). Der HAG war auch nicht ein den volkseigenen Produktionsbetrieben der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellter Betrieb. Denn der Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990, im Übrigen auch nicht der Magistrat von Berlin, der keine Hauptverwaltung der DDR war, kann unter keinen der in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten, den volkseigenen Betrieben gleichgestellten Betriebsgruppen gefasst werden. Wegen des Analogieverbotes (vgl hierzu BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 5 RS 27/12 - juris) ist schließlich auch eine Erweiterung des Kreises der gleichgestellten Betriebe nicht möglich, was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04, 1BvR 203/05 - juris).

 

Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil nimmt der Senat im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug, § 153 Abs. 2 SGG analog.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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