L 11 KR 96/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 36 KR 1978/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 96/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 2/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 6. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Am 26. April 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die „Kostenübernahme einer ärztlichen Behandlung zur Feststellung der Ursache seiner Erkrankungen und des Zeitpunkts der Entstehung der Erkrankung durch toxische Viren, Bakterien, Schimmelpilz und Schwermetalle sowie einer zusätzlichen Wohnraum- und Arbeitsplatzuntersuchung“. Die Erkrankungen hätten in den Jahren 2000/2001 begonnen. Es müssten die Wohnungen sowie das Thyssen-Gussstahlgelände in Gelsenkirchen untersucht werden. Auch müssten die Vergiftungen seines Körpers untersucht werden. Hierzu müsse eine Blut- und Haaruntersuchung bei einem Spezialisten der Umwelt- und Rechtsmedizin erfolgen. Der Kläger legte hierzu eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin L , M, vom 26. April 2018 vor, wonach die „Kostenübernahme einer toxikologischen Untersuchung in der Uniklinik C“ geboten sei.

 

Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sein Antrag zuständigkeitshalber an die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in der Sozialversicherung weitergeleitet worden sei. Ungeachtet dessen lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 10. September 2019 ab. Eine Kostenübernahme sei nicht möglich, da es sich bei der Erstellung eines solchen Gutachtens nicht um eine Leistung handele, die Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei.

 

Mit seinem Widerspruch vom 1. Oktober 2019 machte der Kläger geltend, dass eine Behandlung ohne eine abschließende Feststellung der Erkrankung nicht erfolgen könne. Wegen der Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben Bezug genommen.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2019 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nicht ersichtlich sei, bei welchem Arzt und welchem Labor die begehrten Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Die Beklagte gehe aber davon aus, dass die Untersuchungen nicht im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung erfolgen sollten. Im Raum Köln würden jedoch Vertragsärzte in ausreichender Anzahl praktizieren. Die vertragsärztliche Versorgung sei sichergestellt. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bestehe für den Kläger die Möglichkeit, sich bei entsprechenden vertraglich zugelassenen Fachärzten vorzustellen und um ärztliche Behandlung und Diagnostik zu ersuchen. Die diesbezügliche Therapiehoheit obliege dem jeweils behandelnden Vertragsarzt. Er entscheide, welche Diagnostik und Behandlung als medizinisch notwendige und wirtschaftliche Sachleistung zu Lasten der Beklagten zu erbringen sei. Die Kostenübernahme ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen auf privater Basis scheide aus. Gleiches gelte für die zusätzlichen Untersuchungen des Wohnraums und des Arbeitsplatzes. Derartige Untersuchungen seien im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten. Auf den weiteren Inhalt des Widerspruchsbescheides wird Bezug genommen.

 

Der Kläger hat am 10. Dezember 2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

 

den Bescheid vom 15. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten einer ärztlichen Behandlung zur Feststellung der Ursache seiner Erkrankungen und des Zeitpunkts der Entstehung der Erkrankungen sowie einer Wohnraum- und Arbeitsplatzuntersuchung antragsgemäß zu übernehmen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf die Gründe des angefochtenen Bescheides verwiesen.

 

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2020 abgewiesen. Das Begehren des Klägers sei nach den vorgelegten Unterlagen dahingehend zu bestimmen, dass sich die Klage gegen den vorgelegten Widerspruchsbescheid und den diesem zugrunde liegenden Bescheid richte. Die Beklagte habe den Antrag zu Recht abgelehnt. Die von den Krankenkassen den Versicherten zu gewährenden Leistungen seien abschließend in § 11 SGB V aufgeführt und in den §§ 20 bis 52 SGB V konkretisiert. Die vom Kläger begehrte Übernahme der Kosten für die Erstellung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand gehöre nicht dazu. Ein Anspruch folge auch nicht aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V. Die Beklagte habe zwar nicht fristgerecht über den Antrag entschieden. Allerdings liege die Leistung offensichtlich außerhalb der Grenzen des Leistungskatalogs der GKV.  Auf den weiteren Inhalt der Entscheidungsgründe wird verwiesen.

 

Gegen den ihm am 8. Februar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 11. Februar 2020 eingelegte Berufung des Klägers.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 6. Februar 2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 zu verurteilen, die Kosten einer ärztlichen Behandlung zur Feststellung der Ursache seiner Erkrankungen und des Zeitpunkts der Entstehung der Erkrankungen sowie einer Wohnraum- und Arbeitsplatzuntersuchung antragsgemäß zu übernehmen.

 

Die Beklagte nimmt auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug und beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Mit Beschluss vom 17. September 2020 hat der Senat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 den Rechtsstreit dem Berichterstatter zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Über die Berufung des Klägers kann der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Es liegt ein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Der Senat hat die Übertragung - nach vorheriger Anhörung des Klägers - nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen (Beschluss vom 2. Dezember 2020). Es handelt sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Verfahren, das keine Fragen aufwirft, die einer Mitwirkung der vollen Richterbank des Senats (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGG) bedürfen (zu diesem Ermessenskriterium u.a. Frehse in: Jansen, SGG, 4. Auflage, 2012, § 153 Rn. 49; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, 2020, § 153 Rn. 25a).

Der Senat kann in Abwesenheit des nicht erschienenen Klägers verhandeln und entscheiden. Der Kläger ist mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, deren Zulässigkeit sich aus dem Regelungsgehalt der §§ 153 Abs. 1, 110, 126 SGG ergibt.

II. Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 10. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019. Dies folgt nach Maßgabe des § 123 SGG für das Klageverfahren daraus, dass sich der Kläger gegen den Bescheid vom 10. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 wendet, wie das SG zutreffend ausgeführt hat. Dagegen ist ein Bescheid vom 15. Oktober 2019 nach Lage der Akten nicht vorhanden. Unter diesem Datum ist lediglich die Mitteilung der Abgabe an den Widerspruchsausschuss erfolgt. Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger dieses Begehren weiter.

III. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Köln vom 6. Februar 2020 ist zulässig, insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§ 143, 144 SGG).

IV. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger kann eine Aufhebung des Bescheides vom 10. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 nicht verlangen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eine ärztliche Behandlung zur Feststellung der Ursache seiner Erkrankungen und des Zeitpunkts der Entstehung der Erkrankungen sowie eine Wohnraum- und Arbeitsplatzuntersuchung als Sachleistung (dazu unter <1>) oder im Wege der Kostenerstattung (dazu unter <2>) gewährt zu bekommen.

1. Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V). Zwar hat die Beklagte über den streitigen Antrag vom 26. April 2019 nicht binnen 3 Wochen eine Entscheidung getroffen (Bescheid vom 10. September 2019). Allerdings verhilft die Genehmigungsfiktion nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dem Versicherten nicht (mehr) zu einem vom materiellen Recht losgelösten Sachleistungsanspruch. Vielmehr vermittelt die Genehmigungsfiktion, sofern ein materieller Anspruch auf die begehrte Leistung besteht, dem Versicherten das vorläufige Recht auf Selbstbeschaffung dieser Leistung zu Lasten der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 RBSGE 130, 200 ff., SozR 4-2500 § 13 Nr. 53, Rn. 30). Aus der Regelung folgt daher ausschließlich ein Kostenerstattungsanspruch (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R –, BSGE 130, 200 ff., SozR 4-2500 § 13 Nr. 53, Rn. 30), der ausnahmsweise (im Fall der Gutgläubigkeit) auch dann bestehen kann, wenn es an einem materiellem Sachleistungsanspruch mangelt (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R –, BSGE 130, 200 ff., SozR 4-2500 § 13 Nr. 53, Rn. 22). Zugunsten des Versicherten kommt die Genehmigungsfiktion daher nicht in Betracht, wenn – wie hier – eine zukünftige Leistung in Form einer Kostenübernahme als Sachleistung begehrt wird (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021 – B 1 KR 22/20 R – juris, Rn. 19).

V. Die Kostenentscheidung folgt §§ 183, 193 SGG.

VI. Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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