L 37 SF 71/22 EK SO

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 71/22 EK SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 4/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§§ 198 ff. GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV)

 

Etwaige in der Zeit zwischen März und Mai 2020 aufgetretene Phasen der gerichtlichen Inaktivität stellen regelmäßig keine dem Staat zuzurechnenden Verzögerungszeiten dar (Anschluss an BFH, Urteil vom 27.10.2021 – X K 5/20 – juris, Rn. 34 ff.). Für diesen Zeitraum ist regelmäßig davon auszugehen, dass Verzögerungen der Corona-Pandemie geschuldet sind, ohne dass sich dies unmittelbar den Akten entnehmen lassen muss. Dies gilt gleichermaßen für Verzögerungen, die im Sitzungsbetrieb aufgetreten sind, wie für solche im allgemeinen Geschäftsablauf.

 

Für Phasen der gerichtlichen Inaktivität ab Juni 2020 kann sich der Beklagte nicht mehr darauf berufen, dass diese auf Ursachen beruhen, die er weder beeinflussen kann noch sonst zu verantworten hat.

 

Geht es in dem eine unangemessene Dauer aufweisenden streitgegenständlichen Ausgangsverfahren letztlich allein um die Übernahme der außergerichtlichen Kosten eines Widerspruchsverfahrens kommt diesem eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu und kann es angemessen sein, den in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgesehenen Regelbetrag zu halbieren. 

Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 146 SO 174/20 geführten Verfahrens in Höhe weiterer mindestens 600,00 € zzgl. Zinsen. Dem abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Am 02. Februar 2020 erhob die bereits damals durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin vor dem Sozialgericht B eine Untätigkeitsklage und begehrte die Verurteilung des Landes Berlin zur Bescheidung ihres Widerspruchs vom 26. September 2019 gegen den Bescheid vom 17. September 2019, mit dem die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe (Grundsicherung im Alter) aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse abgelehnt worden war. Zugleich beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

 

Am 06. Februar 2020 bestätigte das Sozialgericht den Klageeingang und forderte eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an, die am 11. Februar 2020 übersandt wurde. Am 28. Februar 2020 ging beim Sozialgericht die Klageerwiderung ein, in der der damalige Beklagte darauf verwies, dass ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. September 2019 nicht aktenkundig sei, im Übrigen aber auch dem materiellen Begehren bereits durch Bescheid vom 10. Dezem­ber 2019 entsprochen worden sei. Mit besagtem Bescheid hatte er der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Juni 2019 bis zum 31. Mai 2020 bewilligt.

 

Am 05. März 2020 übersandte das Gericht dem Bevollmächtigten den besagten Bescheid und wies darauf hin, dass für eine Untätigkeitsklage kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen dürfte. Mit zehn Tage später eingehendem Schriftsatz des Bevollmächtigten wurde an der Klage und der Behauptung, Widerspruch eingelegt zu haben, festgehalten und die unterbliebene Kostenentscheidung durch den dortigen Beklagten gerügt. Unter dem 31. März 2020 verfügte die Registratorin beim Sozialgericht B eine Wiedervorlage für den 28. April 2020 mit dem Hinweis "Corona".

 

Am 05. Juni 2020 übersandte die Geschäftsstelle dem dortigen Beklagten auf richterliche Verfügung vom 28. Mai 2020 den Schriftsatz vom 15. März 2020 zur Stellungnahme. Intern wurde eine Frist von sechs Wochen gesetzt. Mit am 08. Juni 2020 eingehendem Schreiben bestritt der dortige Beklagte weiterhin den Eingang eines Widerspruchs, sodass er auch keine Kostenentscheidung zu treffen gehabt habe. Dieser Schriftsatz wurde dem Bevollmächtigten auf richterliche Verfügung vom 10. Juni 2020 am 24. August 2020 verbunden mit der Aufforderung übersandt anzugeben, an welche Faxnummer der Widerspruch geschickt worden sei. Zugleich wurde bei den damaligen Beteiligten angefragt, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe. Noch am selben Tag verwies der Bevollmächtigte darauf, den Widerspruch über den elektronischen Rechtsverkehr zugestellt zu haben. Zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung äußerte er sich nicht, woraufhin das Gericht am 26. Oktober 2020 diesbezüglich nochmals nachfragte. Es wurde sodann umgehend das - vom damaligen Beklagten bereits Ende August 2020 erteilte - Einverständnis erklärt.

 

Nachdem der Bevollmächtigte am 23. Dezember 2021 Verzögerungsrüge erhoben hatte, verurteilte das Sozialgericht B mit – ohne mündliche Verhandlung ergangenem - Urteil vom 25. März 2022 den damaligen Beklagten zur Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 17. September 2019 und zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Das Urteil wurde den Beteiligten jeweils am 14. April 2022 zugestellt.

 

Am 19. April 2022 hat die Klägerin einen isolierten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt und einen Klageentwurf vorgelegt, der auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 1.400,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gerichtet war. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das Sozialgericht im April und Mai, Juli sowie September 2020 und von November 2020 bis einschließlich Februar 2022 (20 Kalendermonate) untätig geblieben sei. Unter Berücksichtigung der dem Gericht zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von sechs Monaten stehe ihr in dem durchaus überschaubaren Untätigkeitsklageverfahren eine Entschädigung mindestens in der geltend gemachten Höhe zu.

 

Der jetzige Beklagte hat daraufhin unter dem 25. Mai 2020 eine Entschädigung in Höhe von 800,00 € anerkannt und die Auffassung vertreten, dass ein weitergehender Entschädigungsanspruch nicht bestehe. Von den geltend gemachten 20 Kalen­dermonaten der gerichtlichen Inaktivität seien dem Land zwölf nicht zuzurechnen, sodass die entschädigungspflichtige Verzögerung nur acht Monate betrage. Denn für die Zeiträume von April bis Juli 2020 und Januar sowie Februar 2021 sei zu beachten, dass es pandemiebedingt zu einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Richterinnen und Richter gekommen sei und diese Zeiten ihm nicht als Verzögerung zuzurechnen seien. Im Übrigen könne der Monat September 2020 auch nicht als Inaktivitätsmonat gewertet werden.

 

Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 29. Juli 2022 Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gewährt, soweit mit dieser eine Entschädigung in Höhe weiterer 600,00 € begehrt wird. Dabei ist er davon ausgegangen, dass das Ausgangsverfahren tatsächlich – abzüglich einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von sechs Monaten - im Umfang von 14 Kalendermonaten entschädigungsrelevant verzögert sein könnte, eine diesbezügliche abschließende Entscheidung jedoch ebenso der Hauptsache vorbehalten bleiben müsse wie die Frage, ob der Klägerin tatsächlich eine Entschädigung in Geld zustehe und nicht vielmehr eine Wiedergutmachung auf sonstige Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG als ausreichend anzusehen sei.

 

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 03. August 2022 hat die Klägerin noch am selben Tag Entschädigungsklage erhoben und eine Entschädigung in Höhe weiterer mindestens 600,00 € zzgl. Zinsen begehrt.

 

 

 

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 146 SO 174/20 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe weiterer mindestens 600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Der Beklagte, dem die Klage am 18. August 2022 zugestellt worden ist, beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er meint, dass der Klägerin keine weitergehende Entschädigung zustehe. Tatsächlich sei es zwar in 20 Monaten – nicht indes im September 2020 - zu gerichtlicher Inaktivität gekommen. Hiervon seien ihm jedoch zwölf nicht zurechenbar. Es handele sich hierbei zum einen um die sechsmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit, die dem Gericht zugestanden habe, zum anderen um die Monate April bis Juli 2020 und Januar sowie Februar 2021 im Hinblick auf die Corona-Pandemie. Der Entschädigungsanspruch setzte nach den Erwägungen des Gesetzgebers ein hoheitliches Verhalten voraus. Die Umstände, die zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer geführt haben, müssten mithin innerhalb des staatlichen bzw. des dem Staat zurechenbaren Einflussbereichs liegen. Bei der Pandemie habe es sich um ein von außen auf die Gerichte und die Beteiligten einwirkendes und in seiner konkreten Form, und Wirkung nicht vorhersehbares beispielloses Ereignis gehandelt. Von einem Organisationsverschulden könne daher keine Rede sein. Im Rahmen des Lockdowns habe der Gerichtsbetrieb nicht im üblichen Umfang aufrechterhalten werden können. Das Sozialgericht hätte seinen Notbetrieb vor Ort seinerzeit auf die Bearbeitung von Eilfällen beschränkt. Die vom Präsidenten des Sozialgerichts getroffenen Einschränkungen des Gerichtsbetriebs stellten sich als Teil der von den staatlichen Stellen für alle Lebensbereiche getroffenen pandemiebedingten Schutzmaßnahmen dar, um das Infektionsgeschehen zum Schutz der Mitarbeitenden, der Rechtsuchenden und der Besucherinnen und Besucher des Gerichts einzuschränken.

 

Mit Schreiben vom 10. und 24. August 2022 haben die Beteiligten sich jeweils mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 10.  bzw. 24. August 2022 ihr Einverständnis erteilt hatten.

 

Die Klage ist zulässig, nicht jedoch begründet.

 

A.      Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 146 SO 174/20 geführten Verfahrens gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Nachdem den Beteiligten des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens das Urteil vom 25. März 2022 jeweils am 14. April 2022 zugestellt worden war, hat die Klägerin fünf Tage später einen isolierten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Entschädigungsklage gestellt. Letztere hat sie noch am Tag der Zustellung des stattgebenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses am 03. August 2022 erhoben.

 

Auch steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, dass die Klägerin mit dieser die Höhe der - ihr nach ihrer Ansicht für weitere sechs Monate zustehenden - Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt und insoweit lediglich eine Mindestforderung in Höhe des gesetzlich vorgesehenen Pauschbetrages von monatlich 100,00 € gefordert hat. Jedenfalls für diese Fallkonstellation ist es nach übereinstimmender Auffassung der Bundesgerichte, der der Senat sich anschließt, zulässig, eine Mindestforderung zu formulieren (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2018 – B 10 ÜG 4/16 R – Rn. 14, BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 – Rn. 56, BVerwG, Urteil vom 26.02.2015 – 5 C 5/14 D – Rn. 15 sowie BFH, Urteile vom 12.07.2017 – X K 3-7/16 – Rn. 27 und vom 29.11.2017 – X K 1/16 – Rn. 23, alle zitiert nach juris).

 

B.      Die sich unter Berücksichtigung des § 200 Satz 1 GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Berlin richtende Entschädigungsklage ist indes nicht begründet.

 

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung für einen immateriellen Nachteil in Höhe von noch mindestens 600,00 €, nachdem der Beklagte noch vor Klageerhebung einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 800,00 € anerkannt hatte. Zur Überzeugung des Senats steht der Klägerin eine – weitergehende - Entschädigung allerdings nicht zu. Zwar ist das Verfahren in größerem Umfang verzögert als vom Beklagten anerkannt. Indes hat dieser der Klägerin bereits eine höhere als hier angemessene Entschädigung gewährt.

 

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung allerdings nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter schließlich nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

 

I.        An der ordnungsgemäßen Erhebung einer Verzögerungsrüge bestehen vorliegend keine Zweifel. Seitens der Klägerin wurde eine solche am 23. Dezember 2021 an das Gericht herangetragen. Zu diesem Zeitpunkt lag – unabhängig von etwaigen vorangegangenen Verzögerungszeiten – jedenfalls seit fast genau 14 Monaten das beiderseitige Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vor, ohne dass eine Entscheidung ergangen wäre. Es bestand damit objektiv die Befürchtung, das Verfahren könne nicht in der gebotenen Zeit zum Abschluss gebracht werden.

 

II.         Auch weist das Verfahren eine unangemessene Dauer auf und dies in weitergehendem Umfang als vom Beklagten anerkannt.

 

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an.

 

1.         Das streitgegenständliche Verfahren, in dem die Klägerin zwar formal auf Bescheidung eines Widerspruchs geklagt hat, in dem es letztlich aber allein um die Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens ging, war für sie zur Überzeugung des Senats von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Denn die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw. der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 35 und - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 38, vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – Rn. 28 und – B 10 ÜG 7/14 R - Rn. 30 sowie vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 34, alle zitiert nach juris). Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin aus irgendwelchen Gründen ein besonderes Interesse an der schnellen Entscheidung über die Frage hatte, ob der die begehrten Leistungen bewilligende Bescheid des damaligen Beklagten von Amts wegen ergangen war oder auf einen Widerspruch zurückging. Letztlich war damit allein die Frage verbunden, ob der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten sind. Dass sich der Zeitablauf nachteilig auf ihre Verfahrensposition, insbesondere auf das materielle Recht oder auf sonstige geschützte Interessen der Klägerin ausgewirkt hat oder auch nur auszuwirken drohte, wird nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Für die Allgemeinheit hatte das Ausgangsverfahren schließlich ersichtlich keinerlei Bedeutung.

 

Die Schwierigkeit des Verfahrens sowie seine Komplexität sind jeweils als allenfalls durchschnittlich einzustufen.

 

2.    Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen. Dabei sind dem Ausgangsgericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz zwölf Monate betragen, als angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsacheverfahren regelmäßig zudem dann, wenn sie den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 33, 54 f.). Bedeutsam ist dabei, dass das Handeln des Ausgangsgerichts keiner rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen ist und die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber einräumt, wie es das Verfahren gestaltet und leitet (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R - juris, Rn. 36 und vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R –, juris, Rn. 31). Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht daher die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und –gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen, und allein zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 36, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 39, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 43 und – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 42, jeweils zitiert nach juris). Kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich des Rechtsschutzes wegen überlanger Verfahrensdauer ist dabei stets der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).

 

a)        Zu Unrecht meint die Klägerin, dass im September 2020 von gerichtlicher Inaktivität auszugehen sei. Denn Ende August 2020 hatte das Gericht zum einen den Bevollmächtigten aufgefordert anzugeben, an welche Fax-Nummer er den Widerspruch geschickt habe, und hatte zum anderen bei beiden Beteiligten angefragt, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Noch im selben Monat sind dann zwar Schriftsätze sowohl des Bevollmächtigten als auch des damaligen Beklagten eingegangen. Indes hatte sich der Bevollmächtigte darin nicht zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung geäußert, sondern diesbezüglich erst auf eine Nachfrage des Gerichts Ende Oktober 2020 reagiert. Dass das Gericht nicht unmittelbar nach Eingang seines Schreibens Ende August nachgefragt hat, ist nicht als Zeichen von Inaktivität zu bewerten. Im Gegenteil konnte das Sozialgericht davon ausgehen, dass der Bevollmächtigte erst abklären wollte, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Nachdem er sich im Laufe des Septembers 2020 hierzu nicht geäußert hatte, hat das Sozialgericht sodann im Oktober 2020 an die Stellungnahme erinnert.

 

b)        Übereinstimmend und insoweit zu Recht gehen die Beteiligten hingegen davon aus, dass es im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren im November und Dezember 2020 sowie von März 2021 bis Februar 2022, mithin in 14 Kalendermonaten zu Phasen gerichtlicher Inaktivität gekommen ist.

 

c)         Unstreitig ist das Verfahren schließlich in den Monaten April, Mai und Juli 2020 sowie Januar und Februar 2021 nicht betrieben worden. Soweit die Klägerin der Auffassung ist, es handele sich auch diesbezüglich um dem Beklagten anzulastende Verzögerungen, während dieser meint, diese Verzögerungen nicht zu vertreten zu haben, kann ihnen zur Überzeugung des Senats jeweils nur teilweise gefolgt werden. Er geht vielmehr davon aus, dass vorliegend die Monate April und Mai 2020 keine dem Beklagten zuzurechnenden Verzögerungszeiten darstellen, anderes hingegen für die Monate Juli 2020 sowie Januar und Februar 2021 zu gelten hat.

 

Bereits aus § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ergibt sich, dass für die Beurteilung der Verfahrensdauer u.a. das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter in den Blick zu nehmen ist. Anerkannt ist darüber hinaus, dass eine Verlängerung der Verfahrensdauer, die – über das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hinaus – auf anderen Ursachen beruht, die das Gericht weder beeinflussen kann noch sonst zu verantworten hat, keine Entschädigungspflicht auslöst. Außerhalb des staatlichen Verantwortungs- und Einflussbereichs liegende Faktoren sind mithin entschädigungsrechtlich irrelevant (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 2/20 R – juris, Rn. 42). Mit dem Bundesfinanzhof (BFH, Urteil vom 27.10.2021 – X K 5/20 - juris, Rn. 34 ff.) und dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29.06.2021 – OVG 3 A 21/20 – nicht veröffentlicht) geht der Senat davon aus, dass zu Beginn der Corona-Pandemie eingetretene Verzögerungen wertungsmäßig außerhalb des staatlichen Verantwortungs- und Einflussbereichs lagen.

 

Am 11. März 2020 wurde der weltweite Ausbruch der durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung COVID-19 von der Weltgesundheitsorganisation zur Pandemie erklärt. Es handelte sich insoweit um ein außergewöhnliches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielloses Ereignis. Angesichts der Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 10.04.2020 - 1 BvQ 31/20 - juris, Rn. 13) haben der Bund und die Länder ab März 2020 durch Verordnungen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus und zum Schutz der Bevölkerung ergriffen. In den Gerichten kam es in diesem Zusammenhang zur Einrichtung eines Notbetriebs und - jedenfalls auf entsprechende dringende Empfehlungen der Gerichtsleitungen hin – vorübergehend zur (weitgehenden) Einstellung des Sitzungsbetriebs, bis Hygiene- und Schutzkonzepte erstellt und die zur möglichst weitgehenden Vermeidung von Infektionen erforderlichen Maßnahmen umgesetzt waren. Namentlich gehörten hierzu - zur Gewährleistung erforderlicher Mindestabstände und ausreichender Belüftung sowie im Interesse der Vermeidung des Zusammentreffens vieler Personen - räumliche und teils bauliche Anpassungen (z.B. Ausstattung mit Trennwänden) sowohl in den Sitzungssälen als auch in den Geschäftsstellen, bevor der reguläre Betrieb stufenweise wieder aufgenommen werden konnte. Auch wenn die konkreten Maßnahmen letztlich durch die Gerichtsleitungen angeordnet wurden, sind sie wertungsmäßig nicht dem Beklagten anzulasten. Vielmehr stellen sich die - unvorhersehbar erforderlich werdenden - pandemiebedingten Schutzmaßnahmen als unbeeinflussbares Ereignis dar (so auch BFH, Urteil vom 27.10.2021 – X K 5/20 - juris, Rn. 44 ff.). Dem Beklagten kann gerade kein Organisationsverschulden dahin vorgeworfen werden, dass er es versäumt hätte, die Gerichte so auszustatten, dass diese auch im Falle einer pandemischen Lage, die weder in ihrem Eintritt noch in ihren Wirkungen, geschweige denn im Hinblick auf die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft gebotenen Gegenmaßnahmen vorhersehbar war, stets eine uneingeschränkte Rechtspflege sicherstellen können. Dabei ist auch zu beachten, dass staatlichen Stellen bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG vom 19.05.2020 – 2 BvR 483/20 - juris, Rn. 8). Eine Bewertung derartiger Schutzmaßnahmen als mögliche Ursache für eine unangemessene Dauer des Verfahrens i.S.d. § 198 GVG verbietet sich dem Entschädigungssenat. Ebenso scheidet eine an den konkreten Verhältnissen beim jeweiligen Gericht orientierte ex-post-Betrachtung aus, ob die ergriffenen Maßnahmen angemessen waren (vgl. BFH, Urteil vom 27.10.2021 – X K 5/20 - juris, Rn. 49 f.). Dass das Sozialgericht B bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung den ihm zustehenden Spielraum bei der Einschätzung der Gefahrenlage und der Gestaltung der als notwendig erachteten Maßnahmen überschritten hätte, als es den Schutz von Leib und Leben vorübergehend vor das Gebot des zügigen Rechtsschutzes gestellt hat, vermag der Senat nicht zu erkennen.

 

Da es indes dem Gericht und damit dem Staat auch obliegt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit ausreichend Rechnung trägt (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 2/20 R – juris, Rn. 43), kann dies selbstverständlich nur für eine Übergangszeit gelten. Der Senat sieht es insoweit regelmäßig als angemessen an, den Gerichten für die Dauer der ersten Corona-Welle eine dreimonatige Frist einzuräumen, um die im Interesse des Gesundheitsschutzes der Gerichtsangehörigen, aller übrigen Verfahrensbeteiligten und auch Besucherinnen und Besuchern gebotenen Maßnahmen umzusetzen. Er geht daher regelmäßig davon aus, dass etwaige zwischen März und Mai 2020 aufgetretene Verzögerungen, sei es im Sitzungsbetrieb, sei es im allgemeinen Geschäftsablauf, der Corona-Pandemie geschuldet sind, selbst wenn sich dies nicht unmittelbar den Akten entnehmen lässt, und dem Beklagten nicht anzulasten sind (so für den Sitzungsbetrieb auch BFH, Urteil vom 27.10.2021 – X K 5/20 - juris, Rn. 53 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.06.2021 - OVG 3 A 21/20 - nicht veröffentlicht, vgl. auch Urteile des Senats vom 20.01.2023 – L 37 SF 298/21 EK AS – sowie – L 37 SF 83/22 EK R – jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen).

 

Dass vorliegend anderes zu gelten hätte, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes im Ausgangsverfahren sowie der seinerzeit gerade einmal wenige Wochen währenden Rechtshängigkeit dieses Verfahrens nicht zu erkennen. Da es im März 2020 noch zu gerichtlicher Aktivität gekommen war, sind damit hier allein die in den Monaten April und Mai 2020 aufgetretenen Verzögerungen dem Beklagten nicht zuzurechnen. Hingegen fällt es in seinen Verantwortungsbereich, dass die nach Eingang eines Schriftsatzes des damaligen Beklagten am 08. Juni 2020 zwei Tage später gefertigte richterliche Verfügung erst am 24. August 2020 ausgeführt wurde und in den Monaten Januar und Februar 2021 die anstehende Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht getroffen wurde.

 

d)      Dass es darüber hinaus in weiteren Monaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen sein könnte, wird weder geltend gemacht noch ist es sonst ersichtlich.

 

3.      Es ist damit zur Überzeugung des Senats tatsächlich in 17 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen. Abzüglich der den Gerichten nach der Rechtsprechung des Senats für eine Untätigkeitsklage zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von sechs Monaten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.06.2021 – L 37 SF 271/19 EK AS – Rn. 49 f., juris) weist das streitgegenständliche Verfahren damit eine Überlänge von elf Monaten auf. Hierdurch hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

 

4.    Davon, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG), ist der Senat letztlich nicht überzeugt. Eine derartige Kompensation kommt unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK nur ausnahmsweise in Betracht, dann nämlich, wenn das zu beurteilende Verfahren sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (BSG Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – Rn. 36, juris). Dies kann der Fall sein, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat (BSG Urteile vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL - Rn. 45, vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 52 und – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 59, vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 36 und – B 10 ÜG 7/14 R – Rn. 43 sowie vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40 und Beschluss vom 11.11.2019 – B 10 ÜG 1/19 B – Rn. 8 f. m.w.N., alle zitiert nach juris). Weiter kann dafür bedeutsam sein, ob der Entschädigungskläger weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat, ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt, ob etwaige durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile das Gewicht der erlittenen Nachteile aufwiegen, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder diese zwischenzeitlich entfallen war oder ob sich das Ausgangsgericht in besonderem Maße unkooperativ bzw. uneinsichtig verhalten hat (BSG, Beschluss vom 11.11.2019 – B 10 ÜG 1/19 B – Rn. 8 m.w.N., Urteil vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40 jeweils zitiert nach juris). Insbesondere in den Verfahren, in denen Kostenfragen betreffende oder vorbereitende Nebenentscheidungen zu treffen sind, ist dabei klar zwischen den Interessen der Beteiligten und denen ihrer Rechtsanwälte zu unterscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 41, 43, juris). Vorliegend ist dem streitgegenständlichen Ausgangsverfahren – wie oben ausgeführt – zwar eine nur unterdurchschnittliche Bedeutung zuzusprechen, da es – eingekleidet in eine Untätigkeitsklage - gerade nicht um die Gewährung von Grundsicherungsleistungen, sondern allein um die Erstattung der außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren ging. Mangels konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin tatsächlich keiner Kostenlast ausgesetzt war, ist indes davon auszugehen, dass ihr für das Widerspruchsverfahren Kosten entstanden sind, die für einen Empfänger von Grundsicherungsleistungen durchaus relevant sind.

 

5.    Allerdings geht der Senat davon aus, dass vorliegend zwar eine Entschädigung in Geld (noch) erforderlich, indes eine Halbierung des in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgesehenen Pauschalbetrages angemessen ist.

 

§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG eröffnet die Möglichkeit der Absenkung des Pauschbetrages nur für Ausnahmefälle. Das zu beurteilende Verfahren muss sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 39, vgl. auch Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 51 f., alle zitiert nach juris). Berücksichtigungsfähig sind insoweit etwa eine außergewöhnlich geringe Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen oder aber auch eine nur kurzzeitige Verzögerung (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 39, juris). Gemessen daran hält der Senat mit Blick auf die unterdurchschnittliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens sowie mangels irgendwelcher Anhaltspunkte dafür, dass dessen Dauer für die Klägerin mit Nachteilen verbunden gewesen sein könnte, die über die vom Gesetz allein aufgrund der unangemessenen Verfahrensdauer vermuteten hinausgehen, eine Absenkung der monatlich zu gewährenden Entschädigung auf 50,00 € für angemessen.

 

Der Klägerin steht damit zu seiner Überzeugung zum Ausgleich des erlittenen immateriellen Nachteils bei einer für elf Monate zu gewährenden Entschädigung eine solche in Höhe von 550,00 € zu. Indes ist hier zu beachten, dass der Beklagte der Klägerin bereits eine Entschädigung in Höhe von 800,00 € gewährt hat. Ihr Anspruch ist damit (mehr als) erfüllt.

 

C.   Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

D.      Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG und § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved