L 9 U 1606/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 803/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1606/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. März 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger wegen einer als Berufskrankheit (BK) nach Ziff. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV, im Folgenden: BK 3102) anerkannten Borrelioseinfektion Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat.

Der 1955 geborene Kläger erlitt im Frühsommer 2012 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Vermessungstechniker beim Amt für Flurneuordnung des Landkreises W-T bei der Vermessung landwirtschaftlicher Grundstücke am Waldrand mehrere Zeckenbisse. Gegenüber der Beklagten gab der Kläger auf dem „Fragebogen Borreliose“ an, den ersten Zeckenbiss am 27.03.2012 und einen zweiten Zeckenbiss am 20.06.2012 bemerkt zu haben. Weitere Zeckenbisse habe er am 21.06. und 27.06.2012 bemerkt. Seit Ende April bzw. Anfang Juni habe er Kopf- und Gliederschmerzen, Schwindel, Gelenkschmerzen und Muskelschmerzen sowie starke Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme. Diese hätten sich dann weiter verstärkt.

Am 16.07.2012 stellte sich der Kläger wegen anhaltendem Juckreiz im Bereich eines Zeckenbisses beim Durchgangsarzt R vor, der die Erstdiagnose Borreliose mit neurologischer Störung/Meningitis stellte und eine stationäre Behandlung veranlasste. Diese wurde vom 16.07. bis 20.07.2012 im Spital S durchgeführt. Im Bericht vom 20.07.2012 wurde der Verdacht auf eine Neuroborreliose mit Wortfindungsstörung/Konzentrationsstörungen und eine leichte frontale Cephalie geäußert. Die stationäre Aufnahme sei aufgrund der neurologischen Symptomatik (Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, verminderte cerebrale Leistungsfähigkeit, Vergesslichkeit) im Zusammenhang mit einer bereits antibiotisch anbehandelten Verdachtsdiagnose einer Borreliose erfolgt. Die Serologie habe den Befund eines positiven IgM-Antikörpertiters erbracht, sodass eine stattgehabte Infektion anzunehmen sei. Der Negativbefund für Borreliose-spezifische IgM-Antikörper spreche nicht zwingend gegen eine aktive Erkrankung, sodass die antibiotische Therapie mittels Ceftriaxon zunächst fortgeführt worden sei. Die Liquoruntersuchung habe keinen pathologischen Befund erbracht, im MRT Schädel habe es jedoch Hinweise für eine mögliche Meningitis gegeben. Hinweise für eine andere virale oder bakterielle Infektion des Cerebrums hätten sich nicht ergeben. Die Gedächtnisstörungen hätten während des stationären Aufenthalts weiterhin bestanden, sodass eine neurologische Vorstellung und ggf. eine Kontaktaufnahme zur „Memory-Ambulanz“ des Universitätsklinikums F empfohlen worden sei. Bei ansonsten klinisch unauffälligem neurologischem Befund und ohne meningitische Zeichen sei der Kläger entlassen worden.

Zur weiteren Diagnostik bei vermehrten Konzentrationsstörungen, verminderter körperlicher Belastbarkeit und rascher Ermüdbarkeit wurde der Kläger vom 18.09. bis 21.09.2012 stationär in den Kliniken S1 A behandelt. In den Abschlussberichten vom 08.10.2012 wird ausgeführt, in der neurokognitiven Testung hätten noch deutliche Einschränkungen der Aufmerksamkeit und Konzentration im Sinne einer reduzierten Aufmerksamkeitsaktivierung sowie einer raschen Überforderung bei komplexeren und insbesondere auch zeitkritischen Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit bestanden. Das Schädel-MRT vom 20.09.2012 und ein EEG hätten unauffällige Befunde ergeben. Eine Neuroborreliose sei liquordiagnostisch ausgeschlossen worden. Diagnostiziert wurden kognitive Funktionseinschränkungen sowie ein Zustand nach Meningoenzephalitis unklarer, am ehesten viraler Genese.

Der Kläger befand sich außerdem in Behandlung bei der Fachärztin F1, die in ihrem Befundbericht vom 23.08.2012 die Diagnosen postenzephalitisches Syndrom und Zustand nach Neuroborreliose angab und ausführte, das aktuelle Beschwerdebild passe gut zu einem postenzephalitischen Syndrom. Inwieweit es sich tatsächlich um eine Borrelieninfektion gehandelt habe, sei nicht sicher belegt, da die Liquordiagnostik nach begonnener Antibiose falsch negativ sein könne. Vom 10.10. bis 31.10.2012 befand sich der Kläger in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik K, aus der er mit den Diagnosen Verdacht auf abgelaufene Neuroborreliose, Lyme-Krankheit 08/2012, postenzephalitisches Syndrom mit verbliebenen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und eingeschränktem Reaktionsvermögen, Stevens-Johnson-Syndrom nach antibiotischer Ly.-Behandlung mit Ceftriaxon 07/2012, Polyarthralgien sowie einem degenerativen HWS- und LWS-Syndrom arbeitsunfähig entlassen wurde (Entlassungsbericht vom 08.11.2012).

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei H vom 15.03.2013 ein, der ausführte, der Kläger habe mit hoher Wahrscheinlichkeit im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine Borrelieninfektion erlitten. Im Juli 2012 habe serologisch das Bild einer bereits älteren Borrelieninfektion vorgelegen, eine Neuroborreliose im engeren Sinne sei durch Liquorpunktion aber ausgeschlossen worden. Es habe sich weder eine Zellzahlerhöhung noch ein Nachweis spezifischer Antikörper im Liquor gefunden, so dass die kognitiven Beeinträchtigungen und neurologischen Symptome nicht mit der Borreliose erklärbar seien. Die S1 Klinik A habe zwar Hinweise auf eine abgelaufene Meningitis gesehen, aber keine Neuroborreliose. Ob die Meningitis als BK anerkannt werden könne, sei mangels Erregernachweis praktisch nicht zu beantworten, es könne aber sicher gesagt werden, dass keine Neuroborreliose im engeren Sinne vorgelegen habe. Bezüglich der Serumborreliose sei mit Ceftriaxon eine qualifizierte Therapie erfolgt.

Vom 17.06. bis 20.06.2013 befand der Kläger sich erneut in stationärer Behandlung in den Kliniken S1 A; im Entlassungsbericht vom 26.06.2013 wurden die Diagnosen Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörung im Rahmen einer psychogenen Störung, Zustand nach Borrelien-Infektion, anamnestisch Zustand nach Meningoenzephalitis 06/2012 und Kopfschmerzen angegeben.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch D, der in seinem Gutachten vom 29.08.2013 unter Berücksichtigung eines testpsychologischen Zusatzgutachtens von S2 vom 29.08.2013 ausführte, es liege ein Zustand nach Borrelieninfektion vor. Eine Neuroborreliose und eine borrelienbedingte Erkrankung im engeren Sinne seien bei dem Kläger nicht festzustellen. Aus neurologischer Sicht sei weder das typische klinische Bild einer Neuroborreliose mit Hirnnervenausfällen, Meningitis/Meningoradikulitis oder fokalneurologischen Ausfällen aufgetreten noch hätten sich im Liquor Entzündungszeichen oder Hinweise auf eine Neuroborreliose gefunden. Aufgrund des Liquorbefundes sei auch eine Enzephalitis nicht wahrscheinlich zu machen, da auch dann ein entzündliches Liquorsystem nachweisbar gewesen wäre. Im Rahmen der durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen hätten sich zudem Hinweise für das Vortäuschen von Merkfähigkeitsstörungen sowie Anhaltspunkte für ungenügende Mühewaltung und Aggravation gefunden.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 16.10.2013 die beim Kläger bestehende Borrelieninfektion als BK 3102 an. Ein Anspruch auf Rente wegen dieser BK bestehe nicht. Als wesentliche Folgen der BK werde eine „nach prophylaktischer, vierwöchiger antibiotischer Behandlung mit Ceftriaxon im Juli 2012 folgenlos ausgeheilte Borrelioseinfektion nach Zeckenbiss mit vorübergehender Unverträglichkeit bzw. allergischer Reaktion mit Entwicklung eines bullösen Exanthems, welches ebenfalls ausgeheilt ist“ anerkannt. Die neurologischen Beschwerden unklarer Genese, die auch nach Beendigung der Antibiotikatherapie und der damit erfolgten Ausheilung fortbestünden, seien nicht als Folgen der BK anzuerkennen.

Zur Begründung seines hiergegen am 04.11.2013 eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Borrelioseinfektion sei nicht folgenlos ausgeheilt, sondern habe gravierende neurologische Erkrankungen verursacht, die einen Rentenanspruch nach einer MdE von mindestens 20 v.H. begründeten. Die vom Sachverständigen vermuteten Simulations- und Aggravationstendenzen lägen nicht vor. Die behandelnden Ärzte hätten keine Zweifel daran, dass er an Konzentrationsstörungen leide. Auch seien im Gutachten die starken Gelenkschmerzen nicht berücksichtigt worden.

Die Beklagte holte ergänzende Stellungnahmen von D vom 12.05.2014 und von H vom 11.11.2014 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 zurück. Die gutachterlichen Ausführungen des D in Verbindung mit der Auswertung des Beratungsfacharztes H seien nachvollziehbar, schlüssig und überzeugend.

Hiergegen hat der Kläger am 24.02.2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und vorgetragen, die tatsächlich bestehenden erheblichen gesundheitlichen Probleme seien ursächlich auf die anerkannte BK 3102 zurückzuführen und führten zu einer rentenberechtigenden MdE. Soweit eine Neuroborreliose durch die Liquoruntersuchung ausgeschlossen werde, werde darauf hingewiesen, dass diese erst durchgeführt worden sei, nachdem der Kläger mindestens drei Wochen lang intravenös Antibiotika erhalten habe. Allein dies dürfte die Ursache dafür sein, dass sich kein Nachweis eines spezifischen Antikörpers im Liquor finden lasse. Aus dem ersten Bericht der Kliniken S1 gehe hervor, dass FSME-Antikörper nachweisbar gewesen seien. Auch im Bericht des Spitals S vom 20.07.2012 finde sich in der Zusammenfassung die Feststellung, dass die Serologie den Befund eines positiven IgG-Antikörpertiters erbrachte, sodass eine stattgehabte Infektion angenommen werden könne. Der Negativbefund für borreliosespezifische IgM-Antikörper spreche nicht zwingend gegen eine aktive Erkrankung. Ergänzend hat der Kläger Berichte von H1, Universitätsklinik F, vom 04.05.2015, die eine leichte kognitive Störung im Rahmen eines postenzephalitischen Syndroms nach Neuroborreliose 2012 diagnostizierte, und von B vom 16.01.2015, die die Diagnose Verdacht auf kognitive Funktionseinschränkungen (Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen) bei Zustand nach Meningoenzephalitis nicht gesicherter Ätiologie (Verdacht auf Neuroborreliose) stellte, vorgelegt. Ferner hat er den Bericht der Schwarzwaldklinik K vom 27.05.2014 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 22.04.2014 bis 27.05.2014 (Diagnosen: Verdacht auf abgelaufene Neuroborreliose (Lyme-Krankheit), postenzephalisches Syndrom mit Konzentrations-/Gedächtnisstörungen und eingeschränktem Reaktionsvermögen, Polyarthralgie, degenerative HWS- und LWS-Beschwerden, Stevens-Johnson-Syndrom nach Antibiose mit Ceftriaxon) zu den Akten gereicht.

Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen von O vom 07.01.2018 und 30.07.2018 vorgelegt.

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme zunächst ein Gutachten bei C eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 07.01.2016 in seinem Gutachten vom selben Tag ausgeführt hat, bei dem Kläger liege ein Zustand nach Borrelieninfektion vor, die folgenlos ausgeheilt sei. Eine MdE aufgrund der BK habe nicht bestanden und bestehe nicht, die serologisch nachgewiesene Borrelieninfektion sei nach adäquater Therapie durch antibiotische Behandlung über vier Wochen folgenlos ausgeheilt. Eine Borrelieninfektion, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Rahmen der beruflichen Tätigkeit eingetreten sei, sei anhand der gut dokumentierten Borrelienserologie anzunehmen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Zeitraum Frühsommer 2012 zu datieren. Eine Beteiligung des Nervensystems im Sinne einer Neuroborreliose könne nicht festgestellt werden. Ein umschriebenes und objektivierbares neurologisches Defizit habe sich zu keinem Zeitpunkt gefunden, weder im Sinne einer Hirnnervenbeteiligung oder einer Nervenwurzelentzündung noch im Sinne einer Hirnhautentzündung oder einer Hirnentzündung. Damit vereinbar hätten beide Nervenwasseruntersuchungen einen unauffälligen Befund ergeben. Die diagnostischen Kriterien einer möglichen, wahrscheinlichen oder gesicherten Neuroborreliose seien nicht erfüllt. Die geklagten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen seien in diesem Rahmen organisch nicht zu begründen. In Übereinstimmung mit der Einschätzung von H bestehe keine Beteiligung des Nervensystems im Sinne einer Neuroborreliose und habe auch nicht bestanden. In Abweichung zur Einschätzung von D gehe er von einer Borrelieninfektion im Sommer 2012 aus, in Übereinstimmung mit dessen Einschätzung ergäben sich aber auch bei der aktuellen Untersuchung keine Hinweise auf eine Neuroborreliose. Hinweise auf eine bewusste Simulation hätten sich bei der Untersuchung der Hirnleistungsfähigkeit nicht ergeben, entsprechend sei aktuell in der neuropsychologischen Testung auch ein Normalbefund erreicht worden. An seiner Einschätzung hat der Gutachter auch in einer aufgrund von Einwänden des Klägers eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 23.03.2016 festgehalten.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG dann ein Gutachten bei B1 eingeholt. In seinem Gutachten vom 20.09.2017 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 01.09.2017 hat der Gutachter ausgeführt, bei dem Kläger bestehe seit Juli 2012 wegen einer Lyme-Borreliose und einer Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium durchgehend eine Erwerbsunfähigkeit von 100 %. Die MdE resultiere im Wesentlichen aus den erheblichen kognitiven Störungen, einem ausgeprägten Fatigue, starken Muskelskelettschmerzen und einer Paraparese mit einer Gehdistanz von einem Kilometer. Sämtliche Symptome bestünden seit Krankheitsbeginn, d.h. seit Juni 2012, nur die Paraparese sei erst im August 2017 aufgetreten. Unabhängig von der Paraparese bestehe die MdE von 100 aber seit Juli 2012. An seiner Einschätzung hat er in einer aufgrund von Einwänden von O eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 09.05.2018 festgehalten.

Mit Urteil vom 26.03.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente lägen nicht vor, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers infolge der BK nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei.
Über die bereits mit Bescheid vom 16.10.2013 anerkannte folgenlos ausgeheilte Borrelioseninfektion hinaus lasse sich keine Gesundheitsstörung feststellen, die mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch die anerkannte BK 3201 bedingt sei. Insbesondere seien die durch den Kläger geltend gemachten neurologischen Beschwerden nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die BK 3201 zurückzuführen. Eine Neuroborreliose sei beim Kläger nicht nachgewiesen worden. Insoweit folge das SG den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen C in seinem Gutachten vom 07.01.2016. Dieser habe eine Beteiligung des Nervensystems im Sinne einer Neuroborreliose nicht feststellen können. Ein umschriebenes und objektivierbares neurologisches Defizit habe sich zu keinem Zeitpunkt gefunden, weder im Sinne einer Hirnnervenbeteiligung oder einer Nervenwurzelentzündung noch im Sinne einer Hirnhautentzündung oder Hirnentzündung. Damit vereinbar hätten auch beide Nervenwasseruntersuchungen (im Juli und September 2012) einen unauffälligen Befund ergeben. Insgesamt habe der Sachverständige die diagnostischen Kriterien einer möglichen, wahrscheinlichen oder gesicherten Neuroborreliose als nicht erfüllt angesehen. Zudem habe C ausgeführt, dass die geklagten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen organisch nicht zu begründen seien. In Anbetracht der Vorgeschichte bzw. der Vorbefunde müsse eine wesentliche funktionelle Komponente angenommen werden. Wiederholt seien nach umfassenden testpsychologischen Testungen bewusstseinsnahe Mechanismen diskutiert worden. Im Juni 2013 habe sich im Demtect-Test ein hochgradig pathologischer Befund mit Demenzverdacht ergeben, bei der aktuellen Untersuchung eine altersmäßige kognitive Leistung. Eine derart fluktuierende Hirnleistungsfähigkeit wäre durch eine anhaltende Hirnschädigung nach einer Borrelieninfektion des zentralen Nervensystems nicht zu erklären. Das Ergebnis stehe in erheblicher Diskrepanz zu den vorgetragenen Beeinträchtigungen. Das Gutachten von C sei in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Es lasse erkennen, dass sich der Gutachter mit der hier entscheidungserheblichen Fragestellung sehr sorgfältig befasst habe. Er habe sodann, hierauf beruhend, seine Schlussfolgerungen in logisch nachvollziehbarer und somit nicht zu beanstandender Art und Weise dargelegt. Im Wesentlichen stimmten die Ausführungen des C auch mit denen des D überein, der im Verwaltungsverfahren ein Gutachten erstattet habe, das im gerichtlichen Verfahren als Urkunde verwertbar sei. Auch D habe keinen Hinweis auf eine Neuroborreliose, weder eine typische klinische Symptomatik noch einen entsprechenden Liquorbefund, gefunden. Die Aussagen von C und D stünden auch im Einklang mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Nach der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie „Neuroborreliose“ (ABMF-Registernummer: 030/071, gültig bis 12.04.2021, abrufbar unter www.dgn.org) liege eine gesicherte Neuroborreliose nur unter folgenden Voraussetzungen vor: Typisches klinisches Bild (Hirnausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, fokale neurologische Ausfälle), borrelienspezifische IGG-und/oder IGM-Antikörper im Serum, entzündliches Liquorsyndrom mit lymphozytärer Gliozystose, Blut-Liquor-Schrankenstörung und intrathekaler Immunglobulinsynthese, intrathekale Synthese borrelienspezifische Antikörper im Liquor oder positiver kultureller oder Nukleinsäurennachweis im Liquor und Ausschluss anderer Ursache für die vorliegende Symptomatik. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht nachgewiesen. Das SG habe sich daher den Ausführungen des B1 in seinem Gutachten vom 20.09.2017 nicht anzuschließen vermocht. Seine Diagnosen einer Lyme-Borreliose im Spätstadium sowie einer Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium seien ebenso wenig hinreichend begründet wie die Annahme einer MdE von 100 v.H. B1 habe sich zur Begründung seiner Diagnose ausdrücklich auf die Anamnese, den körperlichen Untersuchungsbefund, medizinisch-technische Untersuchungen und die Differenzialdiagnose gestützt. Insoweit sei festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Anamnese beim Kläger nicht durchgeführt worden sei. Der Gutachter habe zwar ausgeführt, dass die Erhebung der Anamnese wegen offensichtlich erheblicher kognitiver Störungen schwierig sei, lege aber nicht näher dar, worin genau diese Schwierigkeiten bestanden hätten. Im Rahmen der Untersuchung bei C habe dieser entsprechende Schwierigkeiten nicht geschildert. Zwar habe er ausgeführt, dass der Kläger zeitweise nach Worten gesucht habe, im Übrigen aber wach und bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten voll orientiert gewesen sei und ausführliche Angaben zur Vorgeschichte habe machen können. Anhaltspunkte dafür, dass die Anamnese schwierig gewesen sei, ergäben sich hieraus nicht. Die dann von B1 durchgeführte „objektive Anamnese“ unter Einbeziehung der Inhalte wesentlicher Arztbriefe sei zudem nicht nachvollziehbar, da nicht erkennbar sei, welche Informationen welchem Arztbrief entnommen worden seien und welche gegebenenfalls doch direkt vom Kläger stammten. Letztlich zähle B1 zur Begründung seiner Diagnosen im Wesentlichen eine Vielzahl von Befunden auf, ohne jedoch näher darzulegen, warum aus diesen Befunden zwingend auf das Vorliegen einer Neuroborreliose zu schließen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum z.B. das hohe Expositionsrisiko für Zeckenbisse oder die seit Juli 2012 durchgehende Arbeitsunfähigkeit für das Vorliegen einer Neuroborreliose sprechen sollten. Auch seien die Ausführungen widersprüchlich, soweit B1 bei den Befunden, die für eine Lyme-Borreliose (gemeint ist wohl die Lyme-Neuroborreliose) sprächen, aufgeführt habe, dass sich im CMRT im Juli 2012 Zeichen einer Meningitis gefunden hätten. An anderer Stelle des Gutachtens lege er nämlich dar, dass eine Meningitis beim Kläger nicht vorgelegen habe, da diese stets mit einem entzündlichen Liquor einhergehe, der jedoch nicht festgestellt worden sei. Im Übrigen beziehe sich B1 auf aus anderen Arztberichten stammende Diagnosen, z.B. den Bericht der Reha-Klinik K, ohne zu hinterfragen, welche Diagnostik dort durchgeführt worden sei. Sofern B1 differenzialdiagnostisch andere Ursachen für die geltend gemachten Beschwerden auszuschließen scheine, fehle auch hierzu jegliche nähere Begründung. Allein der zeitliche Zusammenhang der beim Kläger aufgetretenen Beschwerden und der geschilderten Zeckenstiche im Frühjahr/Frühsommer 2012 lasse die Diagnose einer Neuroborreliose und eines ursächlichen Zusammenhangs der Beschwerden mit der anerkannten BK nicht begründen.

Gegen das ihm am 15.04.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.05.2019 Berufung eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat er vorgetragen, B1 habe auf deutliche und nachvollziehbare Weise die Feststellungen der Vorgutachter widerlegt. Sowohl ein hohes Expositionsrisiko für Zeckenstiche wie auch eine seit Juli 2012 durchgehende Arbeitsunfähigkeit spreche für das Vorliegen einer Lyme-Borreliose, zumal die Beklagte im Falle des Klägers tatsächlich eine BK 3102 anerkannt habe. Soweit dann die Ausführungen von B1 als widersprüchlich dargestellt würden, sei es zunächst richtig, dass unter den Befunden, die für eine Lyme-Borreliose sprächen, am Ende auch „Zeichen einer Meningitis“ im Zusammenhang mit einem MRT aus Juli 2012 angesprochen werden. Hier handle es sich ersichtlich jedoch nur um einen bloßen Verweis auf einen Bericht des Spitals S vom 20.07.2012, der unter der Überschrift „Diagnosen“ tatsächlich mit „Verdacht auf Neuroborreliose“ beginne. Letztlich sei es deshalb nicht widersprüchlich, wenn B1 auf Seite 5 seines Gutachtens darauf hinweise, beim Kläger habe im Rahmen der zwei Liquoruntersuchungen eine Meningitis letztlich ausgeschlossen werden können. Soweit das SG ausführe, es fehle jegliche nähere Begründung dazu, dass B1 differenzialdiagnostisch andere Ursachen für die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden auszuschließen scheine, sei auf die Ausführungen auf Seite 33 des Gutachtens verwiesen, wo sich die Begründung finde. Er hat außerdem einen Befundbericht der B vom 03.08.2021 vorgelegt, die als Diagnose den Verdacht auf Verschlechterung kognitiver Funktionseinschränkungen (Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen) bei Zustand nach postenzephalitischem Syndrom im Kontext einer Neuroborreliose angegeben hat

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. März 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2015 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. ab dem 1. Juni 2012 zu gewähren,

hilfsweise, wie mit Schriftsatz vom 22.03.2021 beantragt, den Sachverständigen B1 in die mündliche Verhandlung zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden und zu den im genannten Schriftsatz aufgeführten Fragen zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das angegriffene Urteil sowie die angefochtenen Bescheide seien weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden. Die Aussagen des C und des D stünden insbesondere im Einklang mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Dagegen überzeugten die Ausführungen des B1 in seinem Gutachten vom 20.09.2017 nicht, da seine Diagnosen einer Lyme-Borreliose im Spätstadium sowie einer Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium sowie die von ihm angenommene MdE von 100 v.H. seit Juli 2012 nicht begründet seien. Ferner hätten anlässlich der testpsychologischen Untersuchung bei S2 am 29.08.2013 keine kognitiven Störungen diagnostiziert werden können. Dieser habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, der Kläger zeige eine simulierte Psychopathologie, indem er Merkfähigkeitsstörungen vortäusche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Sie ist jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente. Gegenstand des Rechtsstreits ist im Rahmen der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen der Folgen der anerkannten BK 3201. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 26.03.2019 ausführlich, zutreffend und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente (nach einer MdE um 100 v.H.) hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Klägers uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch der Senat nicht davon überzeugt ist, dass neben den anerkannten Folgen der BK 3201 – nach prophylaktischer, vierwöchiger antibiotischer Behandlung mit Ceftriaxon im Juli 2012 folgenlos ausgeheilte Borrelieninfektion nach Zeckenbiss mit vorübergehender Unverträglichkeit bzw. allergischer Reaktion mit Entwicklung eines bullösen Exanthems, welches ebenfalls ausgeheilt ist – weitere Gesundheitsstörungen als Folgen der BK festzustellen sind und ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente besteht.

Wie bereits das SG folgt auch der Senat den überzeugenden Ausführungen von  D, dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, und von C sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen von H und O. Nicht überzeugen konnte sich der Senat hingegen – wie bereits das SG – von der Einschätzung von B1.

Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass aufgrund der als BK 3201 anerkannten Borrelieninfektion im Jahr 2012 keine MdE vorliegt, da hieraus keine Funktionsbeeinträchtigungen (mehr) resultieren.

Die im Jahr 2012 festgestellte Erkrankung, die zur Anerkennung der BK 3201 geführt hat, ist erfolgreich antibiotisch behandelt worden. Zwar wurden zu keinem Zeitpunkt Borrelien-AK-IgM nachgewiesen, so dass sich nicht feststellen lässt, wann genau der Zeitpunkt der Infektion war oder ob zum Zeitpunkt der Klinik-Aufnahme im Spital S im Juli 2012 eine akute Borrelien-Infektion vorlag. So weist C darauf hin, dass eine genauere zeitliche Zuordnung zu einem einzelnen Zeckenbiss nicht möglich ist und ein Erythema migrans („Wanderröte“) als typische Hautmanifestation nicht beobachtet werden konnte. Ohne dass ein eindeutiger Primärschaden festgestellt oder eine Zecke gefunden worden ist, ist – wie die Gutachter übereinstimmend annehmen – aufgrund der Serum-Titer-Bewegungen eine Borrelieninfektion anzunehmen. Aufgrund der Titer-Konstellation mit Anstieg des Serum-Titers seit Juli 2009 bis zum 07.12.2012 von 6 (7) auf 290 U/ml mit anschließendem Abfall bis zum 23.01.2013 auf 81 U/ml ist, wie die gehörten Gutachter übereinstimmend ausführen, von einer stattgehabten Borrelien-Übertragung auszugehen. So führt H nach Auswertung der ihm vorliegenden Befund- und Laborberichte aus, dass in den serologischen Voruntersuchungen von 2009 noch keine spezifischen Antikörper nachweisbar waren, im Juli 2012 aber serologisch das Bild einer bereits älteren Borrelieninfektion vorhanden war, was den Rückschluss darauf zulässt, dass zwischen 2009 und 2012 eine Infektion stattgefunden haben muss. Infolge der antibiotischen Behandlung mit Ceftriaxon kam es aber zu einem eindeutigen Titer-Abfall der Borrelien-AK-IgG von 290 U/ml am 11.07.2012 auf 81 U/ml am 23.01.2013. Die Behandlung mit dem Antibiotikum Ceftriaxon führte außerdem zu einer ekzematoiden Dermatitis und Blasenbildung an den Oberschenkeln; unter symptomatischer Behandlung mit einer Prednisolonacetat-haltigen Salbe ist insoweit eine sukzessive Rückbildung der allergischen Beschwerden erreicht worden, die zum Zeitpunkt der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik K im Oktober 2012 bereits ausgeheilt waren.

Der Senat konnte sich nicht im erforderlichen Vollbeweis vom Vorliegen weiterer Folgen der BK 3201, insbesondere einer Neuroborreliose, überzeugen. In den Befundberichten der behandelnden Kliniken und Ärzte wurde wiederholt die Diagnose „Verdacht auf Neuroborreliose“ geäußert. So wurde der Kläger im Spital S im Juli 2012 u.a. wegen des Verdachts auf eine Neuroborreliose mit Wortfindungsstörung/Konzentrationsstörungen stationär aufgenommen; aus den Rehakliniken K und der Schwarzwaldklinik K1 wurde er u.a. mit der Diagnose Verdacht auf abgelaufene Neuroborreliose entlassen. Diese Verdachtsdiagnose konnte aber letztlich zu keinem Zeitpunkt bestätigt werden. Die bereits im Spital S durchgeführte Liquoruntersuchung erbrachte keinen pathologischen Befund, wobei ein MRT Hinweise auf eine mögliche Meningitis erbrachte. Im Abschlussbericht der Kliniken S1 in A vom 08.10.2012 wurde auf unauffällige Befunde im Schädel-MRT vom 20.09.2012 und in einem durchgeführten EEG hingewiesen. Eine Neuroborreliose sei liquordiagnostisch ausgeschlossen worden. Diagnostiziert wurden kognitive Funktionseinschränkungen sowie ein Zustand nach Meningoenzephalitis unklarer, am ehesten viraler Genese. Ein Nachweis für das Vorliegen einer Neuroborreliose konnte damit gerade nicht geführt werden. Der Beratungsarzt H führt in seinem Bericht vom 15.03.2013 nach Auswertung der ihm vorliegenden Befundberichte aus, eine Neuroborreliose im engeren Sinne sei aufgrund der durchgeführten Liquorpunktion ausgeschlossen, da sich im Liquor weder eine Zellzahlerhöhung noch ein Nachweis spezifischer Antikörper gefunden habe. Auch die behandelnde B äußerte im Bericht vom 16.01.2015 lediglich den Verdacht auf kognitive Funktionseinschränkungen (Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen) bei Zustand nach Meningoenzephalitis nicht gesicherter Ätiologie (Verdacht auf Neuroborreliose). Soweit die behandelnde Neurologin Feltgen in ihrem Befundbericht vom 23.08.2012 die Diagnosen postenzephalitisches Syndrom und Zustand nach Neuroborreliose angab und die Einschätzung vertrat, das aktuelle Beschwerdebild passe gut zu einem postenzephalitischen Syndrom, ist damit der Nachweis für das Vorliegen einer Neuroborreliose nicht geführt. Die behandelnde Ärztin räumt selbst ein, es sei nicht sicher belegt, inwieweit es sich tatsächlich um eine Borrelieninfektion gehandelt habe, da die Liquordiagnostik nach begonnener Antibiose falsch negativ sein könne. Ein Nachweis für eine Neuroborreliose kann hiermit gerade nicht geführt werden. Soweit die Kliniken S1, B und die F1 Hinweise auf eine abgelaufene Meningitis sehen, weist H für den Senat überzeugend darauf hin, dass mangels konkreten Erregernachweises die Frage, ob diese als BK anerkannt werden könne, letztlich nicht beantwortet werden kann. Es kann lediglich sicher gesagt werden, dass keine Neuroborreliose im eigentlichen Sinne vorgelegen hat. Auch die behandelnde B geht zwar von einem Zustand nach Meningoenzephalitis aus, äußert aber lediglich den Verdacht auf das Vorliegen einer Neuroborreliose und nimmt eine nicht gesicherte Ätiologie an. Soweit im Bericht des Universitätsklinikums F vom 04.05.2015 die im Rahmen der neuropsychologischen Testung vom 18.03.2015 verifizierten Defizite mit deutlicher Beeinträchtigung der Lernleistung im Rahmen eines postenzephalitischen Syndroms nach Neuroborreliose 2012 angesehen wurden, ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Befundgrundlage diese Diagnose erfolgt ist. Sie wurde wohl von der behandelnden und zur Durchführung der FDG-PET (Positronen-Emissions-Tomographie) an das Universitätsklinikum F überweisenden Neurologin F1 übernommen. Wie O in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme zusammenfassend ausführt, kann aber eine intrathekale Infektion mit Borrelien ausgeschlossen werden. Die zweimal erhobenen Liquorbefunde (durch das Spital S im Juli 2012 und die Kliniken S1 im September 2012) ergaben keinerlei Hinweise für eine intrathekale IgG-Produktion, es war keine IgM nachweisbar, keine Liquorpleozystose vorhanden und auch kein Eiweiß-Übertritt durch eine gestörte Blut-Hirn-Schranken-Funktion. O schließt hieraus in Übereinstimmung mit H, D und C, dass eine Infektion des zentralen Nervensystems im Sinne einer Neuroborreliose ausgeschlossen werden kann. Bereits bei Aufnahme in das Spital S waren die Borrelien-IgM-Antikörper negativ, die Nervenwasseruntersuchung ergab einen unauffälligen Befund. Auch anlässlich einer weiteren stationären Abklärung in den S1 Kliniken A im September 2012 fand sich kein fokal-neurologisches Defizit, eine erneute Nervenwasseruntersuchung ergab einen regelrechten Befund und eine Neuroborreliose wurde als ausgeschlossen angesehen. So kommt auch C im Ergebnis für den Senat überzeugend zu dem Schluss, dass eine Beteiligung des Nervensystems im Sinne einer Neuroborreliose nicht festgestellt werden kann. Ein umschriebenes und objektivierbares neurologisches Defizit fand sich zu keinem Zeitpunkt, weder im Sinne einer Hirnnervenbeteiligung oder einer Nervenwurzelentzündung noch im Sinne einer Hirnentzündung oder einer Hirnhautentzündung. Damit vereinbar ergaben beide Nervenwasseruntersuchungen einen unauffälligen Befund. Die diagnostischen Kriterien einer möglichen, wahrscheinlichen oder gesicherten Neuroborreliose sind nicht erfüllt. Die Einschätzung von D, H, O und C steht auch in Übereinstimmung mit der bereits durch das SG zitierten Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie – Neuroborreliose – der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (AWMF-Registernummer: 030/071; https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-071l_S3_Neuroborreliose_2018-4-verlaengert.pdf, abgerufen am 09.02.2022), deren Gültigkeit bis 20.03.2023 verlängert wurde. Demnach liegt eine gesicherte Neuroborreliose nur unter folgenden Voraussetzungen vor: typisches klinisches Bild (Hirnausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, fokale neurologische Ausfälle), Borrelien-spezifische IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum, entzündliches Liquorsyndrom mit lymphozytärer Pleozystose, Blut-Liquor-Schrankenstörung und intrathekaler Immunglobulinsysnthese, intrathekale Synthese borrelienspezifischer Antikörper im Liquor oder positiver kultureller- oder Nukleinsäurennachweis im Liquor und Ausschluss anderer Ursachen für die vorliegende Symptomatik (vgl. Leitlinie Neuroborreliose, a.a.O., Seite 25 f.). Diese Befunde liegen beim Kläger nach den vorliegenden Gutachten und Befundberichten, wie dargelegt, nicht vor. Darüber hinaus sind, wie sich aus der Leitlinie Borreliose (vgl. Seite 16) entnehmen lässt, bei jeder Neuroborreliose entzündliche Liquorveränderungen (Pleozystose, Blutliquorschrankenstörung sowie intrathekale Immunglobulinsynthese) zu erwarten, die beim Kläger nicht festgestellt werden konnten. Als mögliche Ausnahmen nimmt die Leitlinie Neuroborreliose ein ganz frühes Krankheitsstadium oder distalsymmetrische Polyneuropathie an). Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Ausnahme beim Kläger anzunehmen ist, liegen nicht vor.

Soweit B1 vom Vorliegen einer Borrelien-Encephalopathie, die unabhängig von einer akuten Lyme-Borreliose-Infektion des zentralen Nervensystems abläuft und in den Stadien I und II auftreten kann, ausgeht, konnte sich der Senat auch hiervon nicht überzeugen. O führt insoweit nachvollziehbar aus, dass entgegen der Auffassung von B1 weder im cCT, noch im MRT des Gehirns noch in mehreren weiteren EEGs Hinweise für eine gestörte Funktion des Gehirns feststellbar waren. Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle, Wahrnehmungsstörungen wie Wahnbildung, Halluzinationen u.ä. wurden zu keinem Zeitpunkt berichtet. Eine Enzephalopathie würde laut O voraussetzen, dass eine organische Wesensänderung stattfindet, ein organisches Psychosyndrom vorliegt und neurologische Defizite feststellbar sind. Solche Veränderungen konnte aber - auch unter Berücksichtigung der ihnen vorliegenden Vorbefunde – weder D noch C nachweisen. Auch die am 24.04.2015 im Universitätsklinikum F durchgeführte Untersuchung mit FDG-PET war diesbezüglich ohne Auffälligkeiten. Hier zeigte sich vielmehr ein altersgemäßer normaler Befund; eine neurodegenerative Erkrankung wurde ausgeschlossen. O weist insoweit nachvollziehbar darauf hin, dass nach einem nahezu dreijährigen Verlauf – ausgehend von einem In-Gang-Setzen der Erkrankung im Juli 2012 – eine gewisse Veränderung des Hirnstoffwechsels zu erwarten wäre, welche durch die diagnostischen Möglichkeiten des FDG-PET nachweisbar gewesen wären. Auch die EEG-Untersuchungen, die den Funktionszustand des Gehirns abbilden, waren in der Folgezeit unauffällig. Bei der Untersuchung durch C fand sich im EEG ein überwiegend regelmäßiger Grundrhythmus, pathologische Verlangsamungen oder epilepsietypische Potentiale konnten nicht nachgewiesen werden. C bewertete das EEG insgesamt als normal, ohne Herdbefund, ohne Zeichen einer umschriebenen oder generalisierten Hirnfunktionsstörung und ohne Anhalt für eine erhöhte Anfallsbereitschaft.

Damit sind – über die im angefochtenen Bescheid hinausgehende – Gesundheitsstörungen nicht als Folge der anerkannten BK 3201 nachgewiesen.

Die anerkannten BK-Folgen – nach prophylaktischer, vierwöchiger antibiotischer Behandlung mit Ceftriaxon im Juli 2012 folgenlos ausgeheilte Borrelieninfektion nach Zeckenbiss mit vorübergehender Unverträglichkeit bzw. allergischer Reaktion mit Entwicklung eines bullösen Exanthems, welches ebenfalls ausgeheilt ist – begründen keine MdE.

Spätsymptome einer Borreliose sind nicht feststellbar. D, dessen Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann, und C haben bei dem Kläger – unabhängig davon, ob sie als Folge der BK anerkannt werden können – bereits keine neurologischen Defizite und keine kognitiven Leistungseinschränkungen oder Störungen der Gelenkfunktion feststellen können, die eine MdE rechtfertigen würden. Im Rahmen der Begutachtung durch D wurde insbesondere ausführlich die kognitive Leistungsfähigkeit des Klägers untersucht, weshalb eine neuropsychologische Zusatzbegutachtung durch S2 veranlasst worden ist. Im Rahmen der testpsychologischen Untersuchungen wurden Widersprüchlichkeiten im Leistungsverhalten des Klägers festgestellt, die Anlass dafür waren, an seiner Anstrengungsbereitschaft zu zweifeln und den Verdacht auf Simulation und Aggravation neurokognitiver Beschwerden nahelegte. Auch C hat neurologische Defizite, allgemein medizinische Leistungseinschränkungen und eine neurokognitive Störung ausgeschlossen. In dem von ihm durchgeführten orientierenden DemTec-Test wurde mit 17 von 18 Punkte ein altersgemäßer Normalbefund hinsichtlich der kognitiven Leistung erzielt. Bei Durchführung des identischen Tests im Juni 2013 war noch ein hochpathologischer Befund vom Grad einer Demenz (7 von 18 Punkten) festgestellt worden. Auch in der klinischen Beobachtung waren bei C Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis im Rahmen der Untersuchung nicht beeinträchtigt. Ein solcher Testverlauf wäre nach übereinstimmender und überzeugender Einschätzung von C und O bei einer Enzephalopathie mit dementieller Entwicklung auf unbestimmter ätiologischer Grundlage nicht erklärbar. Es ist nicht zu erwarten, dass innerhalb von 2 ½ Jahren ein hochpathologischer kognitiver Test bei gleichbleibenden Beschwerden innerhalb dieser Zeit seine Normalisierung erfährt. O weist insoweit überzeugend darauf hin, dass ein normales Testergebnis nicht simuliert werden kann, da die Testanforderungen eine gewisse Anstrengungsbereitschaft und vor allem auch eine intakte kognitive Leistungsfähigkeit voraussetzen, wohingegen die Simulation eines schlechten Testergebnisses aufgrund fehlender Anstrengungsbereitschaft durch Mindermotivation simuliert werden kann. Insgesamt kommt es letztlich nicht darauf an, aus welchen Gründen die Testergebnisse bei der Untersuchung durch D deutlich schlechter waren, da jedenfalls ein solcher Testverlauf, also eine Besserung, wie O überzeugend darlegt, nicht durch eine organische Hirnerkrankung (Enzephalopathie) begründet werden kann. C führt in diesem Zusammenhang ebenfalls überzeugend aus, dass die geklagten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen organisch nicht zu begründen sind, vielmehr eine funktionelle Komponente angenommen werden muss. Die fluktuierende Hirnleistungsfähigkeit wäre durch eine anhaltende Hirnschädigung nach einer Borrelieninfektion des zentralen Nervensystems nach Einschätzung des C keinesfalls zu erklären.

Soweit B1 eine Paraparese diagnostiziert, ist dies ebenfalls nicht nachvollziehbar. Entsprechende neurologische Auffälligkeiten fanden sich bei den Untersuchungen durch D und C nicht. Alle motorischen Funktionen wurden durch sie als normal beschrieben. Auch bei weiteren neurologischen Untersuchungen bei niedergelassenen Ärzten, bei der stationären Abklärung in den S1 Kliniken A und in der Reha-Klinik K fanden sich keine diesbezüglichen Auffälligkeiten. Eine Paraparese ist daher auszuschließen.

Soweit B1 darüber hinaus Müdigkeit, Fatigue sowie Gelenk- und Muskelschmerzen als Folge der Borrelieninfektion ansieht, weist O darauf hin, dass es sich um unspezifische Beschwerden handelt, die nicht auf eine unbehandelte oder progrediente oder weiterbestehende Borreliose zurückzuführen sind. Die Borrelien-Übertragung wurde nach Einschätzung von O rechtzeitig antibiotisch behandelt, sodass es, wie ausgeführt, zu keinen weiteren Komplikationen unter Einbeziehung weitere Organe, insbesondere des Nervensystems, kam.

Unter Berücksichtigung dessen liegen auf der BK 3201 beruhende Gesundheitsstörungen, welche eine MdE von wenigstens 20 v. H. rechtfertigen könnten, nicht vor, weshalb das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat und die Berufung keinen Erfolg haben konnte.

Der Senat musste auch dem Hilfsantrag des Klägers, wie mit Schriftsatz vom 22.03.2021 beantragt, den Sachverständigen B1 in die mündliche Verhandlung zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden und zu den im genannten Schriftsatz aufgeführten Fragen zu hören, nicht nachkommen.

Das Recht eines Beteiligten, auf Befragung eines Sachverständigen, der ein (schriftliche) Gutachten erstellt hat (§ 116 Satz 2, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung <ZPO>), besteht grundsätzlich nur mit Blick auf solche Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet worden sind (st. Rspr. BSG, u.a. Beschlüsse vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B -, vom 24.04.2008 - B 9 SB 58/097 B -, vom 03.03.1999 - B 9 VJ 1/98 B -, vom 05.07.2018 - B 9 SB 26/18 B -, vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B -, Juris). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 118 Rdnr. 12g m.w.N.) ist vorliegend nicht gegeben, insbesondere hatte der Kläger in der ersten Instanz keinen Antrag auf mündliche Befragung gestellt.

Der Senat sah sich im Rahmen des ihm damit gemäß § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO eingeräumten Ermessens nicht veranlasst, das Erscheinen des Sachverständigen B1 zum Termin anzuordnen, damit er das schriftliche Gutachten mündlich erläutert. Der Sachverständige war bereits durch das SG nochmals unter dem 09.05.2018 ergänzend zu seinem Gutachten befragt worden und hat unter dem 20.09.2017 Stellung genommen. Die durch den Klägervertreter im Schriftsatz vom 22.03.2021 aufgeworfenen Fragestellungen („Aus welchen Gründen ist den Feststellungen der Vorgutachter nicht zu folgen?“, „Aus welchen Gründen sind differenzialadiagnostisch andere Ursachen für die vom Kläger für die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden auszuschließen?“) sind durch den Sachverständigen B1 bereits schriftlich erläutert worden; der Klägerverteter nimmt selbst Bezug auf die entsprechenden Stellen im Gutachten. Der Senat sieht darüber hinaus keinen Klärungsbedarf, hält das Gutachten weder für unklar noch für ergänzungsbedürftig. Allein der Umstand, dass sich mehrere Gutachten widersprechen, macht die ergänzende Befragung nicht erforderlich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 118 Rdnr. 12c).

Die Berufung war mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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