L 1 U 1607/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 3060/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1607/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28. April 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt - weiterhin im Verfahren der Erstfeststellung - die Anerkennung einer SLAP-Läsion (Verletzung des oberen Labrum-Bizepsanker-Komplexes) als Folge eines Arbeitsunfalls vom 16. Januar 2014.

Der Kläger ist 1976 geboren und wohnt im Inland. Im Jahre 2014 war er als Kraftfahrer bei einer Spedition beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert.

Am 16. Januar 2014 (Donnerstag) lieferte er Waren in ein Lager des Unternehmens Edeka in O (Ortenaukreis) aus. Dabei erlitt er gegen 17:00 Uhr einen Unfall. Beim Entfernen der Ladesicherung brach ein Bolzen der Sicherungsstange und schlug ihm linksseitig gegen den Kopf. Die ursprünglich gesicherten Europaletten rutschten ihm entgegen. Nicht völlig gesichert ist, ob sich der Kläger nur den Paletten entgegenstemmte und sie aufhielt, ob sie auch zu Boden fielen und er sie aufzufangen versuchte, und ob der Kläger stürzte. Das Abladen konnte er nicht mehr zu Ende führen. Nach diesem Vorfall fuhr der Kläger etwa 170 km nach Hause, wobei er unterwegs eine neunstündige Ruhezeit einhielt. Ob er am nächsten Tag arbeitete, ist ungeklärt geblieben.

Am Abend des Folgetages (Freitag, 17. Januar 2014) begab er sich um 22:52 Uhr erstmals in Behandlung. A führte in seinem D-Arzt-Bericht vom 18. Januar 2014 aus, äußere Verletzungsanzeichen seien nicht erkennbar. Es beständen eine dezente Muskelatrophie und eine deutlich eingeschränkte aktive und passive Beweglichkeit der Schulter. Röntgenaufnahmen und eine Sonografie zeigten eine Ansatzverkalkung der Supraspinatussehne. Er diagnostizierte eine Zerrung der rechten Schulter bei Verdacht auf Riss der Rotatorenmanschette. Ein MRT am 31. Januar 2014 zeigte jedoch keine Anhaltspunkte für eine Rotatorenmanschettenruptur. Daraufhin äußerte A bei der nächsten Vorstellung des Klägers am 13. Februar 2014 den Verdacht einer SLAP-Läsion. Bei einer diagnostischen Arthroskopie am 19. Februar 2014 fanden sich keine Anzeichen für eine Läsion der Subscapularis- oder Supraspinatussehne. Der Bizepssehnenanker war cranial komplett vom Glenoid gelöst (SLAP-Läsion Typ II). Beim ersten Versuch, ihn zu fixieren, wurde der geschlossene Knoten versehentlich durchtrennt und der gesetzte Anker war disloziert. Die Operateure entfernten ihn vollständig und setzten einen neuen Anker am oberen Glenoidrand.

In seiner Unfallschilderung beschrieb der Kläger, dass er bei dem reflexartigen Versuch, die gestapelten Europaletten aufzufangen, das Gefühl gehabt habe, in seiner rechten Schulter sei etwas gerissen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte er am 28. April 2014 mit, bei dem Unfall sei sein Arm in Außenrotation nach hinten verdreht worden. Er habe seine Arbeitgeberin nach vergeblichen Versuchen am Donnerstag und Freitag erst am Samstag erreicht. Er sei erst auf Grund der Bitte seiner Lebensgefährtin am nächsten Abend zum Arzt gegangen. Seine Arbeitgeberin habe ihn genötigt, den Unfall nicht zu melden, weil die Ladungssicherung nicht den TÜV-Vorgaben entsprochen habe. Nachdem er dazu nicht bereit gewesen sei, sei er zum 31. März 2014 gekündigt worden.

Die Arbeitgeberin teilte in der betrieblichen Unfallanzeige vom 8. März 2014 mit, sie habe erst am 18. Januar 2014 von dem Unfall erfahren. Am Tag zuvor, dem Freitag, habe der Kläger normal gearbeitet und sei Lkw gefahren. Er habe angegeben, den Unfall nicht früher gemeldet zu haben, weil er die Nacht im Krankenhaus verbracht habe, was nicht der Wahrheit entsprochen habe. Er habe auch anfangs den Unfallhergang anders geschildert. Die Arbeitgeberin gab ferner an, die betroffenen Paletten hätten sich beim Umfallen verkantet. Der beschriebene Unfallhergang könne daher nicht zutreffen. Der Kläger habe außerdem seit mehreren Jahren Probleme mit der Schulter geklagt und sei deswegen schon öfters in Behandlung und auch krankgeschrieben gewesen.

Das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der AOK Baden-Württemberg nannte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis 28. Mai 2010 wegen einer Fraktur der Skapula (Schulterblatt) und vom 8. bis 17. Juli 2013 wegen einer adhäsiven Entzündung der Schultergelenkskapsel. Hierzu zog die Beklagte den Entlassungsbericht der F-Klinik bei, die den Kläger vom 17. bis 19. Mai 2010 wegen einer Schulterprellung mit Fraktur des rechten Schulterblatts stationär behandelt hatte.

Bei fortbestehenden Beschwerden wurde bei einer weiteren Arthroskopie am 18. Juni 2014 die lange Bizepssehne vollständig durchtrennt. Danach fand eine komplexe Stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der BG-Unfallklinik T statt.

H erstellte für die Beklagte die beratungsfachärztliche Stellungnahme vom 7. Oktober 2014 (mit falschem Datum 16. Oktober 2014). Darin war ausgeführt, der Kläger habe sich bei dem Unfall eine Distorsion des rechten Schultergelenks ohne strukturelle Schäden zugezogen. Unfallunabhängig bestehe eine Tendinosis calcarea als Ausdruck einer chronischen subacromialen Druckproblematik. Das MRT habe keinen Nachweis einer knöchernen Verletzung (bone bruise) erbracht. Die SLAP-Läsion sei im Hinblick auf die Sportanamnese des Klägers (der bis Ende 2013 viermal wöchentlich Kampfsport betrieben und bereits 2010 eine Verletzung der rechten Schulter erlitten habe) und der damit verbundenen langjährigen Gewalteinwirkungen auf das rechte Schultergelenk zu erklären. In diesem Zusammenhang ständen auch die Hinweise der Arbeitgeberin. Eine Distorsion des Schultergelenks rechtfertige eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit von drei bis vier Wochen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Oktober 2014 die „Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalls vom 16. Januar 2014 über den 12. Februar 2014 hinaus“ ab. Der Kläger habe durch den Unfall lediglich eine Schulterprellung erlitten. Unfallbedingte strukturelle Schäden hätten nicht festgestellt werden können. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2015 zurück. In der dortigen Begründung legte sie ausführlich dar, warum die SLAP-Läsion des Klägers nicht auf den Unfall zurückzuführen sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 4. März 2015 - erstmals - Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) und beantragte unter anderem die Anerkennung der SLAP-Läsion als Unfallfolge.

In dem damaligen Verfahren (S 3 U 725/15) befragte das SG zunächst die behandelnden Ärzte (Praxis M, E, U), die einen Unfallzusammenhang bejahten. A wies darauf hin, dass - auch - die Folgen der Durchtrennung der langen Bizepssehne bei den Operationen auf die Verletzung des Bizepssehnenankers bei dem Unfall zurückzuführen seien. Wegen des Vorerkrankungsverzeichnisses wurde H1 ergänzend vernommen. Er teilte mit, der Kläger habe sich bei ihm am 9., 15. und 22. Juli 2013 mit Schmerzen in der rechten Schulter vorgestellt. Er habe eine Periarthropeia humeroscapularis acuta diagnostiziert (unpräzise Sammelbezeichnung für meist schmerzhafte, degenerative Veränderungen im Bereich des Schultergürtels).

Von Amts wegen erhob das SG bei L das Gutachten vom 11. Dezember 2015. Bei der dortigen Anamnese schilderte der Kläger, er habe mit der rechten Schulter in Abduktion auf 90° versucht, sich gegen die ihm entgegenfallenden Paletten zu stemmen. Er habe das Gefühl gehabt, ihm sei ein Gummiband in der Schulter gerissen. In seinem Gutachten vom 11. Dezember 2015 teilte der Sachverständige mit, der vom Kläger geschilderte Unfallhergang sei kein für die Entstehung einer SLAP-Läsion Typ II geeignetes Unfallereignis. Dies seien etwa Stürze auf den ausgestreckten Arm oder den gebeugten Ellenbogen oder das Auffangen eines fallenden Gegenstandes mit gebeugtem Ellenbogen. Auch der Primärbefund mit einer hochgradig eingeschränkten Beweglichkeit sei nicht typisch für eine traumatische SLAP-Läsion, da die betroffene Gelenklippe nicht zur aktiven Bewegung des Schultergelenks beitrage. Ein Gelenkserguss trete darüber hinaus nicht regelmäßig auf, da das Fasergewebe nur gering durchblutet sei. Ferner gebe es beachtliche Vorschäden, wie die im Jahr 2010 erlittene Frakturierung des Schulterblatts und die adhäsive Entzündung der Schultergelenkskapsel 2013. Die initial in der Röntgendiagnostik erkennbare Tendinosis calcarea an der Supraspinatussehne könne die im Primärbefund beschriebene Schmerzsymptomatik medizinisch erklären. Es sei davon auszugehen, dass der Unfall vom 16. Januar 2014 lediglich zu einer Prellung/Zerrung der Schulter geführt habe. Diese habe die unmittelbar nach dem Unfall festgestellte Beschwerdesymptomatik verursacht. Dass diese Beschwerden nach dem SLAP-Repair und der Durchtrennung der langen Bizepssehne fortbestünden, lasse darauf schließen, dass die Schädigung der Gelenklippe und der Bizepssehne dafür nicht die wesentliche Ursache seien, sondern vielmehr die vorbestehenden Schäden der rechten Schulter. Die Prellung habe allenfalls eine vorübergehende Verschlechterung dieser Schäden bewirkt. Unfallfolgen seien gegenwärtig nicht mehr vorhanden. Der Stellungnahme des H stimme er zu, wobei er eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit von sechs Wochen für angemessen erachte.

Gegen dieses Gutachten erhob der Kläger unter Vorlage einer Stellungnahme von U Einwände. Ihn habe völlig unerwartet ein Gegenstand am Kopf getroffen, sodass L den Unfallmechanismus nicht als ungeeignet habe einstufen dürfen. Außerdem träten SLAP-Läsionen vom Typ II in der Regel traumatisch bedingt auf. Er sei vor dem Ereignis schmerzfrei gewesen.

Auf Antrag und Kostenrisiko holte das SG ein Gutachten bei U ein. Bei der Anamnese dort am 4. Juni 2016 schilderte der Kläger, er könne die genaue Stellung seines Armes nicht mehr nachvollziehen, als er versucht habe, die fallenden Paletten abzuwehren. Er sei nach hinten gestürzt und habe sofort ein Reißen in der rechten Schulter gespürt. Die Fahrt nach Hause und die neunstündige Ruhepause im Lkw seien äußerst schmerzhaft gewesen. U teilte mit, es beständen weiterhin eine endgradige schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks und eine deutliche Kraftminderung im rechten Arm. Er führte aus, eine SLAP-Läsion Typ II wie bei dem Kläger sei in der Regel unfallbedingt. Zur Ablösung des Bizepsankers von der cranialen Schulterpfanne sei eine deutliche Gewalteinwirkung erforderlich. Diese sei auch durch das Unfallereignis gegeben. Es könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger eine Extrembewegung in der rechten Schulter ausgeführt habe, die eventuell eben auch zu einer Subluxation des Oberarmkopfes mit nachfolgendem Ausriss des Bizepssehnenankers geführt habe. Vor dem Unfall sei der Kläger arbeitsfähig und voll belastbar gewesen. Die röntgenologisch feststellbaren Ansatzverkalkungen spielten für eine SLAP-Läsion keine Rolle und bewiesen auch keine Vorschädigung der Schulter. Die erhebliche Schmerzhaftigkeit nach dem Unfallereignis könne durch den Sturz nach hinten auf die Schulter ausgelöst worden sein. Schmerzen seien überdies subjektiv und einem bestimmten Verletzungsmuster könnten nicht stets dieselben Beschwerden zugeordnet werden.

Die Beklagte legte die Stellungnahme ihres Beratungsarztes W vom 24. August 2016 vor. Er stimme U zu, dass der Unfallhergang nicht mit letzter Sicherheit rekonstruiert werden könne. Jedoch könne nicht allein deswegen, weil überhaupt ein Unfallereignis stattgefunden habe, der Schluss gezogen werden, dass dieses die Beschwerden ausgelöst habe. Eine Extrembewegung und eine Luxation des Oberarmkopfes seien nicht gesichert. Die Interpretation der initialen Beschwerdesymptomatik sei bei beiden Gutachtern subjektiv und. Die Vorschäden, darin sei U zuzustimmen, stünden zwar nicht in direktem kausalem Zusammenhang mit der Labrum-Läsion, allerdings machten sie deutlich, dass die rechte Schulter vor dem Unfall gerade nicht völlig gesund gewesen sei. Es handle sich um einen Grenzfall, der gutachterlicherseits nicht aufzuklären sei.

Mit Urteil vom 23. Februar 2017 wies das SG die Klage ab, wobei es sich vor allem auf L und W stützte. Etliche Indizien seien für die Kausalitätsbewertung als neutral einzustufen. So stehe der genaue Unfallhergang nicht fest. Gegen einen Zusammenhang spreche maßgeblich, dass an der betroffenen Schulter beachtliche Vorschäden bestanden hätten.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung zum LSG Baden-Württemberg ein (L 3 U 1645/17). Der damalige Berichterstatter wies darauf hin, der streitgegenständliche Bescheid enthalte keine Regelung über konkrete Unfallfolgen. Die Beteiligten schlossen diesen Ausführungen folgend einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtete, durch Bescheid darüber zu entscheiden, ob die SLAP-Läsion in der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Januar 2014 anzuerkennen sei. Der Kläger nahm daraufhin seine Klage zurück.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 2018 führte die Beklagte den Vergleich aus. Sie lehnte die Anerkennung der SLAP-Läsion im rechten Schultergelenk als Folge des Arbeitsunfalls ab. Der Unfall habe lediglich eine Prellung im rechten Schultergelenk verursacht. Zur Begründung verwies die Beklagte im Wesentlichen auf den Bescheid vom 10. Oktober 2014. Auch sei in der unfallnahen Diagnostik keine frische Verletzung festgestellt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs mit einem Unfallereignis reiche für eine positive Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus.

Hiergegen hat der Kläger am 8. Oktober 2018 Klage zum SG erhoben. L Gutachten sei unschlüssig. Es widerspreche den Feststellungen der Behandler sowie des Sachverständigen U. Dieser habe ausgeführt, dass eine Ansatzverkalkung der SSP-Sehne für die Auslösung einer SLAP-Läsion unbeachtlich sei. Dem habe auch Beratungsarzt W zugestimmt.

Nachdem die Parteien im Januar 2019 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hatten, hat das SG die Klage mit Urteil vom 28. April 2021 abgewiesen. Es hat auf seine Ausführungen im Urteil vom 23. Februar 2017 verwiesen und ergänzend ausgeführt, ein weiterer Hinweis auf Vorschädigungen sei die dezente Muskelatrophie, die A schon bei der Erstvorstellung festgestellt habe. Die angegebene Beschwerdefreiheit vor dem Unfall, auf die vor allem U hingewiesen habe, sei kein gewichtiges Indiz für einen Unfallzusammenhang.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 6. Mai 2021 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er hat sein Vorbringen vertieft.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28. April 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2018 zu verpflichten, die bei ihm in der rechten Schulter diagnostizierte SLAP-Läsion Typ II als Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Januar 2014 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erlassenen Bescheide für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf das Gutachten des L sowie die Stellungnahme von W.

Nach einem Hinweis des Senats vom 7. Juni 2021 zu den Unklarheiten im Unfallhergang und zur Beweislast für diesen Punkt hat der Kläger gerügt, die Beklagte habe 2014 keine Ermittlungen durchgeführt, obwohl er ihr den Hergang am 28. April 2014 ausführlich geschildert und auch Zeugen benannt habe. Dies sei angesichts des Amtsermittlungsprinzips zumindest fahrlässig gewesen. Nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass in jenem Schreiben nur „Mitarbeiter des Edeka-Zentrallagers“ erwähnt seien, hat der Kläger mitgeteilt, er können die damaligen Unfallzeugen nicht namentlich benennen. Der Senat hat daraufhin den Geschäftsbereichsleiter/Pressesprecher der Edeka Handelsgesellschaft S. GmbH in O, D., formlos um Auskünfte zu den damals eingesetzten Mitarbeitern gebeten. Dieser hat am 2. September 2021 mitgeteilt, die verantwortlichen Kollegen in der Logistik im Lager O hätten niemanden mehr ausfindig machen können, der Hinweise zu dem Vorfall geben könne.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022, die Beklagte hat am 31. Januar 2022 einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.


Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet im Einvernehmen mit den Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung des Klägers ist ohne gesonderte Zulassung statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Sie ist zwar als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) statthaft und zulässig. Insbesondere kann der Kläger eine behördliche Feststellung (Anerkennung) einer Unfallfolge begehren. Er ist nicht auf eine gerichtliche Feststellung beschränkt, obwohl § 55 Abs. 1 Hs. 1 Nr. 3 SGG Feststellungsklagen gerade in Bezug auf Unfallfolgen für zulässig erklärt. Ein Versicherter kann zwischen beiden Klagearten wählen, zumal Feststellungsklagen grundsätzlich subsidiär sind (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 -, Rn. 12, juris). Die nötige Klagebefugnis eines Versicherten folgt aus seinen Ansprüchen aus § 102 SGB VII (BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R -, juris).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch, dass die Beklagte die beim ihm festgestellte SLAP-Läsion Typ II in der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Januar 2014 anerkennt.

Eine Gesundheitsschädigung ist dann Folge eines Unfalls, wenn sie unmittelbar oder mittelbar durch diesen oder aber durch eine der in § 11 Abs. 1 SGB VII genannten Behandlungen einer Unfallfolge in wesentlicher Weise verursacht worden ist. Dabei muss die Schädigung selbst nachgewiesen sein. Insoweit ist Vollbeweis nötig. Für die Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen (haftungsausfüllende Kausalität) gilt wie allgemein im Sozialrecht die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. zu allem LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2013 - L 6 U 3246/12 -, Rn. 35 ff. juris; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R -, juris). Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Ereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. April 2015 - L 10 U 495/14 -, juris). Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach der im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Verteilung der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten. Auf diesen Punkt hatte der Senat den Kläger - vor allem bezogen auf Beweisantritte zu dem Hergang des Unfalls - hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es auch aus Sicht des Senats nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Unfall vom 16. Januar 2014 die wesentliche Ursache der SLAP-Läsion bei dem Kläger war. Dabei kann offen bleiben, ob diese Schädigung schon vor dem Unfall vorgelegen hatte, aber zumindest in der unmittelbaren Zeit davor keine aktenkundigen Beschwerden verursacht hatte, oder ob sie bei dem Unfallereignis oder danach, aber eben im Wesentlichen aus anderen Gründen als dem Unfall, entstanden ist. Eine Zurechnung ist in jedem Falle ausgeschlossen.

Ebenso wie das SG wertet der Senat dabei den Hergang des Unfalls als neutralen Umstand, also weder als Pro- noch als Contra-Indiz.

Der Hergang ist ungeklärt. Der Kläger hat im Laufe des Verfahrens leicht unterschiedliche Angaben dazu gemacht, was angesichts der Situation eines akuten Unfalls auch verständlich ist. So hatte im Verwaltungsverfahren noch von dem Versuch, die Paletten aufzufangen, gesprochen (der außerdem geschilderte Schlag der Sicherungsschraube auf den Kopf hat mit der Schulterverletzung sicher nichts zu tun). Bei der Anamnese bei L ging die Schilderung dann dahin, er habe sich mit (im Ellenbogen gebeugten) Arm gegen den Palettenstapel gestemmt. Bei U gab der Kläger an, er habe die Paletten mit gebeugtem Arm aufgefangen. Diese Aussage machte er, nachdem L in seinem Gutachten ausgeführt hatte, dass der dort geschilderte Hergang ungeeignet sei, eine SLAP-Läsion zu verursachen, während das plötzliche Auffangen eines fallenden Gegenstandes mit gebeugtem Ellenbogen geeignet wäre. Wegen dieser Widersprüche kann sich der Senat nicht von einem bestimmten Hergang überzeugen. Wechselnde Aussagen eines Beteiligten oder eines Zeugen sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) insgesamt zu würdigen. Dabei haben die sogenannten Erstangaben eines Versicherten, auch wenn sie eher nicht von irgendwelchen taktischen Überlegungen beeinflusst sind, nicht grundsätzlich höheren Beweiswert als spätere Angaben (BSG, Urteil vom 11. November 2003, B 2 U 41/02 R, SozR 4-1500 § 128 Nr. 2). Es kann daher hier offen bleiben, welche Angaben zu Grunde gelegt werden sollen. Dabei ist durchaus zu berücksichtigen, dass auch Dr. Uhlig den Hergang, wie ihn der Kläger bei der dortigen Anamnese geschildert hat, nicht für gesichert hielt.

Auch die weiteren Ermittlungsversuche des Senats im Berufungsverfahren zum Unfallhergang haben keine anderen Erkenntnisse erbracht. Eventuelle Augenzeugen, nämlich die vom Kläger angegebenen Mitarbeiter des Edeka-Zentrallagers, konnten nicht mehr ermittelt werden. Das hat auf Anfrage des Senats das Unternehmen mitgeteilt.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat auch nicht U‘s Erwägungen folgen, dass es aufgrund des unerwarteten Ereignisses zu einer Extrembewegung und eventuell sogar zu einer Subluxation des Oberarmkopfes gekommen sei. U schließt hier von einem später festgestellten Schadensbild zurück auf einen Hergang. Dieser ist aber, wie ausgeführt, nicht gesichert. Insbesondere eine Subluxation des Oberarmkopfs ist von keinem der behandelnden Ärzte festgestellt oder auch nur gemutmaßt worden. Bestandteil der Definition des Unfallbegriffs ist, dass es sich um ein plötzliches, unerwartetes Ereignis handelt. Dies kann also keinen Beleg für den Unfallzusammenhang zu einem bestimmten Schadensbild begründen.

Dass der Senat keinen feststehenden Hergang zu Grunde legen kann, geht wie ausgeführt zu Lasten des Klägers. Auf diese Frage kommt es nämlich an. Nicht alle geschilderten Hergänge wären als geeignet einzustufen. L hat überzeugend dargelegt, dass akute SLAP-Verletzungen klassischerweise durch einen Sturz auf den ausgestreckten, leicht abgespreizten Arm oder gestreckten Arm mit einer Kompression des Oberarmkopfes nach oben bedingt sind. Auch beim Anheben eines schweren Gegenstandes kann die Verletzung entstehen. Zudem kann eine Verletzung der SLAP-Region bei Verletzungen in hoher Außenrotation entstehen, dann oft in Verbindung mit einer Verletzung des vorderen Labrums. Auch U geht auf wissenschaftlicher Ebene davon aus, dass nur solche Abläufe geeignet sind. Zu seiner abweichenden Einschätzung ist er auf tatsächlicher Ebene gelangt, weil er angenommen hat, der Kläger habe den fallenden Stapel aufgefangen.

Ebenso spricht die Vorerkrankungslage nicht dafür, dass der Unfall die wesentliche Ursache der Schädigung war.

Dabei steht für den Senat nicht so sehr die Fraktur des Schulterblatts im Frühjahr 2010 im Vordergrund. Keiner der Gutachter hat erklärt, wieso jene Fraktur, die damals in der F-Klinik behandelt und offensichtlich ausgeheilt war, Jahre später zu einer SLAP-Läsion führen kann.

Relevanter erscheinen die degenerativen Veränderungen, die sich - wie auch U bestätigt hat - unmittelbar nach dem Unfall radiologisch als Ansatzverkalkung der Bizepssehne dargestellt haben. Diese Veränderungen hatten bereits vor dem Unfall - entgegen den Angaben des Klägers und den Annahmen U‘s - zu Symptomen geführt. Der Kläger war schon 2013 wegen der Beschwerden und Entzündungen auf Grund der degenerativen Schädigungen in der rechten Schulter bei H1 in Behandlung gewesen. Außerdem hatten diese Vorschäden bereits zu einem Mindergebrauch des rechten Arms geführt. Dies ergibt sich aus der Muskelminderung im Bereich des rechten Oberarms, die A bereits bei seiner ersten Untersuchung am 17. Januar 2014 festgestellt hat. Diese Muskelminderung zeigt, dass der rechte Arm über längere Zeit bereits nicht mehr im selben Umfang wie der linke genutzt worden ist. Solche degenerativen Veränderungen deuten darauf hin, dass der Schulterbereich schon länger belastet war.

Diese Veränderungen können rein degenerativ bedingt gewesen sein und unmittelbar ihren Beitrag zu der SLAP-Läsion des Klägers geleistet haben. Darauf weist L hin. Es ist aber auch denkbar, dass sowohl die bildgebend festgestellten Veränderungen als auch die Läsion selbst auf den langjährigen Kampfsport des Klägers zurückzuführen sind. Nach seinen Angaben in der F-Klinik und bei L hatte er bis einige Monate vor dem Unfall Boxsport betrieben. Beim Schlagen mit dem Arm gegen einen Sandsack erfolgt jedes Mal eine Gewalteinwirkung in Form des plötzlichen Stoßes auf die Schulter. Auch eine SLAP-Läsion kann durch wiederholte Belastungen mit Mikroverletzungen auftreten, die klassischerweise bei Überkopfsportarten wie Tennis, Handball und Gewichtheben (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, 9. Aufl. 2017, S. 416), aber auch bei Kampfsportarten auftreten können. Darauf hatte bereits H in seiner Stellungnahme vom 7./16. Oktober 2014 hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund spricht auch der Hinweis U‘s, dass eine SLAP-Läsion vom Typ 2 wie hier in der Regel traumatisch bedingt sei, nicht zwingend dafür, dass gerade der Unfall die Ursache war. Eine Verursachung durch Mikrotraumata, wobei das Schadensbild nur schwer von völlig endogenen degenerativen Veränderungen zu unterscheiden ist, kann ebenfalls im weiteren Sinne als traumatisch bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang erwähnt auch Beratungsarzt  H, das eine Schädigung, die durch rezidivierende Traumata verursacht ist, durchaus mit dem Bild einer SLAP-Läsion Typ 2 übereinstimmt.

Eine andere Einschätzung folgt nicht daraus, dass der Kläger bis zu dem Unfall nach seinen Angaben nicht an einer Bewegungseinschränkung litt. L hat mitgeteilt, dass die Bizepssehne keinen Beitrag zur Beweglichkeit des Gelenks leistet. Insoweit kann die Ruptur auch ohne bestehende Einschränkungen der Beweglichkeit vorbestanden haben. Und auch wenn der Unfall den letzten Auslöser für eine Läsion der bereits vorgeschädigten Gelenklippe geleistet hat, so bleiben doch die Vorschäden die wesentliche Ursache.

Daher spricht auch der Primärbefund mit einer erheblich eingeschränkten Beweglichkeit - wenn auch nur indiziell - gegen eine traumatische Verursachung der Ruptur. Die eingeschränkte Beweglichkeit kann, worauf U zurecht hinweist, auch auf der durch den Sturz verursachten Prellung des Gelenks und den damit verbundenen Schmerzen beruhen.

Weitere, zum Beispiel bildgebende, histologische oder intraoperative Befunde, die für einen Unfallzusammenhang sprechen könnten, liegen nicht vor. So kann das Fehlen eines Knochenmarks­ödems (bone bruise) bzw. eines Blutergusses gesichert weder für noch gegen eine wesentliche Verursachung der Läsion durch den Unfall sprechen. Hätte ein solcher vorgelegen, so wäre dies ein deutliches Indiz für eine frische, traumatische Verletzung gewesen. Allerdings weist  L darauf hin, dass das Gewebe in diesem Bereich nur wenig durchblutet ist und daher ein Bluterguss auch bei einer frischen Ruptur nicht immer nachweisbar ist.

Auch einem weiteren Argument, dass der Wahlsachverständige U für seine Einschätzung vorgebracht hat, kann der Senat nicht folgen. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen reicht nicht aus, einen ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 8/14 R -, Rn. 20, juris). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und einem Körperschaden nicht herleiten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Oktober 2015 - L 8 U 1345/14 -, Rn. 35, juris).

Vor diesem Hintergrund ist auch nach Ansicht des Senats letztlich dem Beratungsarzt W darin zuzustimmen, dass es sich im vorliegenden Fall um einen medizinischen Grenzfall handelt. In der Tat ist die Anzahl der Indizien pro und contra klein, während ein größerer Anteil als neutral eingestuft werden muss. Auch auf dieser Ebene, also der Zusammenschau aller relevanten Indizien, spiegelt sich aber die Beweislastverteilung wider. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang kann der Senat hier nicht erkennen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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