L 9 AS 2460/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 633/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2460/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. August 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung der Zusicherung für eine zwischenzeitlich bezogene neue Unterkunft.

Die 1979 geborene Klägerin und der 1977 geborene Kläger beziehen gemeinsam mit ihren 2002, 2006 und 2008 geborenen Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten. Sie bewohnten zunächst eine 2 ½-Zimmer-Wohnung in der K-Straße in D, für die zuletzt eine Grundmiete in Höhe von 540,00 € und Nebenkosten in Höhe von 190,00 € zu entrichten waren. Mit Schreiben vom 01.12.2020 kündigten die bisherigen Vermieter das Mietverhältnis zum 31.08.2021 wegen Eigenbedarfs.

Am 17.12.2020 beantragten die Kläger unter Vorlage eines nicht unterschriebenen Mietvertrags die Zusicherung zu den Aufwendungen einer neuen Unterkunft aufgrund eines zum 15.02.2021 geplanten Umzugs in die K1-Straße in D. Für die 100 m² große 4-Zimmer-Wohnung war eine monatliche Grundmiete in Höhe von 850,00 € und Nebenkosten in Höhe von 100,00 € sowie eine Mietkaution in Höhe von 2.500,00 € vereinbart. Am 18.12.2020 beantragten sie ein Darlehen für die Mietkaution in Höhe von 2.500,00 €.

Mit Bescheid vom 23.12.2020 stellte der Beklagte fest, dass der Umzug erforderlich sei. Die Aufwendungen für die neue Unterkunft seien nicht angemessen und die Zusicherung für die Übernahme der Aufwendungen für die neue Unterkunft werde nicht erteilt. Die angemessene Kaltmiete für einen 5-Personen-Haushalt in D liege bei 665,00 €. Bei einem Umzug würden somit lediglich die angemessenen Kosten übernommen; eine darlehensweise Übernahme der Kaution sei nicht möglich.

Hiergegen legten die Kläger am 29.12.2020 Widerspruch ein. Wegen der Eigenbedarfskündigung müssten sie ausziehen; eine Wohnung nach Vorgabe des Beklagten zu finden, sei realitätsfern und nicht machbar. Da aufgrund der Corona-Krise die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Wohnungen von März bis Dezember 2020 ausgesetzt worden sei, forderten sie die Übernahme der tatsächlichen Miete für mindestens sechs Monate sowie die darlehensweise Übernahme der Mietkaution.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Wohnung angemessen sei bzw. dass die Übernahme der Aufwendungen in tatsächlicher Höhe zugesichert werde. Die Kaltmiete der Wohnung liege bereits deutlich über der als angemessen anzusehenden Miete. Anderes ergebe sich auch nicht aus § 67 SGB II, da dieser keine Modifikation des Zusicherungserfordernisses nach § 22 Abs. 4 und 6 SGB II enthalte.

Nach Abschluss des Mietvertrags am 20.12.2020 zogen die Kläger am 15.02.2021 in die Wohnung in der K1-Straße in D um. Die Mietkaution beglichen sie in Raten (1.500,00 € am 05.02.2021, 500,00 € am 05.03.2021 und 500,00 € am 09.04.2021).

Mit Änderungsbescheid vom 18.01.2021 gewährte der Beklagte unter Abänderung der für diesen Zeitraum zuvor ergangenen Bewilligungsbescheide vom 17.09.2020 und 21.11.2020 für die Zeit vom 01.02.2021 bis 30.04.2021 vorläufig Leistungen, wobei die Kosten für Unterkunft und Heizung in der durch den Beklagten als angemessen angesehenen Höhe (Grundmiete 665,00 €, Nebenkosten 100,00 €, Heizung 190,00 €) als Bedarf berücksichtigt wurden. Hiergegen legten die Kläger am 04.02.2021 Widerspruch ein. Mit Änderungsbescheiden vom 09.02.2021 und 16.03.2021 gewährte der Beklagte für Februar bis April 2021 wegen einer Änderung in den Einkommensverhältnissen vorläufig höhere Leistungen, die Höhe der berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung blieb aber unverändert. Mit Bescheid vom 04.05.2021 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum November 2020 bis April 2021 abschließend Leistungen und berücksichtigte hierbei ab 15.02.2021 lediglich die als angemessen angesehenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Auch für den nachfolgenden Bewilligungsabschnitt von Mai bis November 2021 gewährte der Beklagte zunächst Leistungen unter Berücksichtigung lediglich der als angemessen angesehenen Grundmiete von 665,00 €. Mit Änderungsbescheid vom 25.02.2022 gewährte der Beklagte für die Zeit von Mai bis Juli 2021 höhere Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Grundmiete von 850,00 €. Mit Änderungsbescheid vom 19.04.2022 gewährte der Beklagte auch für den Zeitraum Februar bis April 2021 höhere Leistungen unter Berücksichtigung einer Grundmiete von 850,00 €. Für den Zeitraum August 2021 bis Dezember 2021 berücksichtigte der Beklagte die als angemessen angesehene Grundmiete von 665,00 €, im Januar und Februar 2022 wurde eine Grundmiete von 735,00 € als angemessen angesehen und bei der Leistungsgewährung berücksichtigt. Ab März 2022 bis zuletzt Oktober 2022 wurde wiederum die tatsächliche Grundmiete von 850,00 € als Bedarf anerkannt. Mit Schreiben vom 24.02.2022 wurden die Kläger aufgefordert, die Kosten der Unterkunft zu senken. Vorbehaltlich weiterer Anträge würden die tatsächlichen Kosten längstens bis zum 31.08.2022 berücksichtigt.

Am 18.03.2021 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2021 aufzuheben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, in zwei weiteren Widerspruchsverfahren sei die Höhe der Bewilligung der angemessenen Unterkunftskosten streitig. Es werde Klage erhoben, um keine Fakten durch einen bestandskräftigen Bescheid zu schaffen. Zudem habe der Beklagte keine Unangemessenheit feststellen können, da die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten nach § 67 Abs. 3 SGB II als angemessen gelten.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.08.2022 abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Für die auf Erteilung einer Zusicherung gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage entfalle mit dem Umzug das Rechtsschutzinteresse. Ab diesem Zeitpunkt sei im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage auf Erstattung der vollen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu klagen. Auch ein Anspruch auf eine isolierte Zusicherung der Angemessenheit der Unterkunftskosten der bereits bewohnten Unterkunft bestehe nicht. Für eine isolierte Anfechtungsklage gelte nichts Anderes, da auch hier vorrangig Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen sei, mit dem die Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung geltend gemacht werde. Die Kläger seien zum 15.02.2021 in die neue Wohnung umgezogen, weshalb kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Entgegen der Auffassung der Kläger müsse die Bestandskraft dieses Bescheides im Hinblick auf die Verfahren, in denen höhere Leistungen begehrt werden, nicht verhindert werden, da in diesen Verfahren wegen der Höhe der Unterkunftskosten über den Gegenstand einer Zusicherung bzw. über die Angemessenheit der Unterkunftskosten selbst zu befinden sei (unter Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 5/10 R -, Juris Rdnr. 15). Der angegriffene Bescheid stehe einer Klage auf höhere Leistungen nicht entgegen.

Gegen den ihnen am 13.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 24.08.2022 Berufung eingelegt.

Die Kläger beantragen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 11. August 2022 und den Bescheid des Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Kläger in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und statthaft gemäß §§ 143, 144 SGG; sie ist aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2021, mit dem der Beklagte den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Zusicherung für die Übernahme der Aufwendungen für die Unterkunft in der K1-Straße in D nicht erteilt hat. Mit der reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG begehren die Kläger allein die Aufhebung dieses Ablehnungsbescheids, ohne zugleich im Wege der Verpflichtungsklage die Erteilung einer Zusicherung geltend zu machen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Verpflichtungsklage vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 5/10 R -, Juris).

Die am 18.03.2021 erhobene Anfechtungsklage war von Anfang an unzulässig. Aufgrund des Umzugs der Kläger in die neue Wohnung am 15.02.2021 fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos in Anspruch nehmen darf. Unzulässig ist ein Rechtsmittel daher dann, wenn ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelführers hieran nicht (mehr) besteht, weil die Rechtsverfolgung ihm offensichtlich keinerlei rechtliche Vorteile bringen, das Rechtsschutzziel also nicht erreicht werden kann. Ein Rechtschutzinteresse fehlt, wenn unzweifelhaft ist, dass das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung der Kläger nicht verbessern würde. Es fehlt auch, wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020; vor § 51 Rdnr. 16a). Die Kläger verfolgen nach ihrem Vortrag mit der Anfechtungsklage das Ziel, keine Fakten durch einen bestandskräftigen Bescheid zu schaffen, da hinsichtlich der Höhe der als Bedarf zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft noch zwei weitere Widerspruchsverfahren anhängig seien. Für dieses Begehren fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Entgegen der Auffassung der Kläger muss die Bestandskraft dieses Bescheides im Hinblick auf die Verfahren, in denen höhere Leistungen begehrt werden, nicht verhindert werden; in den Verfahren, in denen die Leistungshöhe im Streit steht, ist, auch wenn eine Zusicherung nicht erteilt worden ist, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten selbst zu befinden.

Gemäß § 22 Abs. 4 SGB II soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen, wobei der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet ist, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist – anders als die Zusicherung für die sog. Transaktionskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II – keine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, sondern hat lediglich eine vorbeugende Aufklärungs- und Warnfunktion zwecks Abwendung einer erneuten Notlage des Hilfeberechtigten infolge einer nur teilweisen Übernahme der Unterkunftskosten (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -, Juris). Da die Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten im Zusammenhang mit dem späteren Bewilligungsbescheid erfolgen muss, ohne dass ein vorheriges Zusicherungsverfahren nach § 22 Abs. 4 SGB II durchgeführt worden ist, besteht nach dem Umzug in die neue Wohnung das Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Zusicherung als vorgreifliche Teilregelung nicht mehr (BSG, Urteil vom 06.04.2011, a.a.O.); die vorherige Ablehnung der Zusicherung kann bei einem Streit über die Höhe der Leistungen den Klägern auch nicht entgegengehalten werden.

Die beiden zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch anhängigen Widerspruchsverfahren sind zwischenzeitlich erledigt. Mit Änderungsbescheid vom 25.02.2022 hat der Beklagte für die Zeit von Mai bis Juli 2021 und mit Änderungsbescheid vom 19.04.2022 auch für die Zeit von Februar bis April 2021 höhere Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Grundmiete von 850,00 € bewilligt und den Widersprüchen der Kläger damit abgeholfen.

Nachdem die Kläger im Klageverfahren ausdrücklich nicht die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Zusicherung beantragt haben, kommt es vorliegend nicht darauf an, ob sich durch den Umzug auch das Zusicherungsverfahren im Hinblick auf die Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II, insbesondere für die Mietkaution, erledigt hätte (vgl. zur Unterscheidung der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 und Abs. 6 SGB II ausführlich LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.05.2017 - L 7 AS 87/17 B -, Juris). Die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 6 SGB II ist darüber hinaus nicht durch eine Verpflichtungsklage zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Kläger auch im Berufungsverfahren.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

 

Rechtskraft
Aus
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