S 17 KA 356/20 WA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 17 KA 356/20 WA
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Berücksichtigung "besonderer Kosten" in der Neufassung der Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11. Dezember 2019, B 6 KA 12/18 R) ist rechtswidrig, weil sie die Verteilungsprinzipien der EHV nicht hinreichend berücksichtigt. 

2. Die KV ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, sowohl gegenüber den aktiven wie auch inaktiven Vertragsärzten, zumindest auf berechtigte Nachfrage, ein Zahlenwerk zur Verfügung zu stellen, aufgrund dessen die von ihr durchgeführten Berechnungen rechnerisch nachvollzogen werden können. 
 

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 und des weiteren Bescheides der Beklagten vom 29. November 2022 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

2.    Die Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beitragsbemessung in der Erweiterten Honorarverteilung (EHV), insbesondere um die Berücksichtigung besonderer Kosten. 

Die Klägerin ist ein radiologisches MVZ mit Sitz in A-Stadt und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. 

Mit Bescheid vom 26. Juni 2013 setzte die Beklagte den Beitrag zur EHV für die Radiologin Dr. M. für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 30. Juni 2014 gemäß der Beitragsklasse 5 mit 3.219 € pro Quartal fest. Dr. M. ist als Fachärztin für diagnostische Radiologie zugelassen und seit dem 1. Juli 2007 bei der Klägerin angestellt.

Mit ihrem Widerspruch rügte die Klägerin insbesondere die ausschließlich umsatzbezogene Erhebung der Beiträge und erhob am 23. Dezember 2014 zum Sozialgericht Marburg zunächst eine Untätigkeitsklage (Aktenzeichen S 12 KA 620/14).  

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2015 zurück. Sie legte dar, dass sich das zu berücksichtigende Honorar aus sämtlichen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erzielten Honoraren des Vorvorjahres zusammensetze (§ 3 Abs. 1 S. 2 GEHV). Dabei werde das ärztliche Bruttohonorar der Primär- und Ersatzkassen im Jahr 2011 herangezogen. Weiterhin seien ggf. die Honoraranteile für vollständig von der EHV befreite Ziffern honorarmindernd bzw. die Ausgleichsindex maximus-Zahlungen, Kürzungen im Rahmen der Fortbildungsverpflichtung und Vergütungen von Vorquartalsfällen honorarsteigernd zu berücksichtigen. Die so durchgeführte Berechnung des Honorars von Dr. M. für das Jahr 2011 stelle sich wie folgt dar: 

Honorar lt. Arztrechnung 1/2011   58.818,71 €
EHV relevantes Honorar 1/201115   58.818,71 €
   
Honorar lt. Arztrechnung 2/2011   64.188,67 €
zzgl. Honorarkorrektur 2/2011 (anteilig)     6.774,44 €
EHV relevantes Honorar 2/2011   70.963,11 €
   
Honorar lt. Arztrechnung 3/2011   67.032,01 €
EHV relevantes Honorar 3/2011   67.032,01 €
   
Honorar lt. Arztrechnung 4/2011   65.502,37 €
zzgl. Honorarkorrekturen 4/2011 (anteilig)        888,80 €
EHV relevantes Honorar 4/2011   55.381,17 €
   
Gesamt 2011 263.205,00 €


Nach § 10 Abs. 3 GEHV betrugen die erstmalig festzusetzenden Beiträge zum Stichtag 1. Juli 2012 in Euro:
2,0450 %2,0450 %2,0450 %

Beitragsklasse % Anteil am Durchschnittshonorar Beitrag je Quartal (in Prozent der jährlichen Bezugsgröße i.S. § 18 Abs. 1 SGB IV) Beitrag je Quartal (in Euro)
(Spalte 1) (Spalte 2) (Spalte 2) (Spalte 4)
1 0 ≤ 25 2,0450 % 627
2 > 25 ≤50 4,0900 % 1.254
3 > 50 ≤ 75 6,1350 % 1.881
4 > 75 ≤ 100 8,1800 %  2.508
5 > 100 ≤ 125 10,2250 % 3.135
6 > 125 ≤ 150 12,2701 % 3.762
7 > 150 ≤ 175 14,3151 % 4.389
8 > 175 ≤ 200 16,3601 %  5.016
9 > 200 ≤ 18,4051 %  5.643


Das Durchschnittshonorar aller EHV-pflichtigen Ärzte für das Beitragsjahr 2013/2014 betrage 214.537,75 €, das für Dr. M. zu berücksichtigende Gesamthonorar 263.205,00 €. Somit betrage der Anteil am Durchschnittshonorar aller EHV-pflichtigen Vertragsärzte 122,68 %, so dass Dr. M. in die Beitragsklasse 5 einzustufen gewesen sei (§ 10 Abs. 3 GEHV).

Das Klageverfahren hat auf Antrag der Beteiligten zum Zwecke des Abwartens eines Musterprozesses gemäß Beschluss der Kammer vom 10. Februar 2015 geruht. 

Das Gericht hat das Verfahren sodann im Juli 2020 nach Abschluss des Revisionsverfahrens beim Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019, Az. B 6 KA 12/18 R) von Amts wegen wieder aufgerufen (Aktenzeichen S 12 KA 356/20). 

Die Beklagte hat aufgrund der BSG-Entscheidung ihre Satzung wie folgt geändert, insbesondere § 3 Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung (GEHV) angepasst und § 3a eingefügt. 

„§ 3 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
In Satz 2 wird hinter die Wörter „das heißt aller für das herangezogene Kalenderjahr durch die KV Hessen vergüteten ärztlichen Honorare" die Wörter „nach Berücksichtigung der besonderen Kosten nach § 3a" eingefügt.
Nach § 3 wird § 3a wie folgt neu eingefügt: § 3a Berücksichtigung von Praxiskosten
(1)    Bei der Ermittlung der durch die KV Hessen vergüteten Honorarforderung des Vertragsarztes, die Grundlage für die Höhe des zu leistenden Beitrages nach § 3 Abs. 1 ist, werden für EHV-pflichtige Arztgruppen mit besonders hohen Kostenanteilen (besondere Kosten) diese besonderen Kosten nach Maßgabe der nachfolgenden Sätze von der Honorarforderung abgezogen und nicht bei dem Beitrag nach § 3 Abs. 1 berücksichtigt.
Eine Arztgruppe hat besondere Kosten, wenn deren durchschnittliche Kosten (in %) um mehr als 15 % über den durchschnittlichen Kosten aller EHV-pflichtigen Arztgruppen (in %) liegen.
Die durchschnittlichen Kosten aller EHV-pflichtigen Arztgruppen und die durchschnittlichen Kosten je Arztgruppe (jeweils in %) werden anhand einer geeigneten Datengrundlage ermittelt, die erstmalig von der Vertreterversammlung beschlossen und vom Vorstand veröffentlicht wird.
Die durchschnittlichen Kosten aller EHV-pflichtigen Arztgruppen werden berechnet, indem die durchschnittlichen Kosten (in %) aller EHV-pflichtigen Arztgruppen addiert und durch die Anzahl der zugrunde gelegten EHV-pflichtigen Arztgruppen dividiert werden.
(2)    Sofern für eine EHV-pflichtige Arztgruppe keine oder keine ausreichenden Daten aus der nach Abs. 1 ausgewählten Datengrundlage zu entnehmen sind, wird sie einer anderen Arztgruppe mit ausreichender Datengrundlage zugeordnet, mit der sie am ehesten vergleichbar ist.
(3) Die nach den Absätzen 1 und 2 ermittelten Arztgruppen und Kosten werden gemäß der Anlage zu § 3a bezogen auf das jeweilige Beitragsklassenjahr festgelegt. Der Vorstand ist anhand der Vorgaben unter den Absätzen 1 und 2 berechtigt, Korrekturen, Ergänzungen oder Aktualisierungen vorzunehmen, insbesondere wenn Änderungen der zugrundeliegenden Datenbasis dies erfordern.
(4) Der Vorstand wird ermächtigt, Durchführungsbestimmungen zu erlassen.

Nach § 11 wird eine Anlage zu § 3a wie folgt neu eingefügt: 
Anlage zu § 3a - Besondere Kosten 
Gültigkeit für das Beitragsklassenjahr 20XX: 
Der durchschnittliche Kostensatz über alle EHV-relevanten Fachgruppen beträgt: X % 
Der Grenzwert zur Berücksichtigung von besonders hohen Kosten liegt bei: Y % [X +15 %] 
Im Rahmen der Berechnung nach § 3a wird für Honorarforderungen bei den folgenden Arztgruppen ein besonderer Kostensatz berücksichtigt:

Arztgruppen Besonderer Kostensatz Berücksichtigung i.H.v.
Fachgruppe A mit     Z1% Z1% - Y%
Fachgruppe B mit     Z2%  Z2% - Y%
Fachgruppe C mit     Z3% Z3% - Y%
 
Fachgruppe D mit     Z4% Z4% - Y%
Fachgruppe E mit     Z5% Z5% - Y%
...    
...    


Für das Kalenderjahr 2011 ergaben sich folgende Werte
Der durchschnittliche Kostensatz über alle EHV-relevanten
Fachgruppen beträgt: 51,4 % 
Der Grenzwert zur Berücksichtigung von besonders hohen Kosten
liegt bei: 59,1 % [51,4 % + 15 %] 

Im Rahmen der Berechnung nach § 3a wird für Honorarforderungen bei den folgenden Arztgruppen ein besonderer Kostensatz berücksichtigt:
 

Arztgruppen Besonderer Kostensatz Berücksichtigung i.H.v.
Chirurgen    mit        59,50 %      0,40 %
Neurochirurgen    mit        59,50 %      0,40 %
Internisten mit SP Lungen/Bronchialk.    mit        68,80 %      9,70 %
Nuklearmediziner    mit        69,90 %     10,80 %
Kinder- und Jugendpsychiater    mit        61,20 %       2,10 %
Radiologen    mit        69,90 %     10,80 %
Internisten sonstige    mit        63,00 %       3,90 %
Strahlentherapeuten    mit        69,90 %      10,80 %


Mit Bescheid vom 29. November 2022 hat die Beklagte die Klägerin – in Umsetzung der BSG-Rechtsprechung – über ihren Anspruch wie folgt neu beschieden:

Berechnung Kalenderjahr 2011
 

Gesamthonorar 2011 263.205,00 €
Berücksichtigung von Kosten in %          10,80 %
Gesamthonorar unter Berücksichtigung Kosten 234.778,86 €
Durchschnittshonorar 2011 214.537,75 €
Anteil am Durchschnittshonorar        109,43 %
Beitragsklasse                 5


Die Beitragsklasse 5 erstrecke sich im hier streitgegenständlichen Zeitraum von 214.537,75 € bis 268.172,19 €. Das Honorar von Dr. M. sei von 263.205,00 € wegen der Berücksichtigung besonderer Kosten nach Maßgabe der geänderten GEHV um 10,80 % auf 234.778,86 € reduziert worden. Beide Beträge befinden sich innerhalb derselben Beitragsklassenbreite.

Die Beteiligten streiten noch über die Rechtmäßigkeit dieser Umsetzung der BSG-Entscheidung. Insoweit hat am 31. August 2022 ein Erörterungstermin stattgefunden. 

Die Klägerin rügt die fehlende Transparenz der Datengrundlagen. Es sei ihr nicht möglich nachzuvollziehen, aufgrund welcher Daten die Kostensätze der Fachgruppen ermittelt worden seien. Jedenfalls seien sie mit den ihr zugänglichen Daten des Panels des Zentralinstituts kassenärztliche Versorgung (Zi) weder aus dem Jahr 2013 noch aus den Jahren 2014 und 2015 in Einklang zu bringen. Zudem würden bei der Berechnung der Beklagten pauschal Einnahmen und Ausgaben jeglicher Art zugrunde gelegt, es werde nicht bezogen auf den vertragsärztlichen Bereich differenziert. Es zeige sich in den vorgelegten Daten, dass ein Stützungseffekt der nichtvertragsärztlichen Einnahmen bestehe, der jedoch für die EHV nicht berücksichtigt werden dürfe. Dies widerspreche den Rechtsgrundlagen, insbesondere § 3 GEHV. Es handele sich insofern auch nicht um „geeignete Datengrundlagen“ im Sinne dieser Vorschrift. Soweit die Beklagte nunmehr vortrage, dass sie das Zi mit einer Sonderauswertung beauftragt habe, sei weder ersichtlich, dass die Vertreterversammlung bzw. die Aufsichtsbehörden davon in Kenntnis seien. Schon der äußere Anschein spreche dafür, dass Auswahl und Aufbereitung der Zi-Daten dem Zweck hätten dienen sollen, der Beklagten eine argumentative Basis zu verschaffen, mit der Beitragserstattungen hätten verhindert werden können. 

Die Klägerin beantragt nunmehr, 
den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 sowie des weiteren Bescheides der Beklagten vom 29. November 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Formulierung der „geeigneten Datengrundlagen“ in § 3 GEHV insbesondere dem Zweck Rechnung trage, durch turnusmäßige Überprüfung die herangezogene Datenquelle regelmäßig neu zu bewerten, um so sicherzustellen, dass nicht eine initial ausgewählte Datenquelle fortlaufend und ohne erneute Evaluierung verwendet werde. Insofern seien hier die Zi-Daten bewusst nicht erwähnt. Eine verbindliche Festlegung der Verwendung der vom Zi für die kassenärztliche Versorgung bereit gestellten Daten erfolge in § 3a Abs. 1 S. 3 GEHV neue Fassung entsprechend den früher geltenden Kostenregelungen in den GEHV nicht. Das habe das BSG (Urteile aus den Jahren 2004 und 2008 und zuletzt Urteil vom 19. Februar 2014 (B 6 KA 10/13 R) zu der Kostenregelung in § 5 GEHV in der Fassung vom 1. April 2005 bis 30. Juni 2012) auch nicht gefordert und die damalige Regelung, in der lediglich auf die TL-Anteile des EBM 2000plus Bezug genommen worden sei, als hinreichend bestimmt bewertet. Soweit nach dieser Regelung die „TL-Anteile von der Vertreterversammlung aufgestellt und beschlossen würden“, habe das BSG dies im Urteil aus dem Jahr 2014 ebenfalls nicht beanstandet und entschieden, dass das eine zulässige Klarstellung durch den Satzungsgeber gewesen sei (BSG, Urteil vom 19. Februar 2014, B 6 KA 10/13 R). Anders als in den bisher geltenden Kostenregelungen in den früheren Fassungen der GEHV solle mit dem Begriff „geeignete Datengrundlage“ in § 3 Abs. 1 S. 3 GEHV aber dennoch vorgegeben werden, dass die Kosten nur auf Basis valider, öffentlich zugänglicher und überprüfbarer Quellen ermittelt würden. Da die Beklagte selbst über keine eigenen hausinternen Daten zu Kosten und Aufwendungen von Ärzten bzw. Praxen verfüge, sei im Zuge der Umsetzung des Urteils des BSG vom 11. Dezember 2019 und der Satzungsänderungen der GEHV auf externe Quellen zurückzugreifen gewesen. Grundsätzliche Zielsetzung der Beklagten im Zuge der GEHV Änderungen sei gewesen, Datenquellen zu erschließen, die regionalisierte Inhalte zu Kostenstrukturen in Arztpraxen beinhalteten bzw. generieren könnten. 
Im Rahmen der zweiten Lesung zur Änderung der GEHV am 29. Mai 2021 sei von der Vertreterversammlung (VV) nach erneuter Anhörung des beratenden Fachausschusses EHV gemäß § 11b der Satzung der Beklagten beschlossen worden, auf die Daten des Zi zurückzugreifen, auf dessen Basis auch die neuen Anlagen zu § 3a beruhten, wie sie aus der Veröffentlichung bekannt seien. Für die Berechnung der durchschnittlichen Kosten „als geeignete Datengrundlage“ seien konkret die Zi-Daten des „Versorgungsraums Süd“ herangezogen worden. Denn diese Zahlen seien mit der hessischen Struktur am ehesten vergleichbar und konsolidierten die Erhebung aus den Umfragen.

Die Befugnisse des Vorstandes über § 3a Abs. 3 S. 2 GEHV neue Fassung sollten daher nicht weiter reichen, als sie bereits in den früher geltenden Kostenregelungen der GEHV gegolten hätten. Dem Vorstand sollten damit vor allem keine weitgehenden und unbestimmten Befugnisse eingeräumt werden. Das werde bereits durch die zusätzlichen Wörter „anhand der Vorgaben unter den Absätzen 1 und 2“ in § 3a Abs. 3 S. 2 GEHV gewährleistet. Hierin sei auch gleichzeitig eine Beobachtungspflicht zu erblicken, die ebenfalls die Aktualität der Datenbasis garantiere.

Die Beklagte hat zwei Excel-Dateien (Anlagen B2 und B3) zur Akte gereicht, die die getätigten Rechenoperationen erläutern sollen. Daraus ergäben sich folgende Berechnungsschritte:
- Aufwendungen je Inhaber / Einnahmen je Inhaber
- Kosten/Aufwendungen gemessen an den Einnahmen
- Gesamteinnahmen statt GKV-Einnahmen, da Aufwendungen teils höher
sind als GKV-Einnahmen (Aufwendungen/Kosten ohne Trennung
nach innerhalb/außerhalb GKV)

Bei den Durchschnittskosten gesamt seien folgende Schritte zu vollziehen:
- Aufwendungen je Inhaber „Ärztliche Fachgebiete“ / Einnahmen je Inhaber
„Ärztliche Fachgebiete“
o  Entspricht den Gesamtdurchschnitten für Aufwendungen bzw.
Einnahmen über alle ärztlichen Praxen – Durchschnittskosten
gesamt über alle relevanten Fachgruppen (ohne Psychotherapeuten)
o  Hier erfolgte die Berechnung durch das Zi in Gestalt der erwähnten    Gewichtungen; Rohdaten liegen nicht vor

Der 15%-Aufschlag auf Durchschnittskosten gesamt als Referenzwert für
„besondere Kosten“ werde wie folgt ermittelt:
  Durchschnittskosten gesamt * 15%
  Durchschnittskosten gesamt + (Durchschnittskosten gesamt * 15%) =
Referenzwert zur Bestimmung besonderer Kosten
  Wenn Durchschnittliche Kosten je Fachgruppe größer als Referenzwert,
dann „besondere Kosten“ und Kostenberücksichtigung

Die Beklagte hat zudem ein Schreiben des Zi vom 13. März 2023 (Anlage B4) übermittelt, in dem das Zi den Prozess der Sonderauswertung aus dem Zi-Praxis-Panel für die Beklagte darlegt. Die Beklagte habe das Zi im Dezember 2020 um Bereitstellung gesonderter Auswertungsergebnisse aus dem Zi-Praxis-Panel gebeten mit dem Ziel, eine möglichst differenzierte Darstellung der Kostenstrukturen von Praxen der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung auf Ebene der Fachgebiete und Fachgruppen sowie auf regionaler Ebene zu ermöglichen.

Daraufhin habe das Zi der Beklagten im Dezember 2020 eine Sonderauswertung übermittelt. Diese habe Angaben zu den Kostenstrukturen der Praxen der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung im Berichtsjahr 2018 (auf Grundlage der Erhebungswelle 2019 des Zi-Praxis-Panels) enthalten. Die ausgewerteten Merkmale hätten Angaben zu den durchschnittlichen Einnahmen je Praxisinhaber (Gesamteinnahmen und Einnahmen aus Abrechnung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung) sowie zu den durchschnittlichen Aufwendungen je Praxisinhaber (Gesamtaufwendungen und Differenzierung nach Aufwendungen für Personal; Miete und Nebenkosten der Praxisräume; Versicherungen, Beiträge und Gebühren; praxisbedingte Kraftfahrzeugnutzung; Abschreibungen; Leasing und Miete von Geräten; Material und Labor; Fremdkapitalzinsen; Fortbildung; Wartung und Instandhaltung; Nutzung externer Infrastruktur; Sonstige) erfasst. Die Auswertungen sei auf Fachgebiets- und Fachgruppenebene bereitgestellt worden auf Grundlage von am Zi-Praxis-Panel teilnehmenden Praxen aus dem Gebiet der KV Hessen. Um die Anonymität der am Zi-Praxis-Panel teilnehmenden Praxen jederzeit zu gewährleisten, seien bei Auswertungen stets Mindestbesetzungszahlen für jede dargestellte Teilgruppe einzuhalten. Hierfür müssten jeweils mehr als fünf Praxen in eine Teilgruppe einfließen, andernfalls würden die Angaben zensiert und für die betreffende Teilgruppe keine Angaben dargestellt. Dies führe dazu, dass insbesondere auf KV-Ebene bei weitergehender Differenzierung für zahlreiche Fachgebiete und Fachgruppen aufgrund unzureichender Besetzungszahlen keine Auswertungen bereitgestellt werden könnten. Aus diesem Grund seien in der Auswertung für die KV Hessen neben KV-spezifischen Auswertungen zusätzlich Auswertungen auf Grundlage von Praxen aus dem Versorgungsraum Süd (Aggregat aus KV Baden-Württemberg, KV Bayerns und KV Hessen) bereitgestellt worden. Im März 2021 habe das Zi auf Wunsch der Beklagten eine erweiterte Auswertung bereitgestellt, die in Ergänzung der Auswertung vom Dezember 2020 eine Darstellung der über alle ärztlichen Fachgebiete aggregierten Angaben (ohne Berücksichtigung Psychotherapie bzw. Sozialpsychiatrie) enthalten habe. Neben der Bereitstellung der Auswertungsergebnisse für das Berichtsjahr 2018 habe die Beklagte das Zi zudem um Bereitstellung der Angaben entsprechend des bisherigen Auswertungsschemas für die Vorjahre, beginnend mit dem Berichtsjahr 2011 gebeten. Diese Auswertungsergebnisse seien im Mai 2021 an die Beklagte übermittelt worden.

Auf Anforderung der Kammer hat die Beklagte das Beschlussprotokoll der Vertreterversammlung vom 29. Mai 2021 (Anlage B5) sowie die Genehmigung des Ministeriums zur Akte gereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren. 


Entscheidungsgründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richterinnen aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). 

Die Klage ist nach Erledigung der Untätigkeitsklage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. 

Der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2022 ist nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Verfahrens geworden. Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt dieser Vorschrift nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Nach Maßgabe des § 96 SGG wird der neue Verwaltungsakt automatisch Klagegegenstand, ohne dass es einer gewillkürten Klageänderung oder eines Vorverfahrens bedarf; es handelt sich also um eine Klageänderung kraft Gesetzes (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rdnr. 1a). Geändert oder ersetzt wird ein Verwaltungsakt immer, wenn er denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsverwaltungsakt betrifft, bzw. wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016, B 8 SO 1/15 R; Urteil vom 17. Dezember 2015, B 8 SO 14/14 R; Urteil vom 20. Juli 2005, B 13 RJ 23/04 R). Abändern oder Ersetzen setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden. Der neue Verwaltungsakt muss zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen sein, wobei es unschädlich ist, dass die Verwaltungsakte auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt sind (vgl. BSG, Beschluss vom 28. Oktober 2009, B 6 KA 56/08 B - juris Rdnr. 13; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. September 2017, L 4 KA 34/14; Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rdnr. 4). Vorliegend erging der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2022 zwar auf der Grundlage einer geänderten Satzung. Sein Regelungsgegenstand war jedoch identisch mit dem des Ausgangsbescheides vom 26. Juni 2013, da er die Festsetzung der EHV-Beiträge für Dr. M. für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 30. Juni 2014 zum Gegenstand hatte. 

Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 und des weiteren Bescheides der Beklagten vom 29. November 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat deshalb erneut einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. 

Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zur EHV war ursprünglich § 3 Abs. 1 Satz 1 der GEHV, die die Beklagte durch Beschluss ihrer Vertreterversammlung in den Sitzungen vom 10. März 2012 und 12. Mai 2012 mit Wirkung zum 1. Juli 2012 neu gefasst hatte. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der GEHV ist § 8 des hessischen Landesgesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen i. d. F. d. Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 2009, GVBl. 2009, Teil I, 662, in Kraft getreten am 23.12.2009 (KVHG) i. V. m. Art. 4 § 1 Abs. 2 des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) vom 17. August 1955 (BGBl I 513). Nach Art. 4 § 1 Abs. 2 GKAR bleiben landesrechtliche Regelungen über die Altersversorgung der Kassenärzte unberührt. Diese Vorschrift schützt die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits bestehenden Versorgungseinrichtungen von Kassen-(heute: Vertrags-)Ärzten. Diese Vorschrift ist ebenfalls verfassungsgemäß (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 19. Februar 2014, B 6 KA 10/13 R). Das BSG hat für diese Vorläuferfassung entschieden, dass § 8 KVHG i. V. m. Art. 4 § 1 Abs. 2 GKAR verfassungsgemäß ist, insbesondere eine hinreichend präzise Ermächtigungsgrundlage für den Satzungsgeber enthält, im Rahmen der betroffenen grundrechtlichen Gewährleistungen von Art 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG einerseits und Art. 14 Abs. 1 GG andererseits Regelungen zu treffen. Die Vorschriften bilden nicht nur mit hinreichender Bestimmtheit eine Grundlage für ein umlagefinanziertes Versorgungssystem, sondern auch für die Anpassung der EHV an sich ändernde Verhältnisse im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung. Nach Auffassung des Senats hat sich gezeigt, dass die Beklagte auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigungen auf (auch) grundlegende Änderungen in der Versorgungsstruktur in Bezug auf die EHV sachgerecht zu reagieren imstande ist (BSG, Urteil vom 19. Februar 2014, B 6 KA 10/13 R; SG Marburg, Urteil vom 10. Dezember 2014, S 12 KA 23/14).

Der Beklagten als normsetzende Körperschaft kommt die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zu. Sie ist im Rahmen der Ermächtigung des § 8 KVHG für die EHV verantwortlich und bestimmt zunächst selbst, mit welcher Maßnahme sie die Stabilität des Systems sichert (BSG, Urteil vom 16. Juli 2008, B 6 KA 38/07 R).

Mit der EHV-Reform 2012 führte die Beklagte ein Beitragsklassenmodell ein, vgl. § 3 Abs. 1 GEHV. Jeder aktive Vertragsarzt wird danach in eine der neun Beitragsklassen eingestuft, §§ 3 Abs. 2, 10 Abs. 3 GEHV. Grundlage für die Einstufung in die jeweilige Beitragsklasse bildet das prozentuale Verhältnis des arztindividuellen Honorars am Durchschnittshonorar aller aktiven Vertragsärzte (Beitragszahler). Dabei ist für die Ermittlung der Durchschnittshonorare auf das Vorvorjahr abzustellen. Für den vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum III/2013 bis II/2014 sind somit die Honorare des Jahres 2011 maßgeblich.

Die Satzung der Beklagten, insbesondere die Beitragsklassensystematik wurde vom BSG im Urteil vom 11. Dezember 2019 (B 6 KA 12/18 R) bestätigt. Jedoch hat das BSG judiziert, dass zwischen den Facharztgruppen hinsichtlich der Relation von Umsatz und Ertrag strukturelle - nicht individuelle - Unterschiede von solchem Ausmaß und Gewicht bestehen, dass eine schematische Gleichbehandlung für Zwecke der EHV nicht gerechtfertigt ist. Die Beklagte musste deshalb neu über die Höhe der Umlage für die EHV entscheiden und insoweit zunächst § 3 GEHV rückwirkend neu fassen. Wie dabei den Differenzen bei der Kostenstruktur der einzelnen Arztgruppen Rechnung zu tragen ist, konnte das BSG nicht vorgeben, legte jedoch eine 15%-Grenze fest. Erreicht der Abstand zwischen den Kostensätzen ärztlicher Gruppen oder abgrenzbaren Untergruppen diese 15 %, muss die KV dem für den Zweck der Berechnung der Umlage für die EHV durch eine Berücksichtigung von Kostenanteilen –  gegebenenfalls bei einzelnen Leistungen – Rechnung tragen. Bei Punktwertschwankungen von 15 % und mehr trifft die KV auch nach der modifizierten Rechtsprechung des BSG-Senats (Urteil vom 29. August 2007, B 6 KA 43/06 R) zumindest eine Überprüfungs- und Reaktionspflicht. Die Grenze von 15 % markiert damit tendenziell die Schwelle, ab der Ungleichbehandlungen ansonsten vergleichbarer Sachverhalte zumindest nicht mehr ohne Weiteres hingenommen werden können (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019, B 6 KA 12/18 R).

Bereits im Jahr 2014 hatte das BSG entschieden, dass bei der Ermittlung der für die EHV einzubehaltenden Gesamtvergütungsanteile, die auf die einzelne Praxis entfallen, die Berücksichtigung von besonderen Kosten bei bestimmten Leistungen geboten ist, um auf die signifikanten Unterschiede bei den Kostensätzen innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zu reagieren. Soweit vertragsärztliche Umsätze verschiedener Arztgruppen nicht mehr tendenziell Überschüsse in ähnlicher Größenordnung erwarten lassen, muss dies bei Belastungen, die allein an Umsätzen ausgerichtet sind, berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2014, B 6 KA 10/13 R). Insofern ist auch der Gestaltungsspielraum der Beklagten als Normgeberin begrenzt (SG Marburg, Urteil vom 10. Dezember 2014, S 12 KA 23/14).

In Umsetzung des Urteils des BSG vom 11. Dezember 2019 (B 6 KA 12/18 R) zur Beitragsklassensystematik hat die Beklagte sodann ihre Satzung geändert, so dass neue Rechtsgrundlage nunmehr die durch Beschluss ihrer Vertreterversammlung vom 29. Mai 2021, veröffentlicht mit Rundschreiben vom 15. Dezember 2021 geänderte GEHV ist.

Zur Überzeugung der Kammer ist diese Neufassung der GEHV nicht mit den Verteilungsprinzipien der EHV vereinbar und deshalb rechtswidrig. Die Verteilungsprinzipien der EHV waren bereits Gegenstand der grundlegenden BSG-Urteile vom 9. Dezember 2004 (ua B 6 KA 44/03 R) und 16. Juli 2008 (B 6 KA 38/07 R). Danach gelten auch für die EHV die allgemein für die Erhebung von Beiträgen maßgeblichen Grundsätze, insbesondere das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz. Aus dem Äquivalenzprinzip folgt, dass Beitragsleistung und Versorgungsleistung einander entsprechen müssten. Zu beanstanden ist danach weder der Verzicht auf eine Beitragsbemessungsgrenze noch die Anknüpfung des Beitrags an die Honorarhöhe. Im Urteil vom 16. Juli 2008 hat das BSG die Anforderungen an normative Regelungen zur Alters- und Invaliditätssicherung von Vertragsärzten in der aktiven wie in der Ruhestandsphase präzisiert. Die Maßstäbe ergeben sich einerseits aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art 12 Abs. 1 iVm Art 3 Abs. 1 GG) und andererseits - insbesondere in der inaktiven Phase - aus Art 14 Abs. 1 GG. Die Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen der EHV nach Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit sind danach strukturell und im Hinblick auf ihre besondere Schutzbedürftigkeit Ansprüchen aus betrieblichen Versorgungsanwartschaften und aus den beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystemen vergleichbar. Sie sind dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts als privatnützig zugeordnet, dienen seiner Existenzsicherung und beruhen auf Eigenleistungen ihres Inhabers. Der Vorwegabzug des Anteils der aktuellen Gesamtvergütung, der für die Zwecke der als reines Umlagesystem organisierten EHV benötigt wird, übernimmt die Funktion, die in der Rentenversicherung und der berufsständischen Altersversorgung dem „Beitrag" zukommt. Zum Umfang des Anspruchs hat das BSG dargelegt, den jetzt im Ruhestand lebenden Vertragsärzten sei zugesichert worden, dass sie an der Verteilung der Gesamtvergütung nach allgemein verbindlichen, vor dem jeweiligen Quartal erlassenen Regelungen teilnehmen, und dass sich - nicht anders als in einem umlagefinanzierten System wie der gesetzlichen Rentenversicherung und auch nicht anders als in der steuerfinanzierten Versorgung von Beamten - der wirtschaftliche Erfolg in der aktiven Zeit in der Höhe der Einnahmen in der inaktiven Phase - nicht punktgenau, sondern nur prinzipiell - widerspiegelt. Die Beklagte ist im Rahmen ihrer Satzungsautonomie stets gehalten, auf einen sachgerechten Ausgleich hinzuwirken zwischen den Belangen der aktiven Ärzte, denen hinreichende Anreize für Aufnahme und Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit gegeben werden müssten, und den Interessen der früheren Vertragsärzte, die durch eigene Aktivitäten die Höhe ihrer Ansprüche aus der EHV nicht mehr beeinflussen und ihre Altersversorgung nicht mehr ausbauen könnten und deshalb besonders schutzbedürftig sind. Dem schließt sich die Kammer an.

Die EHV als ausbalanciertes Umlagesystem beruht auf einer paritätischen Beteiligung von Einzahlern, den aktiven Vertragsärzten und den inaktiven Beziehern an der Systemfinanzierung. Diese Parität verlässt die Beklagte mit der Änderung von § 3a GEHV, da sie eine vom BSG auf der Seite der aktiven Vertragsärzte ausgemachte Ungleichbehandlung bei der fehlenden Berücksichtigung besonderer Kostensätze nicht nur auf der Seite der aktiven Vertragsärzte reguliert, sondern das aus ihren Neuberechnungen sich ergebende Defizit paritätisch auf die aktiven und inaktiven Vertragsärzte verteilt. So ergibt sich aus dem Beschlussprotokoll der Vertreterversammlung vom 29. Mai 2021, dass eine fiktive Neuberechnung auf Grundlage der Zi-Daten das EHV-relevante Honorar um 4,7 Mio. Euro verringere und die EHV-Umlage um 212.500 Euro sinke. 

Nach § 3a GEHV wird nunmehr ermittelt, welche Fachgruppen einen „besonderen“ Kostensatz haben, der oberhalb von 15% des Durchschnitts aller EHV-relevanten Fachgruppen liegt. Soweit Werte oberhalb der 15%-Grenze ermittelt wurden, wird der EHV-relevante Umsatz um die prozentuale Überschreitung reduziert. Daraus folgt, dass Erstattungen für Reduzierungen der Beitragsklasse vorzunehmen sind, die zu einem Defizit führen. Dieses Defizit muss zur Überzeugung der Kammer nach der Systematik der EHV allein auf der Seite der aktiven Vertragsärzte kompensiert werden, da es nur auf dieser Seite zu einer Ungleichbehandlung aufgrund der unterschiedlich hohen Kostensätze gekommen ist. Insofern geht die Kammer davon aus, dass auf der Seite der aktiven Vertragsärzte eine Umverteilung der Belastungen und nicht nur eine einseitige Begünstigung der Fachgruppen mit „besonderen“ Kosten hätte vorgenommen werden müssen. 

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen kann grundsätzlich offen bleiben, ob die Datengrundlagen, die die Beklagte für die Berechnung der EHV-Beiträge zugrunde gelegt hat, hinreichend bestimmt waren. Zur Überzeugung der Kammer genügen diese – auch nachdem die Beklagte mehrfach versucht hat, das entsprechende Datenmaterial zu plausibilisieren – nicht den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). 

Die Kammer hat bereits mit Urteil vom 30. März 2022 (S 17 KA 201/19 WA) entschieden, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet ist, sowohl gegenüber den aktiven wie auch inaktiven Vertragsärzten, zumindest auf berechtigte Nachfrage, ein Zahlenwerk zur Verfügung zu stellen, aufgrund dessen die von der Beklagten durchgeführten Berechnungen rechnerisch nachvollzogen werden können. Hieran hält die Kammer nach erneuter Prüfung fest. 

Die Klägerin hat vorliegend präzise und substantiierte Einwände gegen die von der Beklagten dargelegten Datengrundlagen und Berechnungsergebnisse erhoben. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. 

Die Beklagte hatte zunächst vorgetragen, die Daten über die Kostenstruktur der EHV-relevanten Fachgruppen seien aus den Zi-Auswertungen übernommen. Nachdem die Klägerin mehrmals dargelegt hatte, dass sie mit keiner der vorhandenen öffentlichen Zi-Auswertungen die Daten der Beklagten übereinbringen konnte, hat die Beklagte kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie eine Sonderauswertung durch das Zi habe vornehmen lassen, um die entsprechenden Daten zu generieren. Aus dem Schreiben des Zi hierzu vom 13. März 2023 (Anlage B4) ergibt sich, dass die Beklagte seit dem Jahr 2020 mehrfach mit dem Zi in Kontakt war, um spezifische Auswertungen zur Ermittlung der Kostenstrukturen der EHV-relevanten Arztgruppen zu generieren. Letztliche – soweit ist das Vorgehen für die Kammer plausibel und auch nicht zu beanstanden – wurden Daten aus dem Versorgungsraum Süd (inklusive Bayern und Baden Württemberg) generiert, um die Datenlücken zu schließen, die bei der allein hessenweiten Ermittlung insbesondere bei den „kleinen“ Fachgruppen aufgetreten waren. 

Darüber hinaus rügt die Klägerin aus Sicht der Kammer zu Recht, dass die Auswertung der Beklagten ausschließlich auf die Gesamtkosten (einschließlich Private Krankenversicherung, PKV) Bezug nimmt. Es ist der Kammer bekannt, dass das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben im Bereich der PKV deutlich günstiger ist, so dass zu unterstellen ist, dass – zunächst fachgruppenunabhängig – der prozentuale Gewinn aus GKV und PKV grundsätzlich nicht identisch ist. Dies dürfte sich jedoch bei den kostenintensiven Fachgruppen, die auch in der PKV hohe Umsätze generieren, besonders auswirken. Soweit die Beklagte in ihren Berechnungen von einheitlichen Gewinn-Quoten für GKV und PKV ausgeht, wird dies der Systematik der EHV – die allein die vertragsärztlichen Umsätze quantifiziert – nicht gerecht. 

Die konkret von der Beklagten vorgelegt Berechnung ermöglicht mangels entsprechender Transparenz der Berechnung keine vollständige Überprüfung durch die Kammer. 

Die Beklagte hat mit ihren Anlagen B2 und B3 Excel-Dokumente zur Verfügung gestellt, aus denen sich der durchschnittliche Kostenfaktor der EHV-relevanten Fachgruppen errechnen lassen soll. Wie die Klägerin zutreffend vorgetragen hat, lässt sich das Ergebnis (51,4%) aus diesen Excel-Daten jedoch nicht rechnerisch ermitteln. Das Ergebnis muss in irgendeiner Form gewichtet sein. Die Vertreter der Beklagten haben dazu im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Abweichungen von den rechnerisch zu ermittelnden Daten an den „kleinen“ Fachgruppen liegen, für die kein hinreichendes Datenmaterial zur Verfügung gestanden habe. Die Besonderheiten der Nuklearmediziner und Strahlentherapeuten sowie Neurochirurgen hätten in der Tabelle nicht berücksichtigt werden können, weil die verfügbaren Datenmengen nicht ausreichten um eine eigene Auswertung vornehmen zu können. Deshalb seien diese Fachgruppen den Radiologen bzw. Chirurgen zugeordnet worden. In welcher Weise diese Zuordnung erfolgt ist und wie dies rechnerisch Berücksichtigung gefunden hat, konnte auch die Kammer im Termin nicht feststellen und nachvollziehen. 

Aus diesen Gründen musste die Klage Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. 
 

Rechtskraft
Aus
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