S 18 KA 523/17 WA

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 18 KA 523/17 WA
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Ein Formenmissbrauch, der die Beklagte zur Aufhebung und Neufestsetzung der Honorarbescheide berechtigt, besteht auch bei zwei Einzelpraxen, wenn sich die formale Aufgliederung im Praxisalltag nicht widerspiegelt und die Patienten trotz abweichenden Praxisanschriften wie im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis behandelt werden.

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 90.500,80 € festgesetzt.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Honorarrückforderungen aufgrund von patientenbezogener Plausibilitätsprüfungen für die Quartale III/05 bis IV/07 und I/08 bis IV/10.

Der Kläger ist Arzt für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in der A-Straße, A-Stadt. Bis zum 01.06.2002 führte er mit Frau Dr. D.-A. eine Praxisgemeinschaft. Ob die Praxisgemeinschaft auch noch im Zeitraum II/05 bis IV/10 bestand, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Frau Dr. D.-A. war vom 24.04.2003 bis 21.03.2007 als psychotherapeutisch tätige Ärztin und Fachärztin für Allgemeinmedizin zugelassen und ab dem 22.03.2007 bis zum 31.12.2008 als Fachärztin für Allgemeinmedizin. Seit dem 01.01.2009 ist sie wieder in Doppelzulassung tätig.

Mit Schreiben vom 06.03.2009 informierte die Beklagte den Kläger über die Durchführung einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale II/05 bis I/07 im Wege einer Gegenüberstellung mit der Praxis von Frau D.-A. in A-Stadt, mit er eine Praxisgemeinschaft bilden würde. Für die Praxis des Klägers hätten sich eine Vielzahl von gemeinsam behandelter Patienten (von ca. 24 % bis über 30 %) ergeben. Ebenfalls übersandte die Beklagte dem Kläger eine Liste mit beispielshaften Patienten, die dem jeweiligen Überschneidungsprozentsatz zuzuordnen sei.

Hierauf reichte der Kläger mit Schreiben vom 01.04.2009 (Bl. 394 bis 396 der Verwaltungsakte) eine Stellungnahme ein. In dieser teilte er mit, dass er seit dem 01.06.2002 keine Praxisgemeinschaft mehr mit Frau Dr. D.-A. führen würde. Bei seiner Praxis handele es sich um eine stark frequentierte allgemeinärztliche Einzelpraxis mit den üblichen Organisationsabläufen einer typischen Hausarztpraxis. Bei vielen dieser Patienten sei eine weitere psychotherapeutische Abklärung und intensive fachliche Betreuung dringend erforderlich, um durch rechtzeitiges Handeln letztendlich Kosten zu sparen. Solche Fälle seien dann zum Beispiel Überschneidungsfälle mit Frau Dr. D.-A. Bei Ausfällen seinerseits aus persönlichen Gründen werde er – bedarfsweise stunden oder halbtags – von Frau Dr. D.-A. allgemeinärztlich vertreten. Wenn sie verhindert sei, übernehme er für ihre Patienten ebenfalls die ärztliche Vertretung. Auch dadurch komme es zu Überschneidungsfällen beider Praxen. Psychisch Kranke würden überdurchschnittlich häufig andere Ärzte und den Notdienst aufsuchen, wodurch es bei seiner Notdiensttätigkeit sicher ebenfalls zu identischen Patienten mit Frau Dr. D.-A. komme. Es würden aber auch von Frau Dr. D.-A. zugewiesene Patienten mit speziellen Fragestellungen zu ihm kommen. Diese Patienten seien dann identisch in beiden Praxen.

Weiterhin machte er Ausführungen zu den von der Beklagten beispielshaft aufgeführten Patienten.

Mit Schreiben vom 21.04.2009 informierte die Beklagte den Kläger über die Durchführung einer weiteren patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale II/07 bis IV/07 im Wege einer Gegenüberstellung mit der Praxis von Frau D.-A. in A-Stadt, mit der er eine Praxisgemeinschaft bilden würde, bei der ebenfalls eine erhebliche Anzahl von gemeinsam behandelter Patienten ergeben hätte. Auch hierzu übersandte die Beklagte dem Kläger eine Liste mit beispielshaften Patienten, die dem Überschneidungsprozentsatz zuzuordnen sei.

Der Kläger bezog erneut – im Wesentlichen inhaltsgleich zu den Ausführungen im Schreiben vom 01.04.2009 – Stellung.

Die Beklagte erließ am 20.07.2010 einen Bescheid über eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 57.002,84 € netto vor Verwaltungskosten aufgrund einer patientenbezogene Plausibilitätsprüfung der Quartale II/05 bis IV/07 (Bl. 398 bis 406 der Verwaltungsakte). Dabei berechnete die Beklagte die Honorarrückforderung wie folgt:

Quartal Korrektur in €
II/5   4.042,78
III/5   4.360,87
IV/05   5.098,74
I/06   5.193,66
II/06   4.991,39
III/06   5.462,84
IV/06   5.923,43
I/07   5.125,44
II/07   5.107,66
III/07   5.470,48
IV/07   6.225,55


Die Beklagte teilte dem Kläger weiter mit, dass ihm wegen einer Zeitprofilüberschreitung im Rahmen einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Quartale II/05 bis I/07 mit Bescheid vom 02.07.2008 bereits eine Honorarrückforderung in Höhe von 13.357,60 € mitgeteilt worden sei. Unter summarischer Berücksichtigung dessen und unter Ermittlung der Differenz ergebe sich nunmehr ein Korrekturbetrag von 43.645,25 €.

Zur Begründung trug sie vor, die Plausibilitätsprüfung könne auch auf Ärzte bzw. Praxen erstreckt werden, die nicht in Organisationsgemeinschaft verbunden seien. Hier sei die Praxis des Klägers mit der Praxis von Frau Dr. D.-A. in A-Stadt gegenübergestellt und folgende Werte ermittelt worden:
 

Quartal Fallzahl Gemeinsame Patienten Prozent
II/05       949   224 24,1
III/05       924   232 25,8
IV/05       971   272 28,6
I/06    1005   303 30,6
II/06      940   269 29,3
III/06       975   291 30,5
IV/06     1052   276 26,7
I/07    1127   315 28,48
II/07     1022   290 28,97
III/07    1082   298 27,98
IV/07     1136   344 30,80


Die beispielhafte Überprüfung der gemeinsamen Patienten hätte ergeben, dass beide Praxen vorrangig nach der Scheinart 00 (Originalschein) abrechnen würden. Umso mehr hätten gemeinsame Patientenanteile von um die 30 % beim Kläger und von teilweise über 90 % bei Frau Dr. D.-A. verwundert. Diese Überscheidungen würden sich über mehrere Quartale zeigen, sodass sich die Annahme erhärte, dass es sich hier um eine „verdeckte“ Gemeinschaftspraxis handeln würde. In diesem Zusammenhang sei aufgefallen, dass seine Kollegin bis zum Quartal IV/06 keine Einlesetage angegeben hätte, im Quartal I/07 die Karte angelesen worden wäre und ab dem Quartal II/07 wieder nicht. Externe Überweisungen an Frau Dr. D.-A. seien vom Kläger nach der Scheinart 00 abgerechnet worden. Weiterhin sei ungewöhnlich, dass der Kläger von externen Ärzten Patienten überwiesen bekommen hätte und von seiner Kollegin eine ambulante Behandlung abgerechnet worden sei. Nicht nachvollziehbar sei, dass gegenseitige Vertretungen auch halbtags oder stundenweise wie in einer Gemeinschaftspraxis erfolgt seien.

Ihrer Ansicht nach führe allein die Anzahl an identischer Patienten den Nachweis einer rechnerisch-sachlich nicht vollständig plausiblen Abrechnung im Prüfzeitraum. Sie halte die Voraussetzungen für eine missbräuchliche Nutzung der Rechtsform der Praxisgemeinschaft für erfüllt. Die ärztliche Kooperation zwischen dem Kläger und Frau Dr. D.-A. sei über den üblichen Betrieb einer Organisationsgemeinschaft zur Kostenminimierung hinausgegangen. Dies habe zu einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen und damit verbunden zu einer erheblichen Steigerung des Honorars geführt, ohne dass dies durch die Morbidität der Klientel begründet werden könnte. Bezüglich der erhöhten Anzahl an identischen Patienten seien doppelt eingelesene Krankenversichertenkarten, Vertreterfälle gemäß Muster 19 der Vordruckvereinbarung, Notfälle und Überweisungen zur Auftragsleistung dahingehend berücksichtigt worden, dass bei der Berechnung der Honorarkorrektur im Einklang mit der gängigen Sozialgerichtsrechtsprechung 30 % der gemeinsamen Patienten als plausibel eingestuft worden seien und daher bei der Korrekturberechnung zu Gunsten des Klägers berücksichtigt worden seien.

Die vorliegend festgestellte regelhafte gegenseitige Vertretung entspräche typischerweise der Rechtsform einer Gemeinschaftspraxis. Die stattdessen gewählte Form der Einzelpraxis habe zu einer unzulässigen Fallzahlmehrung geführt und stelle letztlich einen Missbrauch der Gestaltungsform dar, da der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen hessenweit bei unter 10 % liege. Den auf pflichtwidriger Verhaltensweise beruhenden Honoraranteil dürfe sie sachlich-rechnerisch berichtigen und insoweit bereits ausgezahltes Honorar zurückfordern. Dabei sei die Berichtigung der Honorarabrechnungen auf der Basis einer stichprobenartigen Überprüfung der gemeinsam abgerechneten Behandlungsfälle vorgenommen worden und dann in Form einer Hochrechnung auf den Gesamtkorrekturbedarf geschlossen worden. Hierbei seien grundsätzlich zunächst die Anzahl der bei der Prüfung festgestellten gemeinsamen Behandlungsfälle um die aufgrund der Urlaubs- und Krankheitsmeldungen zulässigen gemeinsamen Behandlungsfälle reduziert worden. Es werde darauf hingewiesen, dass im Fachgruppendurchschnitt eine gegenseitige Vertretung in einer Größenordnung von unter 10 % der Gesamtfallzahl evident sei, weshalb es nicht zu beanstanden sei, wenn das Honorar im Wege einer pauschalierten Schätzung des Nettofachgruppenhonorars zuerkannt werde. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem Nettofalldurchschnittswert aus allen Behandlungsfällen der klägerischen Praxis multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfällen.

Im Einzelnen ergebe sich die Honorarkürzung wie folgt:
 

Quartal Nettohonorar Fallzahl  Fallwert Gem. Fälle -30%  Unplau. Fälle  50 %  Summe Kürzung
II/05 48.936,22 €           
 
  949 51,57 224   67 157   78   4.042,78 €
III/05 49.623,70 €               924 53,71 232   70 162   81   4.360,87 €
IV/05 51.814,52 €            
 
  971 53,36 273   82 191  96   5.098,74 €
I/06 49.218,52 €           1005 48,97 303   91 212 106   5.193,66 €
II/06 49.834,35 €            
 
  940 53.02 269   81 188   94   4.991,39 €
III/06 52.295,25 €              975 53,64 291   87 204 102   5.462,84 €
IV/06 56.444,30 €           1052 53,65 276   55 221 110   5.923,43 €
I/07 52.393,40 €        1127 46,49 315   95 221 110   5.125,44 €
II/07 51.428,88 €          1022 50,32 290   87 203 102   5.107,66 €
III/07 56.750,34 €           1082 52,45 298   89 209 104   5.470,48 €
IV/07 58.739,40 € 1136 51,71 344 103 241 120   6.225,55 €
                 
Summe                57.002,84 €

                    

Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 20.07.2010 vollinhaltlich Bezug genommen.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 17.08.2010 Widerspruch ein. Er trug vor, dass aufgrund medizinischer und wirtschaftlicher Notwendigkeit die Plausibilität seiner praxisidenten Fälle mit der Praxis von Frau Dr. D.-A. gegeben seien. Ein Fehlverhalten der beteiligten Ärzte / Patienten läge nicht vor. Weiterhin sei die gesamte Berechnungsgrundlage zur Kürzung der praxisidenten Fälle nicht nachvollziehbar und beruhe auf falschen Voraussetzungen. Dabei wies er noch einmal darauf hin, dass eine Praxisgemeinschaft mit Frau Dr. D.-A. nur bis 2002 in den Räumen der Praxis A-Straße bestanden hätte. Mit der Schwerpunktänderung von Frau Dr. D.-A. hin zu einer Allgemeinpraxis mit Schwerpunkt Psychotherapie sei eine neue Praxis in der C-Straße eingerichtet worden. Frau Dr. D.-A. biete in ihrer Praxis als Einzige in A-Stadt gutachtergenehmigte tiefenfundierte Gesprächspsychotherapie an, womit es sich um versorgungsübergreifende Praxen handeln würde, bei denen wiederum Patientenidentitäten von bis zu 30 % erlaubt sei. Dieser Wert werde nur in drei Quartalen geringfügig überschritten, sodass die Kürzungen nicht nachvollziehbar seien. Ferner gehe die Beklagte bei den Kürzungen von Fallwerten zwischen 46,49 € und 53,71 € aus. Hierin seien aber Leistungen enthalten, die über das Regelleistungsvolumen von ca. 38 € hinausgehen würden, wie z. B. Präventionsleistungen, dringende Besuche, technische Leistungen, LZEKG, ZRR, Lungenfunktion, Leistungen aus DMP und Impfleistungen, die die Praxis von Frau Dr. D.-A. nach seiner Kenntnis nicht erbringen würde. Insofern hätten sich die Kürzungen – wenn überhaupt – nur auf das RLV / Konsultationsleistungen beziehen dürfen. Aus der beigefügten und nicht nachvollziehbaren Tabelle gehe weiterhin hervor, dass von den als unplausibel bezeichneten Fällen in seiner Honorarabrechnung 50 % gekürzt würden. Es sei davon auszugehen, dass in der Praxis von Frau Dr. D.-A. dieselben Fälle um 50 % gekürzt werden sollen, sodass diese entsprechenden Patienten in keiner Praxis mehr honoriert würden. Diese Verfahrensweise sei nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte erließ mit Datum vom 25.09.2013 (Bl. 411 bis 424 der Verwaltungsakte) einen Widerspruchsbescheid bezüglich des klägerischen Widerspruchs zum Bescheid vom 20.07.2010. Dabei gab sie dem Widerspruch insoweit statt, als die Honorarrückforderung für das Quartal II/05 in Höhe von 5.923,43 € aufgehoben wurde. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück.

Zur Begründung trug die Beklagte vor, die Plausibilitätsprüfung der Abrechnung des Klägers aus den Quartalen II/05 bis IV/07 hätte zu dem Ergebnis geführt, dass die Abrechnungen implausibel und fehlerhaft seien. Der Kläger und Frau Dr. D.-A. hätten gegen vertragsärztlichen Pflichten verstoßen, indem sie ihre Einzelpraxen missbräuchlich genutzt hätten, um Patienten in beiden Praxen wie in einer BAG zu behandeln.

Bei dem Kläger und Frau Dr. D.-A. würden zunächst der hohe Anteil der in den Praxen gemeinsam behandelten Patienten auffallen. Dabei sei festzustellen, dass der Kläger als Facharzt für Allgemeinmedizin zugelassen sei, während Frau Dr. D.-A. vom 24.04.2003 bis 21.03.2007 als psychotherapeutisch tätige Ärztin und Fachärztin zugelassen gewesen sei. Ab dem 22.03.2007 bis zum 31.12.2008 sei sie als Fachärztin für Allgemeinmedizin zugelassen. Zwischen den beiden Praxen seien Patientenidentitäten in einem Rahmen von 24,1 % bis 30,08 % festgestellt worden. Unabhängig von der Frage, ob vorliegend wegen der Doppelzulassung von Frau Dr. D.-A. von versorgungsbereichsidentischen oder aber versorgungsbereichsübergreifenden Praxen auszugehen sei, sei eine Abrechnungsauffälligkeit aufgrund der von Frau Dr. D.-A. erreichten Patientenidentitäten gegeben, die auch zu Lasten des Klägers gehen würden. Die Analyse der Abrechnungsdaten hätte ergeben, dass für die doppelten Patienten regelhaft in beiden Praxen ein Originalschein (Scheinart 00) angelegt worden sei. Nur zu einem geringen Teil lasse sich die Scheinart 24 (Mit-/ Weiterbehandlung) finden, wobei hier festzustellen sei, dass in allen Fällen und Quartalen auf dem Behandlungsschein in der Rubrik „Überweisung an“ keine Angabe zu verzeichnen sei. Mithin sei nicht nachvollziehbar, an welchen Arzt bzw. welche Arztgruppe zur Weiterbehandlung verwiesen worden sei. Ebenso sei festzustellen, dass ca. 1/3 der klägerischen Patienten von Frau Dr. D.-A. psychologisch betreut werde. Die Notwendigkeit der Doppelbehandlungen würde sich nicht durch tiefenpsychologische Leistungen von Frau Dr. D.-A. ergeben, da nicht in allen Doppelfällen solche Leistungen (antragspflichtige Leistungen, Nrn. 35200 ff.) erbracht worden seien. Es seien auch Fälle ermittelt worden, in denen quartalsübergreifend sowohl vom Kläger als auch von Frau Dr. D.-A. eine psychologische Betreuung abgerechnet worden sei. Dies sei auch vor dem Hintergrund des klägerischen Sachvortrags (Abklärung / Weiterverweisung der Patienten zwecks psychotherapeutischer Behandlungsnotwendigkeit durch Frau Dr. D.-A.) auffällig und nicht nachvollziehbar. Weiterhin seien auch Doppelbehandlungen ohne ersichtlichen Grund ermittelt worden. So etwa in den Quartalen II/07 bis IV/07, da dort von Frau Dr. D.-A. ausschließlich der hausärztliche Ordinationskomplex abgerechnet worden sei. Dadurch habe der Kläger seine Hausarztpflichten aus § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB V verletzt. Daneben seien auch die Regelungen zum Einlesen der Krankenversichertenkarte missachtet worden, da für die Quartale II/05 bis IV/06 und II/07 aufgefallen sei, dass die Krankenversichertenkarte nur beim Kläger eingelesen worden sei, während auf dem Abrechnungsschein von Frau Dr. D.-A. kein Einlesedatum erscheine. Diese Verfahrensweise finde man für alle Doppelfälle in den vorgenannten Quartalen. Es sei bedenklich, wie die Vielzahl der Patientendaten Frau Dr. D.-A. ohne Karteneinlesen hätten zur Verfügung gestellt werden können. Eine genauere Untersuchung von 35 Beispielspatienten unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrages hätte ergeben, dass der Kläger und Frau Dr. D.-A. bewusst und gewollt im Hinblick auf die Patientenversorgung zusammengewirkt hätten. Dem Kläger könne in jedem Quartal Abrechnungsverstöße nachgewiesen werden, wodurch die Abrechnungen implausibel seien. Aufgrund der Verstöße gegen Vorschriften des Bundesmantelvertrages und der nicht gerechtfertigten Doppelbehandlungen sei ihm ein grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Das durch die pflichtwidrige Zusammenarbeit rechtswidrig erlangte Honorar dürfe von der Beklagte aufgrund der Nichtigkeit der Sammelerklärung im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung zurückgefordert werden. Die erhöhte Fallzahl der klägerischen Praxis hätte zu Vorteilen bei Budgetierungsregelungen geführt, die den Budgetrahmen anhand der Zahl der Behandlungsfälle berechnen würden. Dies gelte etwa für das Regelleistungsvolumen, das Laborkostenbudget und den Wirtschaftlichkeitsbonus. Ebenso würden sich Vorteile bei der Abrechnung des Ordinationskomplexes ergeben.

Bei der Rückforderungsberechnung sei wie folgt vorgegangen worden: Von den bei der Prüfung festgestellten unplausiblen Behandlungsfällen (je Quartal) seien pro Quartal 30 % der gemeinsamen Behandlungsfälle anerkannt worden. Die hiernach verbliebene Anzahl der implausiblen Fälle sei pro Quartal um 50 % reduziert worden und nicht, wie vom Kläger vorgetragen, keiner Vergütung zugeführt worden. Der Korrekturbetrag pro Fall ergäbe sich aus der Multiplikation des klägerischen Durchschnittsfallwert mit der Restzahl der implausiblen Fälle (= Anzahl der implausiblen Fälle minus 30 %, Ergebnis geteilt durch 2). Auf diese Weise seien auch ausreichende Abschläge vorgenommen worden, um den Anteil berechtigter Doppelbehandlungen, die durch Urlaubs- und Krankheitszeiten sowie der abweichenden Genehmigungslage bedingt seien, abzugelten. Der Einwand der Rechtswidrigkeit der Zugrundelegung eines Fallwertes von mehr als 38,00 € greife nicht, da dem klägerischen Gesamthonorar sein individueller Fallwert zugrunde liege und dieser unabhängig von den Leistungen, die Frau Dr. D.-A. zu erbringen berechtigt sei, zu betrachten sei.

Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung werde jedoch auf die Rückforderung für das Quartal II/05 verzichtet, wodurch sich die Honorarrückforderung von ursprünglich 57.002,84 € auf 51.079,41 € netto reduziert hätte.

Mit Datum vom 17.10.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es im Widerspruchsbescheid vom 25.09.2013 zu einem Redaktionsversehen gekommen sei und hinsichtlich der Aufhebung der Honorarrückforderung für das Quartal II/05 ein falscher Betrag genannt worden sei. Sie bitte den Kläger zu berücksichtigen, dass korrekterweise die Honorarrückforderung für das Quartal II/05 in Höhe von 4.042,78 € aufgehoben werde.

Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 20.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 anwaltlich vertreten mit Schriftsatz vom 28.10.2013 Klage am Sozialgericht Marburg erhoben (ursprüngliches Az. S 11 KA 548/13).

Bereits mit Schreiben vom 17.06.2010 stellte die AOK Hessen einen Antrag auf Überprüfung der Abrechnungen des Klägers und Frau Dr. med. D.-A.

Mit Schreiben vom 13.10.2011 informierte die Beklagte den Kläger über die anlassbezogene Plausibilitätsprüfung aufgrund des Antrages der AOK Hessen für die Quartale I/08 bis IV/10, bei der erhebliche Überschneidungen festgestellt worden seien (zwischen ca. 25 % und 37 %). Weiter fügte sie dem Schreiben eine Liste von beispielshaft aufgeführten Patienten bei, die dem jeweiligen Überschneidungsprozentsatz zuzuordnen sei.

Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 10.11.2021 Stellung. Er führte aus, dass die aus seiner Sicht minimalen Überschreitungen der Toleranzgrenze auf den Umstand zurückzuführen sei, dass Frau Dr. D.-A. die einzige psychotherapeutische Ärztin in A-Stadt sei. Viele seiner Patienten hätten bei ihr eine tiefenpsychologische Gesprächstherapie absolviert. Hierfür stelle er Überweisungen aus, mitunter würden die Patienten aber auch Frau Dr. D.-A. direkt aufsuchen. Es würden auch Patienten mit speziellen Fragestellungen von Frau Dr. D.-A. zu ihm kommen. So dürfe Frau Dr. D.-A. bei speziellen Therapieformen und Patienten keine körperlichen Eingriffe vornehmen, sie hätte auch kein LZ-RR und LZ-EKG, mache keine Vorsorge- und Krebsfrüherkennung bei Männern und auch kein DMP. Ferner seien die Überschneidungsfälle auf gegenseitige Vertretungen zurückzuführen.

Die Beklagte erließ mit Datum vom 17.01.2012 einen Honorarbescheid für die Quartale I/08 bis IV/10 (Bl. 74 bis 84 der Verwaltungsakte im Verfahren S 11 KA 686/13) und setzte eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 50.898,34 € fest, die sich wie folgt auf die einzelnen Quartale aufteilte:
 

Quartal  Rückforderung in €
I/08       3.574,14
II/08       4.025,25
III/08      4.564,12
IV/08      4.922,72
I/09      4.434,92
II/09       4.478,88
III/09       4.616,43
IV/09      4.272,89
I/10       4.664,80
II/10       4.494,42
IIII/10       3.048,17
IV/10      3.801.60


Sie trug vor, dass die Praxis des Klägers der Praxis von Frau Dr. D.-A. in A-Stadt gegenübergestellt worden sei. Bereits die dabei festgestellte Anzahl von identischen Patienten führe den Nachweis einer rechnerisch-sachlich nicht vollständig plausiblen Abrechnung im Prüfzeitraum. Bei beiden Praxen sei fast ausschließlich nach der Scheinart 00 (Originalfall) abgerechnet worden. Ebenfalls ungewöhnlich sei, dass der Kläger von externen Ärzten Patienten überwiesen bekommen hätte und von Frau Dr. D.-A. dann eine ambulante Behandlung nach der Scheinart 00 abgerechnet worden sei oder umgekehrt. Die Scheinart 42 suche man in allen Prüfquartalen vergeblich. Die Stichprobe hätte auch gezeigt, dass an den Behandlungstagen fast immer beide Ärzte in ihren Praxen gewesen sein. Vertretungen könnten daher, unabhängig von der Tatsache, dass dann die falsche Scheinart gewählt worden sei, nur stundenweise bzw. halbtags wie in einer Gemeinschaftspraxis erfolgt sein. Demzufolge halte sie die Voraussetzungen missbräuchlicher Nutzung der vorliegenden Praxisgemeinschaft für erfüllt. Sie vertrete die Auffassung, dass eine so regelhafte gegenseitige Vertretung der Gestaltungs- und Rechtsform einer Berufsausübungsgemeinschaft entspräche. Deshalb müsse eine Honorarberichtigung erfolgen, wobei 30 % der gemeinsamen Patienten aufgrund der psychotherapeutischen Ausrichtung der Praxis Dr. D.-A. als plausibel anerkannt würden. Darüber hinaus sei im Rahmen einer individuellen Ermessensentscheidung ein weiterer Abschlag von 40 % zu Gunsten des Klägers berücksichtigt worden. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem quotierten Nettofalldurchschnittswert aus allen Behandlungsfällen der klägerischen Praxis, multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle.

Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 17.01.2012 vollinhaltlich Bezug genommen.

Am 20.02.2012 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.01.2012. Er trug im Wesentlich vor, es entbehre jeder Grundlage von der Scheinart auf eine verdeckte Gemeinschaftspraxis zu schließen. Die Patienten würden bei ihm allgemeinmedizinisch und bei Frau Dr. D.-A. seines Wissens nach ausschließlich psychotherapeutisch betreut werden. Dies gehe – unabhängig von den ausgestellten Scheinarten – insbesondere aus den abgerechneten Leistungen hervor.  Er hätte für Frau Dr. D.-A. keine stundenweise Vertretung übernommen; dies sei schon wegen der stark persönlich ausgerichteten und zeitlich fest terminierten psychotherapeutischen Behandlung nicht möglich.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2013 (Bl. 97 bis 107 der Verwaltungsakte im Verfahren S 11 KA 686/13) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Abrechnungen des Klägers seien implausibel und fehlerhaft. Zwar sei die Obergrenze von 30% identischer Patienten nicht in allen Quartalen überschritten worden, jedoch würde sich aus den Auffälligkeiten in den anderen Quartalen in Verbindung mit weiteren Indizien ebenso ergeben, dass die Einzelpraxen in diesen Quartalen tatsächlich in der Struktur einer BAG betrieben worden sei. So ergäbe sich die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung bereits daraus, dass aufgrund der fehlenden Scheinart 42 keine unzweifelhaften Vertreterfälle zugeordnet werden könnten. Der Kläger und Frau Dr. D.-A. hätten Patienten parallel in beiden Praxen bzw. wechselseitig behandelt. Die auffallend große Anzahl der Doppelfälle im Vergleich zu der Anzahl der Abwesenheitstage sei ein weiteres Indiz dafür, dass die Praxen tatsächlich nicht getrennt geführt worden seien. Eine Vertretung sei in Situationen einer „geplanten“ kürzeren Abwesenheit durch sprechstundenfreie Zeiten nur zulässig, wenn es sich um Notfälle handeln würde. Behandlungsscheine der klägerischen Praxis mit den Scheingruppen 41 (Ärztlicher Notdienst) oder 43 (Notfall) würden sich unter den Doppelfällen der Quartale I/08 bis IV/10 indes nicht finden, mit Ausnahme eines Scheins (SUG41) im Quartal II/08. Der vom Kläger dargelegte Anteil von 15 % an Überweisungen für Auftragsleistungen an Frau Dr. D.-A. könne nicht bestätigt werden. Überweisungsscheine mit der Scheingruppe 21 (Auftragsüberweisung) gebe es unter den Doppelfällen nicht. Hinsichtlich der Scheinart 24 (Mit-/ Weiterbehandlung) sei zwar gegenüber den Vorquartalen ein leichter Anstieg feststellbar, jedoch würden sich darunter keine Überweisungen von Frau Dr. D.-A. an den Kläger feststellen lassen. In den Fällen, in denen der Kläger Behandlungsfälle an seine Kollegin überwiesen hätte, sei die Behandlung des Patienten in der klägerischen Praxis zumeist mit der Weiterleitung beendet worden. Bei Überweisungen von externen Ärzten komme es hingegen häufiger zu einer parallel zur klägerischen hausärztlichen Betreuung stattfindenden psychotherapeutischen Behandlung durch Frau Dr. D.-A. Auf den Überweisungsscheinen würden sich in der Regel keine Angaben zum Auftrag oder zur überweisenden Fachgruppe finden. Warum in diesen Fällen parallel auch allgemeinärztliche Leistungen durch den Kläger erbracht worden seien, sei nicht nachvollziehbar. Eine neben der psychotherapeutischen Betreuung notwendige Behandlung von allgemeinmedizinischen Erkrankungen hätte insoweit durch die überweisende Hausarztpraxis vorgenommen werden sollen. Durch die praktizierte Vorgehensweise komme es so zu dem Ergebnis, dass ein Patient in einem Quartal letztlich drei Hausärzte konsultiert hätte, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund vorläge.

Daneben hätte eine Durchsicht der Patientenabgleiche ergeben, dass sich in nahezu allen Prüfquartalen Behandlungen in beiden Praxen am selben Tag und mit hausärztlichem Leistungsumfang hätten nachweisen lassen, sodass sich die Doppelbehandlungen nicht ausschließlich mit der Erbringung tiefenpsychologischer Leistungen erklären ließen. Bei der Berechnung des Kürzungsbetrages sei bereits berücksichtigt worden, dass aufgrund der Ausführungen zu der Zusatzbezeichnung Psychotherapie die Übernahme von Patienten durch Frau Dr. D.-A. in einigen Fällen nachvollziehbar erscheine. Soweit jedoch insbesondere beide Praxen in den Behandlungsfällen lediglich die hausärztliche Versichertenpauschale oder Leistungen der Psychosomatik abrechnen würden, sei ein Arztwechsel nicht zulässig. Zu beachten sei, dass der Kläger und Frau Dr. D.-A. keine Arztbriefe über die wechselseitigen Behandlungen ausstellen würden. Im Hinblick auf die ganzheitliche Ausbildung von Frau Dr. D.-A. (psychotherapeutisch und allgemeinmedizinisch) seien die häufigen wechselseitigen Behandlung geradezu unverständlich. Soweit der Kläger anführe, dass Frau Dr. D.-A. bestimmte Leistungen nicht abrechnen könne, so hätte eine Analyse der abgerechneten Leistungen ergeben, dass diese Leistungen keinen relevanten Einfluss auf die Höhe der Patientenidentitäten hätten. Es sei nicht glaubhaft, dass in jedem Quartal zwischen 290 und 449 Patienten einen wichtigen Grund gehabt hätten, den Arzt zu wechseln oder Notfälle gewesen seien. Wenn wie im Fall des Klägers die gesamte Organisation danach ausgerichtet gewesen sei, dass jeweils ein Arzt fast ausschließlich seinen Schwerpunkt im Leistungsspektrum betreue, dann werde die regelmäßige, gegenseitige Mitbehandlung der Patienten der anderen Praxis in Kauf genommen. Da in jedem Quartal Abrechnungsverstöße nachgewiesen seien, seien die Abrechnungen implausibel. Der Kläger habe hier grob fahrlässig gehandelt.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.11.2013 hat der Kläger eine weitere Klage am Sozialgericht Marburg erhoben (Az. S 11 KA 686/13).

Mit Beschluss vom 29.04.2014 hat das Gericht die Verfahren S 11 KA 548/13 und S 11 KA 548/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Klagebegründung weist der Kläger darauf hin, dass Frau Dr. D.-A. seiner Kenntnis nach allein psychotherapeutisch tätig gewesen sei. Bei ihm und Frau Dr. D.-A. handele es sich um „ehemalige Eheleute“, die bereits seit März 2003 getrennt leben würde und deren Ehe rechtskräftig am 05.02.2014 geschieden worden sei. Es liege in der Natur der Sache, dass er jedenfalls seit der Trennung im März 2003 keinen genaueren Einblick mehr in die berufliche Entwicklung seiner Ex-Frau hätte. Mit Nachdruck weise er darauf hin, dass seine Praxis und die von Frau Dr. D.-A. mehr als einen Kilometer auseinanderliegen würden und auf dem Fußweg 13 Minuten voneinander entfernt seien. Vor diesem Hintergrund liege es nicht im seinem Einflussbereich, welche Patienten von seiner Ex-Frau behandelt worden seien. Er habe in den streitgegenständlichen Quartalen II/05 – IV/07 mit Frau Dr. D.-A. keine Praxisgemeinschaft geführt, keine Praxisräume gemeinsam genutzt und auch kein Hilfspersonal gemeinsam beschäftigt. Daher sei die in § 11 Abs. 2 a/b der Abrechnungsrichtlinie normierten Grundsätze nicht anwendbar und eine hierauf beruhende Plausibilitätsprüfung könne nicht durchgeführt werden. Die streitgegenständlichen Bescheide seien darüber hinaus auch deshalb rechtswidrig, da die Kürzungssumme nicht korrekt ermittelt worden sei. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich zusätzlich bereits aus den Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Dort sei festgestellt worden, dass ca. 1/3 der Patienten des Klägers von Frau  Dr. D.-A. psychologisch betreut würden. Es sei davon auszugehen, dass zwar nicht in jedem einzelnen, aber in den überwiegenden Doppelfällen tiefenpsychologische Leistungen durch Frau Dr. D.-A. erbracht worden seien. Um den Vorwurf einer implausiblen Abrechnung ihm gegenüber aufrechtzuerhalten, hätte die Beklagte die konkrete Anzahl angeben müssen, in wie vielen Doppelfällen ihrer Ansicht nach Frau Dr. D.-A. keine tiefenpsychologischen Leistungen bei Patienten erbracht habe, die auch von ihm behandelt worden seien. Nur dann könne sich überhaupt eine Problematik hinsichtlich der Plausibilität ergeben. Er selbst könne keine weitergehenden Daten liefern, da er keinen Einblick in die Behandlungsunterlagen von Frau Dr. D.-A. habe. Im Ergebnis sei festzustellen, dass die angegebenen prozentualen Patientenidentitäten bereits deshalb gerechtfertigt seien, da Frau Dr. D.-A. bei der überwiegenden Zahl der Doppelfälle tiefenpsychologische Leistungen, also für ihn fachfremde Leistungen, erbracht hätte.

Hilfsweise weise er darauf hin, dass die Praxis von Frau Dr. D.-A. als versorgungsbereichsübergreifende Praxis anzusehen sei, wodurch Patientenidentitäten von mehr als 30 % bestehen müssten. Dieser Prozentsatz sei lediglich in den Quartalen I/06 mit 30,67 %, III/06 mit 30,47 % und IV/07 mit 30,8 % minimal überschritten worden sei. Da aber noch die Fälle tiefenpsychologischer Leistungen abzuziehen seien, läge in keinem der Quartale mehr eine Überschreitung von mindestens 30 % vor. Zur vorgeworfenen Erbringung von Leistungen nach Ziff. 35110 EBM werde mitgeteilt, dass er ausweislich der Frequenztabelle für die Quartale III/05 und III/06 keine einzige Leistung nach Ziff. 35110 EBM im Primärkassen- oder Ersatzkassen-Bereich abgerechnet hätte. Auch der Vorwurf der Beklagten, er hätte gegen seine Verpflichtung der Koordination der hausärztlichen Versorgung verstoßen, greife nicht durch. So hätte in seinen Behandlungsfällen sowohl eine medizinische Notwendigkeit als auch ein wichtiger Grund dafür vorgelegen, dass ein Patient innerhalb eines Quartals auch einen anderen Vertragsarzt aufgesucht hätte. Es sei auch zu berücksichtigen, dass er in einer Vielzahl von Fällen keine Kenntnis davon gehabt hätte, dass ein Patient sowohl bei ihm als auch bei Frau Dr. D.-A. in Behandlung gewesen sei. Der Umstand, dass Frau Dr. D.-A. die Krankenversichertenkarte bei den Patienten nicht eingelesen hätte, entziehe sich seiner Kenntnis und könne ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Nach alledem stehe fest, dass die Anzahl der Doppelfälle in seiner Praxis und der Praxis von Frau Dr. D.-A. vor allem aufgrund der fachlichen Spezialisierung der Frau Dr. D.-A. sachlich gerechtfertigt sei. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte im Plausibilitätsverfahren zu den Quartalen I/11 bis IV/12 einen Sicherheitsabschlag von 40% gewährt hätte. Unterstellt die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig – was jedoch bestritten würde – so sei auch in den streitgegenständlichen Quartalen aufgrund der Gewährleistung einer einheitlichen Verwaltungspraxis zumindest ein Sicherheitsabschlag von 40 % zu gewähren.

Der Kläger beantragt,
1. den Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 20.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. den Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 17.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 aufzuheben die Beklagte zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass die entsprechenden Bescheide bezüglich der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung gegenüber Frau Dr. D.-A. bestandskräftig geworden seien. Hinsichtlich der Klagebegründung verweise sie auf die Widerspruchsbegründung. Lediglich ergänzend werde mitgeteilt, dass Frau Dr. D.-A. nicht alleine psychotherapeutisch tätig gewesen sei, da bei ihr Fallzahlen vorliegen würde, die zwar unter dem Durchschnitt der Fachgruppe für Allgemeinärzte liegen würden, jedoch insgesamt 7mal höher als die Fallzahlen der psychotherapeutisch tätigen Ärzte seien. Entgegen der Auffassung des Klägers würden die Grenzwerte der Abrechnungsrichtlinie auch für nicht in einer Organisationsgemeinschaft verbundene Ärzte gelten, wie sich aus § 11 Abs. 4 der Richtlinie ergäbe. Weiterhin hätte sie die Kürzungssumme korrekt ermittelt. Der Kläger hätte bei seiner Berechnung gerundete Zahlungen verwendet, während sie die tatsächlichen Zahlen verwendet hätte. Aus den Formulierungen im Widerspruchsbescheid könne daneben auch nicht darauf geschlossen werden, dass „in den überwiegenden Doppelfällen tiefenpsychologische Leistungen“ durch Frau Dr. D.-A. erbracht worden seien. Die Beklagte verkenne nicht, dass einige der Doppelfälle aufgrund der Qualifikation von Frau Dr. D.-A. gerechtfertigt gewesen seien. Dies habe sie auch in ihrer Ermittlung der Kürzungssumme berücksichtigt, z. B. hätte sie für das Quartal III/05 von insgesamt 232 gemeinsamen Fällen insgesamt 145 Fälle als plausibel angesehen. Sie sei hingegen nicht verpflichtet gewesen, die konkrete Anzahl für die doppelten Fälle anzugeben, in denen Frau Dr. D.-A. keine tiefenpsychologischen Leistungen erbracht hätte. Der Kläger verkenne insoweit, dass das Plausibilitätsverfahren dem Nachweis von Abrechnungsfehlern mit Hilfe des Indizienbeweises diene. Eben dieser Indizienbeweis sei durch sie geführt worden. Auch berücksichtige der Kläger nicht, dass auch bei solchen Fällen, in denen Frau Dr. D.-A. eine tiefenpsychologische Leistung erbracht hätte, er selber auch psychosomatische Leistungen erbracht habe. Dies belege, dass die Patienten sowohl vom Kläger als auch von Frau   Dr. D.-A. psychologisch betreut worden seien, was weder notwendig noch plausibel sei. Hinsichtlich des Vortrages der versorgungsbereichsübergreifenden Praxis weise sie auf § 4 Abs. 2 der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der KV Hessen gemäß § 106a Abs. 2 SGB V hin, wonach auch die andere Praxis einer weitergehenden Prüfung unterzogen werde, wenn nur in einer Praxis der in Richtlinie vorgesehene Aufgreifwert erreicht werde. Bei Frau Dr. D.-A., die unstreitig die kleinere Praxis gehabt hätte, hätten in den streitgegenständlichen Quartalen folgende Überschreitungswerte vorgelegen:

Quartal         Fallzahl              Gemeinsame Patienten            Anteil in %
II/05                229                                 224                                      99,10
III/05              265                                  232                                     89,20
IV/05               319                                  273                                     86,60
I/06                  335                                 303                                     91,80
II/06                282                                 269                                     96,70
III/06              319                                  291                                     92,30
IV/06               304                                 276                                    92,60
I/07                  336                                 315                                     94,88
II/07                314                                  290                                    93,82
III/07               312                                 298                                     96,44
IV/07                250                                344                                     99,71

Falsch sei auch die Auffassung des Klägers, dass die Fälle, in denen Frau Dr. D.-A. tiefenpsychologische Leistungen erbracht hätte, in Abzug gebracht werden müssten. Der von ihr vorgenommene Sicherheitsabschlag sei bereits als ausreichend anzusehen. Ebenfalls unrichtig sei die Behauptung des Klägers, er hätte die EBM-Ziffer 35110 in den Quartalen III/05 und III/06 nicht abgerechnet gehabt. Ausweislich der Frequenzstatistik habe er die Ziff. 35110 EBM im Quartal III/05 106mal und im Quartal III/06 7mal abgerechnet. Sein Vortrag zum wichtigen Grund sei daneben pauschal und unsubstantiiert.

Die Beteiligten haben das Verfahren zwischenzeitlich ruhend gestellt (umgesetzt mit Beschluss vom 21.05.2014), um die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (Az. L 4 KA 22/14) im Verfahren S 12 KA 359/12 abzuwarten.

Das Hessische Landessozialgericht hat im Verfahren L 4 KA 22/14 mit Urteil vom 30.11.2016 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29.01.2014 zum Aktenzeichen S 12 KA 359/12 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Anschließend hat die Beklagte das Verfahren wiederaufgerufen (neues Az. S 18 KA 523/17 WA). Sie trägt vor, dass das Hessische Landessozialgericht die Honorarrückforderung der Beklagten im Parallelverfahren nicht beanstandet hätte und eine Prüfung auch unter der 20%-Grenze für zulässig erachtet habe. Dieses Ergebnis sei auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Der Kläger ist dem entgegengetreten. Die Ausführungen des Hessischen Landessozialgericht seien nicht auf das streitgegenständliche Verfahren anwendbar, da Frau Dr. D.-A. in den überwiegenden Doppelfällen tiefenpsychologische Leistungen erbracht hätte, die er – mangels entsprechender Qualifikation – überhaupt nicht erbringen dürfte und könne. Insoweit könne er Frau Dr. D.-A. überhaupt nicht vertreten. Um den Vorwurf einer implausiblen Abrechnung ihm gegenüber aufrechtzuerhalten, hätte die Beklagte die konkrete Anzahl angeben müssen, in wie vielen Doppelfällen ihrer Ansicht nach Frau Dr. D.-A. keine tiefenpsychologischen, sondern andere Leistungen bei Patienten erbracht hätte, die auch von ihm behandelt worden seien.

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, sie hätte zu Gunsten des Klägers bereits weit mehr Doppelfälle als plausibel anerkannt als Doppelfälle mit tiefenpsychologischen Leistungen existieren würden und zum Beleg auf eine tabellarische Auflistung verwiesen (Bl. 93 der Gerichtsakte).

Mit Verfügung vom 18.01.2023 hat das Gericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden mit richterlicher Verfügung vom 18.01.2023 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Die Klage ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die angegriffenen Bescheide der Beklagten vom 20.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 betreffend der Quartale III/05 bis IV/07 und vom 17.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 betreffend der Quartale I/08 bis IV/10 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Beklagte hat zu Recht Honorarrückforderungen in Höhe von 39.602,46 € (Quartale III/05 bis IV/07) und in Höhe von 50.898,34 € (Quartale I/08 bis IV/10) festgesetzt, da der Kläger und Frau Dr. D.-A. ihre Praxisform missbräuchlich verwendet haben.

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Es obliegt deshalb der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Dies wird durch den im maßgeblichen Zeitraum geltenden § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V (nunmehr in § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V geregelt) klargestellt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte feststellt; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten.

Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 RSozR 4-2500 § 85 Nr. 22 = BSGE 96, 1 = Breith 2006, 715 = MedR 2006, 542 = GesR 2006, 499 = USK 2005-130, zitiert nach Juris Rn. 11 m. w. N.).

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. nur BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4 = GesR 2010, 615 = ZMGR 2010, 370 = MedR 2011, 298 = USK 2010-73, Juris Rn. 26 f. m. w. N.).

Danach können Honorarbescheide bei missbräuchlicher Nutzung einer Kooperationsform korrigiert werden.

Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis (nunmehr Berufsausübungsgemeinschaft) i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem „Goodwill“) erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen, erreicht. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - SozR 4-5520 § 33 Nr. 6 = BSGE 96, 99 = ZMGR 2006, 148 = NZS 2006, 544 = GesR 2006, 450 = MedR 2006, 611 = Breith 2007, 185, Juris Rn. 14 f. m. w. N.).

Vorliegend haben der Kläger und Frau D.-A. zwar keine Praxisgemeinschaft in der Form geführt, dass sie gemeinsame Praxisräume und Praxiseinrichtungen genutzt hätten oder Hilfspersonal gemeinsam beschäftigt hätten. Vielmehr haben sie im streitgegenständlichen Zeitraum jeweils zwei Einzelpraxen in A-Stadt geführt, die etwa einen Kilometer voneinander entfernt waren. Dennoch liegt hier ein Formenmissbrauch vor, da der Kläger und Frau D.-A. ihre Patienten in einem hohen Anteil gemeinschaftlich behandelt haben, was im Rahmen zweier Einzelpraxen ebenso unzulässig ist wie im Rahmen einer Praxisgemeinschaft. Grund hierfür ist die am hohen Anteil gemeinschaftlich behandelter Patienten erkennbare gemeinsame Ausübung von vertragsärztlicher Tätigkeit, die in dieser Form der Gemeinschaftspraxis (nunmehr Berufsausübungsgemeinschaft) im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV vorbehalten ist.

Ein hoher gemeinsamer Patientenanteil spricht stets dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft im Praxisalltag nicht transparent realisiert wurde, sondern tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende Ausübung der ärztlichen Tätigkeit stattfindet (vgl. Hessisches Landessozialgericht <HLSG>, Urteil vom 30.11.2016, L 4 KA 22/14, Rn. 48 Juris). Ein Formenmissbrauch ist dabei nicht erst bei einer Patientenidentität von mehr als 50% anzunehmen, vielmehr können auch deutlich unter 50% liegende Quoten ausreichen (Bundessozialgericht <BSG> Beschluss vom 02.07.2014, B 6 KA 2/14 B, Rn. 8 Juris). Dies gilt ebenso, wenn sich die formale Aufgliederung in zwei Einzelpraxen im Praxisalltag nicht widerspiegelt und die Behandlung der Patienten trotz abweichenden Praxisanschriften wie im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis durchgeführt wird.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat in Übereinstimmung mit diesen Vorgaben in den Richtlinien zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen gemäß § 106a SGB V (DÄ 2008, Nr. 13, S. A 1925 ff. - ARL) in § 11 Abs. 2 bestimmt, dass eine Abrechnungsauffälligkeit zu vermuten ist, wenn die nachstehenden Grenzwerte überschritten sind:

a) 20 % Patientenidentität – auf die abrechnenden Praxen bezogen – bei versorgungsbereichsidentischen Praxen
b) 30 % Patientenidentität – auf die abrechnenden Praxen bezogen – bei versorgungsbereichsübergreifenden Praxen.

Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Kooperationsform hinreichend nachgewiesen. Sie hat in den angefochtenen Bescheiden im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger zwischen 25,80 % bis 30,80 % (Quartale III/05 bis IV/07) bzw. 24,94 % bis 36,92 % (Quartale I/08 bis IV/10) und bei Frau D.-A. zwischen 80 % und 90 % beträgt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden.

Der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten ist ausweislich der Darstellung der Berechnungsweise in den angefochtenen Verwaltungsakten auch in Übereinstimmung mit § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der Beklagten gemäß § 106a Abs. 2 SGB V in der Fassung vom 01.04.2005 ermittelt worden, nämlich indem die Patienten beider Praxen einander gegenübergestellt wurden und festgestellt wurde, wie viele Patienten sowohl in der einen, wie in der anderen Praxis geführt wurden. Die Anzahl der doppelt geführten Patienten ist sodann ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl des Klägers gesetzt worden und erreichte in den streitgegenständlichen Quartalen die angegebenen, jeweils oberhalb des sich aus § 11 Abs. 2 der Richtlinie gemäß § 106a SGB V ergebenen Grenzwerte.

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Praxis von Frau Dr. D.-A. als versorgungsbereichsübergreifende Praxis anzusehen sei, wodurch Patientenidentitäten von mehr als 30 % bestehen müssten, was bei ihm jedoch nur in den Quartalen I/06, III/06 und IV/07 erreicht worden sei, verkennt der Kläger dabei die Regelung des § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der Beklagten gem. § 106a Abs. 2 SGB V.

Nach § 4 Abs. 5 der Verfahrensordnung zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen der Beklagten gem. § 106a Abs. 2 SGB V ist die Anzahl der doppelt geführten Patienten ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Erreicht der Prozentsatz in nur einer Praxis den in der Richtlinie vorgesehenen Aufgreifwert, wird auch die andere Praxis einer weitergehenden Prüfung unterzogen.

Danach ist also nicht alleine auf die Praxis des Klägers abzustellen, sondern ebenfalls auf den prozentualen Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in der Praxis von Frau D.-A. Dort beträgt der Anteil weit über 80 %, sodass selbst bei der Annahme von versorgungsbereichsübergreifenden Praxen eine erhebliche Anzahl von Patientenidentitäten besteht, die nach Auffassung der Kammer den Rückschluss auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform zulässt.

Hieran ändern auch die alleine von Frau D.-A. abrechenbaren tiefenpsychologischen Leistungen nichts, da diese nur in einem geringen Anteil der festgestellten gemeinsamen Patienten erbracht wurden und die erheblichen Übereinstimmungen nicht erklären können. Zudem stützt auch der klägerische Vortrag die Annahme, dass die Praxen wie eine Gemeinschaftspraxis geführt wurden. So trägt er etwa vor, bei Ausfällen aus persönlichen Gründen sei er bedarfsweise stunden oder halbtags von Frau D.-A. vertreten worden. Eine zulässige Vertretung (außerhalb einer Gemeinschaftspraxis) kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund, an der Ausübung seiner Praxis verhindert ist, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen ist (vgl. SG Marburg, Urteil vom 29.01.2014, S 12 KA 359/12, Rn. 40 Juris).

Angesichts des Formenmissbrauchs erweisen sich die von dem Kläger in den genannten Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen er die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt hat, als falsch, mit der Folge, dass die Beklagte berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. BSG vom 17.09.1997, Az.: 6 RKa 86/95, SozR 3-5500 § 35 Nr.1; Bayerisches LSG, Urteil vom 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 -, Rn. 37, Juris).

Dabei kommt der Beklagten ein weites Schätzungsermessen zu, da mit der Implausibilität der Abrechnung aufgrund des Formenmissbrauchs die Abrechnung selbst nicht mehr ausschlaggebend sein kann (vgl. SG Marburg, Urteil vom 29.01.2014, S 12 KA 359/12, Rn. 43 Juris, bestätigt durch HLSG, L 4 KA 22/14, Rn. 55 Juris). Nach der BSG-Rechtsprechung kann bei Gestaltungsmissbrauch auf die Abrechnungsregelungen für Gemeinschaftspraxen zurückgegriffen werden (vgl. BSG, Beschluss vom 06.02.2013 - B 6 KA 43/12 B, Juris Rn. 6). Innerhalb einer Gemeinschaftspraxis kann jedoch eine Vertretung grundsätzlich nicht abgerechnet werden, da es einer Vertretung nur für die seltenen Fälle bedarf, in denen der Ausfall eines Partners nicht durch den weiterhin tätigen anderen Partner aufgefangen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 02.07.2014, B 6 KA 2/14 B, Juris Rn. 10; Urteil vom 14.12.2011 = SozR-4 2500 § 106a Nr. 8, Juris Rn. 27, 28 ff). Bei der Berechnung der Rückforderung wurden zugunsten des Klägers in den Quartalen III/05 bis IV/07 30 % der Doppelbehandlungsfälle und in den Quartalen I/08 bis IV/10 sogar 40 % als zutreffend unterstellt und die verbleibenden gemeinsamen Fälle nochmals halbiert. Damit ist dem Kläger in erheblichem Umfang Honorar für einen Anteil von Patientenidentitäten belassen worden, so dass Fehler bei der sachgerechten Ausübung des Schätzungsermessens nicht ersichtlich sind (vgl. ebenso HLSG, L 4 KA 22/14, Rn. 55 Juris unter Verweis auf LSG NRW, Urteil vom 13.12.2006, L 11 KA 2006, Juris Rn. 22).

Dies gilt auch im Hinblick auf die Fälle, in denen tiefenpsychologische Leistungen erbracht wurden. Wie bereits zuvor dargestellt, handelt es sich dabei nur um einen geringen Anteil der Doppelfälle, so dass die Beklagte dieser Besonderheit im Schätzungsermessen über einen Sicherheitszuschlag begegnen konnte. Dabei besteht aber keine Verpflichtung der Beklagten, den Sicherheitszuschlag in allen Quartalen einheitlich festzusetzen, sodass ein Anspruch auf eine nachträgliche Erhöhung des Sicherheitszuschlages für die Quartale III/05 bis IV/07 von 30 % auf 40 % nicht besteht.

Soweit sich insgesamt eine Anerkennungsquote der patientenidentischen Behandlungsfälle von weniger als 20 % ergibt, die damit unterhalb des in § 11 Abs. 2 a) ARL nach § 106a SGB V angegebenen Grenzwertes führt, ist auch dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des HLSG in seiner Entscheidung vom 30.11.2016 (L 4 KA 22/14) an, wonach die Höhe der Honorarkürzungen nicht zu beanstanden ist, soweit der Wert von unter 10 % nicht unterschritten wird.

Im Einzelnen führt das HLSG in der dortigen Entscheidung wie folgt aus (vgl. HLSG, L 4 KA 22/14, Rn. 59):
„Zwar betrifft der Grenzwert nach § 11 Abs. 2 a) ARL nach § 106a SGB V als Aufgreifkriterium im Rahmen der Plausibilitätsprüfung bei Praxisgemeinschaften und damit die Tatbestandsseite der Auffälligkeitsprüfung, während die Ausübung des Schätzungsermessens die Rechtsfolgenseite betrifft, mithin die Ermittlung der Höhe der Honorarkürzung als Rechtsfolge der Implausibilität der Abrechnung. Damit hat die 20%-Grenze zunächst nur die Funktion, den Zugang zur Prüfung der Auffälligkeit zu eröffnen. Bis zur Höhe dieses normativ festgelegten Wertes von 20% (bei versorgungsbereichsidentischen Praxen) sind Honorarkürzungen aber auch bei pauschalierender Berechnung grundsätzlich ermessensfehlerfrei. Da indessen eine Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften von bis 15% - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - in der Literatur (vgl. Clemens in jurisPK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 106a SGB V Rn. 201) als noch normgerecht erachtet wird und erst ab der Höhe des Grenzwertes - normativ - eine Implausibilität vermutet werden kann, hat das Sozialgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass somit allein pauschalierende Erwägungen zur Begründung des Kürzungsermessens nicht ausreichend sind, wenn der Grenzwert unterschritten wird. Hierfür reicht es nach Auffassung des Senats indessen aus, dass ausweislich des streitgegenständlichen Ausgangsbescheids die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen eingestellt hat. Angesichts der von der Beklagten ermittelten fiktiven Fallzahl plausibler Fälle mit Patientenidentität in einer Quote von jeweils deutlich über 10% der Gesamtfallzahl in den betroffenen Quartalen, wird der in der Fachgruppe erreichte Wert von unter 10% nicht unterschritten. Somit ist die Höhe der Honorarkürzung nicht zu beanstanden.“

Diese Ausführungen sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Soweit der Kläger dies mit dem Verweis auf die tiefenpsychologischen Leistungen bestreitet und ausführt, dass die Grenze von 10 % bei versorgungsbereichsübergreifenden Leistungen nicht anwendbar sei, so verfängt dies nicht.

Zum einem sind der Kläger und Frau D.-A. nicht (jedenfalls nicht im gesamten Zeitraum) als versorgungsbereichsübergreifen Praxen einzuordnen. Denn für eine Einordnung als versorgungsbereichsübergreifen Praxis müssten der Kläger und Frau D.-A. abweichenden Arztgruppen zuzuordnen sein. Dies ist jedoch allenfalls in den Zeiträumen möglich, in denen Frau D.-A. als psychotherapeutisch tätige Ärztin zugelassen war, mithin in der Zeit vom 24.04.2003 bis 21.03.2007 und in der Zeit ab dem 01.01.2009. In diesen Zeiträumen bestand zudem aber auch eine Zulassung als Fachärztin für Allgemeinmedizin, so dass auch in diesen Zeiträumen eine Überschneidung mit der Facharztgruppe des Klägers besteht. Dies gilt erst Recht für den Zeitraum vom 22.03.2007 bis zum 31.12.2008, da in diesem Zeitraum sowohl der Kläger als auch Frau D.-A. einzig als Fachärzte für Allgemeinmedizin zugelassen waren. Für die Quartale II/07 bis IV/08 liegen nach Auffassung der Kammer daher versorgungsbereichsidentische Praxen vor.

Selbst wenn man in den übrigen Quartalen III/05 bis I/07 und I/09 bis IV/10 aber von versorgungsbereichsübergreifenden Praxen ausgeht, führt das nicht dazu, dass die Berechnung der Beklagten im vorliegenden Fall rechtswidrig wäre. Denn in diesem Fall wäre zwar ein höherer Grenzwert als 10 % anzunehmen, da die Beklagte jedoch bereits eine Quote von jeweils deutlich über 10 % der Gesamtfallzahl in den betroffenen Quartalen als plausibel gewertet hat, verbleibt es insoweit dennoch dabei, dass die Honorarkürzung nicht zu beanstanden ist.  Nach einer Aufstellung des Klägers verbleiben diesem zwischen 15,78 % und 24,36 % gemeinsame Fälle, was selbst bei versorgungsbereichsübergreifenden Praxen als ausreichend anzusehen ist. Wie auch bei versorgungsbereichsidentischen Praxen ist der normativ festgelegte Grenzwert von 30 % (§ 11 Abs. 2 b) ARL) nur als Zugangsvoraussetzung zur Prüfung der Auffälligkeit geschaffen worden und nicht als Untergrenze bei der Ausübung des Schätzungsermessen.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt im Beschlusswege.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 € anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG). Der wirtschaftliche Wert folgt hier aus dem insgesamt streitigen Rückforderungsbetrag.
 

Rechtskraft
Aus
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