S 33 AS 1196/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 33 AS 1196/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 59/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 35/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme und Erstattung von zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bewilligter Leistungen im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 wegen vermeintlich grob fahrlässig verschwiegenen Sparvermögens.

Der 1977 geborene, alleinstehende und mietfrei im elterlichen Haushalt lebende Kläger stand seit dem Jahr 2005 im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten und erhielt Regelleistungen. Hierzu stellte er bei dem Beklagten erstmals unter dem 27. August 2004 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Anfänglich wies der Beklagte dabei die bewilligten Leistungen auf ein von der Kontoinhaberin C. A. geführtes Bankkonto an, da der Kläger über kein eigenes Bankkonto verfügte. Seit September 2005 erfolgten die Leistungen in Form von Barzahlungen bzw. Schecks.

Der Kläger gab in seinem Antrag vom 27. August 2004 sowie in allen anschließend gestellten Weiterbewilligungsanträgen jeweils an, dass kein Vermögen vorhanden bzw. keine Vermögensänderung eingetreten sei. Insbesondere in seinem Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2010 kreuzte er bei der dort unter Nummer 5 enthaltenen Frage „Haben sich Änderungen in Ihren Vermögensverhältnissen ergeben?“ die Auswahlmöglichkeit „Nein“ an und füllte auch die Anlage „VM“ nicht aus. Er bestätigte am Ende des Antrages die Richtigkeit seiner Angaben. 

Dem Kläger wurden auf seinen Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2010 hin für den Zeitraum April bis September 2010 monatliche Leistungen i.H.v. 359 € auf Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 3. März 2010, geändert durch die Bescheide vom 23. Juni 2010 und 9. August 2010, bewilligt. 

Nachdem dem Kläger auf den sodann folgenden Weiterbewilligungsantrag vom 16. August 2010 für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 monatliche Leistungen i.H.v. 359 € bis Dezember 2010 sowie monatliche Leistungen i.H.v. 364 € ab Januar 2011 auf Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 18. August 2010, geändert durch den Bescheid vom 26. März 2011, bewilligt worden waren, eröffnete der Kläger am 6. September 2010 ein Girokonto bei der D-Bank A-Stadt. Am 10. September 2010 zahlte er hierauf einen zwischenzeitlich aus den Leistungen kontinuierlich ersparten Betrag in Höhe von 9.250,00 € ein. Über die Kontoeröffnung informierte der Kläger den Beklagten ebenfalls im September 2010 mit der Bitte, die Leistungen künftig auf sein Konto bei der D-Bank anzuweisen. Weder in seinem Weiterbewilligungsantrag vom 16. August 2010 noch bei der Anzeige der Kontoverbindung machte der Kläger indes Angaben zu einer Änderung in seinen Vermögensverhältnissen. 

Insgesamt bewilligte der Beklagte dem Kläger in den Zeiträumen vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 Leistungen in einer Gesamthöhe von 20.765,00 €, nachdem der Kläger in allen hierzu gestellten Weiterbewilligungsanträgen jeweils angegeben hatte, dass keine Änderung in seinen Vermögensverhältnisse eingetreten war. Hierbei handelte es sich im Einzelnen um folgende Leistungen:
 

Anträge auf Weiterbewilligung Bescheide Zeitraum Monatliche Leistungen
27. Februar 2011 Bewilligungsbescheid vom 30. März 2011, geändert durch den Bescheid vom 16. Dezember 2011 April bis September 2011 364 €
16. August 2011 Bewilligungsbescheid vom 14. September 2011, geändert durch den Bescheid vom 26. November 2011 Oktober 2011 bis März 2012  364 € bis Dezember 2011, 374 € ab Januar 2012
17. Februar 2012 Bewilligungsbescheid vom 9. März 2012 April 2012 bis September 2012 374 €
22. August 2012 Bewilligungsbescheid vom 29. August 2012, geändert durch den Bescheid vom 24. November 2012 Oktober 2012 bis März 2013 374 € bis Dezember 2012, 382 € ab Januar 2013
17. Februar 2013 Bewilligungsbescheid vom 4. April 2013 April 2013 bis September 2013 382 €
27. August 2013 Bewilligungsbescheid vom 17. September 2013, geändert durch Bescheid vom 23. November 2013 Oktober 2013 bis März 2014 382 € bis Dezember 2013, 391 € ab Januar 2014
2. März 2014 Bewilligungsbescheid vom 13. März 2014 April bis September 2014 391 €
15. August 2014 Bewilligungsbescheid vom 29. August 2014, geändert durch den Bescheid vom 30. November 2014 Oktober 2014 bis März 2015 391 € bis Dezember 2014, 399 € ab Januar 2015


Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 3. März 2015 brachte der Beklagte in Erfahrung, dass das klägerische Konto bei der D-Bank, ausweislich des Kontostandes vom 27. Februar 2015, einen Kontostand von 19.548,36 € aufwies. In einer persönlichen Vorsprache am 19. März 2015 erklärte der Kläger dem Beklagten, dass es sich hierbei um Ansparungen aus der Regelleistung handelte. Dies bestätigte er zudem mit Schreiben vom 7. April 2015.

Mit Ablehnungsbescheid vom 25. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2015 stellte der Beklagte die Leistungen ab dem 1. April 2015 mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers ein. 

Der Beklagte hörte den Kläger mit Anhörungsschreiben vom 17. November 2015 im Hinblick auf eine mögliche Rücknahme der bewilligten Leistungen im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 unter Fristsetzung bis zum 4. Dezember 2015 an. Darin stellte der Beklagte fest, dass der Kläger über Vermögen in Höhe von 19.508,36 € verfüge und daher nicht hilfebedürftig sei. Die Bewilligung – so der Beklagte – dürfte im Übrigen fehlerhaft erfolgt sein, weil der Kläger im Antrag vom 28. Februar 2010 zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. 

Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 27. November 2015 Stellung und betonte, im streitgegenständlichen Zeitraum keine Einnahmen erzielt und keine falschen Angaben gemacht zu haben. Bei seinem Antrag am 28. Februar 2010 habe der Sparbetrag von ehemals 9.250,00 € unter dem Grundfreibetrag gelegen, der nach Auffassung des Klägers für seine Altersgruppe (d.h. für Personen, die nach dem 31. Dezember 1963 geboren wurden) 10.050,00 € betragen habe. 

Mit Bescheid vom 5. Januar 2016, dem Kläger zugegangen am 8. Januar 2016, wurden die einzelnen Bewilligungsbescheide vom 1. September 2010 bis zum 31. März 2015 auf Grundlage von § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) wegen grob fahrlässiger Angaben vom Beklagten zurückgenommen und die vermeintlich überzahlten Leistungen auf Grundlage von § 50 Abs. 1 SGB X erstattet verlangt.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 31. Januar 2016 Widerspruch ein. 

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2017 als unbegründet zurück. Hierzu führte er an, dass sich der Rückforderungs- und Erstattungsanspruch darauf gründe, dass die vorbenannten Weiterbewilligungsanträge ob des jeweils vorhandenen und vom Kläger einzusetzenden Vermögens jeweils hätten vom Beklagten abgelehnt werden müssen. Zum jeweiligen Antragszeitpunkt habe der Kläger das vorhandene Guthaben verschwiegen, die unmissverständliche Frage nach dem Bestand des Vermögens unrichtig beantwortet und die falsche Information durch die Angabe nicht erfolgter Änderungen in den jeweiligen Weiterbewilligungsanträgen fortgeführt. Es seien so Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 20.765,00 € zu Unrecht erbracht worden. Diese habe der Kläger zu erstatten. 

Der Kläger, der seinen Lebensunterhalt im Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 31. Oktober 2017 sodann aus eigenen Mitteln bestritt und seit dem 1. November 2017 wieder im laufendem Leistungsbezug bei dem Beklagten steht, hat am 5. Oktober 2017 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. 

Er behauptet, dass er das Sparen aus den Regelleistungen für zulässig und möglich gehalten und auf das Behaltendürfen des angesparten Betrages vertraut habe. Angaben zu dem Sparbetrag hätten nach Ansicht des Klägers daher nicht gemacht werden müssen, zumal Änderungen auch nur im Hinblick auf eine Erhöhung des Sparbetrages eingetreten seien. Die Rückforderung sei insbesondere unzulässig, weil der Sparbetrag mittlerweile aufgebraucht sei und sich der Kläger wieder im Leistungsbezug befände.

Der Kläger beantragt, 

den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017 aufzuheben. 

Der Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen. 

Der Beklagte beruft sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2017.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2020 hat der Kläger zu Protokoll erklärt, dass er gewusst habe, dass eine falsche Beantwortung – hier betreffend die behördliche Abfrage der vermögensrechtlichen Verhältnisse – Konsequenzen haben kann. Beim Ausfüllen der Anträge habe er sich aber nichts weiter gedacht. 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die Sitzungsniederschrift sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Kläger wendet sich mit seiner nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobenen Klage gegen die Rücknahme und Erstattung Leistungen in Höhe von 20.765,00 €, die der Beklagte ihm für den Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 bewilligt und ausgezahlt hatte. Er zielt insofern auf die Aufhebung des Bescheides vom 5. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017.

Die so verstandene und als Anfechtungsklage statthaft erhobene Klage hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. 

Der angegriffene Rücknahme- und Erstattungsbescheid 5. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2017 ist rechtmäßig und ist für den Kläger mit keiner Beschwer nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG verbunden.

Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Januar 2016 verfügte Aufhebung der Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum ist § 40 Abs. 2 Nr.3 SGB II in der vom 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X.

Der Bescheid vom 5. Januar 2016 ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurden insbesondere mit Anhörungsschreiben vom 17. November 2015 zu der beabsichtigten Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört.

Die Rücknahmeentscheidung stellt sich auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig dar. Denn nach § 40 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III i. V. m. § 45 Abs. 1 SGB X ist ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtwidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen von § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise für die Vergangenheit zurückzunehmen. 

Hierbei sind keine Ermessenerwägungen vom Beklagten anzustellen, da die Leistungsbescheide in Abgrenzung zum Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB X, wonach solche bei Vorlage der entsprechenden Voraussetzungen zurückgenommen werden „dürfen“, vom Beklagten zurückzunehmen „sind“. Dies folgt aus § 330 Abs. 2 SGB III (Greiser, in: Eicher/Luik, SGB II – Grundsicherung für Arbeitssuchende, 4. Aufl. 2017, § 40, Rn. 15).

Zudem ist hierbei auch auf § 45 SGB X abzustellen, da dieser in Abgrenzung zu § 48 SGB X, der nachträgliche wesentliche Änderungen betrifft, Anwendung findet, wenn der jeweilige Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich folglich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden soll, ab (Bundessozialgericht – BSG –, Urt. v. 24. Februar 2011 – B 14 45/09 R, juris, Rn. 15 m.w.N.). Erlassen ist ein Verwaltungsakt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekannt gegeben und damit wirksam geworden ist. Die Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolgt mit dessen Zugang (BSG, Urt. v. 24. Februar 2011 – B 14 45/09 R, juris, Rn. 15). 

Vorliegend gewährte der Beklagten dem Kläger im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 Leistungen, wobei für den betroffenen Zeitraum der erste Bewilligungsbescheid unter dem 30. März 2011 und der letzte Bewilligungsbescheid unter dem 29. August 2014 erlassen wurden. Zu diesen Zeitpunkten verfügte der Kläger ob des angesparten Betrages über relevantes Vermögen gemäß § 9 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 12 Abs. 1 SGB II, welches der Bewilligung entgegengestanden hätte. Denn einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 SGB II i.V.m. §§ 7 ff. SGB II haben nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Der Bedarf für den Lebensunterhalt umfasst dabei grundsätzlich die monatlichen Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und ggf. Mehrbedarfe sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 SGB II, § 20 ff. SGB II).

Der Kläger erfüllte jedoch in Ansehung des angesparten Betrages die vorgenannten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht, da er nicht hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 SGB II war. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist nämlich allein derjenige hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Der Bedarf des Klägers im Zeitraum vom 1. September 2010 bis 31. März 2015 belief sich dabei allein den jeweiligen Regelbedarf in Höhe von anfänglich 359,00 € bis zuletzt 399,00 € gemäß § 20 SGB II in der jeweils geltenden Fassung. Tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entstanden ihm, da er im elterlichen Haushalt lebte, nicht. Der Kläger war im Stande, diesen Bedarf bereits zum Erlasszeitpunkt des ersten von der Rücknahme betroffenen Bewilligungsbescheides im März 2011 aus eigenen Mitteln zu decken, berücksichtigt man den kontinuierlich aufgebauten Sparbetrag, welcher im September 2010 bereits 9.250,00 € betrug. Dies gilt des Weiteren auch für die darauffolgenden Bewilligungsbescheide, zumal es dem Kläger gelang, ein Guthaben bis zu 19.548,36 € (Stand März 2015) aufzubauen. Vor diesem Hintergrund ergingen die Bewilligungsbescheide mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers rechtswidrig. 

Der Rücknahme steht auch nicht § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X entgegen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt nämlich nur dann nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings unter anderem dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). 

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme im hier relevanten Zeitraum vom 1. September 2010 bis 21. März 2015 liegen vor. Denn alle insofern maßgeblichen Bewilligungsbescheide beruhten ganz oder teilweise – letzteres betrifft den Bewilligungsbescheid vom 3. März 2010, geändert durch die Bescheide vom 23. Juni 2010 und 9. August 2010 – auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hatte.

So verfügte der Kläger im September 2010 über einen Barbetrag in Höhe von 9.250,00 €, welchen er am 10. September 2010 auf sein Bankkonto bei der D-Bank einzahlte und welchen er kontinuierlich bis zu einem Sparbetrag in Höhe von 19.548,36 € aufbaute. Hierüber setzte er den Beklagten zu keinem Zeitpunkt in Kenntnis und gab insbesondere in den Weiterbewilligungsanträgen jeweils an, dass keine Änderung in seinen Vermögensverhältnisse eingetreten wäre. 

Er machte insofern Angaben, die einer Leistungsbewilligung durch den Beklagten entgegengestanden hätten. Denn die Existenz von Bar- oder sonstigen Geldbeträgen, insbesondere Sparbeträgen, ist eine Tatsache, die im behördlichen Verfahren zur Prüfung und Feststellung der Leistungsberechtigung eines Antragstellers nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II festzustellen ist. Grund hierfür ist, dass es sich dabei um Vermögen gemäß § 12 Abs. 1 SGB II handelt, welches der Leistungsberechtigte grundsätzlich zur Sicherung seines Lebensunterhaltes einzusetzen hat. Dabei kann in einer ersten Betrachtung dahinstehen, ob es sich um einen Geldbetrag gemäß § 12 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB II handelt, der ganz oder teilweise besonders geschützt wird. Die Frage nämlich, ob der jeweilige Betrag vom Beklagten anspruchsmindernd berücksichtigt werden darf, ist von dem Beklagten nachgeordnet zu prüfen. Es ist dem Regelungskonzept von § 12 SGB II des Weiteren auch nicht zu entnehmen, dass das aus den SGB II-Leistungen angesparte Vermögen in unbegrenzter Höhe von der Anrechnung freigestellt sein soll, da nur ein solches Verständnis dem Interesse der Allgemeinheit gerecht wird, Vermögensaufbau, der die Freibetragsgrenzen übersteigt, aus Mitteln der Existenzsicherung zu vermeiden (BSG, Urt. v. 12. Oktober 2017 – B 4 AS 19/16 R, juris, Rn. 33).

Durch das Verschweigen des hier streitgegenständlichen Sparbetrages machte der Kläger unter Berücksichtigung des Vorgenannten auch unrichtige Angaben. Denn unter unrichtigen Angaben sind solche zu verstehen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Indem der Kläger also vorgab, dass kein entsprechender, hier sogar wachsender Sparbetrag existierte, der Kläger in Wirklichkeit jedoch über diesen verfügte, entstand ein unzutreffendes Bild über seine finanzielle Situation.

Die unrichtigen Angaben bestanden auch in wesentlicher Beziehung, denn es handelte sich in Ansehung des zunächst hohen vierstellen und dann sogar fünfstelligen Sparbetrages um Vermögen erheblichen Ausmaßes. Dies gilt auch dann, wenn man hier den abzusetzenden Vermögensfreibetrag gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II berücksichtigen würde. Dieser belief sich bei dem im September 2010 33 Jahre alten Kläger gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II nämlich lediglich auf 5.700,00 € (4.950,00 € gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II zuzüglich eines Pauschalbetrages für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro). Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich auch kein höherer Freibetrag aus § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB II, hier in Höhe von 10.050,00 €, da es sich dabei um einen Deckelungsbetrag handelt, über den Freibeträge bei Personen, die nach dem 31. Dezember 1963 geboren sind, nicht hinausgehen dürfen. 

Der Kläger verschwieg das vorhandene Sparvermögen zudem in grob fahrlässiger Weise.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dabei ist auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab, das heißt auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen abzustellen. Grobe Fahrlässigkeit liegt danach dann vor, wenn der Betroffene aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass und welche Tatsachen er hätte angeben müssen (BSG, Bes. v. 13. März 2019 – B 8 SO 85/18 B, BeckRS 2019, 5257, 1. Leitsatz). 

So erwähnte der Kläger vorliegend, obwohl er nach seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit dazu in der Lage war, in keinem der hier maßgeblichen Weiterbewilligungsanträgen seit dem 28. Februar 2010 noch zu einer anderen Gelegenheit gegenüber dem Beklagten, Vermögen durch das Ansparen von Leistungen aufgebaut zu haben. Dies aber hätte von ihm, wie auch von jedem durchschnittlichen Leistungsberechtigten, erwartet werden können, zumal der Kläger wusste, dass Falschangaben Konsequenzen haben würden. Auch zeigt sich in seiner Stellungnahme vom 27. November 2015, dass der Kläger zwischen Einkommen und Vermögen unterscheiden konnte und eigene Überlegungen zu einem etwaigen Vermögensfreibetrag zu seiner Entlastung anstellte. Vor diesem Hintergrund hätten einfachste und ganz naheliegende Überlegungen dem Kläger Anlass geben müssen, sein Sparvermögen offen zu legen. Der Rechtsirrtum über die grundsicherungsrechtliche Bewertung des Sparvermögens, hier insbesondere im Hinblick darauf, dass er rechtsirrig einen Freibetrag in Höhe von 10.050,00 € annahm, lässt den Verschuldensvorwurf, leistungserhebliche Tatsachen grob fahrlässig nicht angegeben zu haben, nicht entfallen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26. August 2015 – L 4 AS 335/11, juris, Rn. 36).

Die vor obigem Hintergrund zu Unrecht bewilligten Leistungen waren gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Höhe von 20.765,00 € zu erstatten.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
 

Rechtskraft
Aus
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