L 8 BA 43/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 BA 8/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 BA 43/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 BA 3/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 

Die Revision wird nicht zugelassen. 

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.


Tatbestand

Im Streit steht der sozialversicherungsrechtliche Status des Klägers in Bezug auf Montagetätigkeiten während seiner Inhaftierung bei der Beigeladenen zu 1). 

Der Kläger befand sich vom 13. September 2011 bis 5. November 2018 als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) D., der Beigeladenen zu 1). Vom 5. Februar 2015 bis 11. April 2017 war der Kläger durchgehend zur Arbeit eingeteilt. Als Energieanlagenelektroniker montierte er Spülmaschinen und verschiedene Schaltkästen aus dem Portfolio der B. GmbH werktäglich in den Räumen der Beigeladenen zu 1). 

Mit vor dem Sozialgericht Freiburg erhobener Untätigkeitsklage vom 27. Januar 2017 beantragte der Kläger u.a. die Feststellung des Status im Hinblick auf die von ihm in der Haft verrichteten Montagetätigkeiten für die Firma B. Mit Schreiben vom 13. September 2018 übersandte die Beklagte zur Statusklärung dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) einen Fragebogen. Am 20. September 2018 gab die Beigeladene zu 1) an, der Kläger sei im Rahmen der gesetzlich verankerten Arbeitspflicht für Strafgefangene zur Arbeit in den Arbeitsbetrieben der JVA eingeteilt gewesen. Die Beigeladene zu 1) habe die vollständige Organisationshoheit über die Abläufe in den Arbeitsbetrieben inne (gehabt). Private Arbeitsverträge seien mit den Gefangenen nicht abgeschlossen worden. Mit der Firma B. existiere ein Dienstleistungsvertrag, wonach die Beigeladene zu 1) verschiedene Montagearbeiten für die Firma B. übernehme. Die Beigeladene zu 1) weise die Gefangenen in den Arbeitsplatz bzw. die individuell zugewiesene Tätigkeit ein, erfasse die täglichen Arbeitszeiten sowie die Anzahl und Qualität der produzierten Schaltkästen und vergüte die Tätigkeiten (Stundenlohn zwischen 1,37 und 2,28 €). Im Rahmen der Sicherstellung der Qualität der montierten Produkte seien bestimmte Vorgaben der Firma B. (Montageanleitungen) zu beachten. Die Firma B. überlasse die notwendigen Werkzeuge und zahle eine Vergütung an die Beigeladene zu 1) je nach Anzahl der montierten Maschinen und Zubehörteile. Der Kläger habe werktäglich von 6:26 Uhr bis 14:45 Uhr abzüglich Frühstücks- und Mittagspause (9:00 Uhr bis 9:10 Uhr und 11:46 Uhr bis 12:43 Uhr) gearbeitet. 

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 stellte die Beklagte fest, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mangels vertraglicher Beziehung mit der Firma B. nicht bestehe. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 hörte die Beklagte den Kläger gleichzeitig zur beabsichtigten Feststellung an, dass ein abhängiges versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) mit der Beigeladenen zu 1) trotz Weisungsgebundenheit nicht bestehe, da die Montagetätigkeiten nicht in einem privaten Rechtsverhältnis, sondern aufgrund staatlichen Zwangs in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ausgeübt worden seien (§§ 37, 41, 43 Strafvollzugsgesetz). Dies begründe lediglich Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Der entsprechende Bescheid erging am 13. Februar 2019.

Am 17. Januar 2019 hat der Kläger Klage (S 35 BA 8/19) und gleichzeitig Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Dezember 2018 die Firma B. betreffend erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat den Eilantrag mit Beschluss vom 7. Februar 2019 abgelehnt (S 35 BA 7/19 ER). Am 22. Februar 2019 hat der Kläger Klage (S 35 BA 20/19) und gleichzeitig Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. Februar 2019 die Beigeladene zu 1) betreffend erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat den Eilantrag mit Beschluss vom 5. März 2019 abgelehnt (S 35 BA 19/19 ER). Mit Widerspruchsbescheiden vom 13. August 2019 hat die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurückgewiesen.

Das Sozialgericht hat mit Beschlüssen vom 25. Oktober 2019 die Verfahren S 14 BA 8/19 und S 14 BA 20/19 (vormals S 35 BA 8/19 und S 35 BA 20/19) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden sowie die JVA D. und die Agentur für Arbeit Offenburg zum Verfahren notwendig beigeladen. Das Gericht hat die Beteiligten unter dem 25. Oktober 2019 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG) angehört.

Mit Gerichtsbescheid vom 14. April 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet:
„Die Bescheide der Beklagten vom 10. Dezember 2018 und 13. Februar 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. August 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Insbesondere steht der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 10. Dezember 2018 nicht die fehlende Anhörung (§ 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB X) vor Erlass des Bescheides entgegen. Diese ist im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren zur Kenntnis genommen und sodann den Widerspruchsbescheid erlassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der gerichtserfahrene Kläger selbst auf ein formelles Widerspruchsverfahren verzichtet hat, indem er direkt Klage erhoben hat.
Die Entscheidungen der Beklagten sind auch materiell rechtmäßig. Der Kläger war während der Montagearbeiten bei der Beigeladenen zu 1) für die Firma B. im Zeitraum 5. Februar 2015 bis 11. April 2017 nicht abhängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
In der vorliegend streitigen Zeit unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI und § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Ob jemand abhängig beschäftigt ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung (zum Ganzen jüngst BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 13/17 R, Rn. 16 juris, Urteil vom 31. März 2017, B 12 KR 7/15 R, Rn. 21 juris, Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R, Rn. 15 juris = BSGE 111, 257-268, Urteile des Hessischen Landessozialgerichts – HLSG – vom 25. Januar 2018, L 8 KR 399/15 und 26. April 2018, L 8 KR 170/15).
Vorliegend fehlt es schon an einem Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitsverhältnis kommt durch den Abschluss eines Arbeitsvertrages als Unterfall des Dienstvertrages zustande. Eine Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV liegt deshalb regelmäßig vor, wenn die entgeltliche Arbeit aufgrund eines wirksamen Arbeitsvertrages gemäß § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erbracht wird: Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Vorliegend fehlt es bereits an einem wirksamen Arbeitsvertrag. Ein solcher kam weder schriftlich noch mündlich, weder mit der Beigeladenen zu 1), noch mit der Firma B. zustande. Wie die Beklagte im Bescheid vom 13. Februar 2019 zutreffend festgestellt hat, wurden die Montagearbeiten nicht in einem privaten Rechtverhältnis, sondern aufgrund staatlichen Zwangs in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ausgeübt. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen ist, weil es an dem hierfür erforderlichen freien wirtschaftlichen Austausch von Arbeit und Lohn mangelt. Ein freies Austauschverhältnis fehlt insbesondere dann, wenn ein der Anstaltsgewalt unterworfener Strafgefangener unausweichlich Arbeit verrichten muss; er steht insoweit in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung eigener Art, welche nicht der (Renten-) Versicherungspflicht unterliegt. Als frei gewählte Arbeit gilt hingegen die Arbeit von sog. Freigängern, die außerhalb der Strafvollzugsanstalt eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt ausüben (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 5 RE 2/16 R, Rn. 23, BSG, Urteil vom 04. September 2018, B 12 KR 18/17 R, Rn. 11, beide juris). Damit fehlt es bei der vom Kläger im Rahmen seiner Strafhaft abgeleisteten Pflichtarbeit i.S. von § 41 Abs. 1 StVollzG an der Freiwilligkeit der Arbeitsleistung, sodass eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliegt.
Wie die Beklagte weiter zutreffend festgestellt hat, löste die aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung ausgeübte Beschäftigung lediglich Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III aus.“

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 3. Mai 2021, in der dieser nicht inhaltlich auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid eingegangen ist.

Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung seines Begehrens,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2021 sowie die Bescheide der Beklagten vom 10. Dezember 2018 und 13. Februar 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. August 2019 aufzuheben und festzustellen, dass die Montagetätigkeiten bei der Beigeladenen zu 3) im Zeitraum 5. Februar 2015 bis 11. April 2017 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung unterlag.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht sich durch den angefochtenen Gerichtsbescheid bestätigt.

Der Senat hat die B. GmbH zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladenen haben sich inhaltlich nicht zur Sache geäußert und keine eigenen Anträge gestellt.

Mit Beschluss vom 28. März 2022 hat der Senat die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2021 auf den Berichterstatter übertragen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.


Entscheidungsgründe

Nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte die Entscheidung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen, da der Senat durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen hat. Die Entscheidung konnte trotz des Ausbleibens der des Klägers, der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1) und 2) im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. November 2022 ergehen. Die vorgenannten Beteiligten sind hierauf in der Terminmitteilung ausdrücklich hingewiesen worden (vgl. § 110 Abs. 1 S. 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist aus den zutreffenden Gründen des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2021 unbegründet. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat darin zutreffend ausgeführt, dass der Kläger während seiner Inhaftierung bezüglich seiner Montagearbeiten für die zum Verfahren beigeladene Firma B. im Zeitraum 5. Februar 2015 bis 11. April 2017 kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausgeübt hat und es daher an dem wesentlichen Anknüpfungstatbestand der vom Kläger begehrten Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung mangelt. 

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die rechtlich nicht zu beanstandenden, umfassenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug und sieht insoweit von einer nochmaligen Darlegung ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren gibt keine Veranlassung hiervon abzuweichen.

Das Sozialgericht hat das zunächst als Untätigkeitsklage geführte Verfahren auch zu Recht nach Erlass des Widerspruchsbescheides als Anfechtungs- und Feststellungsklage fortgeführt.  

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war aus den vorgenannten Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen. 
 

Rechtskraft
Aus
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