L 4 AS 106/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 200 AS 4946/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 AS 106/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Besondere Umstände und eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII liegen nur vor, wenn über die mit dem Leistungsschluss typischerweise verbunden Härten hinaus individuelle Besonderheiten hinzutreten. Insbesondere sind Fälle als Härtefall denkbar, in denen eine Ausreise innerhalb eines Monats für einen vorübergehenden Zeitraum nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
  2. Allein der tatsächliche Aufenthalt im Bundesgebiet oder die Nichtergreifung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch die Ausländerbehörde begründen keinen Härtefall im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII.
  3. Die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII setzt keinen Ausreisewillen voraus.

 

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 geändert. Der Beigeladene wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 29. Dezember 2016 bis zum 28. Januar 2017 Überbrückungsleistungen zu gewähren.

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Der Beigeladene hat der Klägerin ¼ ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von existenzsichernden Leistungen für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017.

 

Die am 1970 geborene, geschiedene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und reiste nach ihren Angaben im Sommer 2015 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach ihren Angaben lernte die Klägerin in der Nachbarschaft ihres in der Gallee in Berlin wohnenden, volljährigen Sohnes etwa im August 2015 den am 1931 geborenen Herrn M A (nachfolgend „A“) kennen, zog in dessen Wohnung unter der im Rubrum genannten Anschrift in Berlin ein und meldete sich am 18.08.2015 bei der Meldebehörde unter der Wohnschrift des A an. A bezog unter anderem im hier streitigen Zeitraum eine Altersrente und aufstockend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch  (SGB XII) vom Sozialhilfeträger.

 

Die von A an den Vermieter zu zahlende Bruttowarmmiete für die Wohnung belief sich im hier streitigen Zeitraum auf monatlich 527,45 €. Ein Untermietvertrag wurde zwischen A und der Klägerin nicht abgeschlossen. Die Klägerin zahlte im gesamten hier streitigen Zeitraum keine Untermiete an A.

 

Die Klägerin verfügte jedenfalls zu Beginn des hier streitigen Zeitraums über ein Girokonto, welches ausweislich der eingereichten Kontoauszüge im Zeitraum vom 01.12.2016 bis zum 10.02.2017 stets einen negativen Kontostand auswies. Für den Zeitraum ab dem 10.02.2017 liegen keine Kontoauszüge zu diesem Konto vor, da das Konto nach Angaben der Klägerin zu diesem Zeitpunkt geschlossen und ihre Bankkarte eingezogen wurde.

 

Am 21.12.2015 meldete die Klägerin zum 01.01.2016 ein Gewerbe unter ihrer Wohnschrift an. Nachdem der Sozialhilfeträger Kenntnis vom Einzug der Klägerin bei A erhalten hatte, bewilligte er dem A für den Zeitraum ab September 2016 lediglich noch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von (etwa) der Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen (Bescheid vom 10.08.2016). Mit Bescheid vom 30.09.2016 bewilligte der Sozialhilfeträger A Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 11.04.2016 bis 30.09.2016 in Form einer Beihilfe in Höhe von monatlich 122,00 €.

 

Im November 2016 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und teilte mit, dass sie den A pflege, dass der Sozialhilfeträger bei den Grundsicherungsleistungen des A einen von ihr zu tragenden Mietanteil festgesetzt habe und dass sie keinerlei Mittel habe, diese Summe aufzubringen. Anfang Dezember 2016 trug die Klägerin ergänzend vor, dass sie für die Pflege des A von ihm das Pflegegeld in Höhe von monatlich 122,00 € erhalte. A sei bereit, mit ihr einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Anfang Februar 2017 reichte die Klägerin ein auf den 27.01.2017 datiertes und an die Minijob-Zentrale gerichtetes Formular ein, mit dem die Klägerin für den Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.12.2017 als bei A beschäftigte Haushaltshilfe unter Angabe eines monatlichen Arbeitsentgelts in Höhe von 200,00 € bei der Minijob-Zentrale angemeldet wurde. Die Minijob-Zentrale bestätigte in der Folgezeit diese vorgenommene Meldung zur Sozialversicherung. Ferner reichte die Klägerin eine Einkommensbescheinigung, mit der ein im Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.12.2017 bestehendes Beschäftigungsverhältnis als Haushaltshilfe des A und ein jeweils im Folgemonat fälliges Arbeitsentgelt in Höhe von 200,00 € bestätigt wurde, und drei Quittungen ein, in denen sie bestätigte, dass sie am 15.11.2016, am 15.12.2016 und am 15.01.2017 jeweils einen Betrag in Höhe von 200,00 € für haushaltsnahe Dienstleistungen von A erhalten habe.

 

Mit Bescheid vom 06.03.2017 lehnte der Beklagte den im November 2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab und widerrief zwei bereits zuvor erlassene Versagungsbescheide. Zur Begründung der Leistungsablehnung führte der Beklagte aus, dass die Klägerin von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen sei, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Die Tätigkeit mit einem Einkommen von 200,00 € begründe keinen Arbeitsnehmerstatus. Ein Arbeitsvertrag, der das Bestehen von Urlaubsansprüchen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall regele, sei nicht nachgewiesen worden.

 

Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten, mit Schreiben vom 24.03.2017 Widerspruch ein und trug vor, dass sie bereits seit August 2015 als Pflegerin des A tätig sei. Zunächst sei mit A vereinbart worden, dass sie für ihre Pflegetätigkeit „Kost und Logis“ erhalte und ihr außerdem das Pflegegeld ausgezahlt werde. Die Tätigkeit sei zunächst als Selbständige erfolgt, wie sich aus der Gewerbeanmeldung ergebe. Für den Zeitraum ab dem 01.04.2016 sei ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mit einem vereinbarten Lohn von monatlich 200,00 € geschlossen und bei der Minijob-Zentrale angemeldet worden. Bis einschließlich Januar 2017 habe sie neben der Naturalvergütung den vereinbarten Lohn erhalten. Seit Februar 2017 habe A aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten keinen Lohn mehr an sie auszahlen können. Außerdem habe er sie  aufgefordert, dass sie nun die Hälfte der Miete für die gemeinsam bewohnte Wohnung zahlen müsse. Ihr stehe ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin zu und sie sei nicht von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

 

Am 30.03.2017 stellte die Klägerin beim Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen S 200 AS 4230/17 ER) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem sie die Verpflichtung des Beklagten zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehrte, ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholte und im weiteren Verlauf insgesamt drei eidesstattliche Versicherungen vom 22.03.2017, vom 23.03.2017 und vom 10.04.2017 einreichte, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 06.03.2017 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen, weil allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche vorliege. Die Klägerin habe kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin. Es seien keine Nachweise vorgelegt worden, aus denen eine abhängige oder selbständige Beschäftigung ersichtlich wäre. 

 

Hiergegen hat die Klägerin am 13.04.2017 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen S 200 AS 4946/17) erhoben, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 und ursprünglich ohne konkrete zeitliche Begrenzung die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe begehrt hat. Der Beklagte ist der Klage unter Wiederholung seiner bisherigen Begründung entgegengetreten.

 

In dem zwischen der Klägerin und dem Beklagten geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Aktenzeichen S 200 AS 4230/17 ER) ist der Beklagte mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19.04.2017 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden, der Klägerin für den Zeitraum vom 19.04.2017 bis zum 31.07.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 347,65 € auszuzahlen. Hiergegen haben sowohl der Beklagte als auch die Klägerin Beschwerde eingelegt.

 

Mit einem an die Klägerin adressierten und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Schreiben vom 26.04.2017 hat der Beklagte, ohne dieses Schreiben ausdrücklich als Ausführungsbescheid zu dem am 19.04.2017 ergangenen Beschluss des Sozialgerichts zu kennzeichnen, der Klägerin auf den im November 2016 gestellten Antrag für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 31.07.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 347,65 € bewilligt. Dieses Schreiben ist der Klägerin nach ihrem Vortrag am 28.04.2017 zugegangen. Mit ebenfalls auf den 26.04.2017 datierten Schreiben, welches den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des hierzu vorliegenden Faxsendeprotokolls am 26.04.2017 zugegangen ist, hat der Beklagte mitgeteilt, dass es sich bei dem Bescheid vom 26.04.2017 um ein Versehen handele und dass kein Bekanntgabewille vorliege. Ferner hat der Beklagte auf ein zeitgleich übersandtes Umsetzungsschreiben vom 26.04.2017 verwiesen, mit dem mitgeteilt wurde, dass in Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 19.04.2017 für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 31.07.2017 Leistungen in der vom Sozialgericht zugesprochenen Höhe zur Anweisung gebracht würden.

           

Mit Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.06.2017 (Aktenzeichen L 31 AS 848/17 B ER) ist auf die Beschwerde des Beklagten der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19.04.2017 aufgehoben, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und die Anschlussbeschwerde der Klägerin zurückgewiesen worden.

 

Bereits am 13.06.2017 hatte A der Meldebehörde mitgeteilt, dass die Klägerin am 01.03.2017 aus seiner Wohnung ausgezogen sei, woraufhin die Klägerin mit Wirkung zum 01.03.2017 nach unbekannt abgemeldet worden ist. Am 28.07.2017 hat eine Mitarbeiterin des Sozialhilfeträgers einen Prüfbesuch in der Wohnung des A vorgenommen und hat hierbei sowohl A als auch die Klägerin angetroffen, wobei die Klägerin ausweislich des Prüfberichts bestätigt habe, dass sie weiterhin in der Wohnung des A wohne.

 

Am 28.07.2017 hat die Klägerin beim Beklagten erneut einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt und hat hierbei unter anderem angegeben, dass der aktuelle Bewilligungszeitraum noch bis zum 31.07.2017 laufe. Mit Bescheid vom 31.07.2017 hat der Beklagte diesen erneuten Antrag vom 28.07.2017 ohne Bezugnahme auf einen konkreten Bewilligungszeitraum abgelehnt.

 

Die Klägerin hat ihren Klageantrag auf Aufforderung des Sozialgerichts daraufhin zunächst auf den Zeitraum vom 01.11.2016 bis zum 31.07.2017 beschränkt. Mit Beschluss vom 19.12.2018 hat das Sozialgericht den Sozialhilfeträger beigeladen.

 

Das Sozialgericht Berlin hat aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des A eine schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch A angeordnet. In einem zur Gerichtsakte gelangten, nicht unterschriebenen Schreiben vom 15.10.2019, auf dem als Absender der Name des A angegeben ist und am Ende der Name des A wiedergegeben wird, sind diese Beweisfragen beantwortet worden. Hierbei wurde angegeben, dass A die Klägerin in seiner Nachbarschaft kennengelernt habe und sich mit ihr angefreundet habe. Er habe sie in seine Wohnung aufgenommen, damit sie nicht auf der Straße leben müsse. Sie habe ab und zu geputzt, gekocht und Wäsche gewaschen, dies habe sie aus eigener Initiative getan. Es sei eine Art „Danke“ dafür gewesen, dass er ihr ein Bett gegeben habe. Was das Putzen und Kochen angehe, habe die Klägerin selbst festgelegt, ob sie etwas tue oder nicht. Es sei keine Bezahlung erfolgt. Er habe der Klägerin helfen wollen. Wenn etwas geschehen sei, sei dies aus einem Gefallen bzw. Freundschaft heraus geschehen. Grundlage sei ihre Freundschaft gewesen. Einen Vertrag oder etwas Ähnliches habe es nicht gegeben. Die Klägerin habe und sollte auch nie einen Anteil an der Miete zahlen. Nachdem er selbst wegen der Klägerin Probleme mit dem Sozialhilfeträger bekommen habe, habe er sie abgemeldet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 15.10.2019 Bezug genommen.

 

In einem weiteren zur Gerichtsakte gelangten Schreiben vom 22.11.2019, auf dem am Ende der Name des A wiedergegeben wird und sich darunter eine Unterschrift befindet, wird ausgeführt, A habe der Klägerin nach ihrem Kennenlernen vorgeschlagen, dass diese bei ihm einziehe, ihm bei der Bewältigung seines Alltages helfe und hierfür keine Miete zahlen müsse. Im April 2016 habe A der Klägerin zusätzlich zur kostenlosen Miete angeboten, einen Arbeitsvertrag aufzunehmen und sie für 200,00 € im Monat einzustellen. Das Gehalt habe nur für drei Monate gezahlt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 22.11.2019 Bezug genommen.

 

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2019 außerdem Beweis erhoben durch zeugenschaftliche Vernehmung einer die Klägerin unterstützenden Sozialarbeiterin (Frau  S). Diese hat ausgeführt, dass sie die Klägerin im Mai 2016 kennengelernt habe. Sie könne nur angegeben, was die Klägerin ihr erzählt habe. Diese habe ihr erzählt, dass sie A pflege und dafür bei ihm wohnen könne. Außerdem habe die Klägerin zunächst das Pflegegeld des A bekommen. Dann habe A das Pflegegeld nicht mehr an die Klägerin bezahlt und die Klägerin habe nur noch bei ihm gewohnt. Die Klägerin sei immer bei A gewesen. Feste Arbeitszeiten habe es nicht gegeben. Die Arbeit sei sehr umfangreich gewesen. Ein Arbeitsvertrag sei in Anwesenheit der Sozialarbeiterin nicht geschlossen worden. Aber man habe zusammen die Anmeldung bei der Minijob-Zentrale gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 13.12.2019 Bezug genommen.

 

Der Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 04.11.2019 erklärt, dass er für den Zeitraum bis zum 28.12.2016 ein (Teil-)Anerkenntnis abgebe. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 13.12.2019 angenommen, den gegen den Beklagten gerichteten Klageantrag auf den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 beschränkt und einen gegen den Beigeladenen gerichteten Hilfsantrag gestellt, mit dem sie für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 die Verurteilung des Beigeladenen zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe begehrt hat.

 

Am 09.12.2019 ist A verstorben.

 

Mit Urteil vom 13.12.2019 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und dem beigeladenen Sozialhilfeträger ¼ der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (in der ab dem 29.12.2016 geltenden Fassung) von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Es sei nicht nachgewiesen, dass neben einem möglichen, sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebenden Aufenthaltsrecht ein anderes Aufenthaltsrecht eingreife. Insbesondere habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Es habe kein Arbeitsverhältnis vorgelegen. Dies folge bereits daraus, dass nicht habe nachgewiesen werden können, dass ein Arbeitsverhältnis überhaupt zwischen der Klägerin und A vereinbart und gewollt gewesen sei. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiere nicht, sondern lediglich die Anmeldung an die Minijob-Zentrale. Auch sei die Kammer nicht zur vollen Überzeugung gelangt, dass überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich eine Vergütung der Tätigkeiten durch A erfolgt sei. Die eingereichten Quittungen hätten kaum einen Beweiswert, da diese allein von der Klägerin unterzeichnet seien, wobei es ohnehin verwundere, weshalb das angebliche Gehalt in bar gezahlt worden sein soll, obwohl die Klägerin über ein Bankkonto verfüge. Auch die behauptete Höhe von 200,00 € monatlich sei widersprüchlich, da die Klägerin in ihrem Antrag auf Leistungen beim Beklagten angegeben habe, dass das Pflegegeld an sie weitergeleitet würde. Dies habe zur damaligen Zeit aber 122,00 € und nicht 200,00 € betragen. Auch freie Kost und Unterkunft seien nicht nachgewiesen. Denn bei der Anmeldung bei der Minijob-Zentrale sei gerade nicht angegeben worden, dass eine Verpflegung durch den Arbeitgeber erfolge. Auch die kostenlose Unterkunft, welche nach Auffassung der Kammer einen Teil der Vergütung darstellen könne, sei fraglich, da die Klägerin in ihrem Antrag beim Beklagten angegeben habe, dass ihr Mietanteil 255,00 € betrage. Außerdem scheine es keine Vereinbarung zu einer Arbeitszeit zwischen der Klägerin und A gegeben zu haben. Dies sei aber gerade nicht typisch für ein Arbeitsverhältnis. Auch sei keine Vereinbarung zu Urlaub oder für den Fall der Krankheit der Klägerin getroffen worden. Schließlich spreche gegen ein Arbeitsverhältnis, dass die Klägerin, nachdem Lohnzahlungen ausgeblieben seien, keine Schritte gegen ihren vermeintlichen Arbeitgeber unternommen habe, um den ausstehenden Lohn zu erhalten. Letztlich spreche die Antwort des Zeugen A in seinem Schreiben vom 15.10.2019 gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Zwar habe der Zeuge in seinem Schreiben vom 22.11.2019 eine andere Aussage getätigt. Aufgrund der Widersprüchlichkeit sei aber keine der Aussagen glaubhaft, so dass diesen keine überzeugenden Anhaltspunkte für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses entnommen werden könnten. Auch die Aussage der Sozialarbeiterin könne nicht zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, da der Aussage nicht entnommen werden könne, dass die Tätigkeiten der Klägerin im Rahmen eines echten Arbeitsverhältnisses erfolgt seien. Weitere mögliche Aufenthaltsrechte der Klägerin seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Klägerin sei daher von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss sei europarechtskonform und verfassungsgemäß. Es bestehe für den Zeitraum ab dem 29.12.2016 auch kein Anspruch der Klägerin gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger auf Leistungen nach dem SGB XII. Ein solcher Anspruch sei nach der mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II identischen Regelung in § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen.

 

Gegen dieses ihr am 19.12.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 17.01.2020 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, mit der sie die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 13.12.2019 sowie des Ablehnungsbescheides vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 und für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und hilfsweise für den gleichen Zeitraum die Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII begehrt.

 

Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung ergänzend vor, dass das Sozialgericht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, weil es das Ergebnis der Beweisaufnahme falsch gewürdigt habe. Das Sozialgericht habe seiner Entscheidung fälschlicherweise die Annahme zugrunde gelegt, dass Lohnzahlungen an sie nicht erfolgt seien. Tatsächlich habe sie bis einschließlich Januar 2017 für ihre Pflegetätigkeit eine Vergütung von A erhalten. Hierzu seien Quittungen vorgelegt worden. Soweit das Sozialgericht ausführe, dass diese keinen Beweiswert hätten, weil sie nur von ihr unterschrieben worden seien, verkenne das Sozialgericht, dass Barquittungen immer nur vom Empfänger und nicht vom Geber unterschrieben würden. Darüber hinaus habe sie in dem geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren eidesstattliche Versicherungen zum Erhalt der Vergütungen bis einschließlich Januar 2017 vorgelegt. Auch die als Zeugin vernommene Sozialarbeiterin habe dies in ihrer Zeugenvernehmung bestätigt. Schließlich habe auch A in seinem Schreiben vom 22.11.2019 angegeben, dass eine Vergütung in Höhe von 200,00 € monatlich vereinbart und gezahlt worden sei. Dieses Schreiben sei von A unterschrieben worden. Das weitere Schreiben vom 15.10.2019 sei hingegen nicht unterschrieben worden, weshalb zweifelhaft sei, ob A tatsächlich Urheber dieses Schreibens sei. Unabhängig hiervon sei die von ihr ausgeübte Pflegetätigkeit in jedem Fall als Arbeitnehmertätigkeit zu bewerten. Zwar treffe es zu, dass Regelungen zum Urlaubsanspruch und zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fehlten. Aber insbesondere in geringfügigen Arbeitsverhältnissen mit privaten Arbeitgebern sei es gerade als typisch anzusehen, dass derartige Regelungen unzureichend oder nicht getroffen würden. Soweit das Sozialgericht ausführe, dass es keine festen Vereinbarungen zu Arbeitszeiten gegeben habe, verkenne das Gericht, dass die zeitliche Ausgestaltung auf Weisung des Arbeitgebers ausgeführt worden sei. Auch in Fällen der Rufbereitschaft sei vom Vorliegen einer Arbeitnehmertätigkeit auszugehen. Die Ausführungen des Sozialgerichts, wonach die Tatsache, dass sie den ausstehenden Lohn nicht von A eingeklagt habe, gegen ein Arbeitsverhältnis sprächen, überzeugten ebenfalls nicht. Schließlich sei es aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen A und ihr naheliegend und verständlich, dass sie nicht arbeitsrechtlich gegen A vorgegangen sei, zumal damit auch ein Verlust der Wohnung gedroht hätte. Insgesamt sei daher von einer Arbeitnehmereigenschaft auszugehen. Selbst für den Fall der Verneinung einer Arbeitnehmereigenschaft stünde ihr aber jedenfalls ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen gegen den Beigeladenen zu. Denn bei verfassungskonformer Auslegung der Härtereglung in § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII hätten Unionsbürger ohne objektiv bestehendes Aufenthaltsrecht solange einen Anspruch auf Leistungen nach dieser Vorschrift, wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und wirksame Ausweisungsverfügung erlassen habe. Dies sei hier der Fall, weil ein Verlust ihres Freizügigkeitsrechts nicht festgestellt worden und sie daher nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei.

 

Die Klägerin beantragt,

 

  1. das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 6. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 dem Grunde nach zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 29. Dezember 2016 bis zum 31. Juli 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren,
  2. hilfsweise den Beigeladenen dem Grunde nach zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 29. Dezember 2016 bis zum 31. Juli 2017 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, höchsthilfsweise dem Grunde nach Überbrückungsleistungen nach dem SGB XII, zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Beklagte verweist auf die seiner Auffassung nach überzeugenden Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts.

 

Der Beigeladene, der zur mündlichen Verhandlung am 18.10.2023 nicht erschienen ist, hat keinen Antrag gestellt.

 

Der Beigeladene ist der Auffassung, dass ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum ab dem 29.12.2016 nicht in Betracht komme, weil die Klägerin nach der mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II völlig identischen Regelung in § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII auch von den Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sei. Über einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen, zu denen der Beigeladene durchaus bereit gewesen wäre, sei vorliegend nicht zu entscheiden, da derartige Ansprüche von der Klägerin erstinstanzlich nicht geltend gemacht worden seien und dementsprechend hierüber nicht entschieden worden sei. Zudem stellten derartige Ansprüche einen eigenständigen Streitgegenstand dar.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 13.12.2019, auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18.10.2023, auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und auf die zu A geführten, beigezogenen Verwaltungsakten des beigeladenen Sozialhilfeträgers Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte trotz des Nichterscheinens des Beigeladenen im Termin eine mündliche Verhandlung durchführen und aufgrund dieser entscheiden, weil der Beigeladene in der ihm ordnungsgemäß zustellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (sog. einseitige mündliche Verhandlung; vgl. hierzu: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 126 Rn. 4).

 

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 143 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und durch die Klägerin form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG erhoben worden.

 

Die Berufung ist mit ihrem gegen den Beklagten als Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gerichteten Hauptantrag unbegründet (dazu 1.). Mit ihrem gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger gerichteten Hilfsantrag ist die Berufung hingegen teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (dazu 2.).

 

1.

Soweit die Klägerin mit ihrem Hauptantrag die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 und die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 beansprucht, ist die Berufung unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind insoweit neben dem erstinstanzlichen Urteil des Sozialgerichts vom 13.12.2019 der Ablehnungsbescheid vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017, mit dem der Beklagte den im November 2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abgelehnt hat.

 

Weitere Bescheide sind nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Insbesondere ist das an die Klägerin adressierte Schreiben vom 26.04.2017, mit welchem der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 31.07.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 347,65 € bewilligt hat, nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des an die Klägerin adressierten Schreibens vom 26.04.2017 nicht erfüllt, weil es sich hierbei nicht um einen wirksam erlassenen Verwaltungsakt handelt. Nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts wird in § 37 SGB X geregelt, ohne dass der Begriff der Bekanntgabe in dieser Vorschrift definiert würde. Für das Verständnis des Bekanntgabebegriffs ist auf die zivilrechtlichen Vorschriften über das Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen (§§ 130, 131 BGB) zurückzugreifen (Pattar in jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand 21.12.2020, § 37 SGB X Rn. 22). Hiernach wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Behörde kann das Wirksamwerden eines Verwaltungsaktes in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 S. 2 BGB daher verhindern, wenn vor oder gleichzeitig mit dem Zugang ein Widerruf zugeht (Pattar in jurisPK-SGB X, 2. Auflage, Stand 21.12.2020, § 37 SGB X Rn. 29). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Schließlich ist der Klägerin das Schreiben vom 26.04.2017 nach ihrem eigenen Vortrag erst am 28.04.2017 zugegangen und ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten, die bereits zum damaligen Zeitpunkt bevollmächtigt waren, wurden schon am 26.04.2017, also vor Zugang des Schreibens vom 26.04.2017, darüber informiert, dass es sich bei diesem Schreiben um ein Versehen handele, dass kein Bekanntgabewille vorliege und dass lediglich der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangene Beschluss umgesetzt werden solle. Der Klägerseite ist damit schon vor Zugang des Schreibens vom 26.04.2017 ein Widerruf zugegangen, der in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 S. 2 BGB dazu führt, dass es sich bei diesem Schreiben nicht um einen wirksamen Verwaltungsakt handelt.

 

Die gegen den Ablehnungsbescheid vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 erhobene Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung dieser Bescheide und die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 begehrt, ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 S. 1 SGG), statthaft und zulässig.

 

Insbesondere steht der Zulässigkeit nicht entgegen, dass die Klägerin am 28.07.2017 beim Beklagten erneut einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt hat, welchen der Beklagte mit Bescheid vom 31.07.2017 ohne Bezugnahme auf einen konkreten Bewilligungszeitraum abgelehnt hat. Zwar ist die hier erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG nur zulässig, soweit der angefochtene Verwaltungsakt noch wirksam ist und es ist allgemein anerkannt, dass sich ein Ablehnungsbescheid für die Zeit erledigt, die von einem späteren Antrag und einem daraufhin ergangenen neuen Bescheid miterfasst wird (Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Auflage, § 39 Rn. 14 m.w.N. zur Rechtsprechung). Aber ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Denn der erneute Ablehnungsbescheid vom 31.07.2017 kann vor dem Hintergrund, dass die Klägerin im Rahmen der Antragstellung angegeben hat, der aktuelle Bewilligungszeitraum laufe noch bis zum 31.07.2017, aus der für die Auslegung eines Verwaltungsaktes maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nur dahingehend verstanden werden, dass hiermit eine erneute Ablehnungsentscheidung erst für den Zeitraum ab dem 01.08.2017 getroffen worden ist, so dass mit dem erneuten Ablehnungsbescheid für den hier streitigen Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 keine Regelung erfolgt ist.

 

Die gegen den Ablehnungsbescheid vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 erhobene Klage ist aber unbegründet.

 

Der Ablehnungsbescheid vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2017 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

 

Zwar gehörte die Klägerin im streitigen Zeitraum im Grundsatz zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach § 19 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie hatte im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Außerdem war sie erwerbsfähig, hilfebedürftig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Aber die Klägerin war im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II (in der hier anwendbaren, im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2019 geltenden Fassung des Gesetzes vom 22.12.2016; Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2016 – B 14 AS 53/15 R) von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (dazu a)). Dieser Leistungsausschluss ist verfassungs- und europarechtskonform und auch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss der Klägerin nicht entgegen (dazu b)).

 

a) Nach 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

 

Diese für einen Leistungsausschluss erforderlichen Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, weil der Klägerin im streitigen Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 kein anderes als ein etwaiges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 a) FreizügG/EU) zustand. Ein solches anderes materielles Aufenthaltsrecht als ein etwaiges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche lässt sich für den streitigen Zeitraum nicht aus den Regelungen des FreizügG/EU herleiten, welches gemäß § 1 FreizügG/EU auf die Klägerin als Unionsbürgerin Anwendung findet (dazu aa) bis gg)). Die Klägerin war im streitigen Zeitraum auch nicht von der in § 7 Abs. 1 S. 4 bis 6 SGB II geregelten Rückausnahme erfasst (dazu unter hh)).  

 

aa) Die Klägerin kann sich für den streitigen Zeitraum nicht auf ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU berufen.

Der unionsrechtlich zu bestimmende Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass die betreffende Person während einer bestimmten Zeit eine tatsächliche und echte Tätigkeit für einen anderen nach dessen Weisung ausübt und hierfür als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit einen Arbeitnehmerstatus im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1    Alt. 1 FreizügG/EU begründen kann, hat stets eine Gesamtbewertung der ausgeübten Tätigkeit zu erfolgen, bei der insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, die Weisungsgebundenheit, den wirtschaftliche Wert der erbrachten Leistung, die Höhe der Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den weiteren Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen (z.B. Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Anwendung des Tarifvertrags) und auf die Beschäftigungsdauer abzustellen ist (BSG, Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R - juris Rn. 19ff.; BSG, Urteil vom 27.01.2021 – B 14 AS 25/20 R - juris Rn. 19ff.; BSG, Urteil vom 27.01.2021 – B 14 AS 42/19 R - juris Rn. 17ff.; BSG, Urteil vom 12.09.2018 – B 14 AS 18/17 R - juris Rn. 19ff.; jeweils m.w.N. auch zur Rechtsprechung des EuGH).

 

Gemessen an diesen Maßstäben stand der Klägerin im hier streitigen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU zu. Denn die Voraussetzungen eines solchen Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmerin lassen sich nicht mit der für die Überzeugung des Senats erforderlichen Gewissheit feststellen. Insbesondere lässt sich nicht mit der für die Überzeugung des Senats erforderlichen Gewissheit feststellen, dass die Klägerin ihre Tätigkeiten im Haushalt des A (Kochen, Wachen, Pflegetätigkeiten) auf Grundlage eines mit A abgeschlossenen (Arbeits-)Vertrages, nach dessen Weisungen, nach einer vertraglich festgelegten oder von A im Rahmen seines Weisungsrechts bestimmten Arbeitszeit ausgeübt hat.

 

Die vom Sozialgericht durchgeführte Beweisaufnahme in Form der schriftlichen Beantwortung von Beweisfragen durch A ist von vornherein nicht geeignet, den Senat vom Vorliegen dieser für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu überzeugen. Denn die Beweisaufnahme war insoweit bereits unergiebig, da sie sie weder den Abschluss eines (Arbeits-)Vertrages zwischen der Klägerin und A noch die Weisungsgebundenheit der Tätigkeit der Klägerin bestätigt hat. Schließlich hat die Beweisaufnahme in Form der schriftlichen Beantwortung von Beweisfragen durch A zu zwei sich völlig widersprechenden Angaben geführt. In dem zur Gerichtsakte gelangten Schreiben vom 15.10.2019, bei dem trotz der fehlenden Unterschrift wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf die vom Sozialgericht gestellten Fragen keine Zweifel daran bestehen, dass es sich hierbei um die Antworten auf die vom Sozialgericht gestellten Fragen handeln soll, wird ausgeführt, dass die Klägerin ihre Tätigkeiten im Haushalt des A aus eigener Initiative aufgenommen habe, dass sie hierüber selbst entschieden habe, dass es sich um einen Gefallen gehandelt habe, dass es keinerlei Vertrag gegeben habe und dass keine Bezahlung durch A erfolgt sei. Mit diesen Ausführungen wird der Abschluss eines (Arbeits-)Vertrages und das Vorliegen einer weisungsgebundenen Tätigkeit gerade nicht bestätigt. Vielmehr sprechen die Ausführungen dafür, dass die Klägerin die Tätigkeiten im Haushalt des A im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses ohne den für einen Vertragsschluss erforderlichen Rechtsbindungswillen übernommen hat. In dem zur Gerichtsakte gelangten weiteren Schreiben vom 22.11.2019 wird dagegen ausgeführt, dass seit April 2016 zwischen der Klägerin und A vereinbart worden sei, dass die Klägerin für ihre Tätigkeiten 200,00 € erhalte. Diese Ausführungen sprechen damit eher für den Abschluss eines Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und A. Die Beweisaufnahme in Form der schriftlichen Beantwortung von Beweisfragen durch A hat aufgrund dieser sich völlig widersprechenden Angaben damit weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen bestätigt. Das Beweismittel war unergiebig. Eine Wiederholung der Beweisaufnahme durch den Senat durch Vernehmung des A als Zeugen, welche zur Aufklärung der widersprechenden Angaben grundsätzlich geboten gewesen wäre, ist nicht mehr möglich, da A am 09.12.2019 verstorben ist.

 

Die durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung der die Klägerin unterstützenden Sozialarbeiterin ist ebenfalls von vornherein nicht geeignet, den Senat vom Vorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu überzeugen. Schließlich hat die Zeugin, bei der es sich lediglich um eine Zeugin vom Hörensagen handelt, im Rahmen ihrer Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ihr erzählt, dass sie für ihre Tätigkeiten, nachdem A das Pflegegeld nicht mehr an sie weitergeleitet habe, keine Geldzahlungen mehr von A bekommen habe, dass es keine festen Arbeitszeiten gegeben habe und dass kein Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sei. Diese Ausführungen der Zeugin sprechen damit gegen das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft. Jedenfalls sind sie nicht geeignet, das Gericht vom Vorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu überzeugen.

 

Die von der Klägerin vorgelegten, ausschließlich von ihr unterzeichneten Quittungen und die eingereichte Einkommensbescheinigung sind ebenfalls nicht ausreichend, um den Senat vom Vorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu überzeugen. Denn hierbei handelt es sich um Privaturkunden, die gemäß § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 416 ZPO lediglich den vollen Beweis dafür begründen, dass die in ihr enthaltene Erklärung vom Aussteller abgegeben worden ist. Der Beweis der inhaltlichen Richtigkeit der in der Privaturkunde abgegebenen Erklärung wird hierdurch nicht erbracht.

 

Allein die vorgelegte Anmeldung der Klägerin bei der Minijob-Zentrale vom 27.01.2017 ist ebenfalls nicht geeignet, um den Senat vom Vorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen zu überzeugen. Der Vortrag der Klägerin ist hierfür ebenfalls nicht ausreichend. Denn bei dem Beteiligtenvortrag handelt es sich gemäß § 118 Abs. 1  S. 1 SGG grundsätzlich nicht um ein zulässiges Beweismittel. Zwar ist für das sozialgerichtliche Verfahren allgemein anerkannt, dass sich das Gericht auch allein durch den Beteiligtenvortrag die Überzeugung im Sinne des Vollbeweises verschaffen kann, wenn der Beteiligte glaubwürdig und der Vortrag widerspruchsfrei ist und mit den sonstigen Erkenntnissen des Gerichts in Einklang steht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 118 Rn. 8 m.w.N.). Aber diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Vortrag der Klägerin ist nicht widerspruchsfrei und steht teilweise nicht mit den sonstigen gerichtlichen Erkenntnissen in Einklang. Schließlich hat die Klägerin im Rahmen der Antragstellung beim Beklagten noch Anfang Dezember 2016 vorgetragen, dass sie für die Tätigkeiten im Haushalt des A von ihm das monatliche Pflegegeld in Höhe von 122,00 € erhalten. Dies steht im Widerspruch zum späteren Vortrag der Klägerin im Widerspruchsverfahren und Klageverfahren, wonach bereits seit April 2016 ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mit einem vereinbarten Lohn von 200,00 € abgeschlossen worden sei. Ferner steht der Anfang Dezember 2016 erfolgte Vortrag im Widerspruch zu den vorgelegten Quittungen, wonach die Klägerin unter anderem am 15.11.2016 einen Lohn in Höhe von 200,00 € erhalten haben soll. Es erschließt sich nicht, aus welchem Grund die Klägerin Anfang Dezember 2016 vorträgt, dass sie von A das Pflegegeld in Höhe von monatlich 122,00 € erhalte, obwohl sie nur wenige Wochen vorher ein Gehalt in Höhe von 200,00 € erhalten haben soll. Darüber hinaus steht der Vortrag, wonach im Zeitraum von August 2015 bis zum behaupteten Abschluss des Beschäftigungsverhältnisses im April 2016 vereinbart worden sei, dass die Klägerin neben „Kosten und Logis“ das von A bezogene Pflegegeld in Höhe von monatlich 122,00 € erhalte, nicht mit den sonstigen Erkenntnissen des Gerichts in Einklang. Schließlich sind dem A die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form einer Beihilfe in Höhe von monatlich 122,00 € erst mit Bescheid des beigeladenen Sozialhilfeträgers vom 30.09.2016 bewilligt worden, so dass der Vortrag zu der im Zeitraum von August 2015 bis März 2016 erfolgten Weiterleitung des „Pflegegeldes“ nicht den Tatsachen entsprechen kann.

 

Weitere Beweismittel, die das Vorliegen der für eine Arbeitnehmereigenschaft erforderlichen Voraussetzungen bestätigen oder widerlegen könnten, sind weder vorgebracht worden noch sonst für den Senat ersichtlich, so dass sich eine Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin trotz Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht zur Überzeugung des Senats feststellen lässt. Diese Nichtaufklärbarkeit wirkt sich letztlich zu Lasten der Klägerin aus. Denn die Frage, wen die Folgen treffen, wenn das Gericht eine bestimmte Tatsache trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen kann (non liquet), richtet sich auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach den Regeln der objektiven Beweislast. Es gilt dabei der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, aus denen er eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/ /Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 103 Rn.19a m.w.N.). Vor diesem Hintergrund trägt die Klägerin die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Arbeitnehmereigenschaft.

 

bb) Die Klägerin kann sich im hier streitigen Zeitraum auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht als niedergelassene selbständige Erwerbstätige aus § 2 Abs. 2    Nr. 2 FreizügG/EU, nicht auf ein Aufenthaltsrecht als selbständige erwerbstätige Erbringerin von Dienstleistungen aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU und auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht als Empfängerin von Dienstleistungen aus § 2 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU berufen, weil sie im streitigen Zeitraum bereits nach ihrem eigenen Vortrag keine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte, sich nicht als selbständig erwerbstätige Erbringerin von Dienstleistungen aufhielt und sich auch nicht als Empfängerin von Dienstleistungen im Bundesgebiet aufhielt.

 

cc) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 S. 1 FreizügG/EU war im streitigen Zeitraum ebenfalls nicht gegeben. Nach diesen Vorschriften haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Diese Voraussetzungen werden nicht erfüllt, da die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag ihren Lebensunterhalt im streitigen Zeitraum nicht aus dem vorhandenen Einkommen und Vermögen decken konnte, so dass bereits nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügte.

dd) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin lässt sich für den hier streitigen Zeitraum auch nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU herleiten. Nach diesen Vorschriften steht den Familienangehörigen der nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 5 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger ebenfalls eine abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung und damit ein Aufenthaltsrecht zu, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.

 

Die Voraussetzungen für eine solche abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Insbesondere konnte die Klägerin keine Freizügigkeitsberechtigung von dem ihrem nach ihrem Vortrag ebenfalls in Berlin lebenden Sohn ableiten. Es kann insoweit dahinstehen, ob der Sohn im hier streitigen Zeitraum überhaupt selbst freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 5 FreizügG/EU war. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, handelt es sich bei der Klägerin nicht im eine Familienangehörige im Sinne des FreizügG/EU. Der Begriff der Familienangehörigen, für die eine abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung in Betracht kommt, wird in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU (in der hier anwendbaren, bis zum 23.11.2020 geltenden Fassung) abschließend definiert.

 

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU sind Familienangehörige der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind. Zu diesen Personen gehört die Klägerin nicht, weil es sich bei ihr in Bezug auf ihren Sohn nicht um eine Verwandte in gerader absteigender Linie, sondern um eine Verwandte in gerader aufsteigender Linie handelt und sie zudem über 21 Jahre alt ist.

 

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU a.F. sind Familiengehörige die Verwandten in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1      bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren. Zu diesen Personen gehört die Klägerin in Bezug auf ihren Sohn ebenfalls nicht. Zwar handelt es sich bei der Klägerin in Bezug geborenen Sohn um eine Verwandte in gerader aufsteigender Linie. Aber die Vorschrift setzt daneben eine Unterhaltsgewährung durch den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger voraus. Da die abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger nur besteht, wenn die Verwandten den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, setzt eine Unterhaltsgewährung im Sinne der Vorschrift voraus, dass bereits vor der Einreise nach Deutschland ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zu der freizügigkeitsberechtigten Person bestanden hat. Die Unterhaltsgewährung muss also bereits im Herkunfts- oder Heimatland des Verwandten erfolgt sein (BSG, Urteil vom 06.06.2023 – B 4 AS 4/22 R, vgl. Terminbericht des BSG Nr. 19/23 vom 07.06.2023). Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Klägerin bereits vor ihrer Einreise nach Deutschland in ihrem Heimatland Unterhalt durch Sohn gewährt worden wäre.

 

ee) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin ergibt sich im streitigen Zeitraum auch nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU. Nach diesen Vorschriften steht Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, ein Daueraufenthaltsrecht zu. Ein solches Daueraufenthaltsrecht steht der Klägerin im hier streitigen Zeitraum nicht zu, da sie nach ihren eigenen Angaben im Sommer 2015 eingereist ist, so dass sie sich im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 noch nicht seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhielt.

 

ff) Die Voraussetzungen für ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht der Klägerin aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU sind ebenfalls nicht erfüllt.

 

Insbesondere kann die Klägerin sich nicht auf eine fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs.3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU berufen. Nach dieser Vorschrift bleibt ein in der Vergangenheit erworbenes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer oder als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger nach mehr als einem Jahr Tätigkeit erhalten, wenn eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder die Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die die Selbständige keinen Einfluss hatte, vorliegt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich ist, dass die Klägerin vor Beginn des hier streitigen Zeitraums in der Bundesrepublik Deutschland für mehr als ein Jahr als Arbeitnehmerin beschäftigt oder für mehr als ein Jahr selbständig erwerbstätig gewesen ist.

 

Auch auf § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU kann sich die Klägerin nicht berufen. Nach dieser Vorschrift bleibt eine in der Vergangenheit als Arbeitnehmer erworbene Freizügigkeitsberechtigung für die Dauer von sechs Monaten bestehen, wenn nach weniger als einem Jahr der Beschäftigung eine unfreiwillige durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit eintritt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass die Klägerin vor Beginn des hier streitigen Zeitraums für weniger als Jahr als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen wäre und dass vor Beginn des hier streitigen Zeitraums eine unfreiwillige und durch die Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit eingetreten wäre.

 

gg) Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass der Klägerin im streitigen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU (in der hier anwendbaren, bis zum 23.11.2020 geltenden Fassung; heute § 11 Abs. 14 S. 1 FreizügG/EU) i.V.m. den im Wege eines Günstigkeitsvergleichs anwendbaren Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 32) zugestanden haben könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

hh) Die Klägerin ist im streitigen Zeitraum auch nicht von der in § 7 Abs. 1 S. 4 bis 6 SGB II geregelten Rückausnahme erfasst. Hiernach erhalten Ausländerinnen und Ausländer, abweichend vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde (§ 7 Abs. 1 S. 4 SGB II). Die Frist nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 S. 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 S. 6 SGB II).

 

Diese Voraussetzungen für das Vorliegen einer Rückausnahme von den in § 7    Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschlüssen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag im Sommer 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und sich am 18.08.2015 bei der zuständigen Meldebehörde angemeldet hat, weshalb die fünfjährige Frist erst am 18.08.2015 begann und im hier streitigen Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 noch längst nicht abgelaufen war.

 

b) Der für die Klägerin eingreifende Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2        Nr. 2 a) und b) SGB II ist verfassungskonform. Der Senat schließt sich in Kenntnis der teilweise vertretenen abweichenden Auffassung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an, wonach der Gesetzgeber mit den Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II und § 23 Abs. 3 und Abs. 3a SGB XII verfassungskonform die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber desjenigen des Herkunftslandes ausgestaltet hat (BSG, Urteil vom 29.03.2022 - B 4 AS 2/21 R - juris Rn. 34ff. mit ausführlicher Begründung und Nachweisen zur abweichenden Auffassung).

 

Der Leistungsausschluss ist ausweislich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH auch als europarechtskonform anzusehen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C -333/13 - Rs Dano; EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rs Alimanovic). Auch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss der Klägerin nicht entgegen, weil das EFA wegen des von der Bundesregierung hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II formell und materiell wirksam erklärten Vorbehalts auf die Leistungen nach dem  SGB II ohnehin nicht anwendbar ist (vgl. dazu im Einzelnen: BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - juris Rn. 18ff.). Außerdem ist die Klägerin rumänische Staatsangehörige und Rumänien ist kein Unterzeichnerstaat des EFA.

 

2.

Soweit die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag, über den der Senat wegen des Eintritts der innerprozessualen Bedingung (Erfolgslosigkeit des Hauptantrags) zu entscheiden hatte, die Verurteilung des Beigeladenen zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, höchsthilfsweise von Überbrückungsleistungen nach dem SGB XII, für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 begehrt, ist die die Berufung hinsichtlich der hiermit beanspruchten Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ebenfalls unbegründet (dazu a)). Soweit die Klägerin die als „Minus“ von ihrem Begehren auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII mitumfasste (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 27.01.2021 – B 14 AS 25/20 R - juris     Rn. 35) Verurteilung des Beigeladenen zur Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 beansprucht, ist die Berufung hingegen teilweise für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 begründet (dazu b)).

 

a) Die Klägerin hat gegen den Beigeladenen für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017 keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII aus § 19 Abs.1 i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII.

 

Zwar gehörte die Klägerin im streitigen Zeitraum im Grundsatz zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach § 19 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 SGB XII, weil sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnte. Aber die Klägerin ist im Streitzeitraum von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Schließlich sieht § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII (in der hier anwendbaren, im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des Gesetzes vom 22.12.2016) für die Hilfe zum Lebensunterhalt einen mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II völlig identischen Leistungsausschluss vor. Da die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II vorliegend erfüllt sind (vgl. hierzu die obigen Ausführungen), sind damit auch die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses in § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII erfüllt.

 

Auch der für die Klägerin eingreifende Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1  Nr. 2 SGB XII ist verfassungskonform, da der Gesetzgeber mit den Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a) und b) SGB II und § 23 Abs. 3 und Abs. 3a SGB XII verfassungskonform die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber desjenigen des Herkunftslandes ausgestaltet hat (BSG, Urteil vom 29.03.2022 - B 4 AS 2/21 R - juris Rn. 34ff. mit ausführlicher Begründung und Nachweisen zur abweichenden Auffassung).

 

Der Leistungsausschluss ist ausweislich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH auch als europarechtskonform anzusehen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 – Rs Dano; EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 – Rs Alimanovic). Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA steht einer Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII nicht entgegen. Zwar ist hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII kein Vorbehalt der Bundesregierung erklärt worden. Aber die Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und Rumänien ist kein Unterzeichnerstaat des EFA.

 

b) Die Klägerin hat gegen den Beigeladenen für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 aber einen Anspruch auf Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII (dazu aa)). Für den Zeitraum ab dem 29.01.2017 bis zum 31.07.2017 ist ein solcher Anspruch auf Gewährung von Überbrückungsleistungen hingegen nicht gegeben (dazu bb)).

 

aa) Nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die dem in   § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII geregelten Leistungsausschluss unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen. Nach § 23 Abs. 3 S. 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege (§ 23 Abs. 3 S. 5 Nr. 1 SGB XII), Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Abs. 4 und § 30 Abs. 7 SGB XII (§ 23 Abs. 3   S. 5 Nr. 2 SGB XII), die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen (§ 23 Abs. 3 S. 5 Nr. 3 SGB XII) und Leistungen nach § 50 Nr. 1 bis 3 SGB XII (§ 23 Abs. 3 S. 5 Nr. 4 SGB XII). Nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB XII gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

 

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII sind im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 erfüllt.

 

Die Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und damit Ausländerin im Sinne des   § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII. Sie ist, wie bereits darlegt, (unter anderem) im Zeitraum ab dem 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII umfasst. Eine Hilfebedürftigkeit der Klägerin im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII ist im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 ebenfalls gegeben. Dies ergibt sich aus den eingereichten Kontoauszügen, denen sich im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 keinerlei Einzahlungen entnehmen lassen. Anhaltspunkte für das Vorhandensein von zu berücksichtigendem Vermögen sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Klägerin war demnach nicht in der Lage, die im Rahmen der Überbrückungsleistungen zu berücksichtigenden Bedarfe nach § 23 Abs. 3 S. 5 SGB XII aus ihrem Einkommen und Vermögen zu decken. Der Klägerin sind, da die Vorschrift zur Gewährung von Überbrückungsleistungen erst mit Wirkung ab dem 29.12.2016 in Kraft getreten ist, in den letzten zwei Jahren vor dem 29.12.2016 auch keine Überbrückungsleistungen gewährt worden.

 

Die Gewährung von Überbrückungsleistungen setzt nach Auffassung des Senats, entgegen einer in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2019 – L 7 SO 934/19 - juris Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.01.2019 – L 23 SO 279/18 B ER - juris Rn. 40), keinen Ausreisewillen voraus (so nunmehr auch: BSG, Urteil vom 13.07.2023 – B 8 SO 11/22 R, vgl. Terminbericht des BSG Nr. 27/23 vom 14.07.2023). Eine solche innere Tatsache als Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen lässt sich schon dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII nicht entnehmen. Insbesondere ergibt sich eine solche Voraussetzung nicht aus der Bezeichnung als „Überbrückungsleistungen“ und den Formulierungen, dass die Leistungen „bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat“ gewährt werden, „um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken“. Denn hieraus ergibt sich lediglich, dass es sich um eine auf längstens einen Monat zeitlich befristete Leistung handelt. Auch wird das Auslaufen der Leistungen nach einem Monat einen Ausreisewillen der betroffenen Person, weil der Lebensunterhalt in Deutschland nicht mehr sichergestellt ist, in manchen Fällen sogar erst hervorbringen. Dass ein solcher Ausreisewille schon zu Beginn der befristeten Überbrückungsleistungen und während des gesamten Zeitraums vorliegen muss, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen (Hessisches LSG, Urteil vom 26.04.2023 – L 4 AS 600/20 - juris Rn. 99; Hessisches LSG, Urteil vom 01.12.2021 - L 6 AS 1/20 - juris Rn. 97; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.07.2019 - L 15 SO 181/18 - juris Rn. 59; Hessisches LSG, Urteil vom 01.07.2020 – L 4 SO 120/18 - juris Rn. 65). Auch der Sinn und Zweck der Regelung, die Gesetzessystematik und die Gesetzesbegründung sprechen gegen einen Ausreisewillen als (ungeschriebene) Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3  S. 3 SGB XII. Denn in diesem Fall würde der Anwendungsbereich der in § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII geregelten Härtefallregelung, die bei Vorliegen besonderer Umstände, einer besonderen Härte und einer zeitlich befristeten Bedarfslage die Gewährung von Überbrückungsleistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zulässt, ganz erheblich eingeschränkt. Schließlich setzt die Härtefallregelung zunächst voraus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII gegeben sind. Würde man einen Ausreisewillen als (ungeschriebene) Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen ansehen, wäre dieser Ausreisewille demzufolge auch Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach der Härtefallregelung. Da die Härtefallregelung nach der Gesetzesbegründung insbesondere Fälle umfasst, in denen im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder zumutbar ist (BT-Drucksache 18/10211, S. 16), ist es widersprüchlich, hierfür einen subjektiven Ausreisewillen als (ungeschriebene) Tatbestandsvoraussetzung zu fordern. Schließlich ist es widersprüchlich, einen subjektiven Ausreisewillen zu fordern, dessen Umsetzung unmöglich oder nicht zumutbar ist (so auch: LSG Hamburg, Beschluss vom 21.02.2018 – L 4 SO 10/18 B ER - juris Rn. 5).

 

Der Klägerin steht damit im Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 28.01.2017 dem Grunde nach ein Anspruch gegen den Beigeladenen auf Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII zu. Über die konkrete Höhe der der Klägerin zu gewährenden Überbrückungsleistungen hatte der Senat keine Entscheidung zu treffen, da die Klägerin ausweislich des von ihr gestellten Klageantrags lediglich den Erlass eines Grundurteils gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 SGG beantragt hat und weil das Gericht nicht mehr zusprechen darf, als beantragt worden ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, § 130 Rn. 2e).

 

Der Verurteilung des Beigeladenen zur Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII steht nicht entgegen, dass es sich bei den auf einen Monat und höhenmäßig beschränkten Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3   S. 3 SGB XII im Verhältnis zu den ursprünglich mit der Klage gegen den Beklagten geltend gemachten laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht um inhaltlich völlig identische Leistungen handelt (vgl. hierzu: Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand 05.12.2022, § 23 Rn. 115, wonach es sich um ein „aliud“ handeln soll). Denn nach § 75 Abs. 5 SGG kann unter anderem ein Sozialhilfeträger nach der Beiladung verurteilt werden. Eine Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers setzt nur voraus, dass der Beigeladene den gegen ihn geltend gemachten Anspruch noch nicht bestandskräftig abgelehnt hat und dass der gegen den Beigeladenen geltend gemachte Anspruch an die Stelle des ursprünglich gegen den Beklagten gerichteten Anspruchs tritt. Inhaltlich identisch müssen die Ansprüche aber nicht sein (BSG, Urteil vom 18.05.2022 – B 7/14 AS 27/21 R - juris Rn. 28). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Dass der beigeladene Sozialhilfeträger die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII bestandskräftig abgelehnt hätte, ist nicht ersichtlich. Das erforderliche Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und den Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII ist ebenfalls gegeben, soweit sich die Leistungszeiträume decken (BSG, Urteil vom 27.01.2021 – B 14 AS 25/20 - juris Rn. 36). Auch eine solche Deckung der Leistungszeiträume ist vorliegend gegeben. 

 

bb) Für den Zeitraum ab dem 29.01.2017 bis zum 31.07.2017 ist ein Anspruch der Klägerin gegen den Beigeladenen auf Gewährung von Überbrückungsleistungen hingegen nicht gegeben.

 

Als Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf Gewährung von Überbrückungsleistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus kommt ausschließlich die Härtefallregelung in § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII in Betracht. Hiernach werden Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII Überbrückungsleistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus erbracht, soweit dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

 

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es liegen keine besonderen Umstände, keine besondere Härte und keine zeitlich befristete Bedarfslage im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII vor.

 

Die unbestimmten Rechtsbegriffe der besonderen Umstände und der besonderen Härte zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht für alle oder die überwiegende Mehrzahl der vom Leistungsausschluss betroffenen Personen typisch sind, also über die hiermit typischerweise verbundenen Härten individuelle Besonderheiten hinzutreten (LSG Hamburg, Urteil vom 15.12.2022 – L 4 AS 350/21 - juris Rn. 32; Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand 05.12.2022, § 23 Rn. 106). Eine zeitliche befristete Bedarfslage zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um einen voraussichtlich vorübergehenden und nicht um einen dauerhaften Zustand handelt. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung wird durch den im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Willen des Gesetzgebers bestätigt, wonach die Härtefallregelung insbesondere in Fällen, in denen im Einzelfall eine Ausreise binnen eines Monats nicht möglich oder nicht zumutbar sei, eingreifen solle, wonach es sich um eine Regelung handele, die für einen begrenzten Zeitraum unzumutbare Härten vermeiden solle, wonach durch die Regelung kein dauerhafter Leistungsbezug ermöglich werde und wonach von einer Unmöglichkeit der Ausreise insbesondere im Falle einer amtsärztlich festgestellten Reiseunfähigkeit auszugehen sei (BT-Drucksache 18/10211, S. 16f.). Ausgehend von einer am Wortlaut, an der Entstehungsgeschichte und am Sinn und Zweck der Härtefallregelung orientierten Auslegung sind damit insbesondere Fälle als Härtefall denkbar, in denen eine Ausreise innerhalb eines Monats für einen voraussichtlich vorübergehenden Zeitraum nicht möglich oder nicht zumutbar ist, etwa weil gesundheitliche, familiäre oder andere Gründe von erheblichem Gewicht eine Ausreise nicht zulassen (ähnlich Siefert in jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand 05.12.2022, § 23 Rn. 106).

 

Gemessen an dieser am Wortlaut, an der Entstehungsgeschichte und am Sinn und Zweck orientierten Auslegung liegen im hier streitigen Zeitraum vom 29.01.2017 bis zum 31.07.2017 keine besonderen Umstände, keine besondere Härte und keine zeitlich befristete Bedarfslage im Sinne des § 23 Abs. 3 S.6 Hs. 2 SGB XII vor. Denn die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, die ihr in diesem Zeitraum eine Ausreise unmöglich oder unzumutbar gemacht hätten. Derartige Gründe sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

 

Soweit in der Rechtsprechung teilweise vertreten wird, die Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass allein der tatsächliche Aufenthalt im Bundesgebiet einen Härtefall im Sinne dieser Vorschrift begründe (so wohl: Hessisches LSG, Urteil vom 01.07.2020 – L 4 SO 120/18, juris Rn. 74) oder die Voraussetzungen jedenfalls dann erfüllt seien, wenn ein Unionsbürger die Vermutung eines Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen könne und die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen habe (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.07.2019 – L 15 SO 181/18; vgl. hierzu auch: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.05.2022 – L 8 AS 449/22 B ER, juris Rn. 18, wonach diese Auffassung nicht weiter aufrechterhalten wird), teilt der erkennende Senat diese Auffassungen nicht. Denn eine solche Auslegung der Härtefallregelung in § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII verstößt nicht nur gegen den oben bereits darlegten Wortlaut, den im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Willen des Gesetzgebers und den Sinn und Zweck der Härtefallregelung, sondern ist auch aus gesetzessystematischen Gründen abzulehnen. Schließlich hat der Gesetzgeber den Wegfall des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII aufgrund eines tatsächlichen Aufenthalts im Bundesgebiet in § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII selbst abschließend geregelt und lässt den Leistungsausschluss erst nach fünf Jahren Aufenthalt ohne wesentliche Unterbrechung entfallen. Eine Auslegung der Härtefallreglung des § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII, die letztlich allen anerkannten juristischen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck) widerspricht, kommt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht in Betracht (so auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2019 – L 7 SO 934/19 - juris Rn. 50ff.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2019 – L 7 SO 3873/19 ER-B - juris Rn. 25ff.; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, 5. EL 2023, § 23 Rn. 88f; wohl auch: LSG Hamburg, Urteil vom 15.12.2022 – L 4 AS 350/21 - juris Rn. 32).

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beigeladenen auf Gewährung von Überbrückungsleistungen ist damit für den Zeitraum vom 29.01.2017 bis zum 31.07.2017 nicht gegeben.

 

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die gegen den Beklagten gerichtete Klage erfolglos war und die gegen den Beigeladenen gerichtete Klage teilweise erfolgreich war.

 

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen, weil der Zulassungsgrund des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (grundsätzliche Bedeutung) vorliegt.

 

Rechtskraft
Aus
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