S 15 KR 933/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 933/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Der Gegenstandswert wird auf 23.941,48 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die weitere Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung in Höhe von 23.941,48 €.

 

Der bei der Beklagten versicherte, am 00.00.1995 geborene Patient wurde vom 2. Januar 2018 bis 15. März 2018 vollstationär im Hause der Klägerin behandelt.

 

Nachdem die Beklagte zunächst die daraus resultierende Gesamtsumme in Höhe von 71.878,27 € bezahlte, leitete die Beklagte eine Abrechnungsprüfung ein, rechnete mit einer anderen unstreitigen Forderung auf und behielt 23.941,48 € ein. Zur Begründung führte sie an, dass eine Entlassung des Patienten bereits am 19. Februar 2018 möglich gewesen wäre.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 23.941,48 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Unstreitig sei eine Entlassung des schwerstkranken Patienten zum 19. Februar 2018 möglich gewesen. Bereits am 1.2.2018 habe die Klägerin Kontakt mit der Beklagten aufgenommen und den am 2.2.2018 übersandten Antrag auf neurologische Anschlussrehabilitation des Patienten angekündigt. Eine Reaktion sei zunächst nicht erfolgt; erst am 16.2.2018 habe die Beklage mitgeteilt, dass es derzeit keinen Rehaplatz für den Patienten gäbe. Am 1.3.2018 habe die Beklagte eine Kostenzusage für die Rehaklinik I. übersandt; noch am gleichen Tag wurde eine Verlegung für den 10.3.2018 avisiert. Die Rehaklinik teilte jedoch am 8.3.2018 mit, dass der Termin nicht gehalten werden könne. Daraufhin habe der Sozialdienst der Klägerin vier weitere Rehakliniken abtelefoniert, ohne Erfolg. Am 13.3.2018 teilte die Rehaklinik I. mit, dass die Verlegung am 15.3.2018 erfolgen könne. Dies sei dann auch geschehen. Der stationäre Aufenthalt bis zum 15.3.2018 sei daher gerechtfertigt und zu liquidieren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Zur Begründung führt sie an, dass zwar kein Platz in einer Rehabilitationseinrichtung zur Verfügung gestanden hätte. Jedenfalls wäre auch die Verlegung in eine Pflegeeinrichtung (Kurzzeitpflege) möglich gewesen; eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit habe jedenfalls ab dem 19.2.2018 nicht mehr bestanden, ein Anspruch auf Zahlung scheide daher aus.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist zulässig und begründet.

 

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft, denn es geht bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten für einen Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen eine Krankenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten,

 

st. Rspr. des Bundessozialgerichts, vgl. etwa Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 64/01 R -, juris Rn. 13.

 

Die Klage ist begründet.

 

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist der Rechtsgedanke des § 76 Abs 1 Satz 2 SGB V in entsprechender Anwendung auf Reha-Notfallbehandlungen. Der Anspruch richtet sich gegen den außenzuständigen Reha-Träger. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Rechtsgrundlage liegen vor.

 

Es lag beim Versicherten ein (vergütungsauslösender) Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, weil er unstreitig ohne Behandlungsunterbrechung einer spezifischen, stationären, medizinischen Rehabehandlung in einer neurologisch ausgerichteter Einrichtung bedurfte.

 

 

Nach Auffassung des Bundessozialgerichts,

 

vgl BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 13/19 R –, BSGE 129, 232-241, SozR 4-2500 § 76 Nr 6, SozR 4-2500 § 40 Nr 8, SozR 4-2500 § 111 Nr 2

 

der sich die Kammer nach eigener Überzeugung und Entscheidungsfindung anschließt, trägt der Reha-Träger die Kosten, wenn ein Krankenhaus einen Versicherten weiterbehandelt, der aus medizinischen Gründen nicht mehr stationärer Krankenhausbehandlung bedarf, sondern nur noch stationärer medizinischer Reha, aber jedenfalls stationärer medizinischer Versorgung. Die Rechtsgrundsätze über ärztliche Notfallversorgung gelten entsprechend, wenn Versicherte Anspruch auf stationäre medizinische Reha haben, aber nicht zeitgerecht erhalten. Dies schließt die unbewusste Regelungslücke in SGB V und SGB IX hinsichtlich stationärer medizinischer Reha im Notfall. Behandelt ein nicht zur stationären medizinischen Reha zugelassenes Krankenhaus einen krankenversicherten Patienten, der nur noch stationärer medizinischer Reha-Leistungen bedarf, so lange stationär weiter, bis er einen Reha-Platz erhält, hat es gegen den Reha-Träger für die Dauer der Notfallbehandlung Anspruch auf Vergütung nach denselben Grundsätzen, die für zugelassene Krankenhäuser gelten. Es kann dem Krankenhaus nicht zugemutet werden, anstelle seiner durch den Versorgungsauftrag bestimmten Leistungsstruktur im Notfall hiervon abweichende spezifische stationäre medizinische Reha-Leistungen anzubieten. Die Klägerin handelte als nicht zugelassener Reha-Leistungserbringer im Notfall, da unstreitig kein zugelassener Leistungserbringer für die unmittelbar im Anschluss an die Krankenhausbehandlung erforderliche Leistung verfügbar gewesen ist.

 

Dass der Versicherte einer stationären medizinischen Rehabehandlung bedurfte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Verweis der Beklagten auf eine Kurzzeitpflege geht fehl. Wenn auch Kurzzeitpflege aus Sicht der Beklagten zielführend gewesen wäre für den bei ihr Versicherten, dann erschließt sich dem Gericht nicht, warum die Beklagte nicht einen solchen Platz – bei Beschäftigung mit der Unterbringungsfrage bereits seit dem 1.2.2018 – angeboten hat. Gerade dafür hat sie keine Kostenzusage erteilt, sondern für die vollstationäre Rehabehandlung. Auch der Verweis auf die Entscheidung des BSG vom 25.9.2007 geht erkennbar fehl. Denn es reichte – unstreitig – gerade keine ambulante Therapie nach den Krankheitsbefunden aus. Nicht umsonst hat die Beklagte eine Kostenzusage für eine stationäre Rehabehandlung erteilt. Offenbar ist die Beklagte selbst  - nach den bisherigen Befunden aus Sicht der Kammer alternativlos – zu der Einschätzung gelangt, dass der bei ihr Versicherte zwingend eine stationäre Rehamaßnahme benötigt und hat dementsprechend eine Kostenzusage erteilt. Wieso nun eine ambulante Therapie ausreichen sollte, bleibt im Dunkeln und ist auch durch die eigenen sozialmedizinischen Stellungnahmen widerlegt.

 

Der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen auf die Vergütungsforderung ergibt sich dem Grunde nach aus § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 4 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages nach § 112 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.V.m. §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2020.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO, § 52 Abs. 1 und Abs.3 GKG.

Rechtskraft
Aus
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