L 2 R 303/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 25 R 481/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 303/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 109/23 B
Datum
Kategorie
Urteil


I.    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. September 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Kürzung der Altersrente des Klägers aufgrund eines Versorgungsausgleichs.

Die Ehe des 1931 geborenen Klägers mit seiner 1932 geborenen Ehefrau B. A. wurde am 7. November 1985 mit rechtskräftiger Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main geschieden. Im Rahmen des Versorgungsausgleichs wurden zugunsten der früheren Ehefrau des Klägers Rentenanwartschaften von 459,55 DM monatlich - bezogen auf den 31. August 1983 - übertragen. Die frühere Ehefrau des Klägers verstarb am XX.XX.1989. Bis zu ihrem Tod bezog sie keine Rente unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs. Eine Hinterbliebenenrente wurde nicht beantragt.

Mit Rentenantrag vom 18. Januar 1996 beantragte der Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente. Im Vordruck zur Rentenantragstellung wurde seinerzeit unter 10.5 gefragt:
„Wurde ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt? Nein / Ja, bitte nachfolgende Fragen beantworten
Lebt der frühere Ehegatte noch? Nein / Ja
Zahlen Sie Ihrem früheren Ehegatten Unterhalt? Nein / Ja, ...“
Der ursprünglich vom Kläger ausgefüllte Rentenantrag ist von der Beklagten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden.

Mit Rentenbescheid vom 29. Februar 1996 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. März 1996 eine Regelaltersrente. Im Rahmen der Berechnung wurde zu Lasten des Klägers ein Abschlag auf seine Rentenanwartschaften aufgrund des Versorgungsausgleichs berücksichtigt. Der Bescheid wurde in der Sache bindend.

Eine Speicherung des Todesdatums der ausgleichsberechtigten früheren Ehefrau im Versicherungskonto des Klägers erfolgte weder vor der Rentenantragstellung des Klägers noch im Laufe des Rentenverfahrens.

Am 9. März 2020, eingegangen am 11. März 2020, zeigte der Kläger bei der Beklagten den Tod seiner geschiedenen Ehefrau an und fügte eine Sterbeurkunde bei. Er bat um Überprüfung, ob der durchgeführte Versorgungsausgleich rückgängig gemacht werden könne.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2020 setzte die Beklagte die Kürzung aufgrund des Versorgungsausgleichs ab dem 1. April 2020 aus. Über den Versorgungsausgleich habe das Amtsgericht Frankfurt am Main - Familiengericht - am 7. November 1985 entschieden. Die frühere Ehefrau des Klägers sei am XX.XX.1989 verstorben und habe nicht länger als 36 Monate Rente aus den in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechten bezogen. Die Rente werde mit Ablauf des Monats der Antragstellung ab dem 1. April 2020 nicht gekürzt.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht um zu prüfen, ob die Beklagte im damaligen Rentenverfahren in Kenntnis des Todes der früheren Ehefrau ohne vorherigen Rentenbezug versäumt habe, den Kläger auf die mögliche Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 4 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) in der Fassung bis zum 31. August 2009 (a.F.) hinzuweisen. Die Beklagte übersandte ihm daraufhin die Reproduktionen der verfilmten Unterlagen und gab an, weitere Unterlagen lägen nicht mehr vor. Auch die Rentenantragsformulare seien ersatzlos vernichtet worden. Übersandt wurde zudem eine Blankoausfertigung des Rentenantragsformulars, welches bei der damaligen Rentenantragstellung im Januar 1996 Verwendung gefunden habe.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2021 bat der Kläger, den Versorgungsausgleich ab dem Ersten des Monats nach Rentenantragstellung im Jahr 1996, frühestens ab Beginn der Altersrente, nicht mehr von seiner Rente abzuziehen. Er habe bei Rentenantragstellung im Jahr 1996 angegeben, dass ein Versorgungsausgleich stattgefunden habe und seine geschiedene Ehefrau verstorben sei. Dies hätte die Beklagte zum Anlass nehmen müssen, die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Versorgungsausgleichs nach §§ 4, 7, 8 VAHRG a.F. zu prüfen und ihn darauf aufmerksam machen müssen, dass der Versorgungsausgleich „rückgängig“ gemacht werden könne, sofern ein Antrag gestellt werde. Eine solche Beratung habe fehlerhaft nicht stattgefunden.

Die Beklagte legte das Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aus und teilte mit Schreiben vom 10. Juni 2021 mit, es könne nicht festgestellt werden, ob die Sachbearbeitung im damaligen Rentenverfahren Kenntnis über den Tod der ausgleichsberechtigten früheren Ehefrau gehabt habe. Die Beweislast liege beim Kläger. Der Kläger werde gebeten, Nachweise einzusenden, aus denen hervorgehe, dass er die Beklagte 1996 über den Tod der früheren Ehefrau informiert habe.

Mit Schreiben vom 20. Juli 2021 teilte der Kläger mit, er habe im Rentenantrag auf die Frage 10.5 mitgeteilt, dass ein Versorgungsausgleich stattgefunden habe und seine geschiedene Ehefrau verstorben sei. Seine eigenen Unterlagen seien aufgrund der Insolvenz seiner Firma vernichtet worden. Wenn der Beklagten der Antragsvordruck nicht mehr vorliege, sei es nicht Aufgabe des Versicherten nachzuweisen, dass er mitgeteilt habe, dass seine geschiedene Ehefrau verstorben sei. Die Aussetzung der Kürzung der Altersrente sei bereits ab dem 1. März 1996 vorzunehmen.

Mit Bescheid vom 17. August 2021 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 4. Mai 2020 ab. Die Überprüfung habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Rente sei in zutreffender Höhe festgestellt worden. Gemäß § 34 Abs. 3 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) wirke die Anpassung ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folge. Der Antrag auf Anpassung wegen Tod sei am 11. März 2020 bei der Beklagten eingegangen und die Anpassung mit Neuberechnungsbescheid vom 4. Mai 2020 ab dem 1. April 2020 umgesetzt worden. Nachweise, dass der Kläger bereits bei Rentenantragstellung im Jahr 1996 mitgeteilt habe, dass seine frühere Ehefrau verstorben sei, seien nicht vorgelegt worden. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch finde keine Anwendung, da eine Pflichtverletzung der Beklagten sich dem Vorgang nicht entnehmen lasse.

Hiergegen legte der Kläger am 13. September 2021 Widerspruch ein und trug erneut vor, die Beklagte habe aufgrund des informatorischen Hinweises im Rentenantrag erkennen müssen, dass die geschiedene Ehefrau verstorben sei und habe prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Anpassung wegen Tod vorgelegen haben.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2021 zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung seien die Verwaltungsakten nicht vollständig verfilmt worden. Ausschließlich Teilakten seien als Mikroverfilmung verfügbar, u.a. der Rentenbescheid vom 27. November 1997. In diesem sei in Anlage 5 auf die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs hingewiesen worden. Ein Widerspruch sei nicht eingelegt worden. Dem Kläger obliege die objektive Beweislast, dass er im Erstantrag auf Rente das Versterben der Ausgleichsberechtigten mitgeteilt habe.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 26. Dezember 2021 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt.

Mit Urteil vom 7. September 2022, berichtigt durch Beschluss vom 5. Dezember 2022, hob das Sozialgericht den Bescheid vom 17. August 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2021 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Altersrente ab dem 1. April 1996 ohne Abzug des Versorgungsausgleichs zu gewähren und ihm ab diesem Zeitpunkt eine im Hinblick auf den Versorgungsausgleich vom 7. November 1985 ungekürzte Regelaltersrente zu zahlen. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, der Kläger habe gegen die Beklagte einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, aufgrund dessen er von der Beklagten verlangen könne, bereits seit Beginn des Rentenbezugs zum 1. März 1996 aufgrund seines Rentenantrags vom 18. Januar 1996 so gestellt zu werden, als ob er einen Antrag auf Aussetzung der Kürzung seiner Altersrente wegen des 1985 durchgeführten Versorgungsausgleichs gestellt hätte. Die Beklagte habe es versäumt, den Kläger nach Stellung des Rentenantrages darauf hinzuweisen, dass der im Scheidungsurteil vom 7. November 1985 durchgeführte Versorgungsausgleich zu Gunsten seiner Ehefrau aufgrund deren Todes und ohne dass sie vor ihrem Tod 1989 länger als 36 Monate Rente aus den in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechten bezogen habe gemäß §§ 4, 7, 8 VAHRG a.F. hätte rückgängig gemacht werden können, so dass der Kläger eine ungekürzte Rente hätte beziehen können. Die Kammer sei aufgrund des klägerischen Vortrags davon überzeugt, dass er bei Stellung des Rentenantrags in dem damals gültigen Antragsformular der Beklagten die Fragen unter dem Gliederungspunkt 10.5, ob ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt worden sei und ob der frühere Ehegatte noch lebe, zutreffend dahingehend beantwortet habe, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden und seine geschiedene Ehefrau am XX.XX.1989 verstorben sei. Der Kläger könne zwar nicht anhand des 1996 gestellten Rentenantrags nachweisen, dass er die Fragen wahrheitsgemäß beantwortet habe. Die Kammer sei allerdings von dem Vortrag der Klägerseite überzeugt, dass es für ihn keinerlei Anlass gegeben hätte, diese Frage bei Stellung des Rentenantrages unzutreffend zu beantworten. Der Kläger habe Kenntnis davon, dass er geschieden gewesen sei und dass seine frühere Ehefrau verstorben sei. Die Fragen im damals gebräuchlichen Rentenantragsformular seien einfach und verständlich formuliert gewesen und hätten durch ein einfaches Ankreuzen beantwortet werden können. Die Kammer hege keinen Zweifel daran, dass der Kläger zu einer korrekten Beantwortung der Fragen in der Lage gewesen sei. Er habe auch keinen Grund gehabt, die Frage, ob ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt worden sei und ob der frühere Ehegatte noch am Leben sei, wahrheitswidrig zu beantworten. Die Berufung der Beklagten auf den fehlenden Nachweis verstoße gegen Treu und Glauben. Vorliegend wäre es grundsätzlich anhand der Akten der Beklagten über den Kläger möglich gewesen, zu überprüfen, in welcher Weise der Kläger das Rentenantragsformular vom 18. Januar 1996 ausgefüllt habe. Dies sei allerdings deshalb unmöglich, weil die Beklagte sämtliche Unterlagen vernichtet habe. Sie mache sich bei Verweis auf die objektive Beweislast die eigene Vernichtung der Unterlagen auf treuwidrige Weise zunutze. Sie habe durch die Vernichtung der Antragsunterlagen die Beweisnot des Klägers mit herbeigeführt. Während die Beklagte die Unterlagen wohl rechtmäßiger Weise nach dem Ablauf der entsprechenden Aufbewahrungsfristen vernichten durfte, widerspreche es den Grundsätzen billiger Rücksichtnahme, wenn sie sich nun darauf berufe, dass der Kläger aufgrund dieser Vernichtung die zutreffende Beantwortung der Fragen im Antragsformular nicht mehr nachweisen könne. Nachdem die Beklagte durch den Rentenantrag des Klägers vom 18. Januar 1996 über das Versterben dessen geschiedener Ehefrau informiert worden sei, hätte sie die Verpflichtung getroffen, den Kläger dahingehend zu beraten, dass er die Aussetzung des Versorgungsausgleichs nach § 4 VAHRG a.F. hätte beantragen können. Die Beratungspflicht ergebe sich aus § 115 Abs. 6 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und ebenfalls aus der allgemeinen Beratungspflicht des § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). § 44 Abs. 4 SGB X stehe einer rückwirkenden Leistung nach § 4 Abs. 1 VAHRG a.F. nicht entgegen, um grundrechtswidrige Belastungen des Ausgleichsverpflichteten zu vermeiden.

Gegen das ihr am 24. Oktober 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. November 2022 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, es habe gegenüber dem Kläger weder eine Beratungspflicht nach § 14 SGB I noch eine Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI bestanden. Daher könne der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung der ungekürzten Rente ab Rentenbeginn nicht auf eine bestehende Pflichtverletzung der Beklagten und einen hieraus abgeleiteten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Ein formloser Antrag auf Anwendung der Härtefallregelung des § 4 VAHRG a.F. wäre von der Beklagten angenommen worden, wenn im Rentenantrag unter Frage 10.5 mitgeteilt worden sei, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden und der geschiedene ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits verstorben sei. In diesen Fällen sei die Prüfung der Voraussetzungen des § 4 VAHRG a.F. von Amts wegen erfolgt. Sowohl die Anpassung wegen Tod nach § 37 VersAusglG als auch die Härtefallregelung des § 4 VAHRG a.F. seien nur auf Antrag zu gewähren. Die Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger im Rentenantrag die Frage 10.5 nicht beantwortet habe. Dies wäre ansonsten als Antrag nach § 4 VAHRG a.F. gewertet und entsprechend bearbeitet worden. Ob der Rentenantrag entsprechend ausgefüllt worden sei, könne der Kläger nicht nachweisen. Der Beweiswürdigung des Sozialgerichts, es sei zweifelsfrei erwiesen, dass der Kläger bei der damaligen Rentenantragstellung die Fragen zum Versorgungsausgleich vollständig und zutreffend beantwortet habe, könne nicht gefolgt werden. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt könne nicht mehr aufgeklärt werden, weil die Antragsformulare des Klägers weder vom Kläger noch von der Beklagten vorgelegt werden könnten. Das Gericht habe die entscheidungserhebliche Tatsache, dass der Kläger die Frage 10.5 im Rentenantrag vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet habe, nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad feststellen können. Das Sozialgericht habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung unzulässig überschritten. Das Gericht habe die berechtigten Zweifel daran, dass der Kläger die maßgebliche Frage vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet habe, nicht ausräumen können. Es liege ein Fall der Unerweisbarkeit einer Tatsache vor (sog. non liquet), in dem nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu entscheiden sei. Hier treffe den Kläger die objektive Beweislast, da er aus der Behauptung, dass er vollständige Angaben im Rentenantrag gemacht habe, einen Anspruch herleite. Einen Beweis hierfür habe der Kläger nicht erbringen können. Der Berufung auf die Beweislast stehe Treu und Glauben nicht entgegen. Nur wenn ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten den beweisbelasteten Versicherten in eine Beweisnot gebracht habe, könne der Tatrichter dieses Verhalten als einen für die Wahrheit des Vorbringens des Versicherten sprechenden Umstand berücksichtigen. Die Vernichtung des Rentenantrags sei aber weder schuldhaft noch in treuwidriger Weise veranlasst worden. Sie sei nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen zur Vernichtung der Unterlagen berechtigt gewesen. Das Rentenverfahren sei mit Eintritt der Bindungswirkung des am 29. Februar 1996 erteilten Bescheids abgeschlossen gewesen. Ihr nun vorzuwerfen, dass sie nach über 20 Jahren Akten in „unbilliger“ Weise vernichtet hätte, um eine Beweisnot des Klägers zu provozieren, sei nicht zulässig. Die Beweisnot des Klägers sei nicht dadurch herbeigeführt worden, dass allein sie es unterlassen habe, beweiskräftige Unterlagen aufzubewahren. Vielmehr habe der Kläger erst durch die Vernichtung seiner eigenen Unterlagen endgültig die Erbringung eines Nachweises unmöglich gemacht. Vom Tod der früheren Ehefrau habe sie erst durch die Vorlage der Sterbeurkunde mit Schreiben des Klägers vom 9. März 2020 erfahren. Sie sei auch in keiner Weise verpflichtet gewesen, sich Kenntnis über den Tod der ausgleichsberechtigten früheren Ehefrau zu verschaffen. Der Rentenversicherungsträger müsse keine Querverbindungen zwischen den Versicherungskonten der ausgleichsberechtigten Personen und den Versicherungskonten der ausgleichspflichtigen Personen herstellen. Nach dem Versterben der geschiedenen Ehefrau sei keine dokumentarisch nachvollziehbare Kontaktaufnahme vonseiten des für die Ehefrau zuständigen Versicherungsträgers oder vonseiten des Klägers erfolgt. Die Übersendung relevanter Unterlagen - etwa der Sterbeurkunde der geschiedenen Ehefrau - zeitnah zum Versterben der Ehefrau lasse sich anhand der verfügbaren Unterlagen nicht nachvollziehen. Auch eine maschinelle Übermittlung des Todesdatums der geschiedenen Ehefrau im Jahr 1989 sei nicht erfolgt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. September 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und versichert zuletzt mit Schreiben vom 19. April 2023 nochmals, dass er nach seinem 65. Geburtstag 1996 einen Antrag auf Versichertenrente gestellt und unter Punkt 10.5 angegeben habe, dass seine geschiedene Ehefrau XX.XX.1989 verstorben sei. Seine Tochter habe ihm am 30. November 1989 mitgeteilt, dass ihre Mutter verstorben sei und er habe am Begräbnis seiner geschiedenen Ehefrau teilgenommen. Die Sterbeurkunde habe er am 6. Dezember 1989 erhalten. 

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. September 2022 konnte keinen Bestand haben. Der angefochtene Bescheid vom 17. August 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2021 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheids vom 4. Mai 2020 und die Aussetzung der Kürzung seiner Altersrente aufgrund des Versorgungsausgleichs bereits vor dem 1. April 2020.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen jedoch nicht vor, denn bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Bescheids vom 4. Mai 2020 ist weder das Recht unrichtig angewandt noch ist ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde gelegt worden.

Die Beklagte hat zu Recht den Abschlag aufgrund des Versorgungsausgleichs erst ab dem 1. April 2020 ausgesetzt. Zuvor war die Höhe der ab dem 1. März 1996 gewährten Regelaltersrente zutreffend unter Berücksichtigung eines Abschlags auf die Rentenanwartschaften des Klägers aufgrund des Versorgungsausgleichs berechnet worden. Fehler im Rechenwerk sind weder vom Kläger vorgetragen worden noch für den Senat ersichtlich.

Die Beklagte war bei Erlass des Rentenbescheids vom 29. Februar 1996 nicht verpflichtet, von einer Kürzung der Rentenanwartschaften auf Grund des Versorgungsausgleichs wegen Tod der ausgleichsberechtigten Person, hier der bereits am XX.XX.1989 verstorbenen geschiedenen Ehefrau des Klägers, abzusehen. Der am 11. März 2020 sinngemäß gestellte Antrag auf Anpassung der Rentenanwartschaften wegen Todes der ausgleichsberechtigten Person unter Geltung des ab dem 1. September 2009 gültigen § 37 VersAusglG bewirkt nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 VersAusglG eine Anpassung erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt. Die Aufhebung der Kürzung nach § 37 VersAusglG kann erst nach Antragstellung und nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen (vgl. BT-Drs. 16/10144, S. 76, sowie Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2015, 2 C 48/13). Eine rückwirkende Anpassung bereits ab Rentenbeginn am 1. März 1996 ist aufgrund des Antrags nach § 37 VersAusglG nicht möglich. Die Beklagte hat einen entsprechenden Rentenanpassungsbescheid vom 4. Mai 2020 mit Wirkung ab dem 1. April 2020 erlassen.

Gemäß § 49 VersAusglG ist für Verfahren nach den §§ 4 bis 10 VAHRG a.F., in denen der Antrag beim Versorgungsträger vor dem 1. September 2009 eingegangen ist, das bis dahin geltende Recht weiterhin anzuwenden. Dazu gehört auch das in § 4 VAHRG a.F. geregelte Verfahren der Aufhebung der Kürzung im Falle des Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten. Gemäß § 4 Abs. 1 VAHRG a.F. wurde die Versorgung des Verpflichteten nicht aufgrund eines durchgeführten Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn der Berechtigte vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Indem (nur) Verfahren, in denen der maßgebliche Antrag vor dem 1. September 2009 gestellt wurde, nach altem Recht, also dem VAHRG, fortgeführt werden, findet für Verfahren, in denen der Antrag ab dem 1. September 2009 gestellt wurde, das neue Recht, also das VersAusglG, Anwendung.

Ebenso wie die Anpassung nach § 37 Abs. 1 VersAusglG erfolgte der Verzicht auf eine Kürzung aufgrund des Versorgungsausgleichs nach § 4 VAHRG a.F. nicht bereits von Gesetzes wegen bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, sondern erforderte einen Antrag des Ausgleichsverpflichteten (§ 9 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VAHRG a.F.). Ein solcher früherer Antrag des Klägers auf ungekürzte Versorgung wegen Todes seiner geschiedenen Ehefrau, insbesondere ein konkludenter Antrag durch Angabe des Todes der geschiedenen Ehefrau im Rentenantragsformular aus 1996, d.h. unter Geltung des § 4 VAHRG a.F., ist nicht nachgewiesen.

Der Senat ist - im Gegensatz zum Sozialgericht - nicht im Sinne des Vollbeweises davon überzeugt, dass der Kläger anlässlich der Rentenantragstellung Angaben zum Tod seiner geschiedenen Ehefrau gemacht hat. Der Vollbeweis verlangt zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht hingegen nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2000, B 9 VG 3/99 R). Die (objektive) Beweislast für das Vorliegen eines Antrags liegt beim Antragsteller, hier beim Kläger.

Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren sowie im sozialgerichtlichen Verfahren mehrfach wiederholt, er habe anlässlich der Rentenantragstellung die im Rentenantragsformular unter Punkt 10.5 gestellte Frage: „Wurde ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt?“ mit „Ja“ und die Anschlussfrage „Lebt der frühere Ehegatte noch?“ mit „Nein“ beantwortet zu haben. Dieser subjektive Vortrag aus der Erinnerung des Klägers, erstmals vorgebracht mit Schreiben vom 25. Januar 2021, d.h. knapp 15 Jahre nach Rentenantragstellung, wird jedoch nicht durch objektive Nachweise gestützt. Der zum Zeitpunkt des Schreibens vom 25. Januar 2021 bereits 89 Jahre alte Kläger, der allein vom Vorliegen der streitigen Angaben im Rentenantragsformular profitieren würde, kann das Original oder eine Kopie des Rentenantrags nicht mehr vorlegen. Die Beklagte hat den 1996 bei ihr eingegangenen Rentenantrag nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet. Eine Rekonstruktion des Rentenantrags ist ihr nach eigenen Angaben nicht möglich.

Die Verwaltungsakten der Beklagten weisen vor dem Antrag des Klägers vom 10. März 2020 keinen Hinweis auf den Tod der geschiedenen Ehefrau des Klägers, d.h. der ausgleichsberechtigten Person aus dem Versorgungsausgleich, auf. Die geschiedene Ehefrau hatte zu Lebzeiten keine Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen. Eine Sterbeanzeige gegenüber dem Rentenservice, dessen Kenntnis die Beklagte sich ggfs. zurechnen lassen müsste (vgl. Urteil des Senats vom 27. April 2021, L 2 R 188/20; Revision anhängig unter B 5 R 18/21 R), kommt nicht in Betracht. Eine Speicherung des Todesdatums der geschiedenen Ehefrau im Versicherungskonto des Klägers erfolgte letztlich weder vor seiner Rentenantragstellung, insbesondere nicht zeitnah nach dem Sterbedatum XX.XX.1989, noch im Laufe des Rentenverfahrens. Für den Senat steht nicht fest, dass die Beklagte vor dem Antrag des Klägers vom 10. März 2020 Kenntnis vom Tod der geschiedenen Ehefrau des Klägers hatte.

Gegen die Angabe des Todes der ausgleichsberechtigten Person im Rentenantrag durch den Kläger spricht, dass nach der Verwaltungspraxis der Beklagten eine entsprechende Angabe im Rentenantrag generell als konkludenter Antrag auf ungekürzte Versorgung nach § 4 VAHRG a.F. verstanden worden wäre. Bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Rentenantrags wäre eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 4 VAHRG a.F. zu erwarten gewesen, wobei aus heutiger Sicht einer entsprechenden Anpassung der Rentenanwartschaften zugunsten des Klägers bereits ab Rentenbeginn Nichts entgegengestanden hätte.

Der Senat kann zugunsten des Klägers unterstellen, dass er selbst zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung Kenntnis vom Tod seiner geschiedenen Ehefrau gehabt hatte. Ob und wenn ja, in welcher Form, der Kläger die Fragen unter Punkt 10.5 des Rentenantragsformulars seinerzeit beantwortet hat oder ob eine fehlerhafte Bearbeitung des Rentenantrags dazu geführt hat, dass die Rentenberechnung nicht nach § 4 VAHRG a.F. ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs erfolgt ist, lässt sich zur Überzeugung des Senats jedoch nicht mehr aufklären. Die subjektiven Erinnerungen des Klägers reichen für einen Vollbeweis im juristischen Sinne nicht aus.

Der Senat sieht keine weiteren Ermittlungsansätze, das Original oder eine Kopie des vom Kläger ausgefüllten Rentenantragsformular in das vorliegende Verfahren einzuführen und alle Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ausgeschöpft, ohne dass es gelungen ist, die Ungewissheit zu beheben. Die Unerweislichkeit der Tatsache, dass der Kläger den Tod seiner geschiedenen Ehefrau bereits im Rentenantragsformular vor Erlass des Rentenbescheids vom 29. Februar 1996 angegeben hatte, geht zu Lasten des Klägers.

Der Kläger kann sich insoweit auch nicht auf das Vorliegen eines sog. Beweisnotstands berufen. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass die einfache Beweislosigkeit (non liquet) nicht zur Annahme eines Beweisnotstandes führt. Nur in besonders gelagerten Einzelfällen können die Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts das Tatsachengericht veranlassen, aufgrund eines qualifizierten Beweisnotstandes verminderte Anforderungen an den Beweis zu stellen, so dass der Tatrichter schon auf Basis weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann (BSG, Beschluss vom 25. März 2013, B 5 R 424/12 B m.w.N.). Beruht eine Beweisnot gar auf einer Beweisvereitelung der Gegenseite, so darf daraus auf die Wahrheit der festzustellenden Tatsache geschlossen werden. Der insoweit für den Zivilprozess in § 444 Zivilprozessordnung (ZPO) normierte Grundsatz gilt auch im Sozialgerichtsprozess (BSG, Urteil vom 10. August 1993, 9/9a RV 10/92). Andererseits führt der Beweisnotstand - auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung der Gegenseite beruht - keinesfalls zu einer Umkehr der Beweislast (BSG, Beschluss vom 25. März 2013, B 5 R 424/12 B m.w.N.). Ein solcher Beweisnotstand liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die mit längeren Zeitabläufen verbundenen Beweisschwierigkeiten gelten für alle Beteiligten und treffen nicht ausschließlich die Versicherten. Der Beklagten kann eine Beweisvereitelung nicht vorgeworfen werden, wenn sie nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen ein vor knapp 15 Jahren in einem Rentenantragsverfahren eingereichtes Rentenantragsformular nicht mehr vorlegen oder rekonstruieren kann. Gegen den Rentenbescheid vom 29. Februar 1996 war seinerzeit kein Widerspruch erhoben worden, das Verwaltungsverfahren war abgeschlossen. Ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X wurde frühestens mit Schreiben vom 25. Januar 2021 eingeleitet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seit März 1996 über einen Zeitraum von mehr als 298 Monaten Altersrente unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs bezogen. Die Beklagte hatte keinen Anlass, das Rentenantragsformular über die Aufbewahrungsfristen hinaus, zur Verfügung zu halten. Es verstößt insoweit auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte sich im Rahmen des vom Kläger angestrengten Überprüfungsverfahrens auf dessen objektive Beweislast beruft, zumal der Inhalt des Rentenantragsformulars nicht allein der Sphäre der Beklagten zuzurechnen ist, sondern das Formular vom Kläger selbst ausgefüllt und eingereicht worden war. Es war ihm ohne weiteres möglich gewesen, vor Einreichung eine Kopie anzufertigen und seinerseits aufzubewahren.

Eine anderweitige Antragstellung vor dem 11. März 2020 wurde weder vom Kläger vorgetragen noch ist eine solche für den Senat ersichtlich. Ausweislich der vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten ist keine weitere Kontaktaufnahme des Klägers ersichtlich, bei der ein Antrag auf Anpassung des Versorgungsausgleichs gestellt worden wäre oder durch welche die Beklagte Kenntnis vom Tod der geschiedenen Ehefrau erhalten haben könnte, was zumindest als konkludenter Antrag gewertet werden könnte.

Der Kläger ist auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er einen Antrag auf ungekürzte Versorgung nach § 4 VAHRG a.F. oder einen Antrag auf Anpassung nach § 37 VersAusglG bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt.

Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat, dass dem Betroffenen ein Nachteil entstanden ist und dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil ein ursprünglicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können.

Die Beklagte hat ihre Beratungspflicht nach § 14 SGB I gegenüber dem Kläger nicht verletzt. Ein konkretes Beratungsbegehren des Klägers ist nicht an sie herangetragen worden.

Der Versicherungsträger ist jedoch auch dann, wenn der Versicherte wie hier nicht ausdrücklich eine Beratung verlangt, gehalten, den Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus spontan auf klar zu Tage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde, um sozialrechtliche Nachteile zu vermeiden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997, 8 RKn 1/97 m.w.N.). Ein konkreter Anlass für eine spontane Beratung des Versicherungsträgers kann im Rahmen der Massenverwaltung aber nur dann entstehen, wenn sich ein Sachbearbeiter persönlich mit dem Versicherungs- oder Leistungsverhältnis des betreffenden Versicherten befassen muss. Ein solches Befassen durch einen Sachbearbeiter der Beklagten erfolgte anlässlich der Rentenantragstellung des Klägers, jedoch steht zur Überzeugung des Senats - wie ausgeführt - nicht fest, dass sich aus den Angaben des Klägers im Rentenantragsformular für die Beklagte ein Anlass ergab, ihn auf die Antragstellung nach § 4 VAHRG a.F. im Falle des Versterbens seiner geschiedenen Ehefrau hinzuweisen. Der Beklagten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass sie trotz Angabe des Versterbens der ausgleichsberechtigten Person nicht auf die Möglichkeit der ungekürzten Versorgung nach § 4 VAHRG a.F. hingewiesen hat.

Eine Beratungspflicht der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI, der eine gesonderte Ausprägung der in §§ 14,15 SGB I genannten allgemeinen Beratungs- und Auskunftspflicht darstellt. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Der Grund für die Hinweispflicht liegt nicht in der konkreten Kenntnis der Umstände durch den Rentenversicherungsträger aus konkretem Anlass, sondern in der Möglichkeit, auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten für den Versicherten in typischen Fallkonstellationen aufgrund der bei ihm gespeicherten Daten hinzuweisen. Daraus ergibt sich, dass für die Versicherungsträger aufgrund von § 115 Abs. 6 SGB VI nur dann eine Hinweispflicht bestehen kann, wenn die maßgeblichen Daten in dem bei ihnen vorhandenen Datenbestand gespeichert und abrufbar sind (Kater in: BeckOK <Kasseler Kommentar>, SGB VI, § 115, Rn. 23 m.w.N.). Im Versicherungskonto des Klägers war zunächst nicht verzeichnet, dass er geschieden ist und seine geschiedene Ehefrau bei Beantragung seiner Altersrente bereits verstorben war. Die im Datenbestand der Beklagten vorhandenen Daten gaben ihr danach gerade keinen Anlass, den Kläger auf die naheliegende Gestaltungsmöglichkeit des § 4 VAHRG a.F. hinzuweisen.

Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X unmittelbar oder im Hinblick auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in entsprechender Anwendung einer Nachzahlung der Rentenansprüche des Klägers entgegenstehen würde (vgl. zu § 4 VAHRG a.F. insoweit BSG, 12. Dezember 2006, B 13 R 33/06 R, wo unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts <BVerfG> vom 28. Februar 1980, 1 BvL 17/77, BVerfGE 80, 297, 310, vom Erfordernis eines vollständigen Ausgleichs ausgegangen wird).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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