L 14 BA 123/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 31 BA 97/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 BA 123/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2023 wird zurückgewiesen.

 

Der Antragsteller trägt die Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens jeweils mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten in beiden Rechtszügen selber trägt.

 

Der Streitwert wird auf 4.559,44 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen einen Betriebsprüfungsbescheid (§ 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch <SGB IV>) gerichteten Klage, mit dem die Antragsgegnerin ihn auf Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Anspruch genommen hat.

Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2010 Inhaber eines Bistros in TU. Da eine Strafanzeige gegen ihn, u.a. wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt, gestellt wurde, kontrollierte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Hauptzollamtes Düsseldorf seinen Betrieb. Nachdem die Antragsgegnerin durch die FKS über Verstöße gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsgesetz – SchwarzArbG) informiert worden war, nahm sie am 10.08.2020 eine anlassbezogene Prüfung des Betriebs des Antragstellers hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01. bis zum 31.12.2017 vor. Nach Anhörung des Antragstellers zum beabsichtigten Nachforderungsbescheid beanspruchte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23.10.2020 einen Betrag von 18.273,66 EUR von ihm, wovon 13.291,66 EUR auf offene Sozialversicherungsbeiträge und 4.982,00 EUR auf Säumniszuschläge entfielen. Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller sei unter Berücksichtigung seiner eigenen Arbeitskraft sowie der geringfügig angestellten Mitarbeitenden nicht in der Lage gewesen, die betrieblichen Öffnungszeiten vollumfänglich abzudecken. Die Anzahl unterdeckter Stunden sei einer fiktiven Person zuzuordnen. Hieraus sei unter Zugrundelegung der im Entgelt-Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes vorgegebenen Mindestentgelte ein fiktives Jahresentgelt zu berechnen, welches als Grundlage für die unterlassene Beitragsabführung diene. Gegen den Nachforderungsbescheid legte der Antragsteller am 27.10.2020 Widerspruch ein und eidesstattliche Versicherungen seines Sohnes sowie eines regelmäßigen Gastes vor. Die Antragsgegnerin holte zudem weitere Erkundigungen ein. Mit Bescheid vom 30.03.2022 half die Antragsgegnerin dem Widerspruch in geringem Umfang ab und reduzierte – aufgrund eines Rechenfehlers – die Nachforderung um 35,89 EUR auf 18.237,77 EUR. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2022 zurück.

Mit Schreiben vom 19.08.2022 erhob der Antragsteller Klage bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf - S 31 BA 78/22 - und vertiefte sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die Zugrundelegung einer Öffnungszeit von täglich 23 Stunden durch die Antragsgegnerin sei überzogen und entspräche nicht den Tatsachen. Allein deshalb sei die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen bereits unzulässig. Die Antragsgegnerin habe überdies den Sachverhalt nicht im gebotenen Maße aufgeklärt, da sie die von ihm angebotenen Zeugen nicht vernommen und die eidesstattlichen Versicherungen zu Unrecht nicht berücksichtigt habe.

Mit gesondertem Schreiben vom 25.10.2022 hat der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Nachforderungsbescheid der Antragsgegnerin im Verfahren vor dem SG Düsseldorf - S 31 BA 97/22 ER - beantragt. Das SG hat die Akten der Staatsanwaltschaft Düsseldorf betreffend den Antragsteller beigezogen und am 28.03.2023 das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert.

 

In der rein elektronisch geführten Gerichtsakte des SG Düsseldorf befindet sich sodann im Aktenbaum der „Hauptakte“ des elektronischen Aktenführungssystems der Justiz NRW (eAkten-System, e²A) ein auf den 30.06.2021 datiertes, als „Beschluss" bezeichnetes Schriftstück, mit dem die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin abgelehnt wird. Dieses ist ausweislich eines ebenfalls in der „Hauptakte“ sichtbaren sog. „Ab-Vermerks“ elektronisch an die Beteiligten am 04.07.2023 versandt worden und der Antragsgegnerin – ausweislich des digitalen Empfangsbekenntnisses (EB) – noch am gleichen Tag zugegangen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat sein elektronisches EB bislang nicht zurückgesandt. Unter der Rechtsmittelbelehrung des „Beschlusses vom 30.06.2023“ ist der Name des Kammervorsitzenden („O.“) angebracht. Dieses elektronische Dokument, der Beschluss, ist – wie alle in dem Ordner „Hauptakte“ angezeigten elektronischen Dokumente – in einem unveränderbarem PDF-Format gespeichert und paginiert. Auf dem Dokument wird zudem eine grüne und eine graue Signaturnadel am unteren linken Rand angezeigt. Dabei weist die grüne Nadel die Zeit der Signatur, den 04.07.2023 11:32 Uhr, und den Namen der Signierenden, der Urkundsbeamtin „A.“, aus. Die grüne Signaturnadel dient dazu, die Gültigkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur ohne weitere Aufwände erkennen zu können. Das dazugehörige, mit dem Dokument verknüpfte Signaturprüfprotokoll weist entsprechend eine gültige Signatur der Urkundsbeamtin aus. Der ferner auf dem elektronischen Dokument sichtbaren grauen Nadel lässt sich entnehmen, dass eine ältere Version dieses Dokumentes mit gültiger Signatur des Kammervorsitzenden „O.“ vom 30.06.2023 20:40 Uhr existiert. Diese als eigene Datei gespeicherte Vorversion lässt sich über den Versionsverlauf des in der „Hauptakte“ der elektronischen Akte befindlichen Dokuments aufrufen und weist bei Aufruf den ursprünglichen Versionstext mit einer grünen Signaturnadel des Kammervorsitzenden aus. Diese ist wiederum mit einem die Gültigkeit der Signatur bescheinigenden Prüfprotokoll verbunden. Dem Versionsverlauf ist weiter zu entnehmen, dass die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle das bereits vom Kammervorsitzenden signierte Dokument am 04.07.2023 um 11.32 Uhr unmittelbar aus e²A heraus in Bearbeitung genommen und dieses „aktualisiert“ hat. Unter dem Beschluss hat sie ergänzt:

 

„Beglaubigt

Düsseldorf, 04.07.2023

 

A.

Regierungsbeschäftigte

als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle

(dieses Schriftstück wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig, § 169 Abs. 3 ZPO)“

 

Im Übrigen sind Veränderungen an dem vom Kammervorsitzenden signierten Dokument nicht vorgenommen worden.  Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat nach Anbringung des Beglaubigungsvermerks die so geschaffene neue Dokumentversion ihrerseits qualifiziert elektronisch signiert und sodann in die elektronische „Hauptakte“ des SG verschoben. (Allein) Diese Version ist den Beteiligten zugestellt worden.

Sowohl der Bevollmächtigte des Antragstellers – wegen „zur Zeit nicht funktionstüchtigem beA“ – als auch der Antragsteller persönlich haben in Papierform bzw. per Fax am 04.08.2023 Beschwerde gegen den „Beschluss“ des SG Düsseldorf vom 30.06.2023 eingelegt. Die Beschwerde wurde – trotz einer hierfür vom Senat gesetzten Frist von zwei Wochen – zunächst nicht begründet.

 

Der Senat hat die elektronische Gerichtsakte des SG Düsseldorf - S 31 BA 97/22 ER -  beigezogen und eingesehen.

Der Antragsteller hat seine Beschwerde unter dem 18.10.2023 damit begründet, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden und die Antragsgegnerin einen Maximalbetrag geschätzt habe. Sein Betrieb sei eine viel geringere Zeit geöffnet gewesen als von der Antragsgegnerin angenommen, was sich u.a. mittels Zeugen beweisen ließe.  Die Vollstreckung der strittigen Forderung würde zudem zur Schließung seines Betriebes führen und stelle schon deshalb eine unbillige Härte dar.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

unter Aufhebung des Beschlusses der 31. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.2023 die aufschiebende Wirkung der am 19.08.2022 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.10.2020 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 30.03.2022 sowie in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2022 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie erachtet den angefochtenen Bescheid sowie den Beschluss des SG Düsseldorf für rechtmäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der elektronischen Gerichtsakte, der in Papierform beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der ebenfalls in Papierform beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf betreffend den Antragsteller – 120 Js 1447/18 A – Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet. Das SG Düsseldorf hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 30.06.2023 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Nachforderungsbescheid der Antragsgegnerin zu Recht abgelehnt.

1. Die vom Antragsteller und seinem Bevollmächtigten jeweils am 04.08.2023 gegen den Beschluss des SG Düsseldorf vom 30.06.2023 eingelegte Beschwerde ist zulässig.

a. Die einerseits vom Antragsteller persönlich und andererseits von seinem Bevollmächtigten eingelegten Beschwerden sind jeweils binnen eines Monats seit Veranlassung der Zustellung durch das SG am 04.07.2023, nämlich am 04.08.2023, bei Gericht eingegangen. Die Beschwerdefrist des § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird somit unabhängig vom konkreten Zustellungszeitpunkt – ein Zustellungsnachweis fehlt, der Zustellungszeitpunkt ist somit unbekannt – eingehalten.

Keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob der Bevollmächtigte des Antragstellers für die Einlegung der Beschwerde die Übertragung per Telefax wegen „zur Zeit nicht funktionstüchtigem beA“ nach § 65d Satz 3 SGG nutzen durfte. Zweifel bestehen, da die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach zwar behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht wurde (zu den an eine solche Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen vgl. zuletzt BGH, Beschl.v.10.10.2023 – Az. XI ZB 1/23). Zudem ist das elektronische Dokument nicht nachgereicht worden (§ 65d Satz 4 SGG). Allerdings erfüllt bereits die schriftliche Einlegung der Beschwerde durch den Antragsteller selbst die notwendige Schriftform (§ 65a Abs. 1 SGG).

b. Bei dem Beschluss handelt es sich nicht um eine sogenannte Scheinentscheidung, die weder formell noch materiell in Rechtskraft erwächst (Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 13. Aufl., München 1981, S. 348 <§ 61 III 2> m.w.N.). Das den Beteiligten als beglaubigte Abschrift zugestellte und vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Schriftstück („Beschluss vom 30.06.2023") stellt eine wirksame, das Eilverfahren in erster Instanz abschließende Entscheidung des SG Düsseldorf dar.

Nach dem für Urteile geltenden § 133 Satz 1 SGG, der gemäß § 133 Satz 2 SGG auf Beschlüsse entsprechend anwendbar ist, wird die Wirksamkeitsvoraussetzung der Verkündung einer Entscheidung bei einem Beschluss durch die Zustellung ersetzt. Dafür muss nach §§ 134 Abs. 1, 142 Abs. 1 SGG der Beschluss im Zeitpunkt der Herausgabe zur (elektronischen) Post vom Vorsitzenden (wirksam) unterschrieben sein (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 105 SGG [Stand: 18.08.2023], Rn. 108-109). Ohne eine Unterschrift handelt es sich bei einem als Beschluss bezeichneten Schriftstück lediglich um einen Entwurf, vergleichbar mit dem Entwurf eines Urteils, das nicht verkündet ist. Denn es fehlt an der auf die Setzung eines Rechtsakts gerichteten, dokumentierten Willensäußerung des Richters (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 17.01.1985 – 2 BvR 498/84 – juris), dass der Beschluss mit genau diesem, von ihm unterschriebenen bzw., im Falle eines elektronischen Dokuments, qualifiziert elektronisch signierten Inhalt, gelten soll. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.

aa. Soweit ein Beschluss vom Vorsitzenden zu unterschreiben ist (§§ 142 Abs. 1, 134 Abs. 1 SGG), kann die handschriftliche Unterschrift des Richters ersetzt werden durch die Aufzeichnung des Beschlusses als elektronisches Dokument, wenn die verantwortende Person am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügt und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versieht (§ 65a Abs. 7 Satz 1 SGG). Das ist hier geschehen. Der Kammervorsitzende hat unter den vollständigen (Rubrum, Gründe, Rechtsmittelbelehrung etc.), elektronisch erstellten Beschluss seinen Namen („O.“) hinzugefügt und das Dokument am 30.06.2023 um 20.40 Uhr wirksam signiert. Die Wirksamkeit der Signatur wurde und wird im eAkten-System der Justiz NRW (e²A) durch eine grüne Signaturnadel angezeigt und durch das mit dem elektronischen Dokument untrennbar verbundene Prüfprotokoll belegt. Das eAkten-System ist dabei so programmiert, dass sämtliche signierten Dokumente samt verbundener Signaturprüfprotokolle revisionssicher als gesonderte Dateien gespeichert werden. Der vom Kammervorsitzenden signierte Beschluss ist zusammen mit den weiteren Dokumenten der elektronisch geführten Gerichtsakte bei Abgabe des (Beschwerde-)Verfahrens vom SG an das LSG weitergeleitet worden.

bb. Der Beschluss des SG Düsseldorf vom 30.06.2023 ist auch nicht durch die von der Urkundsbeamtin vorgenommene Veränderung unwirksam geworden. Vielmehr liegt weiterhin und unverändert der vom Vorsitzenden signierte Beschluss vor, dessen Signatur durch die Änderungen der Urkundsbeamtin nicht gebrochen wurde. Denn das eAkten-System der Justiz NRW erzeugt automatisch ein neues Dokument, sobald – wie hier durch die Urkundsbeamtin – ein bereits signiertes Dokument unmittelbar in e²A bearbeitet und gegebenenfalls nochmals signiert wird (vgl. jedoch auch LSG, Urt. v. 09.08.2023 – L 3 R 370/22 – zur ähnlichen Problematik einer digitalen Signatur eines Urteils in einer führenden Papierakte)

In e²A wird das so erstellte (neue) Dokument allerdings mit einer grünen sowie einer grauen Signaturnadel angezeigt. Die grüne Nadel zeigt dabei an, dass die von der Urkundsbeamtin erstellte beglaubigte Abschrift des Beschlusses des Kammervorsitzenden von ihr wirksam signiert wurde. Die graue Signaturnadel macht deutlich, dass aus der Ursprungsfassung – hier dem vom Kammervorsitzenden am 30.06.2023 signierten Beschluss – eine weitere, erneut bearbeitbare Version in e²A erstellt worden ist. Es existiert somit ein Folgedokument, das inhaltlich möglicherweise nicht identisch mit der ursprünglichen Fassung ist.

Folge im vorliegenden Fall ist, dass die vorstehend beschriebene Änderung, die die Urkundsbeamtin – in dem neu erstellten Dokument – vorgenommen hat, von der Signatur des Kammervorsitzenden nicht umfasst ist. Dies ist jedoch unschädlich, weil das wirksam vom Kammervorsitzenden signierte Dokument weiterhin existiert und Bestandteil der Dateien geworden ist, die zu dem Aktenzeichen dauerhaft gespeichert – und auch an das erkennende Gericht übersandt – wurden.

cc. Der Beschluss des SG vom 30.06.2023 ist wirksam zugestellt worden.

aaa. Die Zustellung setzt eine willentliche Bekanntgabe durch das Gericht voraus. Eine zufällige bzw. nicht gewollte Übermittlung des Schriftstücks reicht nicht aus (BGH, Urt. v. 26.11.2002 - VI ZB 41/02 - und v. 04.07.2017 - VIII ZB 85/16 -; s. ferner BGH, Urt. v.  29.03.2017 - VIII ZR 11/16 -; Keller, in: Mayer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG § 63 Rn. 2). Eine solche willentliche Bekanntgabe lag hier vor. So befindet sich unmittelbar nach dem im „Hauptteil“ der elektronischen Gerichtsakte sichtbaren Beschluss vom 30.06.2023 des SG Düsseldorf folgende Verfügung des Kammervorsitzenden:

„S 31 BA 97/22 ER

Verfügung

1. Beschluss an Beteiligte zustellen

2. Strafakte mit Dank zurück an die StA Düsseldorf

3. Weiter mit Erledigungsverfügung“

Darunter befindet sich der Namens- und Datumsstempel des Kammervorsitzenden („O., 30.06.2023“). Die Zustellung des Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten erfolgte somit gemäß dem ausdrücklich erklärten Willen des Kammervorsitzenden.

bbb. Dass die Urkundsbeamtin nicht die vom Kammervorsitzenden signierte elektronische Urschrift des Beschlusses, sondern eine Abschrift versandt hat, ist dabei – auch wenn es im Rahmen einer elektronischen Aktenführung nicht erforderlich ist, beglaubigte Abschriften statt des Dokuments selbst zu versenden – unschädlich (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG § 63 Rn. 2). Die Zustellung einer solchen beglaubigten Abschrift ist nach § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 169 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig. Diese Abschrift muss die Entscheidung allerdings vollständig und wortgetreu so wiedergeben, wie sie gefällt worden ist, einschließlich der Unterschrift des Richters. Dies ist vorliegend der Fall. Der Text der beglaubigten Abschrift ist identisch mit demjenigen des vom Kammervorsitzenden signierten Beschlusses. Der nach dem Text des Beschlusses und der Namensnennung des entscheidenden Richters („O.“) von der Urkundsbeamtin angefügte Text stellt ausschließlich und erkennbar den Beglaubigungsvermerk dar („Beglaubigt - Düsseldorf, 04.07.2023 - A. - Regierungsbeschäftigte - als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle -(dieses Schriftstück wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig, § 169 Abs. 3 ZPO)“).

Dass der Hinweis auf § 169 Abs. 3 ZPO statt auf § 169 Abs. 4 ZPO falsch und das elektronisch dem Antragstellerbevollmächtigten sowie der Antragsgegnerin zugestellte Dokument zwar nicht unterschrieben, aber qualifiziert elektronisch signiert war, macht die Zustellung nicht unwirksam. So ist ein konkreter Beglaubigungstext nicht vorgesehen. Der Vermerk muss „nur“ eindeutig erkennen lassen, dass sich die Beglaubigung auf alle Seiten des Schriftstücks bezieht und mit diesem eine Einheit bildet (Schultzky, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl., Stand 10/2023, § 169 Rn 9). Dies ist hier der Fall. Dass das elektronische Dokument zudem zwar ohne Unterschrift, aber qualifiziert elektronisch signiert war, war für die Empfänger ohne weiteres an dem mitübersandten Signaturprüfprotokoll zu erkennen und erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen einer elektronischen Zustellung (§ 169 Abs. 4 Satz 2 ZPO).

dd. Die Wirksamkeit des Beschlusses des SG Düsseldorf und seiner Zustellung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass er sich nicht im paginierten Teil der „Hauptakte“ des eAkten-Systems e²A befindet, weil weder der Kammervorsitzende noch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ihn dorthin verschoben haben. Unmittelbar zur „Hauptakte“ genommen, damit paginiert sowie unveränderbar revisionssicher gespeichert wurde von der Urkundsbeamtin nur die beglaubigte elektronische Abschrift des Beschlusses (Bl. 111 ff. der elektronischen „Hauptakte“). Offenbleiben kann, ob der elektronische Originalbeschluss des Kammervorsitzenden gleichwohl Bestandteil dieser „Hauptakte“ oder nur einer elektronischen (Gesamt-)Gerichtsakte – bestehend aus sämtlichen, zu dem Verfahren gespeicherten Daten – geworden ist, und ob und ggf. welche Auswirkungen dies zeitigen würde. In jedem Fall liegt ein wirksam zugestellter Beschluss vor. Es fehlen nämlich (zwingende) gesetzliche Vorgaben oder höchst- bzw. obergerichtliche Entscheidungen dazu, dass stets der Originalbeschluss bzw. das Originalurteil zur elektronischen Gerichtsakte oder – noch konkreter – zur Hauptakte zu nehmen ist. Rein tatsächlich ist es zudem so, dass das eAkten-System e²A auch die nicht zur „Hauptakte“ genommenen, aber signierten Dokumente samt Signaturprotokoll unveränderbar und untrennbar speichert. Vorliegend ist der so gespeicherte Beschluss – ebenfalls unveränderbar dokumentiert – mit Wissen und Wollen des Kammervorsitzenden den Verfahrensbeteiligten zugestellt worden. Er ist schließlich aus der „Hauptakte“ heraus als „Vorversion“ der dort gespeicherten und paginierten beglaubigten Abschrift des Beschlusses und damit als eigenständige Datei ohne Weiteres abrufbar. Zumindest bei einer solch lückenlos sowie revisionssicher zu belegenden Beschlussfassung, Unterschriftsleistung und vom Richter veranlassten Zustellung hat der Senat an der Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung keine Zweifel.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.10.2020 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 30.03.2022 sowie des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2022 ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - m.w.N.). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen (Widerspruchs-)Bescheids spricht (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - juris Rn. 2, 3 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht anzuordnen. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich die auf der Grundlage von § 28p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die ergangenen Bescheide vom 23.10.2020 und vom 30.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2022 als rechtswidrig erweisen werden. Es sprechen keine maßgeblichen Gesichtspunkte dagegen, dass die Antragsgegnerin einen Summenbescheid nach § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV erlassen durfte (hierzu unter a.). Die Einwände der Antragstellerin gegen die dabei vorgenommene Schätzung greifen nicht durch (hierzu unter b.). Bedenken gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen bestehen nicht (hierzu unter c.) Eine besondere Härte für die Antragstellerin aufgrund einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides ist nicht ersichtlich oder dargetan (hierzu unter d.).

a. Soweit die Antragsgegnerin die Beitragsnacherhebung nicht personenbezogen, sondern durch Summenbeitragsbescheid geregelt hat, findet dies seine Grundlage in § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Danach kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Ob der prüfende Rentenversicherungsträger einen Summenbescheid erlassen darf, beurteilt sich dabei nach den Verhältnissen bei Bekanntgabe des (Widerspruchs-) Bescheids.

Die derzeitigen Erkenntnisgrundlagen tragen die Annahme der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller seine Aufzeichnungspflicht nach § 28f Abs. 1 SGB VI nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Dies gilt bereits und konkret in Bezug auf die W. P. H.. Diese hat den Antragsteller am 18.10.2017 beim Hauptzollamt (HZA) Düsseldorf angezeigt. Dabei hat sie angegeben, beim Antragsteller zwei Nächte, jeweils von 23 Uhr bis 7 Uhr morgens gearbeitet und wiederholt um einen schriftlichen Arbeitsvertrag gebeten zu haben. Einen solchen Arbeitsvertrag habe der Antragsteller ihr verwehrt. Er habe ihr 5,00 € die Stunde zahlen wollen, offiziell maximal aber 165,00 € im Monat. Den Rest habe der Antragsteller ihr schwarz bezahlen wollen, damit keine Sozialabgaben anfielen. Bei den anderen für den Antragsteller arbeitenden Kräften verfahre er in gleicher Weise. So bei der R. „B.“, die sieben Tage die Woche im Ladenlokal des Antragstellers kellnere, z.T. tagsüber, z.T. aber auch nachts sowie bei einer weiteren Kraft aus W. oder Z. mit Namen X., die ebenfalls acht Stunden täglich dort arbeite. Die Anzeigeerstatterin, Frau H., hat der Antragsteller nicht sozialversicherungsrechtlich (nach-) gemeldet und auch nicht die ihr bar gezahlten 80,00 € für die beiden Nachtdienste. Die beiden anderen von der Zeugin benannten Vollzeitkräfte - „B.“ und „X.“ - werden in den Entgeltunterlagen des Antragstellers ebenfalls nicht aufgeführt. Auch insoweit spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller seiner Aufzeichnungspflicht nach § 28f Abs. 1 SGB VI nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Mängel der Entgeltaufzeichnungen ergeben sich schließlich daraus, dass der Antragsteller mit seiner eigenen Arbeitskraft und derjenigen der von ihm im Jahr 2017 in einigen Monaten gemeldeten Angestellten die Öffnungszeiten des Bistros nicht ansatzweise abdecken konnte. Die sich daraus ergebende Unterdeckung hat die Antragsgegnerin in nicht zu kritisierender Weise ihrer Beitragsnachforderung zugrunde gelegt. Sie hat dabei zugunsten des Antragstellers den Einsatz dessen eigener Arbeitskraft mit täglich zwölf Stunden im Bistro angesetzt. Diesen Zeitansatz erachtet der Senat für deutlich zu hoch, zumal nicht einmal der Antragsteller selbst einen solch umfangreichen eigenen Arbeitseinsatz im Ladenlokal behauptet und er zudem auch für den Einkauf der Waren und alle kaufmännischen Angelegenheiten zuständig war. Entsprechend ist der Antragsteller bei keiner der vier Prüfungen seines Bistros durch das Ordnungsamt, die Polizei oder das HZA dort arbeitend angetroffen worden. Stets bedienten ausschließlich aus Osteuropa stammende, weibliche Angestellte, so am 26.01.2017, einem Donnerstag, um 22:00 Uhr Frau J. U., am 14.07.2017, einem Freitag, um 21:30 Uhr erneut J. U., am 24.09.2018 um 00:45, einem Montag, die Zeugin D. und am 05.04.2019, einem Freitag, um 8:45 Uhr Frau F. M. sowie I. E.. Im Übrigen ist der Antragsteller nach den Angaben seines Bevollmächtigten und den von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen einer als Gast bezeichneten Person sowie des Sohnes des Antragstellers im August 2017 im Heimaturlaub gewesen, hat also in diesem Zeitraum nicht selbst im Bistro bedienen können.

 

b. Auch die auf der Grundlage von § 28f Abs. 2 Satz 3 u. 4 SGB IV durchgeführte Schätzung der Antragsgegnerin begegnet bisher keinen überwiegenden Bedenken (vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015, B 12 R 11/14 R – juris; LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - m.w.N.); dies auch der Höhe nach nicht, nachdem die Antragsgegnerin aufgrund eines Rechenfehlers mit Bescheid vom 30.03.2022 dem Widerspruch teilweise abgeholfen hat. Die vom Antragsteller erhobenen Einwände führen zu keiner anderen Beurteilung.

aa. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Schätzung ist nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zulässig. Nach dieser Vorschrift hat der prüfende Träger der Rentenversicherung, soweit er die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, diese zu schätzen. Wie vorstehend dargelegt, hat der Antragsteller seine Aufzeichnungspflichten verletzt. Die Arbeitnehmerinnen des Antragstellers haben ebenfalls keine Stundenaufzeichnungen erstellt. Ist danach im Einzelfall eine Schätzung zulässig, so ist diese gerichtlich voll überprüfbar, ohne dass dem prüfenden Rentenversicherungsträger ein Ermessen eingeräumt wäre. Bei der Wahl der Schätzmethoden ist der Träger der Rentenversicherung jedoch frei, auch wenn das Ergebnis für den Beitragsschuldner nicht das günstigste ist. Bei der Schätzung ist lediglich von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen auszugehen (LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - juris Rn. 13 m.w.N.). Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Prüfung genügt die Schätzung durch die Antragsgegnerin diesen Maßgaben.

bb. Dies gilt zunächst hinsichtlich der angenommenen Zahl geleisteter Arbeitsstunden.

Die Antragsgegnerin stützt sich insoweit in zulässiger Weise auf die Feststellungen des HZA. Hiergegen bestehen keine durchgreifenden Bedenken (LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - m.w.N.). Das HZA hat der Schätzung des geleisteten Arbeitsvolumens die Öffnungszeiten des Unternehmens des Antragstellers zugrunde gelegt, was i.d.R. schon eine Annahme zu seinen Gunsten ist, weil erfahrungsgemäß in gastronomischen Betrieben Arbeiten auch vor und nach den offiziellen Öffnungszeiten zu leisten sind (LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - m.w.N.). Zudem ist die Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers vom geringst denkbaren Einsatz von Personal ausgegangen, nämlich von einer einzigen Kraft je Öffnungsstunde des Ladenlokals. Weiter hat die Antragsgegnerin bei den Öffnungszeiten diejenigen angesetzt, die vom Antragsteller selbst an der Tür seines Ladenlokals angegeben wurden, nämlich täglich von 9:00 Uhr bis zum nächsten Tag um 8:00 Uhr also 23 Stunden am Tag. Dies erscheint auf den ersten Blick sehr viel. Jedoch kann regelhaft davon ausgegangen werden, dass die dem Publikum gegenüber bekanntgemachten Öffnungszeiten eines Lokals auch diejenigen sind, zu denen ein Betrieb tatsächlich geöffnet ist (LSG NRW, Beschl. v. 10.01.2012 – L 8 R 774/11 B ER -  juris Rn. 32 zu auf Speisekarten angegebenen Öffnungszeiten). Die außergewöhnlich langen und das ganze Jahr umfassenden Öffnungszeiten werden zudem bestätigt durch die Angaben der Zeugin H.. Sie hat gegenüber dem HZA von Acht-Stunden-Schichten berichtet, die sie selbst von 23 Uhr bis 7 Uhr geleistet habe und auch von anderen Angestellten geleistet würden. Diese Angaben der Zeugin decken sich mit denjenigen der K. T. D.. Bei ihrer Vernehmung durch die Polizei im September 2018 hat sie angegeben, vom Antragsteller als Kellnerin in seinem Bistro angeworben worden zu sein. Er habe sich um ein Arbeitsvisum für sie kümmern wollen, dies aber nicht getan. Sie habe im Bistro – bis zu dessen Kontrolle am 24.09.2018 – insgesamt sechs bis sieben Tage gekellnert, einen Tag zwölf, einen weiteren elf und die übrigen Tage je acht Stunden. Auch ihr habe der Antragsteller 5,00 €/Stunde bzw. 1.200,00 €/Monat zahlen wollen. Neben ihr seien drei weitere Damen russischer, serbischer und lettischer Nationalität für den Antragsteller tätig.

Die dem entgegenstehenden Behauptungen des Antragstellers begründen keine ernsthaften Zweifel an den von der Antragsgegnerin der Schätzung zugrunde gelegten Öffnungszeiten und dem Ausmaß des Einsatzes von angestellten Kräften. Soweit der Antragsteller angibt und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft machen will, dass Montag und Dienstag in der Regel Ruhetage gewesen seien, das Bistro fast ausschließlich durch ihn und zumeist nur auf vorherigen (Telefon-)Anruf von Stammgästen geöffnet und regelhaft gegen 23 Uhr wieder geschlossen worden sei, widersprechen die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen diesen Angaben diametral. Das gilt auch für die angeblich vollständige Schließung des Bistros während des Heimaturlaubs des Antragstellers im August 2017. So war bereits nach den eigenen Entgeltunterlagen des Antragstellers im August 2017 zumindest Frau B. N. für ihn tätig. Gegen die vom Antragsteller behaupteten Schließungszeiten des Lokals an nahezu allen Montagen und Dienstagen sprechen weiter die Angaben der Zeuginnen H. und D., die Öffnungszeiten des Bistros in einem Umfang von 23 Stunden sieben Tage die Woche zumindest nahelegen. Zudem war das Bistro bei einer Kontrolle am 24.09.2018, einen Montag, um 00:45 geöffnet, wobei die Zeugin D. bediente. Während der Antragsteller dennoch behauptet, dass das Lokal montags und dienstags nahezu immer geschlossen gewesen sein soll, ist in den von ihm selbst vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seines Sohnes und eines mutmaßlichen (Stamm-)Gastes davon die Rede, dass Sonntag der Ruhetag gewesen sei bzw. Sonntag und Montag die Ruhetage seien. Diese Angaben decken sich nicht mit den Angaben des Antragstellers. Schließlich hat bereits das SG Düsseldorf zutreffend darauf hingewiesen, dass nach den eigenen Entgeltaufzeichnungen des Antragstellers die Mitarbeiterin L. zumindest im März 2017 regelmäßig montags in seinem Betrieb tätig war und die Mitarbeiterin N. dienstags. Auch dem Einwand des Antragstellers, das Bistro sei regelmäßig von 14 bis 16 Uhr geschlossen gewesen, stehen die von ihm selbst gemeldeten Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen C. und N. in diesem (Tages-)Zeitraum entgegen. Soweit der Sohn des Antragstellers, der Antragsteller selbst und der mutmaßliche Gast G. S. regelmäßige Öffnungen des Bistros erst ab 10:00 Uhr bzw. 11:00 Uhr behaupten, widerspricht dies den Angaben der Zeuginnen H. und D. und letztlich auch den Angaben auf dem Türschild. Zudem fanden zwei Kontrollen des Bistros vor diesen angeblich üblichen Öffnungszeiten statt, nämlich am 24.09.2018 um 00:45 und am 05.04.2019 um 8:45 Uhr. Beide Male war das Lokal geöffnet und es wurde bedient. Auch ein Blick auf die Facebookseite „Y.“ spricht zumindest im Mai 2019 für Öffnungszeiten zwischen Mitternacht und 8:00 Uhr morgens sowie die Bedienung durch eine Frau Q. FB.. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte Rückschlüsse aus den Jahren 2018 und 2019 auf die im Jahr 2017 üblichen Öffnungszeiten ablehnt, steht es dem Antragsteller frei, im Hauptsacheverfahren darzulegen und zu belegen, dass die Öffnungszeiten in den zwischen den Beteiligten – noch nicht – strittigen Jahren umfangreicher waren und er wieder mehr Mitarbeiter(innen) sozialversicherungsrechtlich gemeldet hatte. Dem Senat ist davon bisher nichts bekannt. Auffällig ist vielmehr, dass zur Betriebsnummer des Bistros in den Jahren 2012 bis 2016 gemäß einer Abfrage in der Strafakte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf – 120 Js 1447/18 – drei bis fünf Angestellte gemeldet worden waren; davon zunächst – bis 2014 – drei sozialversicherungspflichtig und eine geringfügig Beschäftigte. 2015 und 2016 war dann zumindest noch eine sozialversicherungspflichtige Kraft gemeldet und es gab weitere vier geringfügig Beschäftigte. Ab 2017 will der Antragsteller dann - würde man seinen Meldungen zur Sozialversicherung und seinen eigenen Angaben folgen - überwiegend ohne jedwede Unterstützung das Lokal betrieben haben. Die Angaben der Zeuginnen aus den Jahren 2017 und 2018 sowie die Ergebnisse der vier Kontrollen des Ordnungsamtes, des HZA sowie der Polizei sprechen allerdings dafür, dass sich am Personalbedarf und -einsatz 2017 und auch in den Folgejahren gegenüber den Jahren von 2012 bis 2016 tatsächlich nichts Wesentliches geändert hat. Überdies erachtet der Senat das Betreiben eines Bistros ausweislich der angegebenen Öffnungszeiten 23 Stunden am Tag an allen sieben Tagen in der Woche überwiegend allein durch den Antragsteller als absolut lebensfremd.

Der Senat verweist im Übrigen nach eigener Prüfung ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen des SG Düsseldorf im angefochtenen Beschluss von 30.06.2023 (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Dies gilt u.a. dafür, dass die Antragsgegnerin zulässigerweise statt der mutmaßlich geringeren Lohnzahlungen des Antragstellers die tarifvertraglich geschuldeten Tariflöhne der Schätzung des Nachforderungsbetrags zugrunde gelegt hat. Denn nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsteht ein Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Ob der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt tatsächlich zahlt, ist unerheblich. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht – anders als das Steuerrecht – nicht dem Zufluss-​, sondern dem Entstehungsprinzip (BSG, Urt. v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-​2400 § 43a Nr. 5, Urt. v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-​2400 § 14 Nr. 7; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschl. v. 11.9.2008, 1 BvR 2007/05, SozR 4-​2400 § 22 Nr. 3).

c. Die von der Antragsgegnerin herangezogene Rechtsgrundlage des § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV trägt auch die Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 SGB IV (LSG NRW, Beschl. v. 18.08.2017 - L 8 R 143/16 B ER - m.w.N.). Bedenken gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen in Grund und Höhe bestehen im vorliegenden Fall gegenwärtig nicht. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin, Säumniszuschläge festzusetzen, folgt aus § 24 Abs. 1 SGB IV. Für eine unverschuldete Nichtentrichtung der Beiträge durch den Antragsteller nach § 24 Abs. 2 SGB IV bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr zeigen die in der Vergangenheit durch ihn zumindest teilweise erfolgten Anmeldungen der Mitarbeiterinnen zur Sozialversicherung, dass dem Antragsteller sowohl die Pflicht zur Anmeldung als auch das Prozedere bekannt sind. Dieser Umstand sowie die bisherigen Ermittlungsergebnisse sprechen dafür, dass die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen absichtlich, zumindest aber bedingt vorsätzlich erfolgt ist.

4. Dass die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 07.07.2021 für den Antragsteller eine besondere Härte bedeuten würde, ist nicht ersichtlich. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für ihn verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner gelingt darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder die Zerschlagung seines Geschäftsbetriebes zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zurzeit (LSG NRW, Beschl. v. 07.03.2019 - L 8 BA 75/18 B ER - juris Rn. 16). Solches hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr hat er bis auf die Vorlage eines Kontoauszugs auch im Beschwerdeverfahren seine Vermögensverhältnisse überhaupt nicht weiter glaubhaft gemacht oder gar belegt. Der Antragsteller hält überdies eine eigene eidesstattliche Versicherung für weniger gehaltvoll als eine solche durch Dritte. Insoweit hat er eine Versicherung seiner Steuerberaterin vorgelegt, die sich ihrerseits im Wesentlichen darauf stützt, dass der Antragsteller der Steuerberaterin gegenüber versichert habe, über keine Vermögenswerte zu verfügen. Worin hierbei allerdings der Mehrwert gegenüber einer eigenen Eidesstattlichen Versicherung liegen soll, ist für den Senat auch im Ansatz nicht ersichtlich. Schließlich legt das Vorbringen des Antragstellers – selbst wenn man es als wahr unterstellen könnte und müsste – nahe, dass die Durchsetzung der Beitragsforderung bei weiterem Zuwarten nicht besser oder zumindest im gleichen Maße sichergestellt wäre wie einer unmittelbare Durchsetzung. Dass der Betrieb des Antragstellers offenbar bei Abführung der gesetzlich geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge sich nicht trägt, rechtfertigt ebenfalls keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klageerhebung.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind in beiden Rechtszügen weder erstattungsfähig noch ist diese mit Kosten zu belasten, weil sie in beiden Rechtszügen keinen eigenen Antrag gestellt hat (vgl. § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Insoweit konnte deshalb die erstinstanzliche Kostenentscheidung keinen Bestand haben.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz. Dieser beläuft sich im Eilverfahren, das noch nicht auf eine endgültige Regelung des Rechtsstreits abzielt, auf ¼ des insgesamt strittigen Nachforderungsbetrags von 18.273,66 €, also 4.559,44€

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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