L 12 SF 153/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 56 SF 89/23 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 SF 153/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG kommt nur in Betracht, wenn das Verfahren vollständig auch hinsichtlich der Kosten erledigt ist. Nicht jegliche Kostenentscheidung nach im Übrigen vollständiger Erledigung führt zur Nichtanwendung einer Gebührenermäßigung. Bei Klagerücknahme ist grundsätzlich von Gebührenermäßigung auszugehen. Eine Entscheidung über die Tragung der Kosten des Beigeladenen führt nicht zu einem Ausschluss einer Gebührenermäßigung.

 

I. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 12. September 2023, S 56 SF 89/23 E, aufgehoben.

II. Die Gerichtskostenfeststellung vom 31.01.2023 wird abgeändert. Die von der Beschwerdeführerin zu zahlenden Gerichtskosten für das Verfahren S 38 KA 121/21 werden auf 382,- € festgesetzt.


G r ü n d e :

I.

Streitig ist eine Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 des Kostenverzeichnisses der Anlage I zum Gerichtskostengesetz (KV GKG) im Rahmen der Gerichtskostenfeststellung für das Verfahren S 38 KA 121/21.

Gegenstand des beim Sozialgericht München (SG) gegen eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses Ärzte Bayern geführten Klageverfahrens waren Arzneimittelverordnungen. Die Klägerin, Erinnerungs- und Beschwerdeführerin (Bf), eine Krankenkasse, nahm ihre Klage nach Ladung zur mündlichen Verhandlung zurück. Das SG hatte neben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns die anwaltlich vertretene verordnende Vertragsärztin zum Verfahren beigeladen.

Im Rahmen der Anhörung zur Kostenentscheidung beantragte der Beklagte, sämtliche Kosten der Bf aufzuerlegen. Für die beigeladene Vertragsärztin wurde beantragt, der Bf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens aufzuerlegen und die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die Bf teilte mit, sie stelle die Kostenentscheidung in das Ermessen des Gerichts.

Mit Beschluss vom 30.08.2022 wurden der Bf die Kosten des Verfahrens (Ziffer I) sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen einschließlich der notwendigen Kosten des Vorverfahrens (Ziffer II) auferlegt. Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen wurde für notwendig erklärt (Ziffer III des Beschlusses). Zur Begründung von Ziffer I verwies das SG auf §§ 197a Abs.1 S.1 SGG i.V.m. 155 Abs.2 VwGO. Zu Ziffern II und III ist ausgeführt, es entspreche der Billigkeit, der Bf die Kosten aufzuerlegen, denn die beigeladene Vertragsärztin habe durch ihren Prozessbevollmächtigten das Verfahren wesentlich gefördert, indem nicht nur auf die Argumentation des Beklagten Bezug genommen, sondern auch eine eigene Begründung abgegeben worden sei. Es entspreche auch der Billigkeit, die Hinzuziehung bereits im Vorverfahren als notwendig anzusehen, zumal das erfolgreiche Betreiben des Verfahrens durch die Bf der Beigeladenen erhebliche finanzielle Belastungen zugefügt hätte.

Mit Gerichtskostenfeststellung vom 31.01.2023 wurden Gerichtskosten nach Nr. 7110 KV GKG in Höhe von 1.146,00 € festgesetzt.

Hiergegen hat die Bf am 06.03.3023 beim SG Erinnerung eingelegt. Die Klage sei zurückgenommen worden, es habe weder ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, noch sei ein Urteil abgesetzt worden. Demnach komme nach dem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17.04.2012, L 12 SF 268/11 B E, eine Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 Ziffer 1 KV GKG zur Anwendung. Der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 08.01.2016, L 15 SF 37/12 B, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Jedenfalls sei auf die Divergenz der Entscheidungen des 12. und des 15. Senates und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage hinzuweisen.

Die Klage sei im Übrigen versehentlich erhoben worden, eine Grundsatzfrage sei in diesem Verfahren nicht streitgegenständlich gewesen. In einem Telefonat mit dem Vorsitzenden der 38. Kammer habe die Bf zu erkennen gegeben, dass ihr bewusst sei, dass sie auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen und dagegen keine Einwände habe. Daher habe sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme die Kostenentscheidung in das Ermessen des Gerichts gestellt. Es habe zu keiner Zeit Dissens über die Verpflichtung zur Kostentragung bestanden. Im Übrigen seien in sieben von neun versehentlich erhobenen Klagen die nicht verbrauchten Gerichtskosten gutgeschrieben worden.

Das SG hat mit Beschluss vom am 12.09.2023 die Erinnerung zurückgewiesen. In der Gerichtskostenfeststellung vom 31.01.2023 sei zu Recht eine Gebühr nach Nr. 7110 KV GKG in Ansatz gebracht worden. Die Voraussetzungen der Nr. 7111 KV GKG seien nicht erfüllt.

Vorliegend stehe der Erlass einer streitigen Kostenentscheidung nach inhaltlicher Prüfung durch das Gericht einer Ermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG entgegen. Denn nur bei einer vollständigen Erledigung aller Streitpunkte des Rechtsstreits werde das gesetzgeberische Ziel einer Entlastung der Justiz nachhaltig erreicht. Liege demgegenüber eine "echte" Kostengrundentscheidung in dem Sinn vor, dass die Entscheidung nur nach einem erneuten Blick in die Akten getroffen werden könne, könne der im Zusammenhang mit dieser Entscheidung anfallende Aufwand für das entscheidende Gericht erheblich bis nahezu genauso umfangreich werden wie im Fall eines Urteils und stehe daher einer Gebührenermäßigung entgegen.

Vorliegend sei eine "echte" Kostengrundentscheidung zu treffen gewesen. Der Beschluss vom 30.08.2022 erschöpfe sich nicht in der Wiederholung einer durch das Gesetz vorgegebenen Kostenfolge und gebe auch nicht eine mitgeteilte Kostenfolge wieder. Zwar entspreche Ziffer I des Beschlusses, mit der die Kosten des Verfahrens der Bf auferlegt worden seien, der gesetzlichen Vorgabe der §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 155 Abs. 2 VwGO. Etwas anderes gelte jedoch für Ziffer II des Beschlusses, mit der der Bf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt worden seien. Diese Kostenfolge beruhe nicht auf einer gesetzlichen Regelung. Vielmehr sei insofern gemäß §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 162 Abs. 3 VwGO eine Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Kosten zu treffen gewesen, bei der das Gericht nicht nur eine von der Bf mitgeteilte Kostenfolge aufgreifen, sondern inhaltliche Prüfungen anstellen habe müssen. Es habe ausführlich begründet, weshalb es im vorliegenden Fall der Billigkeit entspreche, dass die Bf die Kosten der Beigeladenen trage, und sich hierbei mit dem Inhalt der Akten auseinandergesetzt. Das Gericht habe nicht davon ausgehen können, dass die Bf bereit sei, die Kosten der Beigeladenen zu übernehmen. Im Übrigen verkenne die Bf, dass alleine der Umstand, dass sie keine Einwände gegen eine bestimmte Entscheidung habe, nicht mit einem Einverständnis gleichzusetzen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Bf dem Gericht mitgeteilt habe, die Entscheidung über die Kosten werde in das Ermessen des Gerichts gestellt. Diese Formulierung beinhalte gerade nicht die Erklärung, dass sie die Kosten der Beigeladenen übernehme. Selbst wenn die Bf in einem Telefonat mit dem Vorsitzenden der 38. Kammer ein Einverständnis mit der Auferlegung der Kosten der Beigeladenen erklärt hätte, wäre diese Erklärung mit dem Schreiben vom 26.07.2022 als hinfällig anzusehen.

Die Bf könne auch nicht darauf verweisen, dass die Klage nur versehentlich erhoben worden sei und dies für Kostenbeamte und Kostenrichter erkennbar sei. Hierauf komme es nicht an. Sie könne auch nicht darauf verweisen, dass das Vorgehen der einzelnen Kammervorsitzenden bei Eingang von Klagerücknahmen unterschiedlich sei. Sie habe unabhängig vom jeweiligen Verfahrensablauf zur Vermeidung einer "echten" Kostengrundentscheidung die Möglichkeit, ein Anerkenntnis dahin abzugeben, dass sie die Kosten der Beigeladenen trage. Diese Erklärung könne nach Aufforderung zur Stellungnahme oder direkt mit der Erklärung der Klagerücknahme erfolgen. Im Fall eines solchen Anerkenntnisses erschöpfe sich der Kostenbeschluss, sofern er überhaupt noch für erforderlich erachtet werde, in der Wiedergabe der von der Bf mitgeteilten Kostenfolge.

Gegen den Beschluss des SG vom 12.09.2023 hat die Bf mit Schriftsatz vom 29.09.2023 Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Sie hat darauf hingewiesen, Aufhänger für den Rechtsstreit sei eine Grundsatzfrage aus dem Kassenarztrecht. Zu dieser seien bayernweit eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten bei den verschiedenen Kammern anhängig. Entsprechende Musterverfahren seien inzwischen beim Bayerischen Landessozialgericht anhängig. Die übrigen Verfahren ruhten. Wohl wegen der Vielzahl der Verfahren habe eine Dienststelle der Bf versehentlich in neun Verfahren Klage erhoben, obwohl die dortige Entscheidung des Beschwerdeausschusses rechtmäßig gewesen sei. Als der Fehler bemerkt worden sei, seien diese Klagen zurückgenommen worden. In sieben Verfahren seien der Bf die nicht verbrauchten Gerichtskosten gutgeschrieben worden.

Das SG gehe zu Unrecht davon aus, dass eine streitige Kostenentscheidung ergangen sei. Die Bf habe die Klage zurückgenommen - mit der Kostenfolge nach §§ 197a SGG, 155 Abs. 2 VwGO. Unstreitig gehörten zu den Kosten des Verfahrens auch diejenigen des Prozessbevollmächtigten des beigeladenen Arztes. Das Hauptsachegericht habe sich auch nicht mit dem Inhalt der Akten auseinandersetzen müssen, da zum einen aufgrund der Klagerücknahme bereits die hierfür vorgesehene Kostenfolge eintrete und im Übrigen die Bf klargestellt habe, dass sie mit jedweder Kostenentscheidung, d. h. auch einer vollumfänglichen Kostenlast, einverstanden sei. Eine Auseinandersetzung mit dem originären Streitstoff habe sich erübrigt.

Es könne dem SG auch dahingehend nicht gefolgt werden, dass es einen Unterschied mache, ob gegen eine beabsichtigte Entscheidung keine Einwände erhoben würden oder mit einer beabsichtigten Entscheidung Einverständnis bestehe. Die Bf habe auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass noch nicht alle rechtlichen Streitpunkte in Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand geklärt seien.

Die Bf hat erneut auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17.04.2012, L 12 SF 268/11 B E, hingewiesen. Auch hieraus folge, dass es nicht darauf ankomme, ob im Verfahren Beigeladene beteiligt seien, wie dies in der überwiegenden Anzahl der vertragsarztrechtlichen Streitigkeiten der Fall sei. In der vom Bg zitierten Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 08.01.2016, L 15 SF 37/12 B, werde auf die Grundsatzentscheidung vom 04.01.2016, L 15 SF 171/13 E, verwiesen. In dieser sei herausgearbeitet worden, dass die Gebührenermäßigung nur dann eintreten könne, wenn das Verfahren und die Kostenfrage in einer die Gerichte entlastenden Weise erledigt würden. Das dort konstatierte Absehen von Gebührenermäßigungen in denjenigen Fällen, in denen das Gericht gleichsam einer Urteilsbegründung in die Sache einsteigen müsse, sei auch für die Bf nachvollziehbar. Anders verhalte es sich im vorliegenden Fall, wo die Kostenfrage zu keiner Zeit in Streit gestanden und sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Streitstoff erübrigt habe. Auch der Begründung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz sei, worauf im Grundsatzbeschluss vom 04.01.2016, L 15 SF171/13 E, hingewiesen werde, zu entnehmen, dass aus Sicht des Gesetzgebers der Aufwand, der eine volle Kostenlast begründen würde, entfalle, wenn eine Partei die Bereitschaft zur Kostenübernahme erkläre. Auch habe es ein Kläger nicht in der Hand, ob eine Kostenentscheidung beantragt werde oder in welcher sprachlichen Form das Gericht zur Kostenfrage auf den Kläger zugehe.

In der ganz überwiegenden Anzahl der vertragsarztrechtlichen Streitigkeiten seien Beigeladene beteiligt. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung komme es auch regelmäßig zu Musterverfahren. Es handle sich um Klagen zur Fristwahrung, die für den Fall des für den Kläger negativen Ausganges des Musterverfahrens allesamt zurückgenommen würden. Obwohl in allen Verfahren Beigeladene beteiligt seien, würden nach Erfahrung der Bf die nicht verbrauchten Gerichtskosten von Amts wegen den Klägern gutgeschrieben und erstattet - wie in den Parallelfällen zum streitgegenständlichen Fall geschehen. Das gesetzgeberische Ziel einer Entlastung der Justiz würde unterlaufen, wenn die Kläger in Rechtsstreitigkeiten mit Beteiligung von Beigeladene künftig von einer Klagerücknahme absehen würden, wenn sie die volle Kostenlast zu tragen hätten.

Der Senat hat neben den Akten des Beschwerdeverfahrens auch die des Erinnerungs- und Klageverfahrens beim SG beigezogen.

II.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der von der Bf angegriffene Beschluss des SG vom 12.09.2023, mit dem das SG die Erinnerung gegen die Gerichtskostenfeststellung vom 31.01.2023 in dem Verfahren S 38 KA 121/21 zurückgewiesen hat.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde das Verfahren dem Senat übertragen, § 66 Abs. 6 S. 2 GKG.

Die gemäß § 66 Abs. 2 S.1 GKG zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat die Erinnerung gegen die Gerichtskostenfeststellung vom 31.01.2023 zu Unrecht zurückgewiesen.

Streitig ist ausschließlich die Frage, ob der Erhebung der Gerichtskosten der Ermäßigungstatbestand nach Nr. 7111 KV GKG zugrunde zu legen ist. Im Übrigen ist die angefochtene Gerichtskostenfeststellung weder angegriffen worden, noch ist sie zu beanstanden.

Die Voraussetzungen einer Ermäßigung des Satzes der Gebühr nach § 34 GKG vom 3,0-Fachen für das Verfahren im Allgemeinen (Nr. 7110 KV GKG) auf das 1,0-Fache sind in Nr. 7111 KV GKG wie folgt geregelt:

"Beendigung des gesamten Verfahrens durch
1. Zurücknahme der Klage
a) vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung oder,
b) wenn eine solche nicht stattfindet, vor Ablauf des Tages, an dem das Urteil oder der Gerichtsbescheid der Geschäftsstelle übermittelt wird,
2. Anerkenntnisurteil,
3. gerichtlichen Vergleich oder angenommenes Anerkenntnis oder
4. Erledigungserklärungen nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 161 Abs. 2 VwGO, wenn keine Entscheidung über die Kosten ergeht oder die Entscheidung einer zuvor mitgeteilten Einigung der Beteiligten über die Kostentragung oder der Kostenübernahmeerklärung eines Beteiligten folgt,
es sei denn, dass bereits ein Urteil oder ein Gerichtsbescheid vorausgegangen ist."

1.) Entgegen der Rechtsansicht der Bf, die sich auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 04.04.2012, L 12 SF 268/11 stützt, setzt die Ermäßigung der Gebühr nach Nr. 7111 KV GKG neben der Erledigung in der Hauptsache weiter voraus, dass das Verfahren auch hinsichtlich der Kosten beendet ist. Nach der zitierten Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts ergebe sich aus dem Wortlaut und der systematischen Auslegung der Regelung, dass bezüglich der Alternativen 1 bis 3 der Bestimmung (Klagerücknahme, Anerkenntnisurteil, gerichtlicher Vergleich oder angenommenes Anerkenntnis) für die Gebührenermäßigung das Vorliegen eines Beendigungstatbestandes ausreiche und nur bei der Alternative 4 (übereinstimmende Erledigungserklärung) zusätzliche Voraussetzung sei, dass keine Entscheidung über die Kosten erfolgen müsse.

Der nunmehr zuständige Kostensenat folgt diesbezüglich der Rechtsprechung insbesondere auch des 15. Senats des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 04.01.2016, L 15 SF 171/13 E), nach der nach dem Wortlaut und Willen des Gesetzgebers, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt, eine Gebührenermäßigung nur dann in Betracht kommt, wenn das Verfahren vollständig auch hinsichtlich der Kosten erledigt ist. Denn nur bei einer vollständigen Erledigung aller Streitpunkte des Rechtsstreits wird das gesetzgeberische Ziel einer Entlastung der Justiz (vgl. Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz (KostRÄndG) 1994, Bundestags-Drucksache 12/662, S. 69) nachhaltig erreicht. Ein Entlastungseffekt tritt hingegen nur eingeschränkt ein, wenn sich das Gericht noch im Rahmen der Kostenentscheidung inhaltlich mit der Sache befassen muss.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Nr. 7111 KV GKG, die eine Beendigung des "gesamten" Verfahrens voraussetzt und damit eine Beendigung auch im Kostenpunkt erforderlich macht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nur unter Nr. 7111 Nr. 4 KV GKG das Erfordernis genannt wird, dass keine (streitige) Entscheidung über die Kosten zu ergehen habe. Denn dieser Zusatz hat lediglich klarstellenden Charakter, begründet aber kein zusätzliches, nicht bereits in Nr. 7111 KV GKG enthaltenes Tatbestandsmerkmal (vgl. BayLSG, Beschluss vom 04.01.2016, L 15 SF 171/13 E, m.w.N.).

Dies ergibt sich weiter aus der Gesetzesbegründung zur Neuregelung der Nrn. 7110, 7111 KV GKG, die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 05.05.2004 erfolgt ist. Dort ist ausgeführt, dass das durch Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 für Prozessverfahren erster Instanz in Zivilsachen ohne Familiensachen eingeführte Pauschalgebührensystem aufgrund der positiven Erfahrungen auf alle Rechtszüge und die Verfahren aller Gerichtsbarkeiten ausgedehnt werden solle. Das gesamte Verfahren werde durch eine pauschale Verfahrensgebühr abgegolten. Eine Ermäßigung der pauschalen Verfahrensgebühr trete nur ein, wenn das gesamte Verfahren durch Klagerücknahme, Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil oder durch Vergleich ende (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 141 f.). Zu Nrn. 7110, 7111 KV GKG ist ausgeführt, im Falle einer Rücknahme solle künftig immer eine Gebühr mit einem Gebührensatz von 1,0 anfallen. Werde das Verfahren für erledigt erklärt oder das Anerkenntnis angenommen, § 101 Abs. 2 SGG, und müsse noch über die Kosten nach dem Sach- und Streitstand entschieden werden, solle künftig die volle Verfahrensgebühr (3,0) aus dem Hauptsachestreitwert anfallen. Werde eine Kostenentscheidung des Gerichts zum Beispiel durch einen Kostenvergleich entbehrlich, würde die Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG greifen und somit lediglich eine Gebühr von 1,0 anfallen (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 173).

2.) Es führt aber nicht jegliche Kostenentscheidung nach im Übrigen vollständiger Erledigung zur Nichtanwendung einer Gebührenermäßigung. Dies ergibt sich bereits daraus, dass gemäß §§ 197a Abs. 1 S.1 SGG i.V.m. 161 Abs.1 VwGO grundsätzlich ein Beschluss über die Kosten zu erfolgen hat. Wie sich aus der Gesetzesbegründung zum KostRMoG (vgl. a.a.O., S. 159 f. zu Nr. 1211 KV GKG) ergibt, kommt eine Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG trotz Erforderlichkeit noch eines Kostenbeschlusses grundsätzlich dann zur Anwendung, wenn das Gericht keine Kostenentscheidung nach inhaltlicher Prüfung und Einsichtnahme in die Akten treffen muss. So führt ein Kostenbeschluss, der lediglich den Inhalt eines Kostenvergleichs oder einer Kostenübernahmeerklärung eines Beteiligten wiedergibt, zu einer Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG. Dies gilt auch dann, wenn sich die Kostenfolge allein aus der gesetzlichen Regelung zum entsprechenden Beendigungstatbestand ergibt, wenn also eine Kostenentscheidung nur den Wortlaut des Gesetzestextes wiederholt, ohne dass es zur Kostenentscheidung noch eines Blicks in die Akten des erledigten Verfahrens bedarf (vgl. BayLSG, Beschluss vom 04.01.2016, L 15 SF 171/13 E, das insofern von einer "unechten Kostenentscheidung" ausgeht).

Dahingegen führt die Erforderlichkeit einer Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sachstandes wegen des damit verbundenen erhöhten richterlichen Aufwandes zu einem Ausschluss der Gebührenermäßigung. Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang aber die tatsächliche Inanspruchnahme oder Schwierigkeit der Kostenentscheidung bzw. der tatsächliche richterliche Aufwand im Einzelfall. Insofern kommt es auch auf Erklärungen des Hauptsachrichters hierzu im Kostenverfahren nicht an.

Nach allem ist in den Fällen eines angenommenen Anerkenntnisses (Nr. 7111, Ziffer 3), eines gerichtlichen Vergleichs (Nr. 7111, Ziffer 3) und einer übereinstimmenden Erledigungserklärung (Nr. 7111, Ziffer 4) nur dann von einer Gebührenermäßigung auszugehen, wenn sich die Beteiligten aktenkundig über die Kostentragung geeinigt haben bzw. ein Beteiligter erklärt hat, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen. Im Falle einer Erledigung durch Vergleich kommt zusätzlich eine Gebührenermäßigung in Betracht, wenn eine Kostenentscheidung gemäß §§ 197a Abs. 1 SGG i.V.m. 160 VwGO, nach dem bei Erledigung durch Vergleich die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last fallen, wenn die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen haben, ergeht. Ist hingegen eine Kostenentscheidung nach dem Sach- und Streitstand zu treffen, die eine Auseinandersetzung mit dem Streitstoff und den Erfolgsaussichten der Prozessparteien erforderlich macht, ist eine Gebührenermäßigung ausgeschlossen.

Bei Klagerücknahme ist dahingegen - wie auch in der Gesetzesbegründung ausgeführt - grundsätzlich von einer Gebührenermäßigung auszugehen. Dies ergibt sich bereits aus §§ 197a Abs. 1 S.1 SGG i.V.m. 155 Abs.2 VwGO. Danach hat die Kosten zu tragen, wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt. § 155 Abs. 2 VwGO schließt die Anwendung von § 161 VwGO aus. Dies ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S. SGG, nach dem bei Klagerücknahme § 161 Abs. 2 VwGO keine Anwendung findet.

Nach dem Ausgeführten sind vorliegend die Voraussetzungen einer Gebührenermäßigung gegeben. Nach der Verfügung des Vorsitzenden der 38. Kammer vom 09.06.2022 ist das Verfahren durch Klagerücknahme erledigt worden. Mit Beschluss vom 30.08.2022 hat das Hauptsachegericht die Kosten des Verfahrens der Bf auferlegt und die Entscheidung auf § 155 Abs. 2 VwGO gestützt. Eine Kostenübernahmeerklärung der Bf war in diesem Zusammenhang nicht erforderlich und mit dem Vorliegen einer solchen hat das Gericht der Hauptsache auch seine Kostenentscheidung nicht begründet.

3.) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Hauptsachegericht in Ziffer II des Kostenbeschlusses vom 30.08.2022 die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Vertragsärztin einschließlich der Kosten des Vorverfahrens der Bf auferlegt hat.

Anders als das SG in dem vorliegend angegriffenen Beschluss vom 12.09.2023 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 08.12.2016, L 15 SF 37/12 B) ausführt, kommt der nunmehr zuständige Kostensenat zu dem Ergebnis, dass das Ergehen einer Entscheidung über die Tragung der Kosten des Beigeladenen grundsätzlich nicht zu einem Ausschluss einer Gebührenermäßigung nach Nr. 7111 KV GKG führt. Denn in diesem Zusammenhang wird nicht nach Auseinandersetzung mit dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung und insbesondere den Erfolgsaussichten der Verfahrensbeteiligten nach billigen Ermessen entschieden, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Vielmehr betrifft die Entscheidung alleine die Frage, ob die Kosten eines Beigeladenen erstattungsfähig sind oder nicht. Eine richterliche Prüfung des Streitstoffes und eine Entscheidung, die bezüglich ihres Aufwandes einem Urteil entsprechen könnte, sind damit keinesfalls verbunden. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht eine Erstattungsfähigkeit bejaht oder verneint und die von Amts wegen zu treffende Kostenentscheidung dementsprechend einen ausdrücklichen Ausspruch und eine Begründung enthält oder nicht.

§ 162 VwGO regelt, was erstattungsfähige Kosten sind. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind Kosten die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Nach § 162 Abs. 3 VwGO sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. In § 162 VwGO ist also geregelt, was zu den Kosten des Verfahrens gehört und welche Entscheidungen des Gerichts in diesem Zusammenhang zusätzlich erforderlich sind. Auch in gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG sind danach Rechtsanwaltskosten - soweit sie notwendig waren - stets erstattungsfähig. Es muss aber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren gem. §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO gesondert durch das Gericht festgestellt werden.

Sind Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen worden, muss das Gericht von Amts wegen in der Entscheidung über die Kosten nach § 161 Abs. 1 VwGO auch über die Erstattung der Kosten des Beigeladenen entscheiden. § 162 Abs. 3 VwGO stellt nicht diese Entscheidungspflicht, sondern nur das "Ob" und den Umfang der Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in das Ermessen des Gerichts (vgl. Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK - SGG, 2. Auflage, § 197a, Stand 15.06.2022, Rn. 134).

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur dann erstattungsfähig, wenn ein ausdrücklicher Ausspruch durch das Gericht erfolgt ist. Eine Erstattungsfähigkeit setzt voraus, dass eine Auferlegung der Kosten des Beigeladenen der Billigkeit entspricht. Geht der Beigeladene durch Antragstellung ein Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs.3 VwGO) ein, entspricht es in der Regel der Billigkeit, die Erstattungsfähigkeit seiner Aufwendungen auszusprechen (vgl. BSG, Urteil vom 17.01.2019, 6 B 137/18; vom 20.03.2006, 6 B 81/05). Gleiches gilt, wenn der Beigeladene das Verfahren in besonderer Weise gefördert hat. Das Gericht kann die Kosten des Beigeladenen dem unterliegenden Beteiligten oder - z.B. bei fehlerhafter Beiladung - der Staatskasse auferlegen. Unterliegende Partei im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO ist in der Regel der Beteiligte, der nach der im Verfahren getroffenen Kostenentscheidung auch ansonsten die Kosten zu tragen hat.

Bei der Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Kosten von Beigeladenen handelt es sich gerade nicht um eine Kostenentscheidung, für die nach billigem Ermessen der Sach- und Streitstand bzw. die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu prüfen wären. Auch wenn es sich - worauf in der zitierten Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 08.12.2016, L 15 SF 37/12 B) abgestellt wird - um eine Ermessensentscheidung handelt, die nicht allein auf der Grundlage der zur Verfahrensbeendigung führenden Erklärung der Rücknahme und einer vom Gesetzgeber daran geknüpften kostenrechtlichen Konsequenz getroffen werden kann, ist hier im Rahmen des Ermessens lediglich das Kostenrisiko, das ein Beigeladener eingegangen ist, indem er Anträge gestellt hat, und dessen Beitrag zur Förderung des Verfahrens zu prüfen. Die Prüfung betrifft damit ausschließlich das Verhalten der Beigeladenen im Verfahren.   

Vorliegend hatte das Gericht der Hauptsache bereits in Ziffer I seines Kostenbeschlusses geregelt, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat und diese der Bf auferlegt. Die Frage, ob der beigeladenen Vertragsärztin Kosten zu erstatten sind, war ausschließlich eine Frage der Billigkeit. Das Gericht der Hauptsache hat die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beilgeladenen aus Gründen der Billigkeit bejaht und folgend der Grundentscheidung in Ziffer I diese der Bf auferlegt (Ziffer II des Kostenbeschlusses).

Soweit das SG in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss vom 12.09.2023 insoweit ausführt, dass die Bf durch eine Kostenübernahmeerklärung bezüglich der Kosten der beigeladenen Vertragsärztin eine Kostenentscheidung durch das Gericht hätte entbehrlich machen und somit eine Gebührenermäßigung hätte herbeiführen können, ist dies nicht richtig. Denn die Entscheidung des Gerichts, dass die Kosten der Beigeladenen zu erstatten sind, beruht ausschließlich auf der Prüfung, ob Kosten der Beigeladenen aus Gründen der Billigkeit - insbesondere wegen des Eingehens eines eigenen Kostenrisikos - erstattungsfähig sind. Ob eine Bereitschaft zur Übernahme der Kosten durch die unterliegende Partei besteht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Selbst bei Vorliegen einer Erklärung, die Kosten zu übernehmen, wird daher eine gerichtliche Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen nicht entbehrlich.

Zu Recht weist die Bf im Übrigen darauf hin, dass auch im Ergebnis das Ziel des Gesetzgebers, eine Arbeitserleichterung der Gerichte bei einer Klagerücknahme mit einer Gebührenermäßigung "zu belohnen" nicht dadurch konterkariert werden darf, dass soweit Entscheidungen über die Erstattung von Kosten von Beigeladenen bzw. zu den Kosten des Vorverfahrens von Amts wegen oder auf Antrag zu treffen sind, eine Gebührenermäßigung niemals möglich wäre. Gerade auch im Hinblick auf die Gesetzesbegründung zur Neuregelung der Nrn. 7110 und 7111 KV GKG wäre es nicht hinzunehmen, dass es in Verfahren mit Beigeladenen im Fall der Klagerücknahme - wie hier - regelmäßig nicht zu einer Gebührenermäßigung gemäß Nr. 7111 KV GKG kommen könnte, auch wenn der ein Verfahren betreibende Beteiligte alles Erforderliche getan hat, um das gesamte Verfahren zur Erledigung zu bringen.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 66 Abs.3 Satz 3 GKG).

Sie ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).

 

Rechtskraft
Aus
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