L 15 U 511/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 354/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 511/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.08.2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nrn. 4301 oder 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war seit 1973 in unterschiedlichen Bereichen beruflich tätig. Von 1981 bis 1983 sowie von 1985 bis 1990 war er bei der Firma R., F., von 2006 bis 2009 als Leiharbeiter bei der I. GmbH, F., und von 2010 bis 2012 als Leiharbeiter bei der K. GmbH, M., sowie parallel auf Minijob-Basis bei der J. GmbH & Co. KG, F.-H., beschäftigt. Der Kläger war dort unter anderem mit Leiterplattenproduktion und -reparatur, Lötarbeiten, Prüf- und Kontrollaufgaben sowie Hilfstätigkeiten in der Produktion betraut. Seit Juli 2013 bezieht der Kläger eine Erwerbsminderungsrente.

 

Seit dem 07.07.2015 sind ein Grad der Behinderung von 80 und die Voraussetzungen des Merkzeichens G anerkannt. Der Kläger leidet unter anderem an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung.

 

Unter dem 14.10.2015 meldete der Kläger der Beklagten Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit. Seine Erkrankung habe er erstmals im Jahr 2007 bemerkt. Er sei mit dem Flussmittel P 880 Circuit Chemical in Kontakt gekommen und habe dabei keinen Atemschutz getragen. Von 1981 bis 2007 habe er täglich zwanzig Zigaretten geraucht. 

 

Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren zu den Berufskrankheiten nach Nrn. 4301 und 4302 der Anlage 1 zur BKV (BK 4301 und 4302) ein. Sie zog unter anderem Befundberichte der behandelnden Ärzte, Entlassungsberichte von Kliniken nach stationärer Behandlung, Stellungnahmen der Arbeitgeber des Klägers und eine Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 13.04.2016 bei. Danach war der Kläger bei den Firmen I. und K. Expositionen im Sinne der BK 4301 ausgesetzt. Aufgrund der Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeiten, des zeitlichen Umfangs und der geringfügigen Verbrauchsmengen sei jedoch nicht von einer gefährdenden Tätigkeit im Sinne der BK 4302 auszugehen. Darüber hinaus holte die Beklagte ein Sachverständigengutachten der B. des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der V., S., ein. Diese untersuchte den Kläger am 27.10.2016 und 19.01.2017 und gelangte zu der Einschätzung, dass zur endgültigen Beurteilung weitere Epikutantestungen mit den gängigen Stoffen des Arbeitsplatzes durchzuführen seien. Nach anschließender beratungsärztlicher Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Innere Medizin P. vom 27.06.2017 war das Vorliegen einer BK 4302 unwahrscheinlich. Die Arbeitsplatzgrenz­werte seien für die aufgeführten Stoffe mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr deutlich unterschritten worden. Eine BK 4301 könne derzeit nicht ausgeschlossen werden.

 

Mit Bescheid vom 25.07.2017 lehnte die Beklagte sowohl die Anerkennung einer BK 4301 und einer BK 4302 als auch Ansprüche auf Leistungen ab. Für die Zeit vom 09.10.2006 bis zum 15.01.2008 und vom 16.01.2008 bis zum 15.04.2009 sei ein Kontakt mit den Arbeitsstoffen Lot SDB SN 100C-SNCU 0,7 Ni, Lot SDB SN60 Bb 38 CU2, Flussmittelentferner LR und P880 Flussmittel festgestellt worden. Es gebe keine Hinweise auf eine gesicherte Allergie auf potentiell am Arbeitsplatz auftauchende gefährdende Stoffe, die im Zusammenhang mit einer BK 4301 stehen könnten. Eine BK 4302 komme nicht in Betracht, da aufgrund der Arbeitsver­fahren und der Art der Tätigkeiten sowie aufgrund des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten und der geringfügigen Verbrauchsmengen die Arbeitsplatzgrenzwerte sicher weit unterschrit­ten worden seien. Hier reichten die vom Technischen Aufsichtsdienst ermittelten gering­fügigen Werte nicht aus, eine entsprechende Erkrankung auszulösen. Darüber hinaus bestehe bei dem Kläger seit Jahren eine COPD aufgrund erhöhten Nikotinabusus‘, wel­che in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehe. Eine Verschlimmerung dieses berufsunabhängigen Leidens habe durch die geringen Einwirkungen am Arbeits­platz nicht nachgewiesen werden können.

 

Der Kläger erhob am 09.08.2017 Widerspruch und machte geltend, dass die von der Sachverständigen S. als erforderlich erachteten weiteren Untersuchungen nicht durchgeführt worden seien.

 

Die Beklagte veranlasste ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde W.. Aufgrund der Untersuchung des Klägers am 23.01.2018, die einen Lungenfunktions- und einen Pricktest einschloss, gelangte er zu der Einschätzung, dass eine BK 4302 in Betracht kommen könnte.

 

Nach einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05.04.2018 hatte der Sachverständige auf die subjektive Einschätzung des Klägers von hohen Ex­positionen gegenüber Lötdämpfen abgestellt, die aber nicht dem Ergebnis der arbeitstechnischen Ermittlungen entsprochen habe. Danach sei eine BK 4302 wenig wahrscheinlich. Im Zusammenhang mit der BK 4301 seien Sensibilisierungen gegen Lötrauch-assoziierte Antigene nicht gefunden worden. Der Sachverständige habe vielmehr Anhaltspunkte für eine asthmatische Erkrankung gesehen. 

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den arbeitstechnischen und den arbeitsmedizinischen Stellungnahmen sei der Kläger keinen relevanten gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 4301 oder der BK 4302 ausgesetzt gewesen.

 

Am 04.07.2018 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben.

 

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe es insbesondere unterlassen, die Ar­beitsbedingungen bei der Firma I. zu prüfen. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass er dabei eine Lötanlage habe bedienen müssen und unkontrolliert Lötflussmittel eingeatmet habe, die überwiegend aus Ethanol und diversen Säuren be­standen hätten.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.07.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.20218 zu verurteilen festzustellen, dass bei ihm sowohl eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage zur BKV als auch eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Das Sozialgericht hat das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenversicherung beigezogen und von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutach­tens des Facharztes für Arbeitsmedizin C. vom 22.10.2020. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende obstruktive Atemwegserkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit allein und auch nicht wesentlich durch eine Allergie verursacht worden sei. Es ergäben sich keine Hinweise darauf, dass bei dem Versicherten eine Sensibilisierung gegenüber Berufsstoffen vorliege. Auch spreche der Verlauf der Erkrankung nicht unbedingt für eine beruflich bedingte Allergie. Die Exposition habe 2009 geendet. Auch eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung durch chemisch-irritative oder toxisch wirkende Stoffe liege nicht vor. Durch den Nikotinkonsum, eine chronische Sinusitis und eine chronische Refluxkrankheit lägen wesentliche außerberufliche Faktoren zum Entstehen einer chronisch-obstruktiven Bronchitis vor. Die Exposition sei verhältnismäßig kurzzeitig und niedrig gewesen.

 

Unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme seiner Hausärztin A. hat der Kläger entgegnet, es sei unberücksichtigt geblieben, dass die Angaben zu der tatsächlichen Belastung mit Gefahrstoffen widersprüchlich seien und unzureichende bis keine Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen worden seien. Eine Exposition sei damit sehr wahrscheinlich. Zu seinem Nikotinkonsum hat der Kläger erklärt, zwischen 1990 und 2001 habe er zwischen fünf und zehn Zigaretten täglich geraucht. Zwischen 2001 und 2005 seien es zehn bis 17 Zigaretten gewesen. 70 Zigaretten, wie in den Arztberichten angegeben, habe er zu keinem Zeitpunkt geraucht.

 

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sowohl die vorliegenden Sachverständigengutachten als auch die beratungsärztliche Stellungnahme legten überzeugend dar, dass die geltend gemachten Berufskrankheiten nicht vorlägen. Der Kläger stütze sich alleine auf subjektive Wahrnehmungen.

 

Mit Urteil vom 24.08.2021, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Insbesondere fehle es nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen an den arbeitstechnischen Vorausset­zungen der BK 4302. Der Vollbeweis der schädigenden Einwirkungen sei nicht geführt. Darüber hinaus fehle es an einem belegbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Atemwegserkrankung und dem Ende der relevanten Exposition. Neben der fehlenden ausrei­chend hohen Exposition gegenüber chemischen Irritantien lägen wesentliche außerberufliche Faktoren zum Entstehen einer chronisch-obstruktiven Bronchitis vor, namentlich ein wahrscheinlich hoher stattgehabter Nikotinkonsum, der sich in der koronaren Herzerkrankung und den peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten ebenfalls zeige. Darüber hinaus bestehe bei dem Kläger eine chronische Sinusitis, welche im Sinne einer Pendelinfektion zu wiederkehrenden Infekten der oberen und tieferen Atemwege führe. Weiterhin bestehe eine chroni­sche Refluxkrankheit, die als ganz wesentliche Ursache für die Entstehung einer COPD gelte. Jeder dieser außerberuflichen Faktoren sei in der Lage, eine Erkrankung im Sinne einer COPD zu verursachen. Es liege auch keine BK 4301 vor. Die chronisch obstruktive Bronchitis sei nach den nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen nicht wesentlich durch eine Allergie verursacht. Es ergäben sich keine Hinweise darauf, dass bei dem Kläger eine Sensibilisierung gegenüber Be­rufsstoffen vorliege. Lötrauche führten nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zu einer Allergie. Die Einschätzung der Hausärztin erschüttere das Sachverständigengutachten nicht. Das Urteil ist dem Kläger am 09.09.2021 zugestellt worden.

 

Am 11.10.2021 hat der Kläger Berufung eingelegt.

 

Der Kläger macht ergänzend geltend, bei der Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen sei seine Tätigkeit bei der Firma R. in den Jahren 1981 bis 1983 und 1985 bis 1990 nicht berücksichtigt worden. Aus dem Gutachten des Sachverständigen W. ergebe sich die Anerkennungsfähigkeit einer BK 4302. Das Urteil des SG überzeuge nicht. An der Verwertbarkeit des Gutachtens des Sachverständigen C. bestünden Zweifel. Dieser sei beauftragt gewesen, habe ihn aber nicht untersucht.

 

Der Kläger beantragt,

 

bei dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, z.Hd. C., nachzufragen, wer ihn untersucht hat, wer das Gutachten erstellt hat, wann die Untersuchung stattgefunden hat, wie lange diese gedauert hat und, im Falle mehrerer Beteiligter, wer welche Mitarbeit geleistet hat,

 

E. zu befragen, wieso keine Betriebsbegehung stattgefunden hat und welche Unterlagen und Angaben der Firma ihm konkret zur Verfügung gestanden haben,

 

E. zu einer Stellungnahme zur Situation 10/2006 bis 12/2008 aufzufordern,

E. zur Frage der Exposition als Bystander gegenüber Lötdämpfen im Zeitraum 10/2006 bis 01/2009 durch benachbarte Lötbänder zu befragen,

 

von W. von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme dazu einzuholen, ob er sich den medizinischen Beurteilungen auf den Seite 39 bis 41 in dem Gerichtsgutachten vom 22.10.2020 sowie der Kausalitätsbeurteilung anschließen kann,

 

von Amts wegen ein neues medizinisches Sachverständigengutachten erstellen zu lassen,

 

sowie Beweis dafür zu erheben, dass er auch während der Tätigkeit für die Firma R. 1981 bis 1983 und von 1985 bis 1990 ebenso wie schon ab Oktober 2006 Kolophonium ausgesetzt war, durch 1. ergänzende Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten, 2. Einholung eines arbeitstechnischen Gutachtens, und Beweis dafür zu erheben, dass zumindest bei ihm vorliegende Beschwerden im Sinne BK 4301 bzw. 4302 sich richtungsweise verschlimmert haben, durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Zusammenhangsgutachtens,

 

sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.08.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr. 4301 oder der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte hält das Urteil für inhaltlich und rechtlich fehlerfrei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

 

Zu Recht hat das Sozialgericht die auf die Anerkennung einer Berufskrankheit gerichtete Klage abgewiesen. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zwar zulässig, aber unbegründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Lungenerkrankung als Berufskrankheit.

 

Um eine nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) einen Versicherungsfall begründende Berufskrankheit handelt es sich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII bei Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Sie sind in Anlage 1 der BKV bezeichnet (§ 1 BKV).  

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität); dabei müssen die „versicherte Tätigkeit", die „Verrichtung", die „Einwirkungen" und die „Krankheit" im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen; für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 27.09.2023 - B 2 U 13/21 R -, juris Rn. 28; dass., Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 7/19 R -, juris Rn. 27; dass., Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 13/17 R -, juris Rn. 9; Urteil des Senats vom 23.03.2021 - L 15 U 193/17 -, juris Rn. 51; Urteil des Senats vom 21.03.2017 - L 15 U 457/14 -, juris Rn. 29).

 

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Die versicherte Verrichtung, die Bedingung des Erfolges ist, muss in der Weise in einer besonderen tatsächlichen Beziehung zu dem Erfolg stehen, dass sie Wirkursache des Erfolges war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R -, juris Rn. 35; Urteil des Senats vom 12.12.2023 - L 15 U 59/22 -, juris Rn. 37). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage; sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R -, juris Rn. 36; Urteil des Senats vom 12.12.2023 - L 15 U 59/22 -, juris Rn. 37).Erst wenn auf dieser sog. ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftlich-philosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sog. zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (BSG, Urteil vom 30.03.2017 - B 2 U 6/15 R -, juris Rn. 16).

 

Wenn festzustellen ist, dass eine berufliche Einwirkung eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt der Erkrankung noch andere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; dies können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zum Beispiel Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein.

 

Erst wenn sowohl die Einwirkungen als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist weiter zu prüfen, ob die beruflichen Einwirkungen eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt haben (BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -, juris Rn. 34). Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs wertend entschieden werden; die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet; die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist; eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht; die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen;  bei dieser Prüfung ist „wesentlich" nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig" oder „annähernd gleichwertig"; auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (BSG, Urteil vom 30.03.2017 - B 2 U 6/15 R -, juris Rn. 23).

 

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung der streitgegenständlichen Berufskrankheiten.

 

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 4301.

 

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides der Beklagten vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 war die BK 4301 beschrieben als eine durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Merkblatt zur BK 4301). Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020 (BGBl. I, 1248) ist der sog. Unterlassungszwang zum 01.01.2021 aufgehoben worden.

 

a) Der Kläger leidet an einer obstruktiven Atemwegserkrankung.

 

Nach der Vorbemerkung zu Nrn. 4301 und 4302 der Anlage 1 zur BKV umfasst der Begriff „obstruktive Atemwegserkrankungen" verschiedene akute und chronische Krankheitsbilder. Eine Unterteilung kann nach der Krankheitsursache erfolgen. Ätiologisch sind zu unterscheiden die obstruktiven Atemwegserkrankungen aus allergischer Ursache (BK 4301) und die durch chemische Stoffe irritativ oder toxisch verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen (BK 4302; Merkblatt zur BK 4302).

 

Eine obstruktive Atemwegserkrankung in diesem Sinne liegt bei dem Kläger vor. Aus dem Entlassungsbericht der Klinik für Pneumologie der Kliniken X. GmbH, F., nach stationärem Aufenthalt des Klägers vom 26.09.2013 bis 01.10.2013 ergibt sich die Diagnose einer exazerbierten COPD Stadium II nach GOLD, der Sachverständige W. stellte am 23.01.2018 die Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung, der behandelnde Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde U. diagnostizierte in seinem Befundbericht vom 15.10.2018 eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung und der Sachverständige C. diagnostizierte am 22.10.2020 eine chronisch-obstruktive Bronchitis, wobei er allerdings aktuell eine obstruktive Komponente verneinte.

 

b) Auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind erfüllt. Neben der Exposition gegenüber pflanzlichen und tierischen Allergenen zählt die Exposition gegenüber sonstigen Allergenen (z.B. weiteren Arbeitsstoffen) zu den relevanten Gefahrenquellen (Merkblatt zur BK 4301). Nach der Stellungnahme der Präventionsabteilung der Beklagten vom 13.04.2016 war der Kläger bei der I. GmbH in den Jahren 2007 bis 2009 regelmäßig flussmittelhaltigen Loten (SDB SN 100C-SNCU 0,7 Ni, SDB SN60 Bb 38 CU2), dem Flussmittelentferner LR und dem Flussmittel P880 ausgesetzt. In den vorstehend genannten Flussmitteln ist das natürliche Harz Kolophonium enthalten, das eine allergisierende Wirkung hat. Während die Sachverständige S. diesem Stoff eine Reizwirkung auf Haut, Augen und Atemwege zuschreibt, verneint der Sachverständige C. zwar eine allergisierende Wirkung im Sinne der BK 4301, da dieses nur eine Reaktion der Haut verursache. Zugunsten des Klägers unterstellt der Senat aber im Hinblick auf die urkundsbeweislich verwertbaren Ausführungen von S. auch eine allergisierende Wirkung in Bezug auf die tiefen Atemwege.

 

Schädigende Einwirkungen bei der Tätigkeit des Klägers bei der K. GmbH sind hingegen nicht vollbeweislich zu sichern. Die Tätigkeit des Klägers als Prüfer im Prüffeld war nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes nicht geeignet, diese hervorzurufen. Weder der Arbeitgeber noch der Kläger haben konkrete Gefahrstoffe benannt. Insofern ist eine Ursächlichkeit der Einwirkungen der genannten Arbeitsstoffe für die Atemwegserkrankung des Klägers damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.

 

c) Soweit die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, fehlt es an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das nach den vorstehenden Ausführungen allergisierende Kolophonium in den betrieblich verwendeten Flussmitteln die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne wirkursächlich (mit-)verursacht hat.

 

Nach dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen W., das den Anforderungen an ein gerichtliches Sachverständigengutachten genügt und deshalb urkundsbeweislich verwertet wird, erbrachte die Untersuchung des Klägers am 23.01.2018 keinen Nachweis von Antikörpern gegen Kolophonium. Ferner ist, worauf der erstinstanzlich gehörte Sachverständige C. überzeugend hinweist, die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der relevanten Exposition aufgetreten. Während die Beschäftigung bei der I. GmbH im Jahr 2009 geendet hatte, wurde erstmals im Jahr 2012 durch den Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde U. eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung diagnostiziert. Allerdings zeigte sich hier lungenfunktionsanalytisch noch keine relevante Obstruktion der großen Atemwege. Erstmals fand sich am 18.01.2013 ein leicht erhöhter Atemwegswiderstand und war erstmals durch das lungenfunktionsdiagnostische Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Arbeitsmedizin T. für die Verwaltungs-BG aufgrund Untersuchungen des Klägers am 27.10.2016 und am 19.01.2017 eine leichtgradige Obstruktion belegt.

 

Darüber hinaus ist die Atemwegserkrankung des Klägers durch außerberufliche Faktoren zu erklären, die für sich allein geeignet waren, diese zu verursachen und zu unterhalten. Es ist deshalb hinreichend wahrscheinlich, dass die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers durch diese außerberuflichen Umstände allein im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht wurden.

 

Dazu zählt zunächst der durch die Befund- und Entlassungsberichte dokumentierte mindestens bis zum Jahr 2006, möglicherweise bis zum Jahr 2009 anhaltende Nikotinkonsum in einem Umfang von 30 bis 70 Zigaretten täglich. Von einem Nikotinkonsum in diesem Umfang ist der Senat aufgrund der aktenkundigen Angaben des Klägers gegenüber verschiedenen behandelnden Ärzten überzeugt. Sofern der Kläger zuletzt über seine Hausärztin eingewandt hat, zwischen 1990 und 2001 habe er zwischen fünf und zehn Zigaretten täglich geraucht, zwischen 2001 und 2005 seien es zehn bis 17 Zigaretten gewesen und 70 Zigaretten, wie in den Arztberichten angegeben, habe er zu keinem Zeitpunkt geraucht, ist dies nicht glaubhaft. Der Kläger hat zu diesem Sachverhalt unterschiedliche, erheblich voneinander abweichende Angaben gemacht und vor allem nach Beginn des Verfahrens über die Anerkennung der streitgegenständlichen Berufskrankheiten, nachdem ihm die Bedeutung des Nikotinkonsums für sein Begehren bewusst geworden war, seinen Nikotinkonsum als deutlich geringer dargestellt. Gegenüber dem Sachverständigen C. gab er schließlich an, in der Jugend zehn Jahre lang zehn Zigaretten täglich geraucht zu haben. Der Senat wertet dies als interessengeleiten, dem Verfahrensstand angepassten Vortrag, der insgesamt nicht glaubhaft erscheint und die Glaubwürdigkeit des Klägers nachhaltig erschüttert. Darüber hinaus bestehen nach den Feststellungen des Sachverständigen C., denen der Senat auch insofern folgt, als medizinische Anknüpfungstatsachen für einen hohen Nikotinkonsum eine koronare Herzkrankheit und eine periphere arterielle Verschlusskrankheit.

 

Weitere außerberufliche Faktoren sind chronische und wiederkehrende Infektionen der oberen und tieferen Atemwege seit dem Jahr 2003, eine chronische Refluxkrankheit und eine Allergieerkrankung. Diese Faktoren waren neben dem Nikotinkonsum des Klägers nach den überzeugenden Ausführungen von C. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wirkursächlich für die Entstehung und Ausprägung der obstruktiven Atemwegserkrankung des Klägers.

 

Sofern der Kläger gegen das Gutachten von C. verfahrensrechtliche Einwände erhebt und geltend macht, an der Verwertbarkeit des Gutachtens des Sachverständigen C. bestünden Zweifel, da dieser beauftragt gewesen sei, ihn aber nicht untersucht habe, dringt er damit nicht durch. Er ist mit diesem Einwand gemäß § 295 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 202 Satz 1 SGG präkludiert.

 

Nach dieser auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren Vorschrift (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 07.05.2019 - B 2 U 25/17 R -, juris Rn. 21 f. m.w.Kroll) kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn der Beteiligte bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich er erschienen und ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. In den Fällen des schriftlichen Verfahrens gemäß § 128 Abs. 2 und 3 ZPO tritt das schriftsätzliche Vorbringen an die Stelle des Vortrags in der mündlichen Verhandlung; unterlässt es der Beteiligte trotz Kenntnis oder in schuldhafter Unkenntnis des Mangels, ihn schriftsätzlich zu rügen, verliert er mit der Einreichung des nächsten Schriftsatzes das Rügerecht (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.02.2021 - I ZB 78/20 -, juris Rn. 29; Greger in Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 295, Rn. 6).

 

Mit seinem Einwand, der beauftragte Sachverständige C. habe ihn nicht untersucht, hat der Kläger eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 404 Abs. 1 ZPO geltend gemacht. Danach obliegt es dem Gericht, den Sachverständigen zu bestimmen, und hat dieser die zu begutachtende Person grundsätzlich persönlich zu untersuchen und das Gutachten selbst zu erstellen (Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 103 SGG [Stand: 10.04.2024] Rn. 231). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 16.02.2021 Einwände gegen das Sachverständigengutachten vom 22.10.2020 erhoben. Diese thematisieren aber nicht die unterbliebene Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen, sondern beschränken sich auf die Vorlage der Stellungnahme der Hausärztin, die ihrerseits zur Exposition gegenüber Arbeits- und Gefahrenstoffen sowie zum Beginn der Atemwegserkrankung und dessen Verlauf ausgeführt hat. Der Vortrag des Klägers zur unterbliebenen Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen erfolgte erst im Berufungsverfahren.

 

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung seiner obstruktiven Atemwegserkrankung als BK 4302.

 

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides der Beklagten vom 25.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 war die BK 4302 beschrieben als eine durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (Merkblatt zur BK 4302). Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020 (BGBl. I, 1248) ist der sog. Unterlassungszwang zum 01.01.2021 aufgehoben worden.

 

a) Der Kläger leidet, wie unter 1. ausgeführt, an einer obstruktiven Atemwegserkrankung.

 

b) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 4302 sind ebenfalls erfüllt.

 

Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe kommen an zahlreichen Arbeitsplätzen als Inhalationsnoxen vor; die Noxen können in Form von Gasen, Dämpfen, Stäuben oder Rauchen vorkommen und lassen sich folgendermaßen gruppieren: leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe (z.B. Acrolein, Äthylenimin, Chlorameisensäureäthylester, Formaldehyd, Phosgen), schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe (z.B. einige Härter für Epoxidharze, bestimmte Isocyanate, Maleinsäureanhydrid, Naphthochinon, Phthalsäureanhydrid, p-Phenylendiamin), leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe (z.B. Nitrose Gase, einige Phosphorchloride, Schwefeldioxid), schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe (z.B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen, Cadmiumoxid, Vanadiumpentoxid).

 

Der Kläger war bei der I. GmbH gegenüber flussmittelhaltigen Loten (SDB SN 100C-SNCU 0,7 Ni, SDB SN60 Bb 38 CU2), dem Flussmittelentferner LR und dem Flussmittel P880 bei der I. GmbH und bei der K. GmbH in Form von Lötrauchen, Flussmittelentfernerschaum und Flussmittelgasen exponiert. Das darin enthaltene Kolophonium wirkt nach den Ausführungen des Sachverständigen W., denen der Senat folgt, in hohem Maße chemisch-irritativ. Die Exposition ergibt sich aus der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 13.04.2016. Sofern dort ausgeführt ist, dass aufgrund geringfügiger Verbrauchsmengen nicht von einer gefährdenden Tätigkeit auszugehen und Arbeitsplatzgrenzwerte sicher weit unterschritten worden seien, ist dies nicht entscheidend. Bei Berufskrankheiten ohne Einwirkungsdosis kann ein Ursachenzusammenhang regelmäßig nicht wegen des Unterschreitens einer normativen Mindestexpositionsdosis verneint werden, wenn eine solche, wie hier, nicht tatsächlich nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023 - B 2 U 8/21 R -, juris Rn. 17 ff.).

 

c) Es fehlt aber aus den gleichen Erwägungen wie zur BK 4301 (siehe oben 1. c)) an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen, denn es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die vorstehend unter b) beschriebenen berufsbedingten Einwirkungen wirkursächlich im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne für die bei dem Kläger vorliegenden obstruktive Atemwegserkrankung waren.

 

Sofern der Kläger geltend macht, dass seine Tätigkeit bei der Firma R. in den Jahren 1981 bis 1983 sowie in den Jahren 1985 bis 1990 unberücksichtigt geblieben sei, führt dies zu keiner abweichenden Einschätzung. Der nach Ziffer I. des Merkblatts zur BK 4302 bedeutsame zeitliche Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Krankheitsbeginn ist unzweifelhaft nicht gegeben, denn der Kläger beobachtete Krankheitssymptome erstmals im Jahr 2007. Nachgewiesen wurde eine obstruktive Atemwegserkrankung zudem nach den Ausführungen zu 1. c) erstmals im Januar 2013.

 

Sofern der W. in seinem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten diskutiert, dass der Zigarettenkonsum gegenüber der Kolophonium-Exposition nicht dominant sei, stützt er sich alleine auf die subjektiven Angaben zu Klägers zu einer hohen Exposition als Bystander gegenüber Lötdämpfen durch benachbarte, schlecht abgesaugte Lötbänder. Der behauptete Defekt der Absaugevorrichtung ist aber nicht nachgewiesen und auch nicht mehr nachweisbar. Unabhängig davon fehlt es nach den Ausführungen zu 1. c) an dem notwendigen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Nachweis der Erkrankung und den beruflichen Belastungen bzw. deren Ende.

 

3. Den im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.04.2024 gestellten Beweisanträgen des Klägers brauchte der Senat nicht nachzugehen.

 

Der Umfang der Amtsermittlungspflicht richtet sich nach dem Streitgegenstand, der durch den prozessualen Anspruch des Klägers unter Berücksichtigung der Verteidigung der Beklagten und der möglichen Entscheidung des Gerichts bestimmt wird; dabei steht das Ausmaß der Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts; der Umfang bestimmt sich nach dem Einzelfall und dem Vortrag der Beteiligten; es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht erheblich sind, wobei das Gericht notwendig von seiner rechtlichen Beurteilung ausgehen muss (B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, Kommentar, 14. Auflage 2023, § 103 Rn. 4 ff.).

 

Sofern der Kläger beantragt hat, bei dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin bzw. dem Sachverständigen C. nachzufragen, wer ihn untersucht hat, wer das Gutachten erstellt hat, wann die Untersuchung stattgefunden hat, wie lange diese gedauert hat und, im Falle mehrerer Beteiligter, wer welche Mitarbeit geleistet hat, ist dies nicht entscheidungserheblich. Mit dem zugrundeliegenden Einwand, das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen C. sei nicht verwertbar, da dieser seine Untersuchung nicht selbst durchgeführt habe, ist der Kläger, wie ausgeführt, präkludiert.

 

Sofern der Kläger beantragt hat, E. zu befragen, wieso keine Betriebsbegehung stattgefunden hat und welche Unterlagen und Angaben der Firma ihm konkret zur Verfügung gestanden haben, bezieht sich dieser Antrag auf die Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 13.04.2016 zur Arbeitsplatzexposition des Klägers bei der K. GmbH. Auch dieser Sachverhalt ist nicht entscheidungserheblich. Der Senat hat das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 4301 und der BK 4302 lediglich im Hinblick auf die Tätigkeit des Klägers verneint, die dieser im Fragebogen der Beklagten am 10.11.2015 selber als Prüf- und Kontrolltätigkeiten bezeichnet hat und die nicht mit schädigenden Einwirkungen einherging. Auf die Menge der schädlichen Einwirkungen stellt der Senat im Übrigen nicht ab.

 

Sofern der Kläger beantragt hat, E. zu einer Stellungnahme zur Situation 10/2006 bis 12/2008 aufzufordern und zur Frage der Exposition als Bystander gegenüber Lötdämpfen im Zeitraum 10/2006 bis 01/2009 durch benachbarte Lötbänder zu befragen, steht der Antrag im Zusammenhang mit der Behauptung des Klägers, dass die Absaugevorrichtungen bei der I. GmbH defekt gewesen seien. Wie bereits ausgeführt, scheiden insoweit weitere Ermittlungen von Amts wegen im Hinblick auf den Zeitablauf aus. Zudem stellt der Senat bei der Verneinung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen selbstständig tragend auf den fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Nachweis der Erkrankung des Klägers und den schädlichen beruflichen Einwirkungen bzw. deren Ende ab. Die Menge der Einwirkungen im Sinne der BK 4302 ist deshalb nicht entscheidungserheblich. 

 

Sofern der Kläger beantragt hat, von dem Sachverständigen W. von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme dazu einzuholen, ob er sich den medizinischen Beurteilungen auf den Seiten 39 bis 41 in dem Gerichtsgutachten vom 22.10.2020 sowie der Kausalitätsbeurteilung anschließen kann, bedarf es dieser Ermittlung nicht. Der Sachverständige C. ist insbesondere deshalb zu einem von der Einschätzung des Sachverständigen W. abweichenden Ergebnis gelangt, weil er außerberufliche Faktoren differenziert gewürdigt hat. Der Senat hält die Ausführungen von C., wie bereits ausgeführt, für überzeugend.

 

Sofern der Kläger beantragt hat, von Amts wegen ein neues medizinisches Sachverständigengutachten erstellen zu lassen, war dies nicht veranlasst. Ist bereits Beweis durch Sachverständige erhoben worden, so ist das Gericht nach § 103 SGG zu weiteren Ermittlungen in der Regel nur verpflichtet, wenn das Gutachten, das als Entscheidungsgrundlage dienen soll, bedeutsame Mängel aufweist (BSG, Beschluss vom 15.09.2023 - B 1 KR 21/22 B -, juris Rn. 12 m.w.Kroll). Dies trifft auf das als Entscheidungsgrundlage herangezogenen Gutachten des Sachverständigen C. nicht zu.

 

Sofern der Kläger beantragt hat, Beweis dafür zu erheben, dass er auch während der Tätigkeit für die Firma R. 1981 bis 1983 und von 1985 bis 1990 ebenso wie schon ab Oktober 2006 Kolophonium ausgesetzt war, durch 1. ergänzende Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten, 2. Einholung eines arbeitstechnischen Gutachtens, ist dieser Sachverhalt nicht entscheidungserheblich. Zwischen einer etwaigen Exposition in den genannten Zeiträumen und dem Krankheitsbeginn besteht, wie bereits ausgeführt, kein zeitlicher Zusammenhang, so dass die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 4301 und einer BK 4302 fehlen.

 

Sofern der Kläger schließlich beantragt hat, Beweis dafür zu erheben, dass zumindest bei ihm vorliegende Beschwerden im Sinne BK 4301 bzw. 4302 sich richtungsweise verschlimmert haben, durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Zusammenhangsgutachtens, ist dies nicht veranlasst. Die Frage der richtunggebenden Verschlimmerung hat der Sachverständige C. in seinem Gutachten negativ beantwortet. Der Senat hält dieses Gutachten für überzeugend.

 

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGJasny

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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