L 28 KR 148/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28.
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 27 KR 126/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 KR 148/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Voraussetzung eines Kostenerstattungsanspruchs für eine ambulante Vorsorgemaßnahme bei grenzüberschreitender Leistungserbringung ist das Vorliegen eines Behandlungsvertrages mit dem berechtigten Leistungserbringer.

 

2. § 13 Abs. 4 SGB V dispensiert nur von der Notwendigkeit, eine Genehmigung allein wegen der Inanspruchnahme der Leistung in einem anderen EU-Mitgliedstaat in Anspruch nehmen zu müssen. Unberührt bleiben die für den Leistungsanspruch bestehenden materiell-rechtlichen und sonstigen Leistungsvoraussetzungen im Übrigen. Es spricht viel dafür, dass auch bei einer grenzüberschreitenden Leistungserbringung nach § 13 Abs. 4 SGB V der sog. Beschaffungsweg eingehalten werden muss.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. März 2023 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer ambulanten Vorsorgemaßnahme in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union.

 

Die am 4. Mai 1964 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte nach entsprechender Anregung durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. U vom 17. April 2018 wegen Erschöpfung, LWS-Beschwerden und Hypertonie mit Linksherzhypertrophie die Gewährung von Leistungen in Form einer ambulanten Vorsorgemaßnahme in einem anerkannten Kurort. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 1. August 2018 nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) vom 25. Juli 2018 mit, die Kosten der Arznei-, Verband- und Kurmittel im Rahmen einer 21-tägigen Kur in Bad Orb in voller Höhe zu übernehmen, soweit es sich um Leistungen handele, die generell über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden könnten. Zu allen sonstigen Kosten wie Unterkunft, Verpflegung, Kurtaxe und Fahrtkosten werde ein pauschaler Zuschuss in Höhe von (i.H.v.) 100,- Euro gezahlt. Die Klägerin buchte über den Anbieter Kuramed eine ambulante Vorsorgeleistung in den Terme D in Italien für den Zeitraum vom 29. Oktober 2018 bis 18. November 2018. In der verbindlichen Buchungsbestätigung vom 14. September 2018 stellte Kuramed der Klägerin für 20 Übernachtungen im Einzelzimmer Standard mit Vollpension 798,- Euro abzüglich des Kassenanteils i.H.v. 100,- Euro in Rechnung. Die Klägerin überwies den Betrag i.H.v. 698,- Euro am 21. September 2018 an Kuramed. Bereits am 19. September 2018 hatte sie den ihr von Kuramed übersandten „Behandlungsvertrag“ unterzeichnet, der den folgenden Passus enthielt:

 

„Die durchgeführten Kurleistungen, welche vom Kurarzt am Kurort verordnet werden, stellt Kuramed dem Patient(en) laut Auflistung in Rechnung, jedoch höchstens in Höhe der maximal erstattungsfähigen Aufwendungen für kurortspezifische Heilmittel und Kurmittel nach der bundesweiten Vergütungsliste für Aufwendungen nach § 23 Abs. 2 SGB V der in Deutschland zuständigen Leistungserbringerverbände. Für die kurärztlichen Leistungen erhält Kuramed den in Deutschland erstattungsfähigen Pauschalbetrag gemäß Kurarztvertrag, ggf. nach BMA/E-GO.“

 

Die entstandenen Kosten der ambulanten Vorsorgeleistung sollten nach Kurende von der Klägerin an Kuramed überwiesen werden.

 

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 bat die Klägerin die Beklagte „aus organisatorischen und finanziellen Gründen“ darum, die Genehmigung der ambulanten Vorsorgeleistung „auf den anerkannten Kurort Abano Terme (Italien) zu korrigieren“. Die Beklagte bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 23. Oktober 2018, die Kosten für eine 21-tägige ambulante Kur in Abano Terme zu übernehmen. Gleichzeitig bat sie die Klägerin darum, nach Kurende sämtliche Rechnungen in deutscher Sprache mit Anzahl und Kosten jeder einzelnen Behandlung sowie die ärztlichen Verordnungen für die Kuranwendung im Original zu übersenden. Sie erstatte nur Leistungen, die in Deutschland für ambulante Kuren zugelassen seien. Zu allen sonstigen Kosten wie Unterkunft, Verpflegung, Kurtaxe oder Fahrtkosten zahle sie einen pauschalen Zuschuss i.H.v. 100,- Euro. Kosten für sog. Pauschalkuren, bei denen neben den ärztlichen Behandlungen und den medizinischen und therapeutischen Anwendungen auch Unterkunft und Verpflegung enthalten seien, würden nicht übernommen. Vom Erstattungsbetrag würden ein Abschlag für Verwaltungskosten und eine fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung i.H.v. mindestens 5,- Euro bzw. maximal 50,- Euro sowie die nach deutschem Recht vorgesehenen Zuzahlungen abgezogen.

 

Aufgrund Verordnung des Arztes Dr. A (Hotel Terme D) vom 29. Oktober 2018 wurden im Zeitraum vom 29. Oktober 2018 bis 18. November 2018 diverse Anwendungen bei der Klägerin im Therapiezentrum Terme D durchgeführt (vgl. den ärztlichen „Kur-Abschlussbericht“ vom 18. November 2018, auf den Bezug genommen wird). Kuramed stellte der Klägerin Gesamtbeträge für Kuranwendungen i.H.v. 2.040,07 Euro (einzeln aufgeschlüsselt nach Art und Anzahl der erbrachten Leistungen wie z.B. „Klassische Massage“ <Anzahl 17> , „Krankengymnastik in Heilwasser in spez. Therapiebecken – Gruppe“ <Anzahl 6>) und i.H.v. 56,76 Euro für die kurärztliche Leistung in Rechnung (vgl. Rechnungen vom 23. November 2018), die die Klägerin nach Mahnungam 23. und 24. Januar 2019 bezahlte.

 

Den Antrag der Klägerin auf Erstattung der Kosten für die ambulante Kur lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die Klägerin eine Pauschalkur bei dem nicht im Sinne des § 13 Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zugelassenen Leistungserbringer Kuramed gebucht habe. Sämtliche Rechnungen seien von Kuramed und nicht vom Leistungserbringer vor Ort ausgestellt worden. Die Klägerin habe entsprechend auch sämtliche Zahlungen an Kuramed geleistet. Unterlagen, die belegten, dass die Klägerin die verordneten Heilmitteltherapien erst vor Ort nach kurärztlicher Untersuchung gebucht und dann direkt an den Leistungserbringer in Italien gezahlt habe, lägen nicht vor (Bescheid vom 17. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2020).

 

Auf die am 18. Mai 2020 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) eine Auskunft von Kuramed vom 4. Juni 2021 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Das SG hat die auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte ambulante Kur i.H.v. 2.040,07 Euro nebst Verzugsschaden gerichtete Klage mit Urteil vom 7. März 2023abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich nicht bereits aus den Bescheiden der Beklagten vom 1. August 2018 und 23. Oktober 2018. An keiner Stelle habe die Beklagte darin ausdrücklich die (bedingungslose) Übernahme der Kosten für die im Therapiezentrum Terme D durchgeführten Behandlungen zugesagt oder gar zugesichert. Einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren der Klägerin sei § 13 Abs. 4 S. 1 SGB V in der vom 1. Januar 2018 bis zum 10. September 2019 geltenden Fassung. Danach seien Versicherte berechtigt, u.a. auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union anstelle des sonst geltenden Sachleistungsgrundsatzes im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat seien auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterlägen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichtes nicht der Erstattung. Nach dieser Regelung scheitere ein Erstattungsanspruch der Klägerin an dem Umstand, dass sie nicht nachweislich einen Behandlungsvertrag mit den Leistungserbringern vor Ort in Italien abgeschlossen, sondern ausschließlich mit Kuramed in einem Vertragsverhältnis gestanden habe. Der Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 4 SGB V knüpfe an ein unmittelbares Vertragsverhältnis mit einem Leistungserbringer in einem EU-Mitgliedstaat an, aus dem der Versicherte unmittelbar auf Zahlung für die erbrachte Behandlung in Anspruch genommen werde. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, dass Kuramed lediglich als Abrechnungsdienstleister im Auftrag des Leistungserbringers und auf dessen Rechnung tätig geworden sei. Dahinstehen könne, ob die erbrachten Leistungen im Rahmen einer Kur in Deutschland zu einem weitaus höheren Preis abgerechnet worden wären. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoße die Beklagte nicht gegen die in Artikel 56 AEUV normierte Dienstleistungsfreiheit. § 13 Abs. 4 und 5 SGB V setzten das europäische Primärrecht hinreichend um, so dass sich aus ihm neben den durch § 13 Abs. 4 und 5 SGB V kodifizierten Ansprüchen keine weitergehenden Ansprüche ergäben. Mangels Kostenerstattungsanspruchs bestehe auch kein Anspruch auf Erstattung eines Verzugsschadens, sofern für diesen überhaupt eine Rechtsgrundlage bestehen sollte.

 

Mit ihrer am 26. April 2023 beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingegangenen Berufung gegen das ihr am 6. April 2023 zugestellte Urteil verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Ihr geltend gemachter Erstattungsanspruch ergebe sich bereits aus den Zusagen der Beklagten in den Mitteilungen vom 1. August 2018 und 23. Oktober 2018. Die Kur sei bereits mit Schreiben der Beklagten vom 1. August 2018 genehmigt worden, so dass keine vor Erhalt der Genehmigung beschaffte Leistung vorliege. Danach sei lediglich ein Wechsel der Kureinrichtung erfolgt. Art und Umfang der Behandlungen und Anwendungen seien erst in der Kureinrichtung in Italien bestimmt worden. Mit Kuramed sei nur eine Zahlungsvereinbarung geschlossen worden. Eine bestimmte Behandlung oder ein spezieller Leistungsumfang seien mit Kuramed nicht vereinbart worden; diese sei lediglich ein Abrechnungsdienstleister. Die Klägerin habe auch nur Leistungen in Anspruch genommen, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt seien. Leistungserbringerin seien die Terme D in Italien gewesen. Allein mit diesen sei ein Behandlungsvertrag geschlossen worden. Aus der EU-Dienstleistungsfreiheit folge, dass die Terme D berechtigt seien, die gegenüber deutschen Versicherten erbrachten ambulanten Vorsorgeleistungen über einen Abrechnungsdienstleister abzurechnen. Zudem zeige die Verwaltungspraxis der Beklagten, dass diese ihren Versicherten in zahlreichen Fällen die Kosten für ambulante Kuren im EU-Ausland erstatte. Hierdurch sei eine Bindung eingetreten.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. März 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.040,07 Euro zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Soweit es möglicherweise aufgrund von Fehlentscheidungen in vergleichbaren Fällen zu Kostenerstattungen gekommen sein sollte, ergebe sich hieraus kein Rechtsanspruch für die Klägerin. Bei Kuramed handele es sich nicht lediglich um einen Abrechnungsdienstleister, sondern um den alleinigen Vertragspartner der Klägerin. Welcher Betrag dem Leistungserbringer vor Ort am Ende zugeflossen sei, könne nicht ermittelt werden. Im Übrigen sei der Beschaffungsweg von der Klägerin nicht eingehalten worden. Die Klägerin habe sich mit ihrer Buchung der Kur über Kuramed vorfestgelegt, bevor die Beklagte mit dem Anliegen konfrontiert worden sei, die Vorsorgemaßnahme nun in Italien durchführen zu lassen.

 

Die Gerichtsakten (3 Bände) und ein Auszug aus der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG zulässig weiterverfolgt, ist nicht begründet. Die auf das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) außerhalb von § 13 Abs. 3a SGB V gestützte Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die ambulante Vorsorgemaßnahme in Italien.

 

Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich weder aus einer etwaigen Zusicherung der Beklagten noch aus § 13 Abs. 4 SGB V noch aus unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht.

 

Soweit die Klägerin auch im Berufungsverfahren an ihrer Auffassung festgehalten hat, dass sich ein Kostenerstattungsanspruch bereits aus den Schreiben der Beklagten vom 1. August 2018 (Kostenübernahme für Arznei-, Verband- und Kurmittel im Rahmen einer 21-tägigen Kur in Bad Orb) bzw. vom 23. Oktober 2018 (Kostenübernahme für eine 21-tägige ambulante Kur in Abano Terme) ergebe, geht sie fehl. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 7. März 2023 (Seite 7 letzter Absatz bis Seite 8 erster Absatz des Urteils) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

 

Ein Anspruch auf Kostenerstattung folgt auch nicht aus § 13 Abs. 4 SGB V (vgl. Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, 2. EL 2025, § 13 Rn. 88, wonach stationäre Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen § 13 Abs. 4 SGB V unterfallen). Die Regelung eröffnet Kostenerstattungsansprüche bei grenzüberschreitender Leistungserbringung ohne sachliche Leistungsausweitung im Umfang des deutschen Leistungsrechts der GKV. Das Leistungsrecht der GKV sieht aber keinen Anspruch der Klägerin auf eine ambulante Vorsorgemaßnahme ohne einen entsprechenden Behandlungsvertrag mit dem Leistungserbringer vor. An einem solchen Vertrag mit der Leistungserbringerin Abano Terme fehlt es.

 

Versicherte sind nach § 13 Abs. 4 SGB V (i.d.F. vom 23. Dezember 2016) berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Absatz 4 vollzieht die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den Rechtssachen „Kohll“ (C-158/96) und „Decker“ (C-120/95) vom 28. April 1998, das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Smits und Peerbooms“ (C-157/99) vom 12. Juli 2001 und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache „Müller-Fauré/van Riet“ (C-385/99) vom 13. Mai 2003 nach. Nach diesen Urteilen gelten die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach Art. 28 EG-Vertrag und der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag auch im Bereich der sozialen Sicherheit mit der Konsequenz, dass sich Versicherte Versicherungsleistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger selbst beschaffen können. Ein nationales Sachleistungssystem hindert den Kostenerstattungsanspruch nicht (vgl. BT-Dr. 15/1525, Seite 80). Wie sich aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt die Vorschrift einen Anspruch auf die entsprechende Naturalleistung nach dem SGB V voraus (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 18. November 2014 - B 1 KR 19/13 R -, juris). Die Grenzen des Leistungssystems werden nicht erweitert (KassKomm-Schifferdecker, SGB V, Stand: 15. Februar 2024, § 13 Rn. 284). § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V entpflichtet nicht von der Beachtung des nationalen Leistungsrechts des SGB V im Übrigen (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 21/19 R –, juris Rn. 11, BT-Dr. 15/1525, Seite 81). Die Leistung muss insbesondere notwendig, wirtschaftlich und wirksam sein (vgl. §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V). Inländische Leistungsvoraussetzungen gelten uneingeschränkt fort, soweit sie nicht diskriminierend wirken.

 

Die nach deutschem Recht geltende Beschränkung auf zugelassene Leistungserbringer (§ 111 SGB V) gilt im Zusammenhang mit einer Leistungserbringung nach § 13 Abs. 4 SGB V nicht. Die Behandlung nach Satz 2 ist allerdings auf „berechtigte“ Leistungserbringer beschränkt. Das sind solche, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufs Gegenstand einer EU-Richtlinie sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung des Versicherten berechtigt sind (KassKomm-Schifferdecker, a.a.O., dort Rn. 289). Dass die Leistungserbringerin Terme D diese Voraussetzungen erfüllt, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

 

Die Klägerin hatte im Jahr 2018 nach nationalem Leistungsrecht dem Grunde nach auch Anspruch auf eine medizinische Vorsorgeleistung im Sinne des § 23 SGB V. Nach § 23 Abs. 2 SGB V (in der damals geltenden Fassung vom 23. Dezember 2016) kann die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten erbringen. Diese Voraussetzungen hatte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des MDK bei der Klägerin als erfüllt angesehen und ihr dementsprechend die Kostenübernahme für Arznei-, Verband- und Kurmittel im Rahmen einer 21-tägigen Kur in Aussicht gestellt.

 

Indes setzt das deutsche Leistungsrecht ein Behandlungsverhältnis der Versicherten zu den Leistungserbringern, hier den Trägern der Vorsorgeeinrichtung, voraus. Daran fehlt es hier. Das Verhältnis der Versicherten zu den Trägern von Vorsorgeeinrichtungen (Behandlungsverhältnis) ist als zivilrechtliches Rechtsverhältnis zu beurteilen. In diesem Verhältnis werden die Leistungen auf der Grundlage von Behandlungsverträgen i.S. des § 630a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durchgeführt; auch Vorsorgemaßnahmen oder Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, die von Angehörigen nicht-ärztlicher Heilberufe durchgeführt werden (vgl. § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V), sind als medizinische Behandlung i.S. des § 630a Abs. 1 BGB zu beurteilen, die eines Behandlungsvertrages bedürfen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Vergütungsanspruch des Trägers – wie im Regelfall – nicht gegen den Patienten, sondern gegen dessen Krankenkasse richtet (vgl. Hänlein in LPK-SGB V, 6. Aufl. 2022, vor §§ 107-114, Rn. 24). Dass ein solcher Behandlungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Leistungserbringer Terme D existierte, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat lediglich einen als „Behandlungsvertrag“ überschriebenen, mit Kuramed geschlossenen Vertrag vorgelegt. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Behandlungsvertrag i.S. des § 630a BGB handelt, kann dahinstehen, da es sich bei Kuramed nicht um eine Leistungserbringerin handelt. Erhebliche Zweifel an der rechtlichen Einordnung als Behandlungsvertrag ergeben sich indes daraus, dass dieser zwar die Vergütungspflicht der Klägerin für die erbrachten Leistungen, nicht aber die für einen Behandlungsvertrag ebenfalls wesentlichen Elemente einer Behandlungs- sowie Informations- und Aufklärungspflicht enthält. Ebenso fehlen eine Einwilligung der Klägerin zu den Behandlungen sowie Bestimmungen über die Dokumentations- und Schweigepflicht. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG (Seite 9 letzter Absatz bis Seite 11 zweiter Absatz des Urteils) wird zur Vermeidung von Wiederholungen im Übrigen Bezug genommen.

 

Vor dem Hintergrund des mangelnden Behandlungsvertrages mit Abano Terme kann dahinstehen, ob die Beklagte dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch der Klägerin die Nichteinhaltung des Beschaffungsweges anspruchshindernd entgegenhalten kann. Ob § 13 Abs. 4 SGB V die Einhaltung des Beschaffungsweges voraussetzt und ob sich die Klägerin mit der verbindlichen Buchung bei Kuramed (vgl. die Buchungsbestätigung vom 14. September 2018) vorfestgelegt hatte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 3/20 R –, juris), bevor sie mit Schreiben vom 12. Oktober 2018 die Beklagte darum bat, die Genehmigung der ambulanten Vorsorgeleistung „auf den anerkannten Kurort Abano Terme (Italien) zu korrigieren“, erscheint offen. Feststehen dürfte, dass Versicherte allein wegen der Inanspruchnahme einer ambulanten Vorsorgemaßnahme in einem anderen EU-Mitgliedstaat keine vorherige Zustimmung der Krankenkasse einholen müssen (vgl. Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 13 Rn. 51, wonach Genehmigungsvorbehalte insoweit rechtswidrig sind; vgl. auch Noftz a.a.O. dort Rn. 65). Dies ergibt sich schon aus einer systematischen Zusammenschau der Regelungen in § 13 Abs. 4 SGB V und § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V. Nach dem Wortlaut der letztgenannten Norm können „abweichend von Absatz 4“ Krankenhausleistungen in einem anderen Mitgliedstaat der EU nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme von Leistungen nach § 13 Abs. 4 SGB V setzt mithin keine solche Zustimmung voraus. Der Grund für die unterschiedlichen Anforderungen in Absatz 4 und Absatz 5 liegt in der Rechtsprechung des EuGH, die der Gesetzgeber nachvollzogen hat (vgl. Noftz a.a.O., dort Rn. 61). Während Absatz 4 klarstellt, dass Versicherte mit ihrer Nachfrage nach Versicherungsleistungen nicht mehr territorial auf das Inland beschränkt sind, sondern u.a. wegen der Dienstleistungsfreiheit auch Leistungserbringer in anderen EU-Mitgliedstaaten im Wege der Kostenerstattung ohne Genehmigungsvorbehalt in Anspruch nehmen können, ist das Genehmigungserfordernis in Absatz 5 mit dem besonderen Planungsbedarf im Krankenhaussektor begründet. Der EuGH hat unter bestimmten Voraussetzungen angenommen, dass eine Beeinträchtigung der Binnenmarktfreiheiten gerechtfertigt sein kann, wenn anderenfalls die finanzielle Stabilität der Krankenversicherungssysteme der Mitgliedstaaten gefährdet sei. Diese Gefährdung wurde in Fällen, die eine Krankenhausleistung betrafen, angenommen (vgl. BT-Dr. 15/1525, Seite 82; vgl. auch das o.a. Urteil C-157/99, Rn. 76 ff.). In diesem Bereich besteht grundsätzlich ein Vorrang zu Gunsten vertraglich an die Krankenkasse gebundener inländischer Leistungserbringer.

 

§ 13 Abs. 4 SGB V dispensiert allerdings nur von der Notwendigkeit, eine Genehmigung allein wegen der Inanspruchnahme der Leistung in einem anderen EU-Mitgliedstaat in Anspruch nehmen zu müssen. Die Anforderungen des deutschen Sozialrechts werden durch das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nicht angetastet vor dem Hintergrund, dass die Festlegung der Leistungsvoraussetzungen ausschließliche Kompetenz der zuständigen Mitgliedstaaten ist. Unberührt bleiben daher die für den Leistungsanspruch bestehenden materiell-rechtlichen und sonstigen Leistungsvoraussetzungen (vgl. Noftz a.a.O., dort Rn. 71) wie z.B. Genehmigungserfordernisse, etwa die Prüfung und ggf. Begutachtung eines Heil- und Kostenplans bei der Versorgung mit Zahnersatz nach § 87 Abs. 1a Satz 5 – 7 (Becker/Kingreen, SGB V, 9. Auflage 2024, § 13 Rn. 51 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 19/08 R -, juris Rn. 24 ff.). Sind Ansprüche von der Einhaltung eines besonderen Verfahrens wie der Stellung notwendiger Leistungsanträge für eine Vorsorgeleistung abhängig, gelten diese Voraussetzungen grundsätzlich auch bei einer Verschaffung der Leistung im EU-Ausland (vgl. KassKomm-Schifferdecker, a.a.O., dort Rn. 287). Dies spricht dafür, dass der Beschaffungsweg eingehalten werden muss (a.A.: SG München, Urteil vom 5. Mai 2022 – S 59 KR 1550/19 –, juris Rn. 20; vgl. auch Armbruster in: Hauck/Noftz, SGB XIV, 3. EL 2024, § 51 Rn. 4, wonach Leistungserbringer von den Versicherten ohne vorherige Konsultation ihrer jeweiligen Krankenkasse im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden dürfen). Wie bereits ausgeführt, kommt es auf die Klärung dieser Frage indes nicht entscheidungserheblich an.

 

Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich ferner nicht aus § 13 Abs. 3 SGB V. Es fehlt - wie bereits ausgeführt – mangels Behandlungsvertrag an einem von § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V vorausgesetzten Anspruch der Klägerin auf eine entsprechende Sachleistung (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 11. Juli 2017 – B 1 KR 30/16 R -, juris Rn. 8 m.w.N.), der im Ausland hätte realisiert werden können. Aus demselben Grund scheidet ein Anspruch der Klägerin nach § 18 Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) aus, der eine Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vorsieht (vgl. Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 13 SGB V [Stand: 12. November 2024], Rn. 27).

 

Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Er wird durch § 13 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR 5/05 R –, juris Rn. 18 ff.).

 

Die Klägerin kann aus § 140e SGB V (Verträge mit Leistungserbringern europäischer Staaten) schon deswegen keinen Anspruch herleiten, weil sie keinen Sachleistungs-, sondern einen Erstattungsanspruch geltend macht.

 

Die Klägerin kann auch keinen Anspruch aus europäischem Koordinationsrecht oder dem europäischen Primärrecht ableiten.

 

Weder aus Art. 20 EGV 883/2004 (Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU, Nr. L 166, 1 vom 30. April 2004, berichtigt in ABl. EU 2004 L 200/1 vom 7. Juni 2004 - VO <EG> 883/2004) noch aus Art. 7 Abs. 1 der Patientenrichtlinie (Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, ABl. <EU> 2011 L 88/45 vom 4. April 2011) ergibt sich ein Anspruch.

 

Art. 20 EGV 883/2004 (Reisen zur Inanspruchnahme von Sachleistungen) begrenzt den sekundärrechtlich begründeten Leistungsanspruch für nach dem SGB V Versicherte wie die Klägerin auf die im GKV-Leistungskatalog enthaltenen Leistungen (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R -, juris Rn. 25). Die Regelung lautet: Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, muss ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen (Abs. 1). Ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, erhält Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Rechtsvorschriften versichert wäre. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann (Abs. 2). Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin mit der durchgeführten Vorsorgemaßnahme nicht. Nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Klägerin, hier dem SGB V, hatte die Klägerin mangels entsprechenden Behandlungsvertrages keinen Anspruch auf die ambulante Vorsorgemaßnahme in Abano Terme.

 

Auch Art. 7 Abs. 1 der Patientenrichtlinie begrenzt den sekundärrechtlich begründeten Leistungsanspruch für nach dem SGB V Versicherte wie die Klägerin auf die im GKV-Leistungskatalog enthaltenen Leistungen. Er regelt als einen allgemeinen Grundsatz für die Kostenerstattung: Der Versicherungsmitgliedstaat stellt unbeschadet EGV 883/2004 und vorbehaltlich der Art. 8 und 9 der Patientenrichtlinie sicher, dass die Kosten, die einem Versicherten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung entstanden sind, erstattet werden, sofern die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedstaat Anspruch hat. Ungeachtet der Frage, ob und in welchem Umfang die Patientenrichtlinie geeignet ist, individuelle Rechte der Patienten zu begründen, weicht ihr Inhalt von den zu Art. 20 EGV 883/2004 aufgezeigten gemeinschaftsrechtlichen Grundlinien nicht ab (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 18. November 2014, a.a.O., dort Rn. 27).

 

Aus dem europäischen Primärrecht ergeben sich im vorliegenden Fall neben den durch § 13 Abs. 4 und 5 SGB V kodifizierten Ansprüchen keine weitergehenden Ansprüche. § 13 Abs. 4 und 5 SGB V setzen das europäische Primärrecht hinreichend um (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 21/19 R –, juris Rn. 27).

 

Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Der Anspruch scheitert bereits daran, dass § 13 Abs. 3a SGB V auf Geldleistungsansprüche nach § 13 Abs. 4 SGB V, wie sie die Klägerin vorliegend geltend macht, sachlich nicht anwendbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 21/19 R -, juris Rn. 28).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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