L 7 AS 1296/25 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 858/25 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1296/25 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. April 2025 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.


Gründe


Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Gegenstand des am 3. April 2025 von den Antragstellern beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist ihr Begehren auf die Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Antragsgegner hat den Antragstellern zuletzt Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten für die Grundmiete in Höhe von 1.358,98 EUR zuzüglich 249,97 EUR Heizkosten bewilligt. Nach dem Mietvertrag vom 2. Februar 2023 ist eine monatliche Grundmiete in Höhe von 2.160,00 EUR sowie monatliche Vorauszahlungen von 450,00 EUR vereinbart. Nach einem Schreiben des Vermieters vom 8. Februar 2025 betrage die „Grund-Kaltmiete“ nach einer vereinbarten Reduzierung seit 1. Oktober 2024 1.600 EUR. Die Nebenkostenvorauszahlung wurde mit diesem Schreiben auf „ca. 1.077,27 EUR“ und die „Gesamtmiete (Warmmiete)“ auf „ca. 2.677,27 EUR“ festgelegt. Für 2024 wurde eine Betriebskosten-Nachzahlung in Höhe von 13.241,67 EUR verlangt. Nach einer korrigierten Betriebskostenabrechnung wurde der Nachzahlungsbetrag mit 11.082,90 EUR beziffert. Die Jahresabrechnung der Stadtwerke B1, vom 3. Februar 2025 weist gegenüber dem Vermieter als Vertragspartner für die von den Antragstellern bewohnte Verbrauchstelle Gesamtkosten für das Jahr 2024 für Strom, Gas und Wasser von 10.023,18 EUR, bezahlte Abschläge von 1.882,00 EUR und eine Restforderung von 8.141,18 EUR aus. Das SG hat mit Beschluss vom 14. April 2025 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil ein Anordnungsanspruch für die Übernahme höherer laufender Unterkunftskosten aufgrund deren Unangemessenheit und hinsichtlich der (darlehensweise) Übernahme von Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II mangels Rechtfertigung eines Erhalts der Unterkunft nicht gegeben sei. Dagegen richten sich die Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde, mit der sie im Übrigen die Verhinderung der zwischenzeitlichen wiederholten Ankündigung der Einstellung der Energielieferung (Strom, Gas, Wasser) durch die Stadtwerke B1 begehren.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 – L 7 AS 2875/05 ER-B – FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 – L 7 SO 2117/05 ER-B – FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Ein Anordnungsgrund besteht regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt werden (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER‑B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. September 2012 – L 13 AS 3794/12 ER-B – juris Rdnr. 3; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Februar 2011 – L 13 AS 628/11 ER-B – juris Rdnr. 2). Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER-B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. August 2016 – L 11 KR 487/16 B ER – juris Rdnr. 11). Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER-B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – L 29 AS 2544/16 B ER – juris Rdnr. 20; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – L 11 KR 259/16 B ER – juris Rdnr. 29; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. August 2016 – L 11 KR 487/16 B ER – juris Rdnr. 11). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, weil die fehlenden Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirken und eine gegenwärtige Notlage begründen (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER-B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2017 – L 13 AS 26/17 B ER – juris Rdnr. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Januar 2017 – L 19 AS 2381/16 B ER – juris Rdnr. 26; LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2016 – L 32 AS 1688/16 B ER – juris Rdnr. 28; Meßling in Hennig, SGG, § 86b Rdnr. 168 [Dezember 2014]). Es muss dann ein noch gegenwärtig schwerer, ohne Erlass der einstweiligen Anordnung irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht werden (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER-B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12). Gegenüber Dritten bestehende Verbindlichkeiten reichen für die Annahme eines solchen Nachteils regelmäßig nicht aus (Beschluss des Senats vom 28. November 2017 – L 7 SO 3860/17 ER-B – n.v.; Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2017 – L 13 AS 26/17 B ER – juris Rdnr. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – L 11 KR 259/16 B ER – juris Rdnr. 29 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. November 2011 – L 9 KR 284/11 B ER – juris Rdnr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2011 – L 9 KR 283/10 B ER – juris Rdnr. 5; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2016 – L 32 AS 1688/16 B ER – juris Rdnr. 28).

Die Antragsteller haben nach diesen Maßstäben Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Die Berücksichtigung höherer laufender Kosten der Unterkunft und Heizung dürfte nicht in Betracht kommen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vom Antragsgegner nur insoweit zu übernehmen, als sie angemessen sind.

Der Antragsgegner berücksichtigt monatliche Unterkunftskosten von insgesamt 1.608,95 EUR. Selbst unter Annahme höherer Heizkosten dürfte ein Anspruch auf die Berücksichtigung höherer Kosten nicht glaubhaft gemacht sein. Nach dem bundesweiten Heizspiegel für das Jahr 2024 sind für Gebäude mit einer Wohnfläche von 100 bis 250 Quadratmetern für Erdgas Kosten ab 31,91 EUR bereits „zu hoch“. Bei einer für einen Sieben-Personen-Haushalt angemessenen Wohnfläche von bis zu 135 Quadratmetern ergeben sich danach maximal zu berücksichtigende Heizkosten von 4.307,85 EUR pro Jahr, somit 358,99 EUR pro Monat. Die angemessenen Kosten für die Bruttokaltmiete, d.h. Grundmiete zuzüglicher kalter Nebenkosten dürften für B1 (Mietstufe 3) für einen Sieben-Personen-Haushalt nach der Anlage 1 zu § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) bei 1.087,00 EUR zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent somit bei 1.195,70 EUR liegen. Der sich danach unter Berücksichtigung angemessener Heizkosten ergebende angemessene Gesamtbetrag von 1.554,69 EUR liegt unter den vom Antragsgegner bereits anerkannten Kosten.

Zwar sieht § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II eine befristete Übernahme auch höherer Bedarfe unter der Voraussetzung vor, dass eine sofortige Kostensenkung dem Leistungsbezieher nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Allerdings gilt dies dann nicht, wenn der Leistungsberechtigte in eine andere Wohnung umzieht, ohne seiner Obliegenheit aus § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II nachzukommen, zuvor die Zusicherung zur Übernahme der Kosten einzuholen (Piepenstock/Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., Stand 21. März 2025, § 22 Rdnr. 221). Denn wer sich vor dem Umzug keine Klarheit über die Angemessenheit der Kosten verschafft, geht sehenden Auges das Risiko ein, diese teilweise selbst tragen zu müssen und ist daher nicht befristet schutzbedürftig (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. April 2021 – L 8 AS 421/16 – juris Rdnr. 35). Eine entsprechende Zusicherung haben die Antragsteller vorliegend – auch nach eigenen Angaben – nicht eingeholt. Eine solche war gerade auch nicht deshalb entbehrlich, wie der Antragsteller zu 1 meint, weil bereits ein Leistungsbezug nach dem SGB II bestand, vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall.

Aus denselben Gründen dürfte auch eine (teilweise) Übernahme der Betriebskostennachforderung bzw. der offenen Forderungen der Stadtwerke B1 schon nicht in Betracht kommen, weil bereits mit den laufenden Leistungen die maximal angemessenen Unterkunftskosten vom Antragsgegner übernommen worden sind, so dass sich kein Anspruch auf die Übernahme noch höherer tatsächlich entstandener Kosten ergeben kann. Im Übrigen sind in den von den Stadtwerken B1 abgerechneten Energiekosten auch Stromkosten enthalten, die ohnehin aus den Regelbedarfen zu decken sind.

Schließlich ergibt sich auch aus den von den Stadtwerken zuletzt für den 12. Mai 2025 angekündigten Einstellung der Energielieferung kein Anspruch der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Insoweit ist weder ersichtlich, auf welche Rechtsgrundlage ein entsprechender Anspruch gestützt werden sollte, noch ist eine Dringlichkeit einer gerichtlichen Regelung gegeben. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die angedrohte Einstellung überhaupt durch die Antragsteller verursacht worden ist. Vertragspartner der Stadtwerke B1 sind offensichtlich nicht die Antragsteller selbst, sondern deren Vermieter. Daher steht den Antragstellern kein eigener Anspruch gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen zu (vgl. Landgericht Frankfurt/Oder, Urteil vom 1. Februar 2002 – 6a S 75/01 – juris). Aus welchen Gründen der Vermieter der Antragsteller einen solchen Zahlungsrückstand, der zuletzt mit 10.737,68 EUR angegeben worden ist, hat entstehen lassen, wurde von den Antragstellern nicht mitgeteilt. In welchem Umfang die Antragsteller gegenüber dem Vermieter geschuldete Betriebskostenzahlungen beglichen haben und ihren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen sind, wurde nicht vorgetragen und ist sonst nicht ersichtlich. Ebenso ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsteller sich überhaupt schon an den Vermieter gewandt und diesen zur Abwendung der Energieversorgungssperre aufgefordert hätten. Aus welchen Gründen der Vermieter der Antragsteller der von den Stadtwerken B1 nach deren Auskunft vom 28. April 2025 angebotenen Abwendungsvereinbarung nicht zugestimmt hat oder dieser nicht nachkommt, ist ebenfalls nicht bekannt. Als Vertragspartner des Energieversorgungsunternehmens wäre es im Übrigen gegebenenfalls Sache des Vermieters, im Zivilrechtsweg eine Einstellung der Energieversorgung zu verhindern.

Zuletzt dürfte die von den Antragstellern befürchtete Einstellung der Energieversorgung von ihnen selbst auch ohne Weiteres abgewendet bzw. beseitigt werden können, indem sie selbst Energieversorgungsverträge mit Energieversorgern ihrer Wahl abschließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war unabhängig davon, dass die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht von einem Rechtsanwalt vertreten waren, mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde abzulehnen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved