L 7 R 209/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 1284/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 209/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2024 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung des 1957 geborenen und 2021 verstorbenen M1 (Versicherter) streitig.

Die 1963 geborene Klägerin und der Versicherte waren seit 2009 ein Paar und wohnten seit 2010 zusammen. Die Klägerin erkrankte 2012 an Morbus Parkinson und wurde von dem Versicherten gepflegt. Zumindest für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 3. Februar 2021 wurden für ihn Entgelte für Pflegetätigkeit an die Beklagte gemeldet.

Beim Versicherten wurde am 30. Oktober 2020 ein Urothelkarzinom mit plattenepithelialer Differenzierung, pT2a pLo cNx, CMx, G3, high grade, diagnostiziert. Bereits am 15. Oktober 2020 ergab ein CT des Beckens eine große tumoröse Raumforderung im kleinen Becken rechts mit fraglicher Infiltration der kaudalen Blasenanteile sowie engem Lagebezug zur Beckenwand. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts vom 25. November 2020 bis 14. Dezember 2020 in der Urologischen Klinik des Diakonie-Klinikums S1 wurde die Diagnose konkretisiert auf ein plattenepithelial differenziertes Urothelkarzinom des Harnblasendivertikels, pT3b, pN1(1/23), cM0, L0, V0, Pn0, R2, G3 mit konsekultivem Harnstau rechts. Es erfolgten eine offene Blasenteilresektion und DJ-Anlage beidseits am 26. November 2020, eine parenterale antibiotische Therapie mit Piperacillin/Tazobactam vom 30. November 2020 bis 10. Dezember 2020, eine CT-gesteuerte Stanzbiopsie eines Lungenrundherdes rechts am 4. Dezember 2020 und eine Port-Implantation am 11. Dezember 2020. Der Beginn einer Radiochemotherapie wurde für Anfang Januar 2021 geplant (Bericht des Diakonie-Klinikums S1 vom 15. Dezember 2020). Bei einer notfallmäßigen Vorstellung des Versicherten am 4. Januar 2021 zeigten sich ein Harnverhalt (
~600ml) sowie eine Wundheilungsstörung (Bericht des Diakonie-Klinikums S1 vom 4. Januar 2021). Im Rahmen eines stationären Aufenthalts des Versicherten vom 3. Februar 2021 bis 12. März 2021 zeigte sich eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes bei Progredienz des pelvinen Lokalbefundes, infizierter Harnstauungsnieren, rechts Grad III, links Grad I mit E. coli (3MRGN), HWI sowie einer Hypokaliämie (Bericht des Diakonie-Klinikums S1 vom 15. März 2021). Der Versicherte befand sich aufgrund starker abdomineller Schmerzen und Verschlechterung des Allgemeinzustandes erneut vom 24. März 2021 bis 27. März 2021 stationär in der Urologischen Klinik des Diakonie-Klinikums S1 (Bericht vom 29. März 2021). Am 1. April 2021 erfolgte eine notfallmäßige Vorstellung des Versicherten mit anschließendem stationären Aufenthalt bis zum 8. April 2021, wobei ein massiver Tumorprogress unter Immuntherapie mit Pembrolizumab bei Kalottenmetastase links parietal, Progredienz des vesikalen Blasenkarzinoms mit Infiltration der anterioren Bauchdecke und großer Lymphknotenmetastase iliakal rechts diagnostiziert wurde (Bericht des Diakonie-Klinikums S1 vom 19. April 2021). Im Verlauf dieses stationären Aufenthalts wurde bei massivem Tumorprogress (lymphogen, pulmonal und osseär) unter Immuntherapie die infauste Prognose mit dem Versicherten und den Angehörigen ausführlich besprochen. Weitere lebensverlängernde Maßnahmen wurden seitens des Versicherten nicht mehr gewünscht. Die Immuntherapie wurde beendet und der Versicherte nach den Maßgaben der „best-supportive-care“ versorgt. Durch den Sozialdienst der Klinik wurde ein Hospizplatz organisiert. In der Zwischenzeit erfolgte die Übernahme auf die hauseigene Palliativstation.

Am 10. April 2021 wurde die Eheschließung im Wege der Nottrauung angemeldet. Am 12. April 2021 heirateten die Klägerin und der Versicherte im Krankenhaus in Anwesenheit einer Ärztin.

2021 verstarb der Versicherte.

Am 15. September 2021 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente. In der Anlage R0510 gab sie an, sie hätte mit dem Versicherten bereits mehrere Jahre zusammengelebt. In der Anfangszeit habe der Versicherte noch das Trennungsjahr durchlaufen und habe nicht sofort eine weitere Ehe eingehen wollen. Vor ca. fünf Jahren seien nähere Pläne zu einer Heirat gemacht worden. Wegen der gesundheitlichen Probleme der Klägerin und des Versicherten sei die Eheschließung in die Zukunft verlegt worden. Insoweit gebe es auch Unterlagen über die Planungen, die aber – insbesondere nicht auf dem Computer des Versicherten – auffindbar gewesen seien.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2022 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente ab, da zwischen dem Eheschluss am 12. April 2021 und dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten 2021 weniger als ein Jahr gelegen habe. Bereits bei Eheschließung
sei auf absehbare Zeit zu erwarten gewesen sei, dass der Versicherte an den Folgen seiner Erkrankung sterben werde. Es sei von einer Versorgungsehe auszugehen.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 25. Januar 2022 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, es habe sich nicht um eine Versorgungsehe handelt. Sie und der Versicherte seien seit Februar 2009 ein Paar gewesen und im Oktober 2010 zusammengezogen. Nachdem zu Beginn der Beziehung noch kein Hochzeitswunsch bestanden habe, hätten der Versicherte und sie im Jahr 2016 den Wunsch geäußert, zu heiraten, wobei eine große Hochzeit habe stattfinden sollen, da der Versicherte „allen seine große Liebe zeigen, wie glücklich er war und diese mit allen feiern“ habe wollen. Dies habe die wirtschaftliche Situation im Jahr 2016 nicht zugelassen. Als sich 2018 die wirtschaftliche Situation des Versicherten und der Klägerin gebessert habe, habe sich deren Gesundheitszustands verschlechtert. Die Hochzeit habe dann verschoben werden müssen und stattfinden sollen, wenn es der Klägerin wieder besser gegangen wäre. Der Versicherte habe die Klägerin seit 2012 (Erstdiagnose der Parkinsonerkrankung) bis zu seinem Tod aufopfernd und liebevoll gepflegt. Erst nach dessen Tod habe sie – da ihre Pflege auch nicht durch die seit Juni 2020 in S1 wohnenden Tochter habe erfolgen können – den Pflegedienst in Anspruch nehmen müssen. Beide hätten nunmehr entschieden, nun doch im kleinen Kreis zu feiern, wobei die Klägerin den Versicherten nicht bei der Beschaffung der notwendigen Dokumente habe unterstützen können. Im Jahr 2017 sei der Versicherte zusehends leistungsschwächer geworden, vermutlich aufgrund der doppelten Belastung durch Arbeit und Pflege. Im Januar 2018 sei er in Kur gewesen. Im November 2020 sei bei ihm der Krebs diagnostiziert worden. Der Versicherte habe der Klägerin und seiner Familie seinen wahren Zustand verschwiegen und bis zuletzt der Klägerin Hoffnung auf Besserung gemacht. Aufgrund der Coronapandemie seien Besucher im Krankenhaus nicht erlaubt gewesen, sodass sie auch nicht von den Ärzten mitbekommen habe, wie es um den Versicherten gestanden habe. Die Besuche beim Versicherten seien – soweit wegen der Coronapandemie überhaupt möglich – von der Tochter der Klägerin vorgenommen worden, gegenüber dieser habe der Versicherte jedes Mal erwähnt, dass er die Klägerin noch heiraten wolle. Die Ehe sei dann am 12. April 2021 im Diakonie-Klinikum S1 geschlossen worden.

Dem Widerspruch beigefügt war eine Stellungnahme der Standesbeamtin und Zeugin R1 vom 28. Februar 2022, die vom Eheschließungswunsch am 10. April 2021 erfahren habe. In den Gesprächen vor und bei der Eheschließung sei der Eindruck entstanden, dass es sich um einen seit Jahren gehegten Wunsch gehandelt habe, welcher aufgrund von krankheitsbedingten Herausforderungen der Eheleute nicht habe früher realisiert werden können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das seit längerem bestehende Krebsleiden des Versicherten sei zum Zeitpunkt der Eheschließung am 12. April 2021 bereits sehr weit fortgeschritten gewesen und habe einen schlechten Allgemeinzustand mit sich gebracht, der eine Betreuung in einer Diakonie erforderlich gemacht habe. In Kenntnis dieses Zustandes seien sehr kurzfristig die für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen beschafft worden (innerhalb von zwei Tagen) und die Eheschließung habe dann im Diakonie-Klinikum S1 im Beisein der behandelnden Ärztin stattgefunden. Da trotz des langjährigen Zusammenlebens tatsächlich keine konkreten Vorbereitungen für eine Eheschließung geschlossen worden seien, sei von einer Versorgungsehe auszugehen. Diese gesetzliche Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt.

Am 20. April 2022 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Die Ehe zwischen dem Versicherten und ihr sei nicht maßgeblich aus Gründen der Versorgung geschlossen worden. Die rechtliche Vermutung sei widerlegt, wenn sich die Heirat als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung bestehenden Entschlusses darstelle, was vorliegend der Fall gewesen sei. Es sei auch nicht die Absicht der Klägerin gewesen, sich eine Versorgung für den Fall des Todes ihres Ehemannes zu verschaffen. Ihr sei auch kein etwaiger Todeszeitpunkt mitgeteilt worden und sie habe die Hoffnung gehabt, der Versicherte würde noch länger leben. Der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat sei es gewesen, die jahrelange Beziehung mit einer Heirat zu bestätigen. Die Klägerin hat notarielle Vertragsentwürfe (Patientenverfügung und Erbvertrag) aus dem Jahr 2018 vorgelegt.

Das SG hat den Ärztlichen Direktor der Urologischen Klinik des Diakonie-Klinikums S1 S2  schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt, der angegeben hat, den Versicherten vom 19. November 2020 bis zum 19. April 2021 behandelt zu haben. Seit November 2020 hätten beim Versicherten bis zu dessen Tod schwerste krankheitsbedingte Beeinträchtigungen bestanden. Ab dem 20. Dezember 2020 seien die gestellten Diagnosen lebensbedrohlich gewesen; es habe eine Lebenserwartung von weniger als zwölf Monaten bestanden.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2024 die Standesbeamtin R1, die Tochter der Klägerin, S3, die Bekannten des Versicherten und der Klägerin D1 und R2 als Zeuginnen vernommen.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2024 hat das SG den Bescheid vom 12. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2022 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus der Versicherung des Versicherten eine Hinterbliebenenrente in Gestalt einer großen Witwenrente ab 1. Mai 2021 zu zahlen. Die Kammer sei zur Überzeugung gelangt, dass die gesetzliche Vermutungsregelung einer Versorgungsehe nicht zulasten der Klägerin eingreife, weil besondere Umstände des Einzelfalles ersichtlich seien, welche die gesetzliche Vermutung eine Versorgungsehe widerlegten. Die Kammer habe sich im Rahmen der Zeugenvernehmung vom Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a zweiter Halbsatz Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) überzeugen können. Es seien besondere (innere und äußere) Umstände nachgewiesen, die zumindest gleichwertig neben einer möglichen Versorgung der Klägerin stünden. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 12. April 2021 habe für die Eheschließenden festgestanden, dass der Versicherte lebensbedrohlich erkrankt gewesen sei, was sich aus den vorgelegten Arztbriefen ergebe. Zu diesem Zeitpunkt habe eine Therapie nicht mehr stattgefunden und der Versicherte sei nur noch palliativ versorgt worden und habe in ein Hospiz verlegt werden sollen. Eine Heilungschance habe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden. Es sei auch unerheblich, ob mit einem unmittelbaren Tod des Versicherten zu rechnen gewesen sei, sondern entscheidungserheblich sei nur, dass der Versicherte im Zeitpunkt der Eheschließung an einer tödlichen, nicht heilbaren Erkrankung erkrankt gewesen und innerhalb eines Jahres verstorben sei. Es komme hingegen nicht auf statistische Wahrscheinlichkeiten an, ob eine Überlebensdauer von mehr als einem Jahr wahrscheinlicher gewesen sei als der Tod des Versicherten. Daher komme auch der Hoffnung der Eheschließenden, derjenige der an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leide, werde noch einige Zeit leben, keine Bedeutung zu. Zwar sei es auch bei schwersten Erkrankungen menschlich durchaus nachvollziehbar und wünschenswert, dass immer und weiterhin die Hoffnung
auf ein Weiterleben bestehe und nicht aufgegeben werde. Jedoch änderten diese nachvollziehbaren Hoffnungen und Erwartungen nichts daran, dass im Zeitpunkt der Eheschließung am 12. April 2021 eine lebensbedrohliche Erkrankung des Versicherten vorgelegen habe, die gegebenenfalls innerhalb eines Jahres zum Tode führen könne und auch innerhalb weniger Tage zum Tod des Versicherten geführt habe. Des Weiteren spiele die mögliche Witwenrente der Klägerin wirtschaftlich durchaus eine Rolle, da diese 2021 nur über eine Rente von monatlich 783,87 EUR verfügt habe, also bereits der Lebensunterhalt nicht vollständig gesichert gewesen sei und die Klägerin zudem an Morbus Parkinson erkrankt gewesen sei, was ggf. besondere Bedarfe rechtfertigen könne, die nicht durch die Leistungen aus der Pflegeversicherung abgedeckt würden. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin und der Versicherte über zehn Jahre ein Paar gewesen seien und zusammengelebt hätten, ohne die Eheschließung vorzunehmen. Dem stünden aber besondere Umstände gegenüber, die die Vermutung einer Versorgungsehe aufgrund mindestens gleichwertiger anderer Beweggründe im Rahmen einer Gesamtabwägung in den Hintergrund treten ließen. Insoweit sei die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin und der Versicherte sich bereits im Jahr 2016 zur Heirat entschlossen hätten, dies habe jedoch aufgrund verschiedener gesundheitlicher Probleme der Eheleute und finanzieller Probleme nicht realisiert werden können. Dies rechtfertige im vorliegenden Einzelfall die Annahme eines besonderen Grundes, der den Versorgungszweck der Ehe in den Hintergrund treten lasse. Die Zeuginnen S4, D1 und R2 hätten alle übereinstimmend geschildert, dass die Klägerin und der Versicherte bereits seit mehreren Jahren hätten heiraten wollen. Sie hätten auch übereinstimmend geschildert, dass der Versicherte eine entsprechende große Hochzeitfeier (viele Gäste, Band usw.) habe veranstalten wollen, um seine Liebe zur Klägerin zu zeigen, was jedoch zunächst aus gesundheitlichen Gründen der Klägerin, ab 2018 auch des Versicherten wegen „Burn-Out“ und finanziellen Gründen nicht habe verwirklicht werden können. Diese Aussagen stimmten mit den Angaben der Klägerin während des Verwaltungsverfahrens überein und entsprechende Angaben habe sie auch gegenüber der Zeugin R1 gemacht, wie sich aus deren Angabe in der mündlichen Verhandlung und der vorgelegten E-Mail der Klägerin an diese Zeugen vom 11. April 2021 ergebe. Die Klägerin habe zudem in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass der Versicherte ihr bei einem gemeinsamen Spaziergang einen Antrag gemacht und einen Verlobungsring aus „Stanniolpapier“ überreicht habe, also die Eheleute verlobt gewesen seien. Bereits 2017 habe es zumindest Pläne bezüglich des Abschlusses eines Erbvertrages im Falle einer möglichen Heirat gegeben, damit die Zeugin S4 die Wohnung der Klägerin nach deren Ableben erben sollte. Zwar seien diese Pläne nach einem notariellen Entwurf nicht weiterverfolgt worden, es zeige sich aber nach Auffassung der Kammer, dass bereits 2017 entsprechende Vorkehrungen für eine zukünftige Heirat getroffen werden sollten. Zwar sei die Heirat am 12. April 2021 im Rahmen einer Nottrauung erfolgt, aber aufgrund der Aussagen der Zeuginnen sei die Kammer der Überzeugung, dass die Heirat die Verwirklichung eines langgehegten Heiratswunsches, insbesondere des Versicherten, als das leitende Motiv für die Eheschließung gewesen sei. Insoweit hätten die Zeuginnen S4, D1 und R2 übereinstimmend angegeben, dass der Versicherte ihnen gegenüber immer wieder geäußert habe, er wolle die Klägerin heiraten, wenn es dieser gesundheitlich besser gehe. Auch die Zeugin R1 habe aufgrund ihrer Gespräche mit der Klägerin in Vorbereitung der Eheschließung sowie aufgrund ihres Eindrucks vom Versicherten und dessen Berichte während der Trauung bestätigt, dass es bereits zuvor konkrete Hochzeitpläne gegeben habe, die aus verschiedenen Gründen nicht hätten verwirklicht werden können. Des Weiteren habe die Zeugin R2 angegeben, dass sie erfahren habe, dass der Versicherte noch im Krankenhaus von einer Heirat geredet habe und sie hierauf „die standesamtliche Hochzeit initiiert habe“ und sich an das Standesamt gewendet habe. In diesem Zusammenhang habe sie über die Zeugin S4 bei der Klägerin angefragt, ob diese bereit wäre, die Eheschließung am Sterbebett vorzunehmen, was auch der Fall gewesen sei. Aufgrund der übereinstimmenden und nachvollziehbaren sowie stimmigen Aussagen der Zeuginnen stelle sich die Heirat am 12. April 2021 als Verwirklichung des lang gehegten Heiratswunsches bzw. Heiratspläne der Eheleute dar. Dass es vorliegend noch keine konkreteren Vorbereitungen einer Hochzeit, wie beispielsweise Reservierung einer Lokalität oder Beschaffung entsprechender Unterlagen gegeben habe, sei daher nicht relevant.

Gegen das ihr am 20. Dezember 2024 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 2025 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Die Behauptung, dass die Hochzeit immer wieder habe verschoben werden müssen, da man eine Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin erwartete, lasse sich mit dem tatsächlichen Gesundheitszustand nicht vereinbaren. Für den Versicherten sei seit Jahren sichtbar, dass ein Hochzeitsfest mit Tanz mit seiner Ehefrau nicht mehr möglich gewesen sei. Eine konsequente Verwirklichung eines Heiratsentschlusses stelle diese Vorgehensweise nicht dar. Zumal der Hinderungsgrund (Verschlechterung des Gesundheitszustandes beider Ehegatten), der das Aufschieben der Hochzeit begründet gehabt habe, auch zum Zeitpunkt der Hochzeit am 12. April 2021 gerade nicht weggefallen, sondern das Gegenteil der Fall gewesen sei. Die Klägerin selbst gebe an, dass es über die vielen Jahre durchaus Gespräche hinsichtlich einer möglichen Hochzeit gegeben hätte. Diese seien jedoch allgemein und ohne Substanz geblieben. Keiner der Ehegatten habe sich bis kurz vor dem Tod des Versicherten ernsthaft um einen Heiratstermin bemüht, eine Lokalität für eine Feier gebucht oder Einladungen versandt. Wann der Versicherte der Berufungsbeklagten einen Heiratsantrag gemacht habe, daran habe sie sich nicht mehr erinnern können. Dass beide Ehegatten vor Kenntnis der lebensbedrohlichen Krankheit keine einzige konkrete, auf eine Heirat üblicherweise ausgerichtete Aktivität in die Tat umgesetzt hätten, sei entgegen der Annahme des SG relevant. Beide Ehegatten hätten das Thema Hochzeit über etliche Jahre zwar gelegentlich verbalisiert, sich aber nicht motivieren können, tatsächlich auch zu heiraten. Den Zeitpunkt zu heiraten, als beide Partner noch einen in die Zukunft gerichteten Ehebund hätten schließen können, als Wesen der Ehe, hätten die Ehegatten verstreichen lassen. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, noch ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, sowie Äußerungen der Ehepartner gegenüber der Familie über eine geplante Hochzeit genügten nicht. Gerade die Tatsache, dass die Klägerin und der Versicherte bereits seit mehr als zehn Jahren ein Paar gewesen seien und bislang keine Heirat erfolgt sei, spreche dafür, dass eine Partnerschaft ohne Trauschein zunächst für ausreichend und zufriedenstellend angesehen worden sei. Einem langjährigen Zusammenleben ohne Trauschein liege die Grundentscheidung zugrunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gälten, zu unterliegen. Auch der Wunsch, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem eheähnlichen Zusammenleben mit dem Versicherten den „offiziellen Segen“ zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, sei zwar nicht von vornherein – losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls – ungeeignet, einen besonderen Umstand anzunehmen, allein das Bestehen einer innigen Liebesbeziehung und die wiederholten Äußerungen von Heiratsabsichten reichten für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung jedoch nicht aus. Soweit das SG den Entwurf eines Erbvertrages von Oktober 2018 als Vorkehrung für eine zukünftige Heirat ansehe, finde sich darin jedoch kein Hinweis auf eine bevorstehende Hochzeit. Die Vertragsparteien bezeichneten sich nicht als Verlobte und gäben ausdrücklich an, nicht verheiratet zu sein. Sie hätten demnach gegenseitige Versorgungsabsichten notariell klären lassen wollen, ohne verheiratet zu sein. Eine Heiratsabsicht sei nicht erkennbar oder naheliegend. Auch die Entwürfe zur General- und Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügungen sprächen dafür, dass gegenseitige Versorgungsgedanken keine untergeordnete Rolle gespielt haben dürften. Der Versicherte habe im November 2020 die Diagnose eines metastasierten Harnblasentumors erhalten. Dass die Klägerin von der lebensbedrohlichen Krankheit nicht gewusst haben wolle, sei nicht glaubhaft. Erst nach Kenntnis der lebensbedrohlichen Erkrankung sei die Eheschließung sehr konkret und konsequent umgesetzt worden. Die Hochzeit im Krankenhaus, die nach § 13 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) eine lebensgefährliche Erkrankung voraussetze, sei eine sogenannte „Nottrauung“ gewesen, da die Eheschließung wegen der lebensgefährlichen Erkrankung des Versicherten nicht mehr habe aufgeschoben werden können, wie all die Jahre vorher. Die Klägerin habe demnach Kenntnis gehabt, dass die Heirat nunmehr eilbedürftig und nicht mehr in einem üblichen oder von den Ehegatten angestrebten Rahmen habe stattfinden können. Die Eheschließung im Krankenhaus habe nun gerade nicht den Vorstellungen einer Hochzeitsfeier des Paares entsprochen. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe, die einer Hochzeit zeitweise entgegengestanden hätten, seien teilweise bereits vor Jahren entfallen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Heirat nach Besserung der wirtschaftlichen Situation des Paares und der Erkenntnis, man könne auch eine kleinere Feier abhalten, nicht erfolgt sei. Die vorgetragenen Gründe, dass es nicht vorher zu einer Heirat gekommen sei (u.a. „man habe sich nicht aufraffen können“), ließen sich nicht mit einer ernsthaften Heiratsabsicht in Einklang bringen. Hinreichend gewichtige Umstände, weshalb die Hochzeit erst im Angesicht des Todes habe stattfinden müssen, seien nicht vorgetragen worden. Dass Versorgungsgedanken den Zeitpunkt der Heirat erheblich beeinflusst hätten, sei naheliegend. Die von der darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin vorgebrachten, von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe für die Eheschließung überwögen weder insgesamt gesehen den Versorgungszweck noch seien sie diesem zumindest gleichwertig. Deshalb lägen besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2024 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Trotz Heirat im Rahmen einer Nottrauung sei das Sozialgericht zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass die Verwirklichung eines lang gehegten Heiratswunsches, insbesondere des Versicherten, das leitende Motiv für die Eheschließung gewesen sei. Dies hätten die vernommenen Zeuginnen allesamt bestätigt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist auch begründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 9. Dezember 2024 zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2022 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung einer Witwenrente verurteilt. Denn der Bescheid vom 12. Januar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes.

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, unter anderem dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben. Gemäß § 242a Abs. 4 und 5 SGB VI besteht der Anspruch auf große Witwenrente, wenn der Versicherte im Jahr 2021 gestorben ist, bereits ab einem Alter von 45 Jahren und 10 Monaten. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 16. April 2021 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hat im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits das 57. Lebensjahr vollendet und nach dessen Tod nicht wieder geheiratet.

Der Anspruch auf Witwenrente ist vorliegend jedoch durch § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen. Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 (BGBl. I 403) eingeführt worden ist und für alle seit dem 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen gilt (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI), ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Diese Regelung ist vorliegend einschlägig, da die am 12. April 2021 geschlossene Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten nur bis zu dessen Tod am 16. April 2021 und damit nicht mindestens ein Jahr gedauert hat. Zur Überzeugung des Senats sind hier auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles anzunehmen, die gegen die gesetzliche Vermutung sprechen, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Der Begriff der „besonderen Umstände“ gemäß § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Beurteilung der richterlichen Kontrolle unterliegt (BSG, Urteil vom 3. September 1986 – 9a RV 8/84 – juris). Was unter den „besonderen Umständen“ des Falles gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht näher definiert. Da die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI jedoch bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung nachgebildet ist, kann an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der „besonderen Umstände“ in diesen Bestimmungen angeknüpft werden (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08 RSozR 4-2600 § 46 Nr. 6). Daher sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalles als „besondere Umstände“ im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Maßgebend sind die Beweggründe beider Ehegatten, wobei die Annahme einer sogenannten Versorgungsehe nur dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind. Die Beweggründe sind in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Deshalb reicht es aus, wenn lediglich für einen Ehegatten die Versorgungsabsicht nachweislich nicht maßgebend gewesen ist. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der Ermittlung der Beweggründe für die Heirat bzw. des Zweckes der Heirat darf nicht stattfinden, da dann die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme eine Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschnitten würden (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R – juris m.w.N.).

Hierbei ist nach der genannten Rechtsprechung des BSG zu beachten, dass eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen („besonderen“) Gründe im Rahmen des § 46 Abs. 2a SGB VI angesichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten nicht möglich ist. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich – isoliert – zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen. Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt („plötzlich“ und „unerwartet“) eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der „Unfalltod“ genannt (BT-Drs. 14/4595 S. 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat (z.B. Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung). Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme („Vermutung“) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R – juris m.w.N.).

Die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erfordert gemäß § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 1986 – 9a RV 8/84 – juris). Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist erst bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG, Urteil vom 6. Februar 2003 – B 7 AL 12/02 R – juris). Wenn eine solche erforderliche Überzeugung nicht vorliegt, treffen nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen denjenigen, der aus der Tatsache einen Anspruch begründen will, im vorliegenden Fall die Klägerin, da sie sich auf die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung beruft (Schmidt in Meyer‑Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 103 Rdnr. 19a und § 118 Rdnr. 6 m.w.N.).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund konnte sich der Senat nicht vom Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI überzeugen. Vielmehr spricht die Tatsache, dass der Versicherte zum Zeitpunkt der Eheschließung am 12. April 2021 bereits offenkundig an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten hat, die bereits vier Tage später zu seinem Tod geführt hat, ganz maßgeblich für die Richtigkeit der gesetzlichen Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI.

Bei dem Versicherten wurde im Oktober 2020 ein Urothelkarzinom des Harnblasendivertikels festgestellt. Daneben fanden sich bereits disseminierte Lebermetastasen und pathologische Lymphknoten im Bereich der Leber. Zudem wurde der Verdacht auf Lungenmetastasen gestellt. Trotz operativer Behandlung mit Blasenteilresektion im November 2020, Chemo- und Strahlentherapie im Februar 2021 sowie einem ersten Zyklus Immuntherapie kam es bis Anfang April 2021 zu einem massiven Tumorprogress (lymphogen, pulmonal und ossär). Es bestanden somit Lymphknoten-, Lungen- und Knochenmetastasen. Im Rahmen des stationären Aufenthalts des Versicherten vom 1. April 2021 bis 8. April 2021 wurde mit dem Versicherten und den Angehörigen die infauste Prognose, d.h. die ungünstige Vorhersage für den weiteren Krankheitsverlauf dergestalt, dass in absehbarer Zeit mit dem Tod zu rechnen ist, besprochen. Der Versicherte wünschte keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen, die Immuntherapie wurde beendet und während der Organisation eines Hospizplatzes eine Verlegung auf die Palliativstation vorgenommen. Damit war zweifelsfrei im Zeitpunkt der erst danach erfolgten Eheschließung am 12. April 2021 klar, dass die Erkrankung des Versicherten höchst lebensbedrohlich war, keinerlei Aussicht auf Heilung bestand und mit einem baldigen Ableben zu rechnen war.

Es sind für den Senat keine besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, von einem derartigen Gewicht erkennbar, als dass sie in Anbetracht des Grades der Lebensbedrohlichkeit der Krankheit des Versicherten die gesetzliche Vermutung widerlegen könnten.

Zur Überzeugung des Senats war der Klägerin die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung bekannt. Nach dem Bericht des Diakonie-Klinikums S1 vom 19. April 2021 war die infauste Prognose nicht nur mit dem Versicherten, sondern auch dessen Angehörigen besprochen worden. Dass die Klägerin davon sowie von der Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen keine Kenntnis hatte, wurde weder behauptet noch wäre dies glaubhaft. Zudem wurde die Eheschließung erst im Anschluss angemeldet und ohne abschließende Prüfung durch das Standesamt, ob der Eheschließung ein Hindernis entgegensteht, wie von § 13 Abs. 1 PStG vorgesehen, vorgenommen, was gemäß § 13 Abs. 3 PStG das Vorliegen einer lebensgefährlichen Erkrankung erfordert. Angesichts der vorgenannten Umstände ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass der (äußerlich erkennbare) Zustand des Versicherten ernsthaft Zweifel am Vorliegen einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung hätte geben können.

Selbst bei der vorliegend fernliegenden Annahme, dass im Zeitpunkt der Eheschließung womöglich nicht mit einem Ableben des Versicherten innerhalb eines Jahres gerechnet worden war, würde dies nicht den grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der Erkrankung beseitigten, selbst wenn auf eine Gesundung gehofft worden ist. Auch bei schwersten Erkrankungen ist es menschlich durchaus nachvollziehbar und letztlich auch wünschenswert, dass weiterhin die Hoffnung auf ein Weiterleben nicht aufgegeben wird. Solche nachvollziehbaren Hoffnungen ändern jedoch nichts daran, dass es sich hierbei eben nur um Hoffnungen handelt, die am tatsächlichen Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung nichts ändern. Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, sind danach nicht feststellbar.

Insgesamt sind das Vorliegen der potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung und die erst nach Einstellung lebensverlängernder Therapiemaßnahmen und erst kurz vor dem Eintritt des Todes erfolgte Anmeldung und Durchführung der Eheschließung ein äußerst gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Versorgungsabsicht, das bei der damit völlig fehlenden Aussicht auf eine Verlängerung der Überlebenszeit über die Zeit des Eintretens des gesetzlichen Rentenausschlusses hinaus, nicht zu entkräften ist. Ein anderes Motiv für die Eheschließung als die Versorgungsabsicht tritt nicht hervor. Vielmehr wäre auch bei einer Ehezeit von einem Jahr bei Versterben des Versicherten vom Vorliegen einer Versorgungsehe auszugehen. Lediglich der gesetzliche Rentenausschluss wäre in diesem Fall nicht eingetreten. Die Rechtsfolge des Rentenausschlusses bei Nichteinhaltung der Jahresfrist ist jedoch zwingend (Kreikebohm/Jassat in BeckOK Sozialrecht, Stand 1. Dezember 2023, SGB VI § 46 Rdnr. 23).

Andere, dem Versorgungsmotiv zumindest gleichwertige Gründe für die Eheschließung hat die Klägerin auch sonst nicht nachgewiesen. Insbesondere konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Heirat am 12. April 2021 die konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellt. Ein konkreter Termin für eine Hochzeit wurde zu keinem Zeitpunkt vereinbart, sondern es ist bei der Bekundung, irgendwann heiraten zu wollen, geblieben. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, ohne entsprechende konkrete Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, reichen zur Überzeugung des Senats nicht aus, um einen bereits vor dem Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung gefassten Heiratsentschluss annehmen zu können (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. November 2010 – L 11 R 1135/10 –; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 2012 – L 11 R 392/11 –; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014 – L 13 R 3256/13 – alle juris). Erst nach der Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen aufgrund der massiv fortgeschrittenen Tumorerkrankung am 8. April 2021 wurde beim Standesamt S1 am 10. April 2021 die Vornahme der Eheschließung erbeten. Insoweit ist schon nicht nachvollziehbar, dass – hätte es andere Gründe als das Versorgungsmotiv und den festen Entschluss zur Eheschließung am 12. April 2021 gegeben – erst zwei Tage vor der Eheschließung die hierfür erforderliche Anmeldung erfolgt ist. Selbst, wenn die Zeugin D1 für den Versicherten und die Klägerin bereits am 19. März 2021 mit dem Standesamt in Kontakt getreten war, wurde noch keine Eheschließung angemeldet, so dass selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem festen Entschluss zur Eheschließung am 12. April 2021 ausgegangen werden kann. Die erst kurz vor dem Tod des Versicherten angemeldete und vorgenommene Eheschließung widerlegt das Bestehen einer bereits seit langer Zeit, insbesondere vor der Diagnose der Krebserkrankung fest bestehenden Absicht, an diesem Tag zu heiraten. Auch sonstige Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf eine angeblich beabsichtigte Eheschließung hat die Klägerin nicht nachgewiesen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf eine Eheschließung bereits die hierfür erforderlichen Unterlagen beschafft worden wären. Damit sind keinerlei Vorbereitungshandlungen für eine beabsichtigte Eheschließung nachgewiesen, die für andere als Versorgungsgründe hätten sprechen können. Als Vorbereitungshandlung für eine Eheschließung taugen die vorgelegten notariellen Vertragsentwürfe aus dem Jahr 2018 nicht. Diese sprechen allenfalls für eine beabsichtigte Regelung von Vorsorge- und Erbfragen für den Fall des Fortbestehens der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die kurz vor dem Tod des Versicherten erfolgte Eheschließung stellt sich in dem Zusammenhang schließlich als die Wahrnehmung der letztmöglichen Gelegenheit zur Nachholung der bis dahin – entgegen der früheren Planung – nicht erfolgten Regelung der Versorgungsangelegenheiten dar.

Aus den Angaben der Klägerin, wonach sie und der Versicherte schon seit langem hätten heiraten wollen, jedoch eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin abgewartet werden sollte, ergibt sich nichts anderes. Vielmehr spricht dies gerade dafür, dass zunächst eine Eheschließung nicht für erforderlich gehalten und bewusst eine Entscheidung gegen eine Eheschließung getroffen worden war und die Heirat gerade im Hinblick auf den dann nicht mehr gegebenen guten Gesundheitszustand des Versicherten erfolgte. Die Einleitung von konkreten Vorbereitungshandlungen zur Eheschließung erst kurz vor dem absehbaren Tod spricht gerade vor diesem Hintergrund auch dafür, dass sich die Klägerin und der Versicherte der Ernsthaftigkeit der Erkrankung des Versicherten bewusst waren. Eine andere Motivation als der Versorgungsgedanke ist hierin nicht erkennbar, im Gegenteil wird hierdurch die Annahme, dass Versorgungsgründe für den Heiratsentschluss maßgeblich waren, untermauert.

Insgesamt erklärt sich für den Senat das gesamte Vorgehen bis zur tatsächlichen Eheschließung am 12. April 2021 nicht anders, als dass der Versicherte kurz vor seinem Ableben die Klägerin versorgt wissen wollte, sodass die Verwirklichung der behaupteten seit längerem bestehenden Heiratsabsicht gerade nicht gegen, sondern für das Vorliegen eines Versorgungszwecks spricht.

Insgesamt besteht danach kein Raum, von einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung auszugehen, sodass ein Anspruch auf Witwenrente ausscheidet und das angefochtene Urteil aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. 

Rechtskraft
Aus
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