S 34 KR 26/24 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 26/24 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 257/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. Januar 2024 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2,5 Mio. Euro festgesetzt.


Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Beigeladenen das Betreiben des Verordnungsservices H.® bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen.

Die Antragstellerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie ist dabei Medizinproduktehersteller und Herstellungsbetrieb nach § 13 Arzneimittelgesetz (AMG). Ihr Tätigkeitsbereich ist die Entwicklung und der Vertrieb von innovativen Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Infusionsmedizin. Hierbei stellt sie auch Produkte zur parenteralen Ernährung (im Folgenden: PE), also zur künstlichen Ernährung her. Im Jahr 2017 entwickelte sie einen patentierten Mehrkammerbeutel für ein PE-Mehrkomponentenregime, die sie unter der Bezeichnung Eurotubes® vertreibt. Bei den sog. Eurotubes® handelt es sich um Sieben-, Acht- und Neunkammerbeutel, bei denen PE-Komponenten getrennt voneinander abgefüllt und haltbar aufbewahrt werden können. Üblicherweise werden in der PE-Therapie Ein- bis maximal Dreikammerbeutel verwendet. Weitere Bestandteile der PE-Therapie werden mittels Spritze (über einen Zuspritzport) hinzugegeben. Die Eurotubes® der Antragstellerin verfügen neben bis zu drei getrennten Hauptkammern für Fette, Aminosäuren und Kohlenhydrate über einen „Therapieblock“ mit bis zu sechs weiteren gesonderten Kammern für Elektrolyte und Mikronährstoffe. 

Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Beigeladende ist ein in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) organisiertes privatrechtliches Unternehmen. Die Beigeladene betreibt seit dem Jahr 2012 unter dem Namen H.® eine Online-Plattform für Ärzte, bei der durch Eingabe patientenspezifischer Parameter eine Verordnungsmöglichkeit für das PE-Regime vorgeschlagen wird, die im jeweiligen Einzelfall am wirtschaftlichsten sein soll. Dabei werden ein Infusionsplan und ein Rezeptvorschlag für das PE-Regime herausgegeben. Die Berechnung der Verordnungsbestandteile erfolgt durch einen Algorithmus. Die Nutzung der Plattform ist für die Ärzte freiwillig und erfolgt durch Anmeldung bzw. Erstellung eines Accounts. Die Antragsgegnerin hat die Beigeladene beauftragt, über die web-basierte Plattform die Vertragsärzte über Arzneimittel und deren Preise im Bereich parenteraler Ernährung zu informieren. Dabei sind auf der Plattform alle Produkte sämtlicher Anbieter parenteraler Ernährungstherapien enthalten. Der Plattform liegen außerdem die aktuellen Leitlinien zur parenteralen Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und die European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) zugrunde, sowie weitere wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Kosten für die Neun- und Achtkammerbeutel belaufen sich auf 99,22 Euro bzw. 93,06 Euro pro Stück. Alternative Mischbeutel kommen auf Durchschnittspreise von etwa 16 bzw. 14 Euro. Der Siebenkammerbeutel hat einen Preis von 91,69 Euro, alternative Mischbeutel einen Preis von ca. 14 Euro. 

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben hinsichtlich der H.®-Plattform einen „Vertrag zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelverordnung von parenteralen Ernährungstherapien durch das Verordnungsservice-Portal für Ärzte „H.“ geschlossen. Dieser Vertrag hat gemäß § 2 Abs. 1 die bundesweite Bereitstellung des Verordnungsservice-Portals „H.“ zum Zweck der Unterstützung und Sicherstellung einer wirtschaftlichen Verordnung von Arzneimitteln zur parenteralen Ernährung zugunsten der Versicherten der Antragsgegnerin zum Gegenstand. Nach § 2 Abs. 4 hat die Beigeladene sicherzustellen, dass die ärztliche Therapiehoheit nicht beeinträchtig wird und die Beratung leitliniengerecht erfolgt. Gemäß § 9 haftet die Beigeladene für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 1140 ff. der Gerichtsakte (GA) verwiesen.

Die Antragstellerin hat am 22. Dezember 2023 zunächst beim Sozialgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Hamburg mit Beschluss vom 16. Januar 2024 den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen, da dieses aufgrund des Sitzes der Antragstellerin örtlich zuständig sei. 

Sie trägt zur Begründung ihres Antrags folgendes vor: Die Antragstellerin sei in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt, weshalb ein Abwehranspruch gegen die Antragsgegnerin bestehe. Dabei sei insbesondere das Recht auf chancengleiche Teilnahme am Wettbewerb nach Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 GG betroffen. Die Einbindung eines privaten Unternehmens, also der Beigeladenen, in die Wahrnehmung der aus § 73 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) resultierenden Informationspflichten verletzte die Rechte der Antragstellerin. Die Beigeladene sei nicht wirksam beliehen. Die von der Beigeladenen bereitgestellten Informationen beeinträchtigten die Antragstellerin in ihrer Teilnahme am Wettbewerb. Es liege eine „unzulässige faktische Beleihung“ vor. Auch ließe sich das Handeln der Antragsgegnerin nicht durch § 197b S. 1 SGB V legitimieren. Indem die PE-Mehrkammerbeutel der Antragstellerin nicht als wirtschaftlichste PE-Primärverpackung empfohlen werde, werde sie gegenüber anderen Herstellern von PE-Kammerbeuteln benachteiligt. Die Entscheidungen der Ärzte würden beeinflusst, sodass es zu Wettbewerbsnachteilen für die Antragstellerin komme. Dies führe quasi zu einem „Boykott“ der Eurotubes® der Antragstellerin. Es sei durch Studien, dabei insbesondere die PEKANNUSS-Studie nachgewiesen, dass die höheren Kosten der Eurotubes® durch Vorteile wie ein geringeres Infektionsrisiko und den verringerten Aufwand bezüglich der Anwendung (bspw. Einsparung von Kosten für Pflegedienste) gerechtfertigt seien und damit nicht per se eine Unwirtschaftlichkeit i.S.d. § 12 SGB V vorliege. Die einstweilige Anordnung sei auch zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich. Die Antragstellerin sei in ihren Grundrechten verletzt. Es seien massive finanzielle Einbußen zu befürchten. Der H.® Verordnungsservice werde von 16.000 Ärzten genutzt, die aufgrund von Regressrisiken von einer Verordnung der Eurotubes® absehen könnten. Zudem decke die Antragsgegnerin mit 5,5 Millionen Versicherten einen erheblichen Teil der Gesamtzahl an gesetzlich Versicherten ab. Der H.®-Verordnungsservice arbeite mit 41 Krankenkassen zusammen und decke ca. 68% der gesetzlich Versicherten ab. Es seien Umsatzeinbußen eingetreten. In den Jahren 2017 und 2018, also nach der Markteinführung der Eurotubes® sei ein Anstieg der Absatzzahlen von rund 80% p.a. erkennbar. Diese Entwicklung hat sich – anders als von der Antragstellerin – nicht fortgesetzt. Dies sei eine Folge des gezielten Boykotts der Eurotubes® durch den H.®-Verordnungsservice. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liege nicht vor. Es werde nur eine Interimsregelung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache begehrt.

Auf Nachfrage der Vorsitzenden hat die Antragstellerin weiter ausgeführt: Die Herstellung und der Vertrieb von Infusionslösungen würden bei der Antragstellerin als eigenständiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb geführt. Der Herstellung der Eurotubes® basiere auf einem aufwändigen Prüf- und Zertifizierungsprozess, der mit hohen Kosten verbunden sei. Ab der Markteinführung sei es, infolge hoher Akzeptanz der Produkte bei Ärzten möglich gewesen, die Absätze kontinuierlich zu steigern. Diese positive Entwicklung habe sich jedoch durch den „Boykott“ der Eurotubes® nicht fortgesetzt. Bereits seit dem Jahr 2020 hat die Antragstellerin schwere wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen. Da die Antragstellerin bestimmte Abnahmemengen mit dem Lohnhersteller der Beutel vereinbart habe, drohe ihr ein Verlust der Zusammenarbeit mit diesem, wenn diese Mengen nicht weiter abgesetzt würden. Zudem häuften sich die Lagerbestände an. Es drohe die Verdrängung aus dem Markt. Zudem laufe das Schutzrecht für die Eurotubes® im Oktober 2024 aus. In das Recht auf Art. 14 GG werde eingegriffen, wenn der Antragstellerin die wirtschaftliche Amortisation ihrer Entwicklungskosten genommen würde. Bezüglich der Entwicklung der Umsätze und Absatzzahlen der Eurotubes wird auf die von der Antragstellerin überreichte Übersicht auf Bl. 1211 der GA verwiesen. Ergänzend verweist die Antragstellerin darauf hin, dass sie einen entstandenen Schaden in Höhe von 15.993.684,69 Euro bezüglich entgangener Gewinne für die Jahre 2019 bis 2023 habe berechnen lassen. Insoweit wird auf Bl. 1617 der Gerichtsakte verwiesen. 

Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin aufzugeben, der Beigeladenen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, im Auftrag der Antragsgegnerin Ärztinnen und Ärzten den Verordnungsservice H.® zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen. 

Zur Begründung führt sie aus, dass sie aufgrund der Ermächtigungsgrundlage in § 197b S. 2 SGB V die Beigeladene mit der Aufgabe des § 73 Abs. 8 SGB V betrauen durfte. Bei den Informationspflichten der Krankenkasse handele es sich gerade nicht um Aufgaben des Kernbereichs der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beigeladene informiere auch gleichbehandelnd die Leistungserbringer über wirtschaftliche Produktangebote. Das Angebot der Antragstellerin sei schlicht zu teuer und werde daher – mangels Wirtschaftlichkeit – nicht vorrangig angezeigt. Zudem handele es sich um unverbindliche Empfehlungen. Ob diese umgesetzt würden obliege nicht dem Machtbereich der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. Ein Anordnungsgrund bestehe mangels ausreichend dargelegter Umsatzeinbußen nicht, zumal die die antragsgemäße Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache darstelle.

Die Antragstellerin hat vor dem Landgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 315 O 299/23 ein einstweiliges Verfügungsverfahren geführt mit der Beigeladenen als dortige Antragsgegnerin. Gegenstand des Verfahrens war ein von der Beigeladenen im Rahmen des H.® Verordnungsservices an Ärzte versendetes Rundschreiben nebst Flyer. Mit Beschluss vom 11. April 2024 hat das LG Hamburg der Beigeladenen als dortige Antragsgegnerin u. a. untersagt, die Eurotubes® der Antragstellerin als „Hochpreisige Leerbeutel bei Rezepturherstellungen zur parenteralen Ernährung. Achtung: Wirtschaftlichkeitsfalle!“ und „extrem hochpreisige Leerbeutel sind aktuell sowohl als 3-Kammer und auch als Vielkammersystem mit 7-, 8- und 9-Kammern im Vertrieb“ und dies als „aktuelle und neutrale Fachinformation“ zu bezeichnen. Dabei erfolgte die Unterlassungsanordnung auf Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Das LG Hamburg sah die Antragstellerin und die Beigeladene als Wettbewerberinnen. Der Ausschluss des § 69 SGB V gelte nicht, da eben nicht der durch die konkret rechtlich zu bewertende Handlung der Versorgungsauftrag der Krankenkasse betroffen sei. Dies wäre dann der Fall, wenn die Beigeladene Informationspflichten für die Krankenkasse nach § 73 Abs. 8 SGB V ausführe. Mangels einer rechtswirksamen Beleihung sei dies aber nicht der Fall. Daher bleibe es bei einer Streitigkeit zwischen Privatpersonen. Die oben genannten Aussagen seien irreführend, da die mit dem Mehrkammersystem verbundenen Vorteile den höheren Preis rechtfertigen könnten. Das LG Hamburg hat mit Urteil vom 21. Juni 2024 die einstweilige Verfügung weitgehend bestätigt. 

Mit Beschluss vom 22. Mai 2024 hat das Gericht die Beigeladene dem Verfahren beigeladen. 

Die Beigeladene beantragt,
den Antrag der Antragstellerin abzuweisen.

Sie trägt Folgendes vor: 
In dem Verfahren vor dem LG Hamburg bzw. mittlerweile in der Beschwerde vor dem OLG Hamburg sei es um konkrete Aussagen der Beigeladenen, nämlich das „Wie“ der Information in einem fachlichen Informationsschreiben gegangen. Das hiesige Verfahren betreffe das „Ob“ der Beauftragung der Beigeladenen durch die Antragstellerin. Das LG Hamburg habe nur die Aussage als wettbewerbswidrig angesehen, dass eine das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V wahrende Verordnung von Eurotubes® im Einzelfall ausgeschlossen sei. Es fehle dem Antrag an einem Anordnungsgrund, da ein wirtschaftlicher Schaden nicht glaubhaft gemacht sei. Der Umsatz der Antragstellerin steige seit 2017 deutlich an. Auch sei der Anteil der Eurotubes am Umsatz der Antragstellerin bzw. der zugehörigen Unternehmensgruppe K. GmbH nur sehr gering und liege unter 1%. Bereits seit 2017 wären die Eurotubes® im Verordnungsservice H.® vorhanden. Der Umsatz sei aber seitdem nochmals gestiegen. Für die Beigeladene hingegen wäre eine temporäre Untersagung des Betriebs ihres Informationsdienstes H.® existenzbedrohlich. Sie generiere ihre Einnahmen ausschließlich durch den Betrieb der Plattform. Zudem werden eng nach den Vorgaben der Antragsgegnerin als Auftraggeberin gearbeitet. Die Plattform der Beigeladenen erfülle nur eine Hilfsfunktion in Form eines Informationsdienstes. Ob und welche PE-Therapie ein Patient bzw. Versicherter erhalte obliege allein dem Arzt unter Wahrung seiner Therapiehoheit. Zudem seien die Angaben zu wirtschaftlichen Nachteilen der Antragstellerin schlicht unglaubwürdig. Der Absatz der Eurotubes® habe sich in 2023 im Vergleich zu 2017 um 119% gesteigert. Für die Beigeladene sei ein Verbot des Betriebs der Plattform H.® existenzvernichtend, da sie ausschließlich von den auftraggebenden Krankenkassen finanziert werde. 

Zur Ergänzung der Sach- und Rechtslage wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte.


II.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. In der Sache bleibt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber ohne Erfolg. Denn die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes liegen nicht vor.

Es sind weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach der vorliegend allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Aus der Verweisung in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG auf § 920 Abs. 2 ZPO folgt die Obliegenheit des Antragstellers, das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen. Diese Obliegenheit ist nicht auf das Tatsächliche beschränkt, sondern verlangt die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes selbst (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, SGG § 86b Rn. 27). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund und umgekehrt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, SGG § 86b Rn. 27): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin vermochte sich das Gericht bereits nicht vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu überzeugen. Der für den Erlass einer einstweilen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund setzt voraus, dass ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller mit einer dringlichen Notlage verbunden ist, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Ein Anordnungsgrund ist diesbezüglich nur glaubhaft gemacht, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass dem Antragsteller bei einem Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbare Nachteile entstünden. Ein solcher wesentlicher Nachteil liegt insbesondere vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht. (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, Stand: 19. August 2024, § 86b Rn. 412). Dies gilt umso mehr, wenn durch den Antragsteller mit dem Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG eine Vorwegnahme der Hauptsache angestrebt wird (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. Februar 2019 – L 9 KR 691/17 B ER –, juris), wie das vorliegend der Fall ist.

Die Untersagung des Betriebs der Plattform H.® wäre auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine echte Vorwegnahme der Hauptsache liegt nur dann vor, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, SGG § 86b Rn. 31). Zwar ist in solchen Fällen grundsätzlich das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zu beachten. Es kann aber im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn für den Antragsteller ein Abwarten unzumutbar ist, wobei dann der Anordnungsanspruch besonders eingehend zu prüfen ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, m.w.Nw.). Ein Verbot des Betreibens der Plattform H.® stellt eine solche Vorwegnahme der Hauptsache dar, denn dies ist letztlich Ziel der Antragstellerin auch in einem Hauptsacheverfahren. Allerdings wären die Folgen eines Verbots nachträglich nicht mehr korrigierbar. Das Betreiben der Plattform ist das vorrangige Geschäftsmodell der Beigeladenen. Würde ihr der Betrieb der Plattform für die Dauer eines noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens vollständig – wie beantragt – untersagt, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Beigeladene ihre Existenz nicht weiter aufrechterhalten kann und vermutlich in Insolvenz ginge, mit den damit verbundenen Konsequenzen. Die Nachteile, die aus einer Untersagung der Teilnahme Markt für die Beigeladene entstünden, wären durch die Antragstellerin nicht mehr zu kompensieren. Es würde sich insoweit nicht bloß um finanzielle Verluste, sondern um eine Existenzvernichtung handeln.

Demgegenüber hat die Antragstellerin keine so wesentlichen Nachteile geltend gemacht, als dass eine Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise aus Gründen des der Effektivität des Rechtsschutzes im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt wäre. Die Antragstellerin beschreibt ausführlich ihre Erwartungen an die Entwicklung des Umsatzes und legt eine – nicht gänzlich nachvollziehbare – Berechnung eines möglichen Schadens in Höhe von ca. 15 Mio. vor. Klar ersichtliche Umsatzeinbußen durch das Betreiben der Plattform durch die Beigeladene sind nicht glaubhaft gemacht. So ist aus der auf Bl. 1211 befindlichen, als Anlage von der Antragstellerin eingereichten Übersicht der Umsatz der Antragstellerin mit Parenteraler Ernährung und im Speziellen mit den Eurotubes grafisch dargestellt. Dabei ist ein Zeitraum von 2017 bis zum Jahr 2023 erfasst. Es ist ersichtlich, dass die Umsätze schwanken und dabei im Jahr 2020 besonders hoch sind, im Jahr 2021 aber wieder etwa das Niveau von 2018 erreichen. Auch die Absätze sind bis 2020 kontinuierlich gestiegen, dann 2021 leichte gesunken und 2022 wieder angestiegen. Letztlich kann zu keinem Zeitpunkt der behauptete dramatische Umsatzeinbruch erkannt werden, sondern lediglich Schwankungen, wie sie bei jedem Unternehmen bzw. bei vielen Produkten üblich sind. Es ist nicht glaubhaft gemacht, weshalb die angeblichen Umsatzeinbußen bzw. geringeren Absatzzahlen allein auf dem Betreiben der Plattform H.® der Beigeladenen beruhen sollen. Die Markteinführung der Eurotubes® erfolgte nach Angaben der Antragstellerin im Jahr 2017. Die Beigeladene hat ausgeführt, dass bereits ab Markteinführung die Produkte der Antragstellerin im H.®-Verordnungsservice vorhanden waren. Die Plattform selbst existiert seit dem Jahr 2012. Ab 2017 war jedoch bis 2020 noch eine Steigerung der Umsätze bzw. Absatzzahlen zu verzeichnen. Dies sei angeblich auf die Akzeptanz der Eurotubes® bei Ärzten zurückzuführen. Unklar bleibt aber, weshalb sich dies allein durch die Plattform der Beigeladenen geändert haben sollte. Danach wäre die Verordnung ja bereits im Jahr 2017 unwirtschaftlich und mit Regressrisiken behaftet gewesen. Es ist weiterhin nicht nachvollziehbar, weshalb plötzlich keine Verordnung mehr erfolgen sollte und weshalb die Antragstellerin nach der behaupteten „Wende“ im Jahr 2020 nicht bereits zu diesem Zeitpunkt rechtliche Schritte gegen die Beigeladene eingeleitet hat bzw. gegen die Antragsgegnerin. Die Tatsache, dass die Antragstellerin ihre prognostizierten Gewinne nicht wie erwünscht erzielt, ist ihrem unternehmerischen Risiko zuzuordnen und ist nicht glaubhaft durch etwaige Handlungen der Beigeladenen oder der Antragsgegnerin verursacht. Wesentliche Nachteile hinsichtlich eines Abwartens des Hauptverfahrens sind somit nicht glaubhaft gemacht und rechtfertigen insoweit nicht, die Beigeladene der Gefahr der Existenzbedrohung auszusetzen. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin trotz der Tatsache, der Antrag bereits im Dezember 2023 beim Sozialgericht Hamburg anhängig gemacht wurde, noch immer kein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht hat. 

Im Übrigen fehlt es auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. 

Die Antragstellerin wird durch die angefochtene Regelung insbesondere nicht in ihren Grundrechten aus Art 12 i.V.m. Art 3 GG verletzt. Eine hieraus abzuleitende Rechtsverletzung kann sich zwar daraus ergeben, dass eine staatliche Entscheidung in einem staatlich regulierten System einen Konkurrenten begünstigt und sich dadurch unmittelbar nachteilig auf den Mitbewerber auswirkt, insbesondere indem sie sein erzielbares Entgelt beeinflusst (BVerfG – Kammer -, Beschluss vom 23. April 2009, 1 BvR 3405/08, juris) oder die wirtschaftliche Position des Konkurrenten unzumutbar beeinträchtigt (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2011, 3 C 41/10, juris). Im Grundsatz gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz (vgl. BVerfGE 34, 252 (256)). Das Grundrecht auf freie Berufsausübung sichert die Teilhabe am Wettbewerb. Etwas Anderes kann zwar gelten, wenn der Staat selbst die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs festlegt. Hieraus kann einem Wettbewerber das Recht auf Einhaltung dieser Wettbewerbsbedingungen zuwachsen; jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie (auch) dem individuellen Interesse der Teilnehmer am Wettbewerb zu dienen bestimmt sind (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2011 – 3 C 41/10 –, Rn. 18, juris). Auf die rechtliche Frage, ob – wie die Antragstellerin vorträgt – eine „unzulässige faktische Beleihung“ mit Aufgaben nach § 73 Abs. 8 SGB V vorliegt, oder ob die Beauftragung der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin nach § 197b S. 2 SGB V zulässig ist, kommt es – trotz der umfangreichen Ausführungen der Beteiligten zu dieser Thematik – gar nicht an, da keine Beeinträchtigung des Wettbewerbs gesehen werden kann. Die Nutzung des Verordnungsservice ist für die Vertragsärzte freiwillig. Eine Verpflichtung zur Nutzung des H.®-Verordnungsservices besteht nicht. Zudem bleibt es weiterhin bei der Therapiehoheit des verordnenden Arztes. Dieser kann die Eurotubes® der Antragstellerin auch weiterhin verordnen, sofern dies im Einzelfall bei einem Versicherten der Antragsgegnerin sinnvoll erscheint. Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot liegen danach nach nicht zwingend vor. Dem entspricht auch der Vortrag der Antragstellerin, wonach in den Jahren 2017 und 2018 die Ärzte weiterhin in großen Mengen die Eurotubes® der Antragstellerin verordnet haben. Die Werbung für die Vorteile der Eurotubes® gegenüber Ärzten ist durch die den H.®-Verordnungsservice nicht beeinträchtigt. Der Antragstellerin bleibt es unbenommen, weiterhin für die Vorteile ihrer Produkte zu werben. Auch ist die Antragstellerin nicht von der Plattform ausgeschlossen und erleidet dadurch Nachteile. Ihre Produkte werden, da sie teurer sind als andere Produkte, lediglich seltener vorgeschlagen. Hierbei handelt es sich aber um eine normale Auswirkung des bestehenden Wettbewerbs zwischen Herstellerin medizinischer Produkte. So ist es nachvollziehbar, dass aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 SGB V öfter kostengünstigere als kostenintensivere Produkte empfohlen werden. Eine gezielte Benachteiligung der Antragstellerin ist nicht ersichtlich. Keinesfalls kann von einem „Boykott“ gesprochen werden. Hierfür gibt eine keine glaubhaften Belege. Vielmehr trifft die Folge, dass die Produkte aufgrund des hohen Preises seltener vorgeschlagen werden, alle Hersteller hochpreisiger Produkte im Bereich der gesetzlichen Krankenkasse und damit nicht allein und ausschließlich die Antragstellerin. 

Ferner ist nicht glaubhaft gemacht, dass es der Antragsgegnerin rechtlich überhaupt möglich ist, der Beigeladenen den Betrieb der Plattform H.® zu untersagen. Nach dem Vortrag der Beteiligten wird die Beigeladene zur Information von Ärzten zum Zweck der Unterstützung und Sicherstellung einer wirtschaftlichen Verordnung von Arzneimitteln zur parenteralen Ernährung zugunsten der Versicherten der Antragsgegnerin verpflichtet. Die Antragsgegnerin ist die Auftraggeberin. Der Vertrag auf Bl. 1140ff. der Gerichtsakte ist weitgehend geschwärzt. Allerdings hat die Antragstellerin selbst vorgetragen bzw. dies ist auch aus dem Verfahren vor dem LG Hamburg erkennbar, dass die Beigeladene mit mehreren Krankenkassen zusammenarbeitet und den Verordnungsservice auch insoweit zur Verfügung stellt. Es ist daher nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin die Rechtsmacht besitzt, der Beigeladenen vollständig das Betreiben des Verordnungsservice H.® zu untersagen, da dies auch in die Rechte der übrigen betroffenen Krankenkassen in unzulässiger Weise eingreifen würde. Letztlich kann die Antragsgegnerin nicht zu einer ihr unmöglichen Handlung verpflichtet werden. Zudem handelt es sich bei der Beigeladenen um ein in der Rechtsform der GmbH organisiertes Privatunternehmen. Eine rechtswirksame Beleihung, hierauf hat das LG Hamburg zutreffend hingewiesen, ist gerade nicht erfolgt. Allerdings folgt daraus nicht im Umkehrschluss, dass die alleinige Verantwortung nunmehr bei der Antragsgegnerin als Auftraggeberin läge. Es ist diesbezüglich nicht glaubhaft gemacht, dass diese überhaupt die Rechtsmacht besitzt, der Beigeladenen ihre Tätigkeit zu untersagen. Vielmehr stellt sich die Problematik als ein zivilrechtlicher Streit zwischen Privatunternehmen dar, der auch vor den Zivilgerichten auszutragen wäre. Dies hat die Antragstellerin auch – teilweise erfolgreich – vor dem LG Hamburg im Rahmen des Wettbewerbsrechts getan. Insoweit ist die Antragsgegnerin auch nicht rechtlos bezüglich möglicher fälschlicher Aussagen oder rechtswidrigem Verhalten der Beigeladenen gestellt. Ihr steht insoweit der Zivilrechtsweg offen. Ansprüche gegen die Antragsgegnerin liegen nicht vor. 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens. Die Antragstellerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. Das Gericht sieht eine aus Billigkeitsgründen eine Kostentragungspflicht als gegeben an (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Beigeladene hat sich durch ihre Antragsstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 155 VwGO). Sie hat durch ihren Vortrag auch das Verfahren wesentlich gefördert und zur Klärung beigetragen.

Der Streitwert ist gemäß § 197a SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 2,5 Mio. Euro festzusetzen. In streitwertabhängigen Prozessen ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG die Höhe des Streitwerts nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen. Der Antrag und die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen bestimmen das Begehren und damit den prozessualen Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – B 10 ÜG 4/16 R, juris). Vorliegend hat die Antragstellerin eine Berechnung der Umsatzeinbußen bzw. ihres „Schadens“ über den Verlauf von 2019 bis 2023 vorgelegt (Bl. 1617 ff. d. Gerichtsakte), wonach dieser 15.993.684,69 Euro beträgt. Da die Antragstellerin sich auf weitere erhebliche Umsatzeinbuße beruft, ist aus ihrer Sicht von einem weiteren Umsatzverlust bzw. Schaden in Millionenhöhe auszugehen. Es war also der Streitwert i.H. des Maximalwertes nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG i.H.v. 2.500.000,00 Euro (2,5 Mio. Euro) festzusetzen, da das sich nach dem Begehren der Antragstellerin ergebende Interesse diesen Wert überstieg. Ob dieses Interesse im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren war kann dahinstehen, da es hierauf aufgrund des gesetzlich vorgesehen Maximalwertes i.H.v. 2,5 Mio. Euro gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG nicht ankommt.
 

Rechtskraft
Aus
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