L 18 VH 1/25 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 VH 1/24
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 VH 1/25 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Im Beschwerdeverfahren prüft das LSG die Rechtmäßigkeit der durch das SG im Verfahren der Untätigkeitsklage beschlossenen Aussetzung nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG in vollem Umfang.
2. Ob ein zureichender Grund für eine Aussetzung im Sinne des § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG vorliegt, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dabei sind auch die Garantien des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen.
3. Es liegt zunächst an der Behörde, das Vorliegen eines zureichenden Grundes darzulegen. Das Gericht hat regelmäßig nur dann Veranlassung zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen, wenn im Rahmen einer nachvollziehbaren Darlegung eines Hinderungsgrunds einzelne Tatsachen noch offen oder streitig sind (Anschluss an BSG, Urteil vom 08.12.1993 - 14a RKa 1/93 - juris Rn. 28)

 

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.12.2024 wird zurückgewiesen.


G r ü n d e :

I.

Der in Österreich lebende Kläger und Beschwerdeführer (nachfolgend: Kläger) wendet sich gegen die Aussetzung des Verfahrens S 4 VH 1/24 bis zum 18.06.2025 durch das Sozialgericht (SG) Bayreuth.

In dem vor dem SG Bayreuth durch die Beteiligten geführten Verfahren (S 4 VH 1/24) macht der Kläger die Untätigkeit des Beklagten und Beschwerdegegners (nachfolgend: Beklagter) bei dessen Entscheidung über den klägerischen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) geltend.

Der Kläger beantragte mit Formblatt vom 23.02.2022 (eingegangen am 17.03.2022) beim Landesamt für Gesundheit und Soziales in B Versorgungsleistungen. Im Feld "Tathergang" gab er dabei an: rechtsstaatswidrige Unterbringung im Kinderspezialheim und Jugendwerkhof D - anerkannt durch Strafsenat des Kammergerichts. Die Tat habe zu einer Posttraumatischen Persönlichkeitsstörung (PTBS), einer histrionischen Persönlichkeitsstörung und "Borderline" geführt. In dem beigefügten Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 26.01.2022 (7 Ws 3/21 REHA) wurde insbesondere festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 19.12.1984 bis 31.07.1986 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten habe. Die durch Beschluss des Rates des Stadtbezirks B vom 19.12.1984 angeordnete Einweisung und Unterbringung des Klägers in dem Spezialkinderheim "N" in B1 wurde für rechtsstaatswidrig erklärt und der Kläger insoweit rehabilitiert. Zudem wurden bereits zuvor durch das Landgericht Berlin (15 S 337.88; 221-397-88-15) weitere Einweisungen und Unterbringungen des Klägers in der Zeit vom 12.03.1987 bis 23.03.1987 und vom 11.11.1987 bis 26.07.1988 für rechtsstaatswidrig erklärt und der Kläger rehabilitiert (Beschluss vom 26.10.2020).

Mit Schreiben vom 11.04.2022 leitete das Landesamt für Gesundheit und Soziales den Antrag an den Beklagten weiter (eingegangen am 19.04.2022). Dieser leitete ein Verfahren hinsichtlich eines Begehrens auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG ein, informierte den Kläger mit Schreiben vom 12.07.2022 über die Weiterleitung und wies ihn auf die Notwendigkeit weiterer Angaben hin. Der Kläger wurde zudem gebeten, einen beigefügten Antragsvordruck auszufüllen und zurückzusenden.

Über acht Monate später, am 03.04.2023, übersandte der Kläger dem Beklagten das ausgefüllte Formblatt. Am 17.04.2023 übersandte er weitere Unterlagen.

Mit Schreiben vom 14.04.2023 bat der Beklagte den Kläger u.a. um Auskunft hinsichtlich der zuständigen Krankenkasse und Pensionskasse bzw. des zuständigen Rentenversicherungsträgers sowie um Übersendung von unterschriebenen Erklärungen zur Schweigepflicht und Datenübermittlung. Zudem übersandte der Beklagte dem Kläger Fragen zum beruflichen Werdegang.

Die Antwort des Klägers ging am 15.05.2023 beim Beklagten ein. In der Folgezeit führte der Beklagte weitere Ermittlungen durch. U.a. forderte er beim Bundesarchiv die zu den rechtsstaatswidrigen Unterbringungen des Klägers noch vorhandenen Unterlagen an. Dieses übersandte mit Schreiben vom 19.02.2024 lediglich eine Karteikarte, teilte mit, dass dort keine weiteren Unterlagen existierten und verwies den Beklagten auf andere Stellen. Auf eine weitere Anfrage an den Landkreis M, teilte dieser mit Schreiben vom 28.02.2024 mit, dass dort keine Unterlagen vorhanden seien. Das ebenfalls angeschriebene Staatsarchiv S teilte mit Schreiben vom 07.03.2024 mit, dass nur noch eine sog. "Klappkarte" existiere und verwies wiederum auf weitere Stellen bei denen ggf. Unterlagen angefordert werden könnten. Das in der Folgezeit angeschriebene Landesarchiv B teilte ebenfalls mit, dass es über keine Unterlagen verfüge und verwies auf andere Stellen, bei denen noch Unterlagen vorhanden sein könnten. Mit Schreiben vom 30.04.2024 (eingegangen am 06.05.2024) teilte das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege B dem Beklagten mit, dass auch dort keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Am 06.08.2024 teilte das Stasi-Unterlagen-Archiv mit, dass dort noch einige Unterlagen vorhanden seien und übersandte diese in Kopie. Eine Anfrage an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie B blieb zunächst unbeantwortet (Schreiben des Beklagten vom 03.04.2024). Das Jugendamt des Bezirks P verwies den Beklagten mit Schreiben vom 04.06.2024 an das Jugendamt des Bezirks T. Auch dort stellte der Beklagte in der Folgezeit eine Anfrage.

Der Beklagte forderte weiterhin Befundberichte bei den behandelnden Ärzten des Klägers (Psychotherapeutin M; K) mit Schreiben vom 02.02.2024 an. K übersandte am 25.04.2024 einen Befundbericht an den Beklagten. Die Psychotherapeutin M übersandte unter dem 23.05.2024 ihren Befundbericht (eingegangen am 03.06.2024).

Der Beklagte forderte außerdem bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) G eine Auflistung der Arbeitsunfähigkeitszeiten, Diagnosen und behandelnden Ärzten des Klägers (Schreiben vom 02.02.2024, Erinnerungen vom 10.04.2024). Dieses reagierte zunächst nicht.

Mit Schriftsatz vom 13.06.2024 (eingegangen am 17.06.2024) machte der Klägerbevollmächtige weitere umfangreiche Angaben zu der damaligen rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung des Klägers und übersandte weitere Unterlagen (u.a. Protokoll über eine Beschuldigtenvernehmung vom 07.11.1988; "Gesamteinschätzung" des Rates des Stadtbezirks B vom 23.04.1987; "Beurteilung" des Jugendwerkhofes "D" vom 12.07.1988; Forensisch-Psychologisches Fachgutachten der H-Universität B vom 29.09.1987; Psychologischer Befund vom 02.03.1987) an den Beklagten.

Auf die Sachstandsanfragen des Klägers vom 14.08.2024 und 03.09.2024 wurde diesem durch den Beklagten mit Schreiben vom 11.09.2024 mitgeteilt, dass noch keine Auskunft der ÖGK vorliege und Anfragen an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie B und das damals zuständige Jugendamt noch ausstünden.

Mit Schreiben vom 11.09.2024 erinnerte der Beklagte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie B sowie die ÖGK an die Beantwortung der Anfragen.

Am 17.09.2024 hat der Kläger Untätigkeitsklage zum SG München erhoben, das das Verfahren mit Beschluss vom 13.11.2024 an das SG Bayreuth verwiesen hat. Der Kläger hat insbesondere sinngemäß vorgetragen, dass keine Umstände ersichtlich seien, die eine weitere Verzögerung rechtfertigen würden. Die Untätigkeitsklage sei zweieinhalb Jahre nach der Antragstellung erhoben worden. Die weiteren Unterlagen hätte der Beklagte längst einholen können. Der Beklagte sei untätig gewesen und habe andere Verfahren priorisiert. Durch die lange Bearbeitungszeit bestehe die Gefahr der Retraumatisierung.

Der Beklagte hat erwidert, dass er nicht untätig gewesen sei und hat im Einzelnen seine durchgeführten Ermittlungsschritte aufgelistet. Insbesondere sei noch ein Zusammenhangsgutachten verbunden mit einer persönlichen Untersuchung des Klägers erforderlich, wobei zu beachten sei, dass es nur wenige geeignete Gutachter für Fälle dieser Art gebe.

Mit Schreiben vom 25.09.2024 (eingegangen am 08.10.2024) hat das Jugendamt des Bezirks T dem Beklagten mitgeteilt, dass dort keine Unterlagen mehr vorhanden seien.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG Bayreuth das Verfahren mit Beschluss vom 17.12.2024 bis zum 18.06.2025 ausgesetzt. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, dass ein zureichender Grund dafür vorliege, dass der Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG noch nicht beschieden sei. Es müsse noch ein Zusammenhangsgutachten eingeholt werden. Vor einer Beauftragung eines Gutachters müsse die Erkrankungsliste des Klägers vorliegen. Dass hierdurch die Gefahr der Retraumatisierung bestünde, sei nicht ersichtlich. Die Aussetzungsdauer von sechs Monaten sei auch unter Würdigung der Einwände des Klägers angemessen. Im Hinblick auf das komplexe Krankheitsbild des Klägers sei die Ermittlung des Gesundheitszustandes und die Kausalitätsbeurteilung aufwändig. Eine rückwirkende Betrachtung erscheine bei Bemessung der Frist nicht hilfreich. Anhaltspunkte für eine Priorisierung anderer Verfahren in der Vergangenheit durch den Beklagten seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe nun eine Forcierung des Verfahrens zugesichert. Der Beschluss wurde dem Klägerbevollmächtigten am 17.12.2024 zugestellt.

Dagegen hat der Kläger am 17.01.2025 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass nach nunmehr drei Jahren kein Grund dafür vorliege, dass der Antrag des Klägers nicht beschieden sei. Das lange Verwaltungsverfahren belaste den Kläger ganz erheblich und sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Er erleide erneut das Gefühl der Hilflosigkeit und das Wiedererleben von Ungerechtigkeiten, die ihm in der DDR widerfahren seien. Es bestehe die Gefahr der Retraumatisierung. Insoweit verweise er auf eine Stellungnahme seiner behandelnden Psychotherapeutin M vom 19.12.2024.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.12.2024 aufzuheben.     

Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des SG für rechtmäßig. Es sei mit Schreiben vom 11.02.2025 ein weiterer Befundbericht erbeten worden, der noch nicht beantwortet sei. Aller Voraussicht nach werde nach Abschluss der Ermittlungen eine persönliche fachärztliche Kausalitätsbegutachtung erforderlich sein. Der Umstand, dass sich die Verwaltungsakten wegen des Beschwerdeverfahrens außer Haus befinden, sei der Bearbeitung keineswegs förderlich.

Am 27.01.2025 ist die Antwort der ÖGK bei der Beklagten eingegangen. Darin wird die Psychotherapeutin T als frühere Behandlerin des Klägers aufgeführt.

Mit Schreiben vom 11.02.2025 hat der Beklagte von der Psychotherapeutin T die Abgabe eines Befundberichtes angefordert.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte des SG, die Akte des Beschwerdeverfahrens sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.


II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte sowie nach § 172 Abs. 1 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig (zur Statthaftigkeit der Beschwerde vgl. z.B. Diehm in BeckOGK, Stand 01.02.2025, § 88 SGG Rn. 52; Hintz in BeckOK SozR, Stand 01.03.2025, § 88 SGG Rn. 7; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 88 Rn. 5), aber nicht begründet. Die - in vollem Umfang zu überprüfende (vgl. Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 176 Rn. 4; Schmidt a.a.O., § 176 Rn. 4; Luik in Hennig, SGG, Stand Mai 2016, § 176 Rn. 6) - Entscheidung des SG, das Verfahren S 4 VH 1/24 bis zum 18.06.2025 auszusetzen, also die Untätigkeitsklage als derzeit unbegründet anzusehen (vgl. B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 88 Rz. 8), ist rechtmäßig.

a) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG). Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Ob ein zureichender Grund vorliegt, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dabei sind auch die Garantien des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist gem. Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen (vgl. nur B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 88 Rn. 7a m.w.N.). Es liegt zunächst an der Behörde, das Vorliegen eines zureichenden Grundes darzulegen. Das Gericht hat regelmäßig nur dann Veranlassung zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen, wenn im Rahmen einer nachvollziehbaren Darlegung eines Hinderungsgrunds einzelne Tatsachen noch offen oder streitig sind (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 08.12.1993 - 14a RKa 1/93 - juris Rn. 28). Für das Vorliegen eines zureichenden Grundes trägt die Behörde die objektive Beweislast (vgl. B. Schmidt a.a.O. Rn. 7; Ulmer in Hennig, SGG, Stand Oktober 2014, § 88 Rn. 15). "Zureichend" sind nur Gründe, die einen über das durchschnittliche und vom Gesetzgeber als Regel angesehene Maß hinausgehenden Bearbeitungsaufwand in zeitlicher Hinsicht erfordern und die von der Rechtsordnung als sachgerecht angesehen werden (vgl. Diehm in BeckOGK, Stand 01.02.2025, § 88 SGG Rn. 52). Ein zureichender Grund kann z.B. darin liegen, dass der Sachverhalt schwierig ist und Sachverständigengutachten einzuholen sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.08.2017 - L 6 VU 2647/17 B - juris Rn. 19; B. Schmidt a.a.O.). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BSG, Urteil vom 08.12.1993 - 14a RKa 1/93 - juris Rn. 13 und 21).

b) Hier liegt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein zureichender Grund dafür vor, dass der Beklagte noch nicht über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG entschieden hat. Es handelt sich um einen schwierigen Sachverhalt, der umfangreiche Ermittlungen (einschließlich einer Kausalitätsbeurteilung, sehr wahrscheinlich durch ein Sachverständigengutachten) erfordert (dazu aa). Der Beklagte hat diese - auch grenzüberschreitenden - Ermittlungen zu einem großen Teil bereits durchgeführt und weitere notwendige Ermittlungen angestoßen; die angeschriebenen Stellen haben jedoch zum Teil - trotz Erinnerung - erst mit erheblicher Verzögerung geantwortet oder auf andere Stellen verwiesen, die durch den Beklagten wiederum in die Ermittlungen einbezogen worden sind, sodass eine Untätigkeit des Beklagten nicht ersichtlich ist (dazu bb). Derzeit sind noch weitere medizinische Ermittlungen erforderlich (dazu cc).

aa) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten Betroffene, die infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG; bzw. für Anträge seit dem 01.01.2024 in entsprechender Anwendung des SGB XIV; § 137 i.V.m. § 142 Abs. 2 Satz 1 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XIV -). Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 21 Abs. 5 StrRehaG). Entsprechend den vorgenannten Bestimmungen setzt die Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette voraus: Eine Freiheitsentziehung (1. Glied) muss zu einer primären Schädigung (2. Glied) geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen (3. Glied) bedingt. Die drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - juris). Demgegenüber reicht es für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den drei Glieder aus, wenn dieser jeweils mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 12.04.2016 - L 15 VU 2/13 - juris Rn. 27 ff.).

Um dies beurteilen zu können, hat die zuständige Behörde - hier der Beklagte - den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -). Dies umfasst unter anderem die Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes, d.h. die zuständige Behörde muss insbesondere Ermittlungen zu den beim Antragsteller bestehenden Gesundheitsstörungen sowie hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhanges dieser Gesundheitsstörungen mit den rechtsstaatswidrigen Unterbringungen durchführen. Weiterhin sind die Tatsachen im Zusammenhang mit der Freiheitsentziehung zu ermitteln (vgl. zum Ganzen auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.08.2017 - L 6 VU 2647/17 B - juris Rn. 20 ff.).

bb) Der Beklagte ist dieser Verpflichtung bisher nachgekommen, ohne dass - unter Berücksichtigung der Komplexität und Schwierigkeit der Angelegenheit und den weiteren Umständen des Einzelfalls - eine verzögernde Bearbeitung erkennbar ist.

Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger derzeit in Österreich wohnt und somit grenzüberschreitende Ermittlungen durchgeführt werden müssen. Weiterhin sind im Hinblick auf die Komplexität und die Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechts- und Tatsachenfragen - im Vergleich zu durchschnittlichen Verwaltungsverfahren - erheblich umfangreichere und zeitintensivere Ermittlungen erforderlich, was ebenfalls zu einer deutlich längeren Bearbeitungsdauer führt.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte erst am 15.05.2023 mit den wesentlichen Ermittlungen beginnen konnte, da er zunächst die Erklärungen des Klägers zur Schweigepflicht und Datenübermittlung sowie dessen Auskünfte hinsichtlich der zuständigen Sozialversicherungsträger und der Behandler benötigte. In der Folgezeit hat der Beklagte umfangreich ermittelt und verschiedene Stellen und Archive angeschrieben, um Unterlagen im Zusammenhang mit den rechtsstaatswidrigen Unterbringungen des Klägers zu erhalten. Dabei wurde er jedoch wiederholt auf andere Stellen verwiesen, sodass erst mit der Auskunft des Jugendamtes des Bezirks T im Oktober 2024 die wesentlichen Ermittlungen hinsichtlich der rechtsstaatswidrigen Unterbringungen (nach derzeitigem Stand) durch den Beklagten abgeschlossen werden konnten.

Die Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes, die bereits im Hinblick auf das komplexe Krankheitsbild des Klägers ebenfalls überdurchschnittlichen Aufwand erfordern - wurde zudem insbesondere dadurch erheblich verzögert, dass die ÖGK zunächst nicht auf die Anfragen des Beklagten reagierte. Erst am 27.01.2025 ist die Antwort beim Beklagten eingegangen. Erst dann hat der Beklagte weitere Ansatzpunkte für medizinische Ermittlungen erhalten, die ihn in die Lage versetzten mit Schreiben vom 11.02.2025 einen Befundbericht von der Psychotherapeutin T anzufordern.

cc) Es sind auch noch weitere Ermittlungen erforderlich. Der medizinische Sachverhalt erscheint nicht soweit ermittelt, dass auf dieser Basis bereits eine Entscheidung getroffen werden könnte. Insbesondere ist die Anforderung des Befundberichtes der Psychotherapeutin T eine notwendige medizinische Ermittlung, da sich hieraus wesentliche Erkenntnisse im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Klägers und dessen Verlauf ergeben könnten. Weiterhin ist auch sehr wahrscheinlich die Beauftragung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und den Freiheitsentziehungen erforderlich.

c) Die Dauer für die das SG das Verfahren gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG (zunächst) ausgesetzt hat, ist nicht zu beanstanden.

Die Frist für die Aussetzung ist auf Grund einer Interessenabwägung zwischen Behörde und Kläger zu bemessen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. Diehm in BeckOGK, Stand 01.02.2025, § 88 SGG Rn. 80; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 88 Rn. 8).

Nach Maßgabe dessen überwiegt die - vom vornehmlich in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip getragene (vgl. Siefert in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 20 Rn. 2) - Verpflichtung des Beklagten zur umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes (§ 20 Abs. 2 SGB X) derzeit das Interesse des Klägers an einer zügigen Entscheidung. Auch nach eigener Einschätzung des Senats liegt mindestens bis 18.06.2025 ein zureichender Grund dafür vor, dass der Beklagte noch nicht entschieden hat; wobei im Hinblick auf die durchschnittliche Dauer einer Kausalitätsbegutachtung - insbesondere, wenn sie auf einer persönlichen Untersuchung beruht - nach derzeitigem Sachstand tendenziell sogar mit einer Verlängerung der Aussetzung durch das SG (§ 88 Abs. 1 Satz 2, § 65 SGG) gerechnet werden kann.

Neben der Auskunft der ÖGK (die mittlerweile seit dem 27.01.2025 vorliegt) und eines Befundberichtes der Psychotherapeutin T (die mit Schreiben des Beklagten vom 11.02.2025 angefordert wurde) erscheint derzeit die Einholung eines medizinischen Kausalitätsgutachtens für die hinreichende Aufklärung des Sachverhaltes unabdingbar. Dies ist regelmäßig mit einem größeren zeitlichen Aufwand verbunden; zumal die Anzahl der qualifizierten Gutachter in diesem Bereich stark begrenzt ist. Bei seiner Abwägung hat der Senat auch berücksichtigt, dass das Verfahren für den Kläger eine besondere psychische Belastung darstellt und das Verwaltungsverfahren bereits eine deutlich überdurchschnittliche Dauer aufweist.

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil es sich bei der Aussetzung lediglich um eine Zwischenentscheidung handelt, die keinen selbstständigen Verfahrensabschnitt abschließt (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 03.02.2009 - L 17 B 1036/08 U - juris Rn. 16; LSG B-Brandenburg, Beschluss vom 14.03.2013 - L 32 AS 105/13 B - juris Rn. 18; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 176 Rn. 51).

3. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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