Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. September 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vor dem 01.07.2023.
Die 1966 geborene Klägerin hat den Beruf Krankenschwester sowie Intensiv-Anästhesiefach-schwester erlernt und war über dreißig Jahre in diesem Beruf tätig, überwiegend in Teilzeit. Seit November 2016 ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Seit 01.07.2023 bezieht die Klägerin von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit (befristet bis 30.06.2026). Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden (vgl. Angabe im Gutachten von D1, Bl. 1077 VA).
Die Klägerin beantragte am 29.09.2017 (Bl. 340 VA) bei der Beklagten erstmals die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Bereits vom 15.03.2017 bis 11.04.2017 hatte die Klägerin an einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der S1klinik K1 teilgenommen. Die Ärzte der dortigen Klinik stellten in ihrem Rehaentlassbericht vom 11.04.2017 (Bl. 817 VA) folgende Diagnosen: Lumboischialgien links bei Status nach Spondylodese L 2/3 mit schweren Anschlussdegenerationen der Bandscheiben und Wirbelgelenke, Protrusionen, mäßiger spinaler Stenose vor allem L 3/4 und Foramenstenosen L 3/4 und L5/S1. Aufgrund der vorliegenden orthopädischen Erkrankungen seien leichte vollschichtige Arbeiten im Wechsel der Haltung möglich. Zwangshaltungen sollten vermieden werden. Klimatische Belastungen sollten nicht zu hoch sein. Die derzeitige berufliche Tätigkeit sei eigentlich zu schwer und mit zu vielen Zwangshaltungen verbunden, sodass ein halbschichtiger Einsatz schon als nicht mehr leidensgerecht anzusehen sei.
Die Klägerin wurde nach Rentenantragstellung im Auftrag der Beklagten von dem K2 am 11.11.2017 ambulant untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom selben Tag (Bl. 847 VA) folgende Diagnose: Lumboischialgie links bei Bandscheibenschäden mit Radikulopathie. Die Leistungsfähigkeit sei in erster Linie auf dem orthopädischen Fachgebiet zu beurteilen. Innerhalb einer strikt fachbezogenen neurologischen und psychiatrischen Beurteilung sei die Klägerin aber noch sechs Stunden und mehr leistungsfähig in ihrem angestammten Beruf und in anderen leichten bis mittelschweren Tätigkeiten.
Im Anschluss wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten zusätzlich am 08.12.2017 von dem M1 untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 12.01.2018 (Bl. 875 VA) folgende Diagnosen:
1. Z. n. lumbaler Spondylodese L 2/3 mit Anschlussdegeneration L 1/2 und L 3/4
2. Spinalkanalstenose auf Höhe L 3/4, Foraminalstenosen L 3/4 und L 5/ S 1 linksforaminaler NPP (Bandscheibenvorfall) L 5/ S 1
3. Fersensporn links.
Er kam zu der Einschätzung, dass die Klägerin zwar die Tätigkeit als Krankenschwester nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich ausüben könne. Körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitweise im Gehen, zeitweise im Stehen und zeitweise im Sitzen seien demgegenüber noch vollschichtig möglich. Schwereres Heben oder Tragen, Über-Kopf-Arbeiten, Zwangshaltungen, längere Gehstrecken, monotones Stehen sowie Bücken seien nicht mehr durchführbar. Arbeiten auf Treppen, Leitern oder Gerüsten sollten ebenfalls nicht mehr durchgeführt werden.
Die Beklagte lehnte daraufhin diesen Rentenantrag mit Bescheid vom 02.02.2018 (Bl. 468 VA) ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 434 VA) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2018 als (Bl. 484 VA) unbegründet zurück.
Die Klägerin erhob am 29.11.2018 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Dieses Verfahren wurde dort unter dem Az. S 4 R 5639/18 geführt.
Das SG beauftragte in diesem Verfahren zunächst den S2 mit der Erstellung eines orthopädischen Fachgutachtens von Amts wegen. Dieser stellte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 05.06.2019 in seinem Gutachten vom 06.06.2019 (Bl. 23 SG-Akte im Verfahren S 4 R 5639/18, 973 VA) folgende Diagnosen:
- Spondylodese L 2/3 mit Anschlussdegeneration, mäßiger Spinalkanalstenose L 3/4, Neurofora-menstenose L 3/4 und L 5/S 1 sowie
- mäßige femoropatellare Arthrose links.
Er führte weiter aus, die Klägerin könne noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben. Die Handhabe von Lasten über fünf kg sei nicht mehr zu bewältigen. Schichtarbeit sei ebenfalls nicht mehr zumutbar. Ausgeschlossen seien auch Tätigkeiten in anhaltender Zwangshaltung und Rotationsbelastung der Wirbelsäule, einseitige Körperhaltungen ohne Ausgleich, Heben und Tragen ohne Hilfsmittel, häufiges Bücken und langes Sitzen ohne Haltungswechsel. Auszuschließen seien daneben häufige und ungedämpfte Stoßbelastungen, extreme Witterungsbedingungen und häufiges Ersteigen von Leitern und Gerüsten. Die Klägerin könne keine Tätigkeiten mit längerem Knien oder Hocken durchführen. Die Tätigkeiten, die dem positiven Leistungsbild entsprächen, seien mit einer Dauer von mindestens sechs Stunden möglich.
Nachdem die Klägerin Einwendungen gegen dieses Gutachten erhob, wurden diese S2 mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme vorgelegt. Dieser blieb auch in Kenntnis der Einwendungen bei seiner Einschätzung aus dem Gutachten (Bl. 61 SG-Akte S 4 R 5639/18).
Das SG holte im Anschluss ein weiteres Gutachten von Amts wegen bei dem B1 ein. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 20.04.2020 (Bl. 80 SG-Akte S 4 R 5639/18, 981 VA) nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 18.12.2019 folgende Diagnosen: Anhaltende Schmerzstörung und chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie somatischer Belastungsstörung mit überwiegend Schmerz mit mittelschwerer funktioneller Beeinträchtigung. Er führte weiter aus, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten unter Vermeidung von regelmäßig schwerem Heben und Tragen über fünf kg durchführen könne. Die Arbeitshaltung sollte häufig gewechselt werden können, mit Stehen, Gehen, Sitzen. Arbeiten in Zwangshaltungen der Wirbelsäule, längere Körpervorhaltung und Bücken sollten nicht erfolgen. Ebenso zu vermeiden seien schweres Schieben, Drücken, Ziehen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband- und Schichtarbeit, Arbeiten in Kälte, Nässe und im Freien. Dauernde Arbeiten über Kopf mit Rückneigung des Rumpfes seien ebenfalls nicht zumutbar. Arbeiten mit intensivem Publikumsverkehr und besonderer nervlicher Beanspruchung sollten ebenfalls vermieden werden. Die verbliebenen Arbeiten könnten über sechs Stunden täglich ohne Gefährdung der Gesundheit durchgeführt werden.
Nach vorheriger Anhörung wies das SG sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.06.2020 ab. Die Klägerin sei unter Berücksichtigung der Leistungseinschätzungen von S2 und B1 noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei bestimmten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche zu verrichten.
Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 12.06.2020 zugestellten Gerichtsbescheid erhob die Klägerin am 25.06.2020 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung (Az. L 11 R 2004/20)
Der in diesem Verfahren zuständige 11. Senat befragte zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen.
Der S3 teilte mit Schreiben vom 23.09.2020 mit (Bl. 45 LSG- Akte im Verfahren L 11 R 2004/20), die Klägerin einmal im Jahr 2017, zweimal im Jahr 2018 und je einmal in den Jahren 2019 und 2020 behandelt zu haben. In der Zeit von 2016 bis 2019 habe die Klägerin über chronisch rezidivierende Rückenschmerzen geklagt, bei der Vorstellung im Jahr 2020 über Knieschmerzen beidseits und Hallux-Schmerzen links sowie Hüftschmerzen. Die vorhandenen Gesundheitsstörungen schränkten das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester deutlich ein. Längeres Arbeiten im Stehen, das Heben und Tragen von schweren Lasten über fünf kg seien nicht dauerhaft durchführbar. Gerade in ihrem Beruf sei der Patienten-Transfer, die Lagerung etc. aufgrund der Rückenschmerzen sehr belastend. Seit der Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule aufgrund der degenerativen Veränderungen sei die Belastbarkeit zusätzlich gemindert. Im Laufe der Behandlung habe sich eher eine Verschlimmerung eingestellt.
Der S4 erklärte mit Schreiben vom 30.09.2020 (Bl. 79 LSG-Akte), die Klägerin sei zuletzt vor einem Jahr am 02.08.2019 vorstellig geworden. Die Behandlungen und Diagnosestellungen seien ausschließlich von orthopädischen Kollegen erfolgt. Am 02.08.2019 habe er 30 Tabletten Voltaren Dispers 46,5 mg verordnet. Nach seiner Beurteilung sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, in ihrem Beruf als Krankenschwester auf der Intensivstation zu arbeiten.
Anschließend holte der 11. Senat ein orthopädisches Gutachten bei dem B2 von Amts wegen ein. Dieser untersuchte die Klägerin am 12.01.2021 und stellte in seinem Gutachten vom selben Tag (Bl. 104 Akte LSG) folgende Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet:
- Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
- Chronisches ortsständiges thorakales Wirbelsäulensyndrom ohne relevante Funktionsbehinderung der Brustwirbelsäule und ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen im Bereich des Rumpfes
- Chronisches, teilweise ortsständiges, teilweise pseudoradikuläres lumbales Wirbelsäulensyndrom mit Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule und alter neurogener sensibler radikulärer Schädigung S 1 links bei Zustand nach Spondylodese L 2/3 (10/05)
- Fortgeschrittene degenerative Wirbelsäulenerkrankung der Brust- und Lendenwirbelsäule mit gradueller spinaler Enge L 3/4 und gradueller neuroforaminärer Enge L 3/4 und L 5/S 1
- Wirbelsäulenfehlstatik
- Muskuläre Dysbalance des Rückens und des Rumpfes
- Funktionell unbedeutsamer Beckenschiefstand
- Coxalgie beidseits ohne relevante Funktionsbehinderung der Hüftgelenke
- lnsertionstendopathie am Trochanter major links
- Verdacht auf retropatellare Chondromalazie beidseits
- Senkspreizfuß-Deformität beidseits mit initialem Hallux valgus und Verdacht auf Großze-hengrundgelenksarthrose ohne Funktionsbehinderung.
Der Sachverständige führte aus, dass sämtliche mittelschweren und schweren körperlichen Tätigkeiten nicht mehr leidensgerecht seien, ebenso Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über zwei bis drei kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten in gebückter, vornüber geneigter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans, Arbeiten in Rückneigung des Kopfes (Überkopftätigkeiten), Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, häufig oder ständig kniende und/oder hockende Tätigkeiten, überwiegend oder ständig stehende und/oder gehende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Untergrund, Arbeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und/oder Zugluft, Arbeiten an gefährdenden Maschinen, Arbeiten mit hoher Verantwortung und/oder besonderer geistiger Beanspruchung, Arbeiten unter hohem Zeitdruck und hoher Stressbelastung (z.B. Akkord- und Fließbandtätigkeit, Nachtschichttätigkeit). Bei adäquater Beachtung und Umsetzung der aufgezeigten Einschränkung des qualitativen Leistungsvermögens sei es der Klägerin jedoch noch möglich und zumutbar, leichte angepasste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von sechs Stunden und mehr pro Tag bei fünf Tagen in der Woche auszuüben. Eine konkrete unmittelbare Gefährdung des noch vorhandenen Restleistungsvermögens wäre hieraus nicht zu erwarten.
Im weiteren Verlauf teilte die Klägerin mit, dass sich inzwischen herausgestellt habe, dass sie unter einer Spondylarthritis (Morbus Bechterew) leide, was B2 nicht erkannt habe. Mit dem Vorliegen der Diagnose eines Morbus Bechterew in fortgeschrittenem Stadium sei ein Leistungsvermögen nicht mehr gegeben (Bl. 166 Akte LSG).
Hierzu legte die Klägerin einen Bericht des Universitätsklinikums F1, Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie (V1) vom 19.02.2021 (Bl. 187 LSG-Akte) vor. Darin wird ausgeführt, dass zusammenfassend bei einer gesicherten Sakroiliitis in der Computertomographie und in der Magnetresonanztomographie sowie NSAR- (Nicht-steroidale Entzündungshemmer) sensiblen nächtlichen Rückenschmerzen die Diagnose einer Spondylarthritis mit axialer Beteiligung gestellt werden könne. Bei Erstdiagnose werde der Beginn von Adelimumab (Amgevita) empfohlen.
Im weiteren Verlauf wurde ein Bericht des Universitätsklinikum F1, Klinik für Neurochirurgie (B3/ H1) vom 17.02.2021 über eine ambulante Vorstellung der Klägerin am 16.02.2021 vorgelegt (Bl. 215 LSG-Akte, Bl. 1123 VA). Die Klägerin habe u.a. angegeben, sitzen unter ständiger Veränderung der Sitzposition könne sie etwa eine Stunde, stehen gehe nur sehr schlecht und führe rasch zu erheblichen Beschwerden, gehen könne sie bis zu einer halben Stunde recht ordentlich, dann träten vermehrt die Leistenschmerzen und parallel die Rückenschmerzen auf. lnklination verbessere die Situation etwas. H1 gab weiter an, dass sich bei der klinischen Untersuchung keine Paresen gezeigt hätten, die Gang- und Standproben, auch unter erschwerten Bedingungen hätten ohne wesentliche Einschränkung durchgeführt werden können. Weiter wurde in dem Bericht ausgeführt, es handele sich um eine ausgeprägte, fortschreitende Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die mit einem Morbus Bechterew prinzipiell vereinbar wäre. Hingegen sei der Befund nicht mit einem fortschreitenden degenerativen Prozess im Sinne der Osteochondrose zu vereinbaren. Im nächsten Schritt sollten rheumatologische Untersuchungen mit der Frage einer zugrundeliegenden rheumatologischen Erkrankung erfolgen. Erst im Anschluss an das rheumatologische Konsil werde man über die Möglichkeit einer Iliosakralgelenksinfiltration linksseitig befinden. Diese sei nach rheumatologischer Grundbehandlung möglicherweise nicht mehr erforderlich. Daneben sei zu diskutieren, ob zum jetzigen Zeitpunkt eine Spondylodese BW 12/LW 1 und LW 3/4 mit deutlicher Lordosierung in diesen Segmenten hilfreich wäre, die bei einem Morbus Bechterew zu erwartende zunehmende Kyphosierung auszugleichen.
Der 11. Senat des LSG wies diese Berufung mit Urteil nach mündlicher Verhandlung am 22.06.2021 als unbegründet zurück (Bl. 306 LSG-Akte). Der Bescheid der Beklagten vom 02.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass der Klägerin Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über zwei bis drei kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten in gebückter, vornüber geneigter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans, Arbeiten in Rückneigung des Kopfes (Überkopftätigkeiten), Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, häufig oder ständig kniende und/oder hockende Tätigkeiten, überwiegend oder ständig stehende und/oder gehende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Untergrund, Arbeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und/oder Zugluft, Arbeiten an gefährdenden Maschinen, Arbeiten mit hoher Verantwortung und/oder besonderer geistiger Beanspruchung, Arbeiten unter hohem Zeitdruck und hoher Stressbelastung (z.B. Akkord- und Fließbandtätigkeit, Nachtschichttätigkeit) nicht abverlangt werden könnten. Der Senat sei jedoch auch der Überzeugung, dass die Klägerin bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen in der Lage sei, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitstäglich in einem Umfang von mehr als sechs Stunden zu verrichten. Der Senat stütze seine Beurteilung des Leistungsvermögens maßgeblich auf die Gutachten des S2, des B1 und B2 sowie die Gutachten von M1 und K2, die er im Wege des Urkundenbeweises verwerte.
Die von der Klägerin gegen dieses Urteil zum Bundessozialgericht (BSG) erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde am 22.07.2021 wieder zurückgenommen (Bl. 336 LSG-Akte).
Bereits am 28.07.2021 beantragte der Klägerbevollmächtigte bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 02.02.2018 und stellte einen neuen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 1261 VA).
Die Beklagte holte zunächst Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein. Am 30.11.2021 erklärten die Ärzte der Klinik für Rheumatologie am Universitätsklinikum F1 (Bl. 1028 VA), man behandle die Klägerin seit 19.02.2021, zuletzt habe man sie am 21.10.2021 gesehen. Im Befundbericht wurde weiter ausgeführt, dass schwere körperliche Arbeiten nicht mehr möglich seien, ebenso langes Sitzen und Stehen ohne Pausen. Seit Beginn der Therapie im Februar 2021 sei es zu einer Besserung der Beschwerden gekommen. Im Wesentlichen dieselben Angaben enthält der beigefügte Arztbrief dieser Ärzte vom 21.10.2021 (Bl. 1145 VA). Der S3 erklärte in seinem Befundbericht vom 29.10.2021 (Bl. 1023 VA), dass die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht mehr möglich sei.
Die Klägerin wurde zudem im Auftrag der Beklagten am 27.06.2022 ambulant von dem D1 untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 30.06.2022 (Bl. 1049, 1055 VA) folgende Diagnosen:
- Spondylarthropathie mit axialer Beteiligung, HLA_B27-negativ, bei V. a. EM ca. 2003, ED 02/2021 durch Univ.-Klinikum F1, Rheumatologie
- Pseudoradiculäres chronisches lumbales Wirbelsäulensyndrom vorbefundlich bei ausgeprägter Osteochondrose L 3/4 / L 4/5. Z. n. Spondylodese 2005 L 2/3 Retropatellararthrose bds.
- Myofasziales Schmerzsyndrom mit Somatisierungsreaktion vor dem Hintergrund eines chronifizierten Schmerzsyndroms und Zeichen einer psychovegetativen Erschöpfungsreaktion.
Es bestünden aus internistisch-rheumatologischer Sicht qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit, sodass eine Tätigkeit als Intensivschwester nicht mehr möglich sei. Einseitige Zwangsbelastungen für die Wirbelsäule sollten vermieden werden, sodass regelmäßige Tätigkeiten in hockender, kniender, vornübergebeugter Stellung nicht möglich seien. Ebenso sollte keine andauernde stehende oder sitzende Tätigkeit, keine regelmäßige Tätigkeit im Armvorhalt oder Überkopf-Arbeiten, kein Klettern auf Leitern und Gerüsten, kein Heben und Tragen von Lasten über fünf kg ohne mechanische Hilfsmittel verlangt werden sowie keine Arbeiten in Kälte und Nässe und keine Tätigkeiten in stressbelasteten Bereichen oder in Bereichen mit erhöhter Gefahrensituation. Leichte Tätigkeiten in Wechselbelastung, unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen, seien aus internistischer Sicht derzeit drei bis unter sechs Stunden möglich, könnten allerdings im Verlauf durch eine modifizierte medikamentöse Therapie als auch intensivierte rehabilitative Maßnahmen wieder ansteigen. Unterstützende Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben und stationär/rehabilitative Maßnahmen sollten geprüft werden.
Mit Bescheid vom 14.09.2022 (Bl. 1381 VA) lehnte die Beklagten den Überprüfungsantrag der Klägerin ab, da keine quantitative Leistungsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt worden sei. Der Bescheid vom 02.02.2018 bleibe somit bestehen. Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten oder Behinderungen der Klägerin ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Denn nach der medizinischen Beurteilung könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch (Bl. 1385 VA) und trug zur Begründung u.a. vor, dass sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft eine Rente wegen Erwerbsminderung begehrt werde (Bl. 1394 VA). Zudem wurde angeregt einen Befundbericht bei H1 einzuholen.
Die Beklagte forderte daraufhin von diesem einen aktuellen Befundbericht an. Am 16.11.2022 (Bl. 1113 VA) erklärte H1, dass er die Klägerin zwar seit 2005 behandle, sie aber zuletzt am 16.02.2021 gesehen habe. Er könne daher keine Angaben zu möglichen Funktionseinschränkungen und Beeinträchtigungen der Aktivitäten/Teilhabe machen. Ob die Klägerin zuletzt arbeitsunfähig krank gewesen sei, sei ihm nicht bekannt. Er fügte den Arztbericht vom 17.02.2021 (s.o.) bei, in dem über die ambulante Vorstellung am 16.02.2021 berichtet wurde.
In einem weiteren Befundbericht vom 03.01.2023 (Bl. 1135 VA) berichtete H1 über eine erneute Vorstellung der Klägerin am 01.12.2022. Er sah nun Einschränkungen im Bereich der Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, interpersonelle Aktivitäten und bedeutende Lebensbereiche. Personelle Hilfe benötige die Klägerin in den Bereichen häusliches Leben und allgemeine Aufhaben/ Anforderungen. Nicht mehr durchführbar seien Arbeit und Beschäftigung. Im Übrigen verwies er auf einen Ambulanzbrief vom 16.02.2022 (muss richtigerweise wohl vom 21.12.2022 heißen, Bl. 1163 VA), der anlässlich der ambulanten Vorstellung der Klägerin am 01.12.2022 erstellt worden war. Darin wird von einer erheblichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin berichtet. Die Klägerin habe angegeben, dass sie seit etwa drei Wochen ausgeprägte Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte habe, die sie so erheblich beeinträchtigten, sodass sie kaum geh- und stehfähig sei und sich nur mit Gehstock mobilisieren könne.
Im Einzelnen würden sich die Beschwerden beim Hinlegen verbessern. Der Nachtschlaf sei jedoch erheblich gestört, spätestens alle drei bis vier Stunden werde sie wach, typischerweise bei Drehbewegungen, die erheblich schmerzhaft seien. Nach dem morgendlichen Aufstehen komme es zu ausgeprägten Rückenschmerzen im Sinne von Anlaufschmerzen bis zu zwei Stunden. Sitzen könne sie unter ständiger Veränderungen der Sitzposition etwa eine Stunde, stehen gehe nur sehr schlecht und führe rasch zu erheblichen Beschwerden, gehen habe sie zunächst bis zu einer halben Stunde recht ordentlich gekonnt, dann seien vermehrt die Leistenschmerzen und parallel die Rückenschmerzen aufgetreten. Inklination verbessere die Situation etwas. Aktuell unter den exazerbierten Beschwerden sei sie ohne Gehstock nicht mehr gehfähig. Die Klägerin zeige bei ihrer Vorstellung eine erhebliche kyphotische Fehlhaltung der Brust- und oberen Lendenwirbelsäule. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine Paresen gezeigt, die Gang- und Standproben, besonders unter erschwerten Bedingungen, seien aber inzwischen durch die Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte erheblich eingeschränkt. Auch bei der Testung der Extremitätsgelenke habe sich zum Teil eine erhebliche Schmerzsymptomatik gezeigt. Die Beweglichkeit zeige sich im Vergleich zu den Vorbefunden erheblich deutlicher eingeschränkt.
Mit Bescheid vom 15.05.2023 (Bl. 34 Senatsakte) half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise ab und bewilligte ihr eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 01.12.2022 erfüllt, so dass Rentenbeginn der 01.01.2023 sei. Der Anspruch bestehe längstens bis zum 30.11.2033. Das sei das Ende des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht werde.
Auch gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch erhoben.
Mit Bescheid vom 05.06.2023 (Bl. 85 Senatsakte) bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 01.12.2022 erfüllt, Rentenbeginn sei der 01.07.2023 und die Rente werde befristet bis zum 30.06.2026 gewährt. Der Bescheid vom 15.05.2023 über die bisherige Rente werde hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ab dem 01.07.2023 nach § 89 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) aufgehoben. Dieser Bescheid werde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
Die Beklagte wies den Widerspruch - soweit ihm nicht durch Bescheid vom 15.05.2023 und vom 05.06.2023 abgeholfen worden ist - mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2023 zurück (Bl. 5 SG-Akte). Ein früherer Leistungsfall, wie von der Klägerin begehrt ab September 2017 komme nicht in Betracht. Der am 01.12.2022 eingetretene Leistungsfall sei aufgrund der Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch H1 festgestellt worden.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum SG Freiburg erhoben (Az.: S 8 R 3010/23). Zur Begründung ist u.a vorgetragen worden, dass die Beklagte zu Unrecht davon ausgehe, dass der Leistungsfall erst am 01.12.2022 eingetreten sei. Es ergebe sich aus dem Bericht von H1 vom 16.02.2021, dass es in den letzten sechs Jahren zu einer deutlichen Aggravation der Erkrankung gekommen sei (Morbus Bechterew). Ausgehend von 2021 lande man dann dabei in 2015. Die immer wiederkehrenden Argumentationen, es würde kein Leidensdruck bestehen, weil man keine schmerz- oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehme, berücksichtige nicht die unterschiedlichen Qualitäten der Individualität der Menschen.
Die Beklagte ist dem Begehren der Klägerin entgegengetreten (Bl. 19 SG-Akte) und hat u.a. erklärt, dass sich beim Vergleich der beiden Arztberichte von H1 von Februar 2021 und Dezember 2022 eine deutliche Verschlechterung beim klinischen Untersuchungsbefund gezeigt habe. Während im Februar 2021 keine Bewegungseinschränkungen vorgelegen hätten und vorwiegend druckschmerzhafte Bereiche festgestellt worden seien, hätten sich im Dezember 2022 Fehlhaltungen und Bewegungseinschränkungen im Bereich Hüfte und Wirbelsäule gezeigt.
Das SG hat nach vorheriger Anhörung verbunden mit dem Hinweis, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt seien, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2024 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 14.09.2022 in der Gestalt der Bescheide vom 15.05.2023 und 05.06.2023 und des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2023 sei rechtmäßig. Zur Begründung werde zunächst auf die Begründung des Widerspruchsbescheides gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen. Ergänzend sei auszuführen, dass ein früher eingetretener Leistungsfall sich nicht nachweisen lasse. Das Gericht nehme hier vollumfänglich Bezug auf die umfangreichen Befundunterlagen und eingeholten Sachverständigengutachten des S2 vom 06.06.2019 und B1 vom 20.04.2020 aus dem Verfahren vor dem SG Freiburg sowie das Sachverständigengutachten des B2 vom 12.01.2021, das das LSG im Berufungsverfahren eingeholt habe. Übereinstimmend hätten alle Sachverständige nach Untersuchung der Klägerin und entsprechender Befunderhebung ausgeführt, dass diese unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig leistungsfähig sei. Auch aus den im Rahmen des auf Antrag der Klägerin einen Monat nach Urteil eingeleiteten neuen Verwaltungsverfahrens könne sich für die Vergangenheit nichts anderes ergeben. Die damals erhobenen Befunde deckten sich im Wesentlichen und es ließen sich zu keiner Zeit Beeinträchtigungen feststellen, die ein dauerhaft zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen zur Folge hätten. In den Gutachten des S2, B1 und B2 sowie die Gutachten von M1 und K2 sei das Leistungsvermögen der Klägerin übereinstimmend eingeschätzt worden. Die Befundunterlagen des H1 könnten diese Gutachten nicht entkräften. Der Befundbericht vom 16.02.2021 habe zum damaligen Zeitpunkt schon vorgelegen und es zeigten sich keine abweichenden Funktionseinschränkungen. Daher habe das Gericht keinen Anlass gesehen, aktuell Befundberichte bei den die Klägerin behandelnden Ärzte für die Vergangenheit nochmal einzuholen oder ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben, da es ausschließlich um den Eintritt eines früheren Leistungsfalles gehe.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 10.10.2024 gegen den ihm am 19.09.2024 mit Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung hat er sich auf bereits im vorangegangenen Gerichtsverfahren vorgelegte Unterlagen bezogen. So wird u.a. ausgeführt, dass H1 in seinem Bericht vom 16.02.2021 klipp und klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass sich die massive Verschlechterung in den letzten sechs Jahren ausgehend von 2021, erklären lasse durch den zwischenzeitlich gesicherten Morbus Bechterew. Dieser Morbus Bechterew sei von den anderen Gutachtern nicht einmal erkannt worden. Man verweise zudem auf einen Befundbericht vom 17.02.2021 aus der Klinik für Neurochirurgie, aus dem sich unmissverständlich ein Hinweis auf das Krankheitsgeschehen im Sinne des Krankheitsverlaufes ergebe. Dort sei von schon nicht ganz unerheblichen Beeinträchtigungen beginnend mit dem Jahre 2015 die Rede. Dies sei von den Gerichtsgutachtern nicht richtig berücksichtigt worden. Langjährige chronische Schmerzen veränderten die Menschen und führten letztlich im Endergebnis zu höheren Empfindlichkeiten, so dass sich die Leistungsfähigkeit auch vorzeitig aufbrauche.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. September 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14. September 2022 und Abänderung der Bescheide vom 15. Mai 2023 und 5. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2023 zu verpflichten, den Bescheid vom 2. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2018 aufzuheben und der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach einem „deutlich früheren Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung“ zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat zur Begründung darauf hingewiesen, dass sowohl der vorgelegte Ambulanzbrief der Klinik für Neurochirurgie vom 17.02.2021 als auch der Bericht des H1 vom Februar 2021 bereits vorgelegen hätten und die im vorherigen Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten nicht entkräften könnten. Es zeigten sich darin keine abweichenden Funktionseinschränkungen. Auch aus dem - im Rahmen des auf Antrag der Klägerin einen Monat nach Urteil eingeleiteten neuen Verwaltungsverfahren ergebe sich für die Vergangenheit nichts anderes. Die damals erhobenen Befunde deckten sich im Wesentlichen und es ließen sich zu keiner Zeit Beeinträchtigungen feststellen, die ein dauerhaft zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen zum damaligen Zeitpunkt zur Folge hätten. In den Gutachten des S2, B1 und B2 sowie in den Gutachten von M1 und K2 sei das Leistungsvermögen der Klägerin übereinstimmend eingeschätzt worden.
Mit Schreiben vom 12.11.2024 hat der Senat darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind.
Mit Schreiben vom 03.04.2024 hat der Klägervertreter unter Verweis auf einen Ärztlichen Bericht der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Kindertraumatologie an der BHD- Klinik W1 vom 11.03.2024 (Bl. 154 Senats-Akte) darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin nun auch eine Ochronose diagnostiziert worden sei. Zudem ist der Rehaentlassungsbericht vom 22.04.2024 (Bl. 158 Senats-Akte) über eine vom 14.03.2024 bis 04.04.2024 durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitation in der T1klinik II in K1 vorgelegt worden. Die Entlassung ist mit aufgehobenem Leistungsvermögen in der bisherigen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit und allen anderen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten erfolgt. Die Klägerin beziehe bis 2026 eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Klägerin und die Beklagte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Schreiben vom 03.04.2025, Bl. 143 LSG-Akte, bzw. Schreiben vom 04.04.2025, Bl. 165 LSG-Akte) erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten aus dem vorherigen Rentenverfahren und die beigezogene Akte der Beklagten über die Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Eiverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 17.09.2024 und der Bescheid vom 14.09.2022 in der Gestalt der Bescheide vom 15.05.2023 und 05.06.2023 sowie des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2023 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits vor dem von der Beklagten anerkannten Rentenbeginn am 01.07.2023 aufgrund eines am 01.12.2022 eingetretenen Versicherungsfalles.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend unter Verweis auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid (§ 136 SGG) die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchten Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) dargelegt und zutreffend unter Bezugnahme auf die eingeholten medizinischen Berichte im Verwaltungsverfahren und die Gutachten im vorherigen Rentenverfahren ausgeführt, dass ein früherer als von der Beklagten angenommener Versicherungsfall mit einem zeitlichen Leistungsvermögen von unter sechs Stunden nicht nachgewiesen worden ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.
Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass sich auch aus dem Vortrag im Berufungsverfahren nichts anderes ergibt. Zur Überzeugung des Senats ist der Eintritt des Leistungsfalls vor dem 01.12.2022 auch unter Berücksichtigung dessen nicht nachgewiesen.
Zunächst ist festzustellen, dass der 11. Senat des LSG im Urteil vom 22.06.2021 unter Bezugnahme auf die in diesem Verfahren sowohl in erster als auch zweiter Instanz eingeholten Sachverständigengutachten von S2, B1 und B2 und die im dortigen Verwaltungsverfahren von der Beklagten beauftragten Gutachten von M1 und K2 festgestellt hat, dass der Klägerin zwar Arbeiten mit Heben, Tragen und/oder Bewegen von Lasten über zwei bis drei kg ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten in gebückter, vornüber geneigter oder sonstiger Zwangshaltung des Achsorgans, Arbeiten in Rückneigung des Kopfes (Überkopftätigkeiten), Arbeiten unter Einfluss vertikaler Teil- oder Ganzkörperschwingungen, häufig oder ständig kniende und/oder hockende Tätigkeiten, überwiegend oder ständig stehende und/oder gehende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf unebenem Untergrund, Arbeiten unter Einfluss von Nässe, Kälte und/oder Zugluft, Arbeiten an gefährdenden Maschinen, Arbeiten mit hoher Verantwortung und/oder besonderer geistiger Beanspruchung, Arbeiten unter hohem Zeitdruck und hoher Stressbelastung (z.B. Akkord- und Fließbandtätigkeit, Nachtschichttätigkeit) nicht abverlangt werden können, aber auch bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitstäglich in einem Umfang von mehr als sechs Stunden zu verrichten.
An dieser Einschätzung zum Leistungsvermögen ist nach Überzeugung des Senats bis zum Zeitpunkt des Urteils des 11. Senats des LSG nicht zu zweifeln. Insbesondere ergibt sich kein anderes Ergebnis aus dem Vortrag des Klägervertreters und dem Verweis auf die Berichte von H1. Zunächst ist zu beachten, dass der ärztliche Bericht vom 17.02.2021, der über eine ambulante Vorstellung der Klägerin am 16.02.2021 berichtet, bereits im damaligen Gerichtsverfahren vorgelegen hatte und im Urteil vom 22.06.2021 berücksichtigt worden war, zumal diesem, wie auch in dem nur einen Monat vorher erstellten Sachverständigengutachten von B2 eben gerade keine so weitreichenden Funktionseinschränkungen, die eine auch zeitliche Reduktion des Leistungsvermögens rechtfertigen würden, entnommen werden können. Darüber hinaus führt der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, B2 habe in seinem Gutachten den inzwischen diagnostizierten Morbus Bechterew nicht berücksichtigt, zu keinem anderen Ergebnis. Denn hier verkennt der Bevollmächtigte, dass entscheidend für die erwerbsminderungsrechtlich relevante Leistungseinschätzung allein die auf Krankheit oder einem Krankheitskomplex beruhenden Funktionsausfälle oder Funktionseinschränkungen und nicht das Benennen und Aufzählen von Diagnosen oder geklagten Beschwerden sind (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 28.02.2017 - B 13 R 37/16 BH - juris, Rn. 17; Sächsisches LSG, Beschluss vom 11.12.2017 - L 5 R 20/16 - juris, Rn. 48).
Aber auch aus dem unmittelbar nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG aufgrund des vom Klägervertreter gestellten Überprüfungsantrages bzw. neuen Rentenantrages eingeleiteten Verwaltungsverfahren ergibt sich kein früherer als der von der Beklagten im Widerspruchsverfahren anerkannte Versicherungsfall am 01.12.2022.
Es ist zwar richtig, dass der im erneuten Verwaltungsverfahren von der Beklagten mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte D1, der die Klägerin am 27.06.2022 ambulant untersucht hat, eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden beschrieben hat. Dieser Einschätzung kann der Senat, wie auch schon das SG und die Beklagte, nicht folgen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten folgende qualitative Einschränkungen beschrieben: Nicht mehr möglich seien einseitige Zwangsbelastungen für die Wirbelsäule, sodass regelmäßige Tätigkeiten in hockender, kniender, vornübergebeugter Stellung nicht möglich seien. Ebenso sollten keine andauernde stehende oder sitzende Tätigkeit, keine regelmäßige Tätigkeit im Armvorhalt oder Überkopf-Arbeiten, kein Klettern auf Leitern und Gerüsten, kein Heben und Tragen von Lasten über fünf kg ohne mechanische Hilfsmittel und keine Arbeiten in Kälte und Nässe sowie keine Tätigkeiten in stressbelasteten Bereichen oder in Bereichen mit erhöhter Gefahrensituation ausgeübt werden. Warum sich hieraus auch eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens ergeben soll, wird weder dargelegt noch nachvollziehbar begründet. Auch aus dem somatischen Untersuchungsbefund lässt sich kein Anhalt für gravierende Funktionsstörungen (freie Beweglichkeit der großen Gelenke, keine Beeinträchtigung der Handfunktion, keine motorischen bzw. sensiblen Ausfälle) und laborchemisch auch kein Anhalt für entzündliche Krankheitsaktivität entnehmen. Es liegt vielmehr eine unveränderte Befundkonstellation zu den Vorbefunden/Vorgutachten vor und auch im Hinblick auf ein zuletzt diagnostiziertes entzündliches Geschehen, der Beginn einer Biologika-Therapie mit Adalimumab seit Februar 2021 und darunter zunächst eine deutliche Besserung, insbesondere der linksseitigen Leistenbeschwerden beschrieben. Auch stellte der Sachverständige während der etwa 50-minütigen Anamneseerhebung keine wesentliche Änderung der Körperposition fest und beschrieb eine gute Entwicklung der Muskulatur der oberen und unteren Extremitäten. Auffällig ist auch im Hinblick auf die geäußerte Vermutung "eines chronifizierten Schmerzsyndroms"..." mit wiederkehrenden depressiven Phasen"... "und Somatisierungsreaktion", dass sich in den medizinischen Unterlagen keine entsprechenden Belege finden. Weder eine schmerz- noch psychotherapeutische noch psychiatrisch-psychosomatische Behandlung erfolgte. Auch sind dem Gutachten keine Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu entnehmen. Die Klägerin konnte einen geregelten, selbstbestimmten Tagesablauf aufrechterhalten; hat Kontakt zu Familie, Freunden und Bekannten und auch eine Urlaubsreise war ihr möglich. Der im Gutachten dokumentierte psychische Befund war regelrecht. Der Nachweis des Eintritts des Leistungsfalles bereits zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens ergibt sich nach alledem hieraus nicht.
Vielmehr ergibt sich aus den weiter vorgelegten Unterlagen, insbesondere aus dem Bericht des behandelnden H1 über die ambulante Behandlung der Klägerin am 01.12.2022 eine zu diesem Zeitpunkt eingetretene so wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin, dass ab diesem Zeitpunkt der Nachweis einer rentenrelevanten quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens geführt werden kann.
In diesem Bericht werden im Vergleich zum Bericht über die ambulante Untersuchung am 16.02.2021, aber auch zum Gutachten von D1 erstmals solch erhebliche Funktionseinschränkungen beschrieben, die auch leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr nicht mehr möglich machen. So beschrieb der behandelnde Arzt, dass die Beweglichkeit im Vergleich zu den Vorbefunden nun erheblich deutlicher eingeschränkt sei und nennt hier insbesondere die nun neu vorliegenden erheblichen Gang- und Standprobleme, so dass die Klägerin kaum noch geh- und stehfähig sei und sich nur mit Gehstock mobilisieren könne. Zurückzuführen seien diese insbesondere auf (neu hinzugetretene) erhebliche Schmerzen in der rechten Hüfte. Darüber hinaus wurden erstmals erhebliche Anlaufschmerzen nach dem morgendlichen Aufstehen von bis zu zwei Stunden aufgrund der ausgeprägten Rückenschmerzen beschrieben. Auch bei der Testung der Extremitätsgelenke habe sich zum Teil nun eine erhebliche Schmerzsymptomatik gezeigt. Dies deckt sich letztlich auch mit den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber H1 am 01.12.2022, in denen sie von einer erheblichen Verschlechterung in den letzten drei Wochen berichtete. Hierzu passend suchte sie erstmals nach über einem Jahr am 01.12.2022 diesen Arzt wieder auf, was ebenfalls für eine zu diesem Zeitpunkt eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes spricht.
Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es seit der Entscheidung des 11. Senats zu einer weiteren (schleichenden) Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist, der Eintritt des Leistungsfalles, d.h. der Zeitpunkt an dem eine rentenrelevante Minderung der Erwerbsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden eingetreten ist, sich aber aus den medizinischen Unterlagen erst zum Zeitpunkt der Untersuchung bei H1 am 01.12.2022 nachweisen lässt. Zu Recht hat die Beklagte daher die hier als befristet zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 102 Abs. 2 SGB VI) erst ab dem 01.07.2023 bewilligt (§ 101 Abs. 1 SGB VI).
Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht angezeigt, auch nicht auf die Beweisanregungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin hier einen in der Vergangenheit liegenden früheren Eintritt der Erwerbsminderung begehrt und die relevanten Befundberichte aus dieser Zeit bereits vorliegen und bis zum anerkannten Leistungsfall bereits umfangreiche Ermittlungen aus vorherigen Gerichts- bzw. Verwaltungsverfahren erfolgt sind. Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht die zuletzt mit Schreiben vom 03.04.2024 vorgelegten medizinischen Unterlagen. Zum einen betreffen sie alle Behandlungen bzw. Leistungseinschätzungen, die weit nach dem von der Beklagten bereits anerkannten Versicherungsfall liegen. Soweit nun darüber hinaus eine Ochronose diagnostiziert worden ist, kann der Senat offen lassen, ob diese bereits zuvor bestanden hat. Denn wie bereits ausgeführt, sind entscheidend für die erwerbsminderungsrechtlich relevante Leistungseinschätzung allein die auf Krankheit oder einem Krankheitskomplex beruhenden Funktionsausfälle oder Funktionseinschränkungen und nicht aber das Benennen von Diagnosen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3010/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2982/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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