Der Bescheid vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2020 wird abgeändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Straffungsoperation im Bereich beider Oberschenkel als Sachleistung zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um postbariatrische Operationen der männlichen Brustregion und der Oberschenkel.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger hat durch eine adipositas-chirurgische Operation bei einer Körpergröße von 1,91 m sein Gewicht von 161 kg auf zwischenzeitlich 86 kg und im Zeitpunkt der Beweisaufnahme von 98 kg reduziert.
Er beantragte am 06.05.2019 die Kostenübernahme einer Reduktionsplastik im Bereich Bauch, Brust und Oberschenkel. Die überschüssige Haut an Bauch, Brust und Oberschenkeln hindere ihn an der schmerzfreien und uneingeschränkten Arbeit, am Sport und bei alltäglichen Bewegungen im Alltagsleben. Es träten Reibungen, Wärme, Rötungen, Schmerzen und Einklemmungen der überschüssigen Haut in der Kleidung auf. Er fügte Berichte der behandelnden Ärzte bei.
Die Beklagte befragte den ärztlichen Dienst. Dort wurde ärztlicherseits handschriftlich auf der Anfrage notiert: „Es ist keine med. Notwendigkeit für eine Abdominoreduktionsplastik feststellbar“.
Mit Bescheid vom 15.05.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Gutachterin vom MDK befürworte hier keine Kostenübernahme für eine Abdominoplastik.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Infolge der schweren Adipositas sei die bariatrische Operation genehmigt worden. Nun lägen krankhafte Begleiterscheinungen vor. Sodann wiederholt er die Schilderung seiner Beeinträchtigungen. Für die Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung vom 17.06.2019 nebst beigefügtem ärztlichen Schreiben vom 27.05.2019 Bezug genommen.
Die Beklagte holte nun ein MDK-Gutachten durch die Ärztin ein, die bereits zuvor die Stellungnahme abgegeben hatte. Diese führt nochmals aus, dass sich kein krankheitswertiger Zustand feststellen lasse. Es seien keine mechanischen Funktionseinschränkungen feststellbar. Hautirritationen seien nicht erkennbar. Eine krankhafte Veränderung der männlichen Brüste liege ebenfalls nicht vor. An den Oberschenkeln sei auch keine mechanische Belastung zu erwarten. Es sei eine konsequente Hautpflege und eine adäquate, eventuell komprimierende Kleidung anzuraten.
Auf Bitten des Widerspruchsausschusses wurde der Kläger dann noch zur persönlichen Untersuchung einbestellt und durch eine weitere Ärztin untersucht. Auch diese verneint das Vorliegen einer Erkrankung. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des MDK-Gutachtens vom 21.11.2019 Bezug genommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei nicht möglich. Es liege weder ein entstellendes Aussehen noch eine Erkrankung vor. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er wiederholt seine Ausführungen zu seiner körperlichen Situation. Für die Einzelheiten wird auf die Klagebegründung Bezug genommen.
Zwischenzeitlich wurde eine Abdominoplastikoperation bei dem Kläger durchgeführt.
Der Kläger beantragt nun noch,
den Bescheid vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm zwei postbariatrische Wiederherstellungsoperationen an Brust und Oberschenkeln als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist auch sie auf ihre bisherigen Ausführungen.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ein Sachverständigengutachten bei A. im Zentrum für Plastische- und Wiederherstellungschirurgie der L. eingeholt.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet, im Übrigen ist sie unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 15.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.01.2020 ist nur teilweise rechtmäßig. Hinsichtlich der Ablehnung der Straffungsoperation an beiden Oberschenkeln ist er rechtswidrig. Der Kläger ist durch den Bescheid insoweit in seinen Rechten verletzt, so dass er insoweit im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert ist. Ein Anspruch auf Straffung des Brustbereichs besteht hingegen nicht.
Versicherte haben gemäß § 27 Abs.1 Satz 1 und 2 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst 1. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, 2. zahnärztliche Behandlung, 2a. Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, 3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, 4. häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, 5. Krankenhausbehandlung, 6. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, welcher der ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes hat diese Grundvoraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 3/08 R; Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R - juris -, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Februar 2017; L 1 KR 134/14 , juris Rn. 16). Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R und Beschluss vom 17. Oktober 2006, B 1 KR 104/06 B; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Januar 2014, L 5 KR 325/12; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. April 2013, L 1 KR 119/11 und vom 6. Oktober 2016, L 8 KR 291/14 - juris -). Zu fordern ist in jedem Fall eine schwerwiegende Erkrankung, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg bringt (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. April 2013, L 1 KR 119/11; Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 25. August 2016, L 1 KR 38/15 - juris -; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 09. Februar 2017 - L 1 KR 134/14 -, Rn. 20, juris). Dabei stellt überschüssige Haut für sich genommen keinen krankhaften Befund im vorgenannten Sinne dar (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 17.07.2014 zum Verfahren L 1 KR 160/13; LSG Hessen, Urteil vom 05.09.2018 zum Verfahren L 8 KR 254/17).
Bei dem Kläger liegt nur im Bereich der Oberschenkel, nicht aber im Brustbereich eine Erkrankung vor, die nicht mehr mit konservativen Maßnahmen zu behandeln ist. Der Kläger hat bereits im Jahre 2020 und 2021 an einer Phlegmone der Oberschenkel mit Schüttelfrost und Fieber ohne Keimnachweis gelitten, die erst nach der Gabe von insgesamt sieben verschiedenen Antibiotika erfolgreich akut behandelt werden konnte. Dass bereits derart viele Antibiotika eingesetzt werden mussten, erachtet das Gericht im konkreten Einzelfall als dauerhafte Funktionseinschränkung, weil diese Behandlung bei Versagen von Hautpflegemaßnahmen nicht mehr zumutbar und mehrmals wiederholt werden kann. Der Verweis auf die Hauptpflege ist nur dann zumutbar, wenn notfalls mit Medikamenten zumutbar eingegriffen werden kann. Hier haben sich im Einzelfall des Klägers erhebliche Probleme gezeigt. Unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist hier daher nun eine Straffungsoperation der Oberschenkel geboten. Der Sachverständige A. führt in seinem Gutachten aus, dass im Bereich der Oberschenkel eine dermatologische Behandlung erforderlich sei, um weiteren Komplikationen wie einer Ausbreitung der Entzündung über die Haut im Sinne der bereits erlittenen Phlegmone vorzubeugen.
Demgegenüber besteht ausweislich des Sachverständigengutachtens keine Erkrankung im Brust- und Thoraxbereich. Die sichtbaren Veränderungen im Bereich der Brust und des Thoraxbereichs würden vom Patienten zwar glaubhaft als belastend empfunden, gingen jedoch nicht mit einer körperlichen Fehlfunktion einher. Insoweit liegt also im Brustbereich keine Erkrankung vor. Sie seien aus medizinischer Sicht auch nicht als entstellend zu bewerten.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens Bezug genommen. Die Ausführungen des Sachverständigen lassen Unrichtigkeiten, Widersprüche oder Fehlschlüsse hinsichtlich der Diagnostik und Beurteilung der daraus resultierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht erkennen. Der Sachverständige hat sich umfassend mit dem Vorbringen der Beteiligten und den vorgelegten Unterlagen auseinandergesetzt. Das Gutachten des Sachverständigen ist schlüssig und überzeugend, es lässt keine Fehler oder Widersprüche erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Umfang des anteiligen Unterliegens und Obsiegens Rechnung.