Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 924,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.03.2023 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung.
Der am geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit Versicherte wurde in der Zeit vom 09.07.2021 bis 25.08.2021 vollstationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt.
Die Klägerin stellte der Beklagten für diese stationäre Behandlung des Versicherten am 21.12.2021 Kosten in Höhe von 82.766,21 EUR in Rechngig.
Die Beklagte beglich diese vollständig, leitete jedoch ein Prüfverfahren durch den Medizinischen Dienst (MD) ein. Dieser kam in seinen Gutachten vom 08.03.2021 zu dem Ergebnis, dass das abgerechnete Zusatzentgelt ZE147.02 für die Gabe•von zwei Apherese-Thrombozytenkonzentraten aus wirtschaftlichen Gründen nicht nachvollziehbar sei.
Die Beklagte nahm unter Bezugnahme auf das Gutachten des MD am 14.03.2023 eine Aufrechnung in Höhe von 924,12 EUR gegen eine unstreitige Forderung der Klägerin aus der Behandlung der Versicherten (stationäre'Behandlung vom 31.01.2023 bis
07.02.2023, Aufnahmenummer 1023003701) vor,
Dagegen richtet sich die am 28.12.2023 erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Aufrechnung unzulässig unter Verstoß gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot aus § 109 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erfolgt sei. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine vertragliche Ausnahme von dem gesetzlichen Aufrechnungsverbot gemäß § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V berufen. Die am 10.12.2019 zwischen den
Vertragsparteien der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) vereinbarte
Übergangsvereinbarung (Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V, Übergangs-PrüfvV), nach welcher die Aufrechnungsbefugnis der PrüfvV 2017 zunächst unverändert aufrechterhalten werden sollte, suspendiere das gesetzliche Aufrechnungsverbot nur bis zum 31.12.2021. Da § 109 Abs. 6 SGB V für den zeitlichen Geltungsbereich ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus abstelle, könne eine Krankenkasse gegen Forderungen aus Behandlungsfällen ab 2022 folglich nicht aufrechnen, auch wenn der von ihr geltend gemachte - und nicht geeinte oder rechtskräftig festgestellte -
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Erstattungsanspruch aus 2021 oder früher datiert sei.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 924,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.03.2023 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, die Aufrechnung unterliege keinem Aufreähnungsverbot. Die Aufrechnung von Rückforderungen der Krankenkassen sei weiterhin zulässig, solange die Überprüfung der Abrechnung unter Anwendung der alten PrüfvV vom 03.02.2016 erfolgt sei, denn der Gesetzgeber habe es den Parteien im Rahmen der PrüfvV ermöglicht abweichende Regelungen von dem Aufrechnungsverbot zu vereinbaren. Die Vertragsparteien hätten im Rahmen der Übergangs-PrüfvV vom 10.12.2019 die Fortgeltung der PrüfvV vom 03.02.2016 und damit die Fortgeltung der Befugnis zur Aufrechnung miteinander vereinbart. Das Aufrechnungsverbot der neuen PrüfvV sei zum 01.01.2022 in Kraft getreten und gelte für die Überprüfung von Behandlungsfällen, welche ab diesem Zeitpunkt in ein Krankenhaus aufgenommen werden. •Vorliegend sei der Versicherte Aumann jedoch bereits im Jahr 2021 aufgenommen worden. Das Datum des Inkrafttretens der PrüfvV 2022 ab dem 01.01.2022 stelle keine zeitliche, sondern eine Fallzäsur dar. Dieser Wille der Vertragsparteien folge bereits aus dem Wortlaut von § 14 Abs. 1 PrüfvV 2022. Nach dem Sinn und Zweck der Übergangsvereinbarung sei nichts dafür ersichtlich, dass die Parteien den Willen hatten, für alle Aufnahmen bis zum 31.12.2021, bei den eine Prüfung bereits eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen wurde, oder für die eine Prüfung sogar noch nicht einmal in Auftrag gegeben worden war, auf die Regelungen der PrüfvV zurückzufallen. Schließlich müssten sich Krankenhäuser auch den Einwand treuwidrigen Handelns entgegenhalten lassen. Wenn sie davon ausgehen, dass Aufrechnungen ab dem 01.01.2022 unzulässig waren, hätten sie dies deutlich und unmissverständlich zum Ausdruck bringen müssen, dass sie diese Aufrechnungen zukünftig generell nicht mehr gegen sich gelten lassen wollen.
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Die Beteiligten, sind dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zu dieser Verfahrensweise angehört worden sind.
Streitgegenstand ist vorliegend nicht die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung
des Versicherten in der Zeit vom 09.07.2021 bis 25.08.2021, weil dieser Anspruch durch Erfüllung erloschen ist. Gegenstand der Klage ist vielmehr die Frage, ob der Beklagten aus diesem Behandlungsfall ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zusteht, den sie im Wege der Aufrechnung geltend gemacht hat. Bei der zu Grunde liegenden unstreitigen Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wurde, handelt es sich um eine Vergütung aus dem Behandlungsfall einer anderen Versicherten der Beklagten (
, stationäre Behandlung vom 31.01.2023 bis 07.022023, Aufnahmenummer 1023003701). Um die Vergütung aus diesem Behandlungsfall bis zur Höhe der Klageforderung geht es vorliegend.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG unmittelbar zulässig, denn es geht bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten für Versicherte gerichteten Klage eines Krankenhauses gegen • eine Kränkenkasse um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen; die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (st. Rspr., vgl. etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vorn 23.07.2002 — B 3 KR 64/01 R - juris).
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Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von 924,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.03.2023 verlangen.
Es ist zwischen den Beteiligten nichf streitig, dass der Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen der Versicherten MIffl zunächst ein Vergütungsanspruch entstanden ist. Eine nähere Prüfung dieses Vergütungsanspruchs erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, Urteil vom 30.07.2019 - B 1 KR 31/18 R — juris).
Dieser Vergütungsanspruch erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die
Krankenhausbehandlung des Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung erklärte. Schulden nach dieser Norm zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Aufrechnung darf nicht ausgeschlossen sein und muss wirksam erklärt werden.
Die am 14.03.2023 erklärte Aufrechnung war hier durch das gesetzliche Aufrechnungsverbot aus § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V ausgeschlossen.
§ 109 Abs. 6 SGB V lautet: Gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, können Krankenkassen nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen. Die Aufrechnung ist abweichend *von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde. In der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes können abweichende Regelungen vorgesehen werden.
Die Voraussetzungen des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V sind erfüllt. Bei der Forderung, gegen die aufgerechnet wurde, handelt es sich um die (unstreitige) Vergütungsforderung aus der
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, die am 31.01.2023 stationär aufgenommen |
Behandlung der Versicherten wurde. Bei der Forderung, mit der aufgerechnet wurde, handelt es sich um einen vermeintlichen Anspruch auf Rückforderung geleisteter Vergütung aus dem Behandlungsfall
Anders als die Beklagte meint, geht es bei der beschriebenen Forderung in § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB V („Forderung von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind") um die
(unstreitige) Vergütungsforderung aus der Behandlung der Versicherten die am
31.01.2023, und damit nach dem 01.01.2020, stationär aufgenommen wurde. Dies ist die Forderung, gegen die aufgerechnet wurde. Bei der Forderung, mit der aufgerechnet wurde, handelt es sich um einen vermeintlichen öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprych wegen
vermeintlicher Zuvielzahlung aus dem Behandlungsfall . Dabei handelt es
sich daher um den § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V beschriebenen Anspruch auf Rückforderung („Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen").
Die Voraussetzungen des § 109 Abs. 6 Satz 2 SGB V liegen unstreitig nicht vor. Die Forderung der Beklagten ist weder von der Klägerin nicht bestritten noch rechtskräftig festgestellt worden.
Es liegt auch keine abweichende Regelung im Sinne des § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V vor. Zwar haben die Vertragsparteien in der Übergangs-PrüfvV vom 10.12.2019 rechtswirksam eine zeitweilige Suspendierung des Aufrechnungsverbotes aus § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V vereinbart (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2024 - B 1 KR 18/23 R - juris). Diese Übergangs-PrüfvV gilt jedoch gemäß Artikel 2 Nr. 2 nur bis zum Inkrafttreten einer überarbeiteten PrüfvV. Diese überarbeitete PrüfvV 2022 vom 22.06.2021 ist mit Wirkung zum 01.01.2022 in Kraft getreten, Die PrüfvV 2022 enthält eine abweichende Regelung von § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht mehr. Damit ist § 10.9 Abs. 6 Satz 1 SGB V anzuwenden.
Dass die PrüfvV 2022 für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 01.01.2022 in ein Krankenhaus aufgenommen werden, gilt, ändert an der Anwendung des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V im hier vorliegenden Fall nichts. Denn anders als die Beklagte meint ist für die Anwendung der PrüfvV 2022 nicht auf die streitige Forderung aus der Behandlung des
Versicherten abzustellen, sondern auf die unstreitige Forderung, gegen die
verrechnet wurde (vgl. auch SG München, Urteil vom 11.12.2024 - S 39 KR 1451/23 -
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juris). Denn für die Frage, welche PrüfvV Anwendung findet, kommt es auf das Jahr des Entstehens der Forderung an, gegen die die Aufrechnung vorgenommen wurde (vgl. mit weiterer Begründung auch SG Freiburg, Urteil vom 17.10.2024 - S 13 KR 1717/23 —). Dies ist hier die Forderung aus der Behandlung der Versicherten die am 31.01.2023
— und damit nach dem 01.01.2022 — aufgenommen wurde.
Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Treuwidrigkeit) greift nicht durch. Die Krankenkasse durfte hier nicht darauf vertrauen, dass die Krankenhäuser Aufrechnungen ab dem 01.01.2022 gegen sich gelten lassen, auch wenn die Voraussetzungen des Aufrechnungsverbotes von § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V vorliegen. Vielmehr hat die Beklagte durch ihre Auslegung der Übergangs-PrüfvV und der PrüfvV 2022 und ihre fehlerhafte Rechtsanwendung eine Aufrechnung trotz Aufrechnungsverbotes vorgenommen, die sie nunmehr gegen sich gelten lassen muss.
Damit ist die geltend gemachte, unstreitig entstandene Vergütung für die Behandlung der
Versicherten in Höhe der Klageforderung nicht durch Aufrechnung erloschen
und damit weiterhin offen, fällig und von der Beklagten zu zahlen.
Der Klägerin steht auch der geltend gemachte Zinsanspruch als akzessorischer Nebenanspruch zur bestehenden Hauptforderung gemäß entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 4 Landesvertrag NRW i.V.m. § 286 Abs. 1 und Abs. 2.Nr. 3 BGB analog in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen BasiSzinssatz ab dem 15.03.2023 zu. Die Beklagte hat durch die Aufrechnung am 14.03.2023 die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. .1 Verwaltungsgerichtsordnung.