S 22 SB 48/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 22 SB 48/22
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 86/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 24/25 AR
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 in dem Zeitraum Juni 2017 bis 25.08.2021. 

Der 1963 geborenen Kläger stellte bei dem beklagten Land erstmals unter dem 07.04.2022 einen Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht auf Feststellung einer Behinderung nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX). Er leide unter Cerebraler autosomal-dominanter Arteriopathie mit subcorticalen Infarkten (CADASIL), essentieller Thrombozythämie (ET), Trigeminusneuropathie (V1 bis 3 links), einem Bandscheibenvorfall (BSV C7 Nervenwurzel/Unkarthrose HWK 6/7), einer arteriellen Hypertonie, einem MAV Verschluss regio 26 KH-Spiegelung sowie unter einem linksseitigen Tinnitus nach Knalltrauma.

In diesem Zusammenhang reichte der Kläger entsprechende Befundberichte bei dem Beklagten ein (vgl. Bl. 9-100 d. VerwA), sodass sich eine Befundberichtsanforderung seitens des Beklagten erübrigte.

Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen stellte der Beklagte bei dem Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.05.2022 einen GdB von 30 mit Wirkung ab dem 19.06.2017 fest. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden in dem Bescheid berücksichtigt:

-    „Essentielle Thrombozythämie“                 Einzel-GdB 30
-    „Hirnschädigung“                                          Einzel-GdB 20
-    „Bluthochdruck“                                            Einzel-GdB 10
-    „Trigeminusneuralgie links“                       Einzel-GdB 10
-    „Funktionsstörung der Wirbelsäule“         Einzel-GdB 10

Hiergegen legte der Kläger unter dem 11.05.2022 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass für ihn ein höherer GdB als 30 festzustellen sei, da sämtliche Erkrankungen zu niedrig eingestuft worden wären. Aufgrund seines Gesundheitszustandes bestünden seit mehreren Jahren hohe Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebenslagen, insbesondere im Berufsleben.

Nach erneuter Durchsicht der Befundberichte stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2020 bei dem Kläger einen GdB von 50 mit Wirkung ab dem 05.05.2022 fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid vom 13.06.2020 (Bl. 122-124 d. VerwA) vollinhaltlich Bezug genommen. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden in dem Bescheid berücksichtigt:

-    „Essentielle Thrombozythämie“                 Einzel-GdB 30
-    „Hirnschädigung“                                         Einzel-GdB 20
-    „Bluthochdruck“                                           Einzel-GdB 10
-    „Trigeminusneuralgie links“                      Einzel-GdB 30
-    „Funktionsstörung der Wirbelsäule“        Einzel-GdB 10

Am 20.06.2022 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die Schwere der einzelnen Erkrankungen und in ihrer Wechselwirkung zueinander bei der Bemessung des Gesamt-GdB nicht ausreichend berücksichtigt worden wären. Insbesondere hätten die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Verringerung seiner beruflichen Tätigkeit geführt.

Das Gericht hat einen Befundbericht der Hausärztin Dr. C. vom 16.09.2022 nebst Krankenunterlagen des Klägers sowie Befundberichte der Praxis für Hämatologie und Onkologie B. vom 08.08.2022, der Neurochirurgin Dr. D. vom 20.09.2022 (Eingang bei Gericht), des Neurologen Dr. E. vom 13.09.2022 und des Instituts für Schlaganfall der LMU München vom 24.10.2022 eingeholt, auf die verwiesen wird.

Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen hat der Beklagte bei dem Kläger mit Bescheid vom 07.11.2022 einen GdB von 80 mit Wirkung ab dem 26.08.2021 festgestellt. Als Funktionsbeeinträchtigungen hat der Beklagte in dem Bescheid berücksichtigt:

-    „Essentielle Thrombozythämie“                   Einzel-GdB 30
-    „Hirnschädigung“                                           Einzel-GdB 20
-    „Bluthochdruck“                                             Einzel-GdB 10
-    „Trigeminusneuralgie links“                        Einzel-GdB 60
-    „Funktionsstörung der Wirbelsäule“          Einzel-GdB 10

Hierauf hat der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2022 mitgeteilt, dass er mit dem 26.08.2021 als Beginn des GdB von 80 nicht einverstanden sei. Der GdB von 80 sei bereits mit Wirkung ab dem 19.06.2017 festzustellen, weshalb der Beklagte seinem Begehren nicht ausreichend abgeholfen habe.

Der Kläger beantragt zuletzt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.05.2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13.06.2022 in der Fassung des Bescheides vom 07.11.2022 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 80 ab dem 19.06.2017 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 13.04.2023 hat das Gericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Mit Bescheid vom 09.05.2023 hat der Beklagte einen GdB von 90 mit Wirkung ab dem 08.08.2022 festgestellt. Diesem vorausgegangen war ein Änderungsantrag des Klägers vom 06.02.2023, worin er eine Verschlechterung aufgrund einer neuen Erkrankung geltend gemacht hat.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 11.05.2023 hat das Gericht die Beteiligten erneut zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten sind mit richterlichen Verfügungen vom 13.04.2023 und 11.05.2023 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 80 für den Zeitraum 19.06.2017 bis 25.08.2021.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB ist § 152 SGB IX in der ab 01.01.2018 gültigen Fassung vom 23.12.2016 (Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – Bundesteilhabegesetz – BTHG; Bundesgesetzblatt I 2016, S. 1824, zuvor § 69 SGB IX). Gemäß § 152 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX (in der ab 01.01.2018 gültigen Fassung vom 23.12.2016) bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Durch diese zum 01.01.2018 in Kraft getretene, sich an Artikel 1 der UN – Behindertenkonvention anlehnende neue Formulierung eines erweiterten Behinderungsbegriffs nach dem biopsychosozialen Modell der Behinderung, sind inhaltlich im Vergleich zur vorangegangenen Definition der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX alte Fassung (a.F.) keine inhaltlichen Änderungen erfolgt (vgl. Gesetzesbegründung Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 226).

Bei der Bestimmung des GdB sind die als Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung erlassenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden.
Gemäß § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20.06.2011 (Bundesgesetzblatt I, S. 1114) wurde seit dem 21.12.2007 aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) – bzw. ab 01.07.2011 Abs. 16 – auf die am 10.12.2008 (Bundesgesetzblatt I, S. 2412) erlassene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung), zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 11.10.2012 (Bundesgesetzblatt I, S. 2122), Bezug genommen, so dass seit 01.01.2009 die Versorgungsmedizin-Verordnung anstelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) Grundlage für die Feststellung des GdB ist (vgl. auch BSG, Urt. v. 30.09.2009, Az. B 9 SB 4/08 R, juris). Mit Wirkung vom 15.01.2015 wurde durch § 70 Abs. 2 SGB IX a.F. eine neue Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung im Sinne der Versorgungsmedizin-Verordnung geschaffen. Dadurch sollten Zweifeln begegnet werden, ob die bisherige Ermächtigungsgrundlage des § 30 Abs. 16 BVG auch Regelungen abdeckt, die sich auf die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung beziehen. Diese Ermächtigung findet sich seit dem 01.01.2018 in § 153 Abs. 2 SGB IX (vgl. hierzu: Goebel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage 2018, § 153 SGB IX, juris, Rn. 5). Solange noch keine Verordnung im Sinne von § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten jedoch gemäß § 241 Abs. 5 SGB IX (159 Abs. 7 SGB IX a.F.) weiterhin die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend (vgl. hierzu Bundestags-Drucksache 18/3190, Seite 5). Bis zum Erlass einer neuen Verordnung im Sinne von § 153 Abs. 2 SGB IX wird durch § 241 Abs. 5 SGB IX die Fortgeltung der bisherigen Regelungen sichergestellt (Goebel, aaO, § 152 SGB IX, Rn. 33).
Als Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung sind die Versorgungsmedizinischen Grundsätze erlassen worden, in denen unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des GdB maßgebend, weil beide Begriffe – insoweit übereinstimmend – ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens bilden (vgl. Teil A Ziffer 2 Versorgungsmedizinische Grundsätze). Die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen niedergelegten Bewertungen beruhen auf dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand. Sie bilden den maßgeblichen Anhalt zur Ermittlung des GdB und zur Auslegung des § 2 SGB IX. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze dienen damit der gleichmäßigen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Schwerbehindertenrechts wie dies zuvor die AHP getan haben und entfalten, wie schon die AHP, im Charakter eines antizipierten Sachverständigengutachtens normähnliche Wirkung (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn. 28).

Nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – der sich die Kammer anschließt – hat die Bemessung des Gesamt-GdB in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG, Beschl. v. 09.12.2010, Az. B 9 SB 35/10 B, juris, Rn. 5 m.w.N.). Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Nach den allgemeinen Hinweisen in Teil A der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind die in Teil B genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In einem zweiten Schritt sind diese Gesundheitsstörungen innerhalb den in Teil A Ziffer 2 e) Versorgungsmedizinische Grundsätze genannten Funktionssystemen (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG, Urt. v. 30.09.2009, Az. B 9 SB 4/08 R, juris, Rn. 18, m.w.N.). Gemäß § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist bei dem Kläger für den Zeitraum 19.06.2017 bis 25.08.2021 kein GdB von 80 festzustellen. Dies folgt aus einer Gesamtschau der beigezogenen medizinischen Unterlagen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass bei dem Kläger seit dem 26.08.2021 ein GdB von 80 festzustellen ist. Umstritten ist lediglich noch, ob die Feststellung des GdB von 80 auch für den Zeitraum 19.06.2017 bis 25.08.2021 festzustellen war.

Mit dem Beklagten ist davon auszugehen, dass die Feststellung des GdB von 80 bereits für den Zeitraum 19.06.2017 bis 25.08.2021 nicht in Betracht kommt.

Entscheidend ist, wann sich erstmals objektiv Hinweise auf die wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers ergeben haben. Das war hier die Untersuchung des Klägers durch das Uniklinikum Gießen und Marburg (UKGM) - Fachbereich Neurologie - am 26.08.2021 (Bl. 91 d. VerwA). Dieses Datum ist nach Ansicht der Kammer als Eintritt der wesentlichen Verschlimmerung anzunehmen. Ein früherer Zeitpunkt lässt sich den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. 

Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine wesentliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes aufgrund Schmerzen im Zusammenhang mit einer atypischen Trigeminusneuralgie links nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausreichend dokumentiert. Ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht mit der hierfür erforderlichen Sicherheit bestimmen. Eben das ist aber unerlässlich, um im Schwerbehindertenverfahren die Feststellung eines höheren GdB zu einem früheren Zeitpunkt annehmen zu können. Nach den auch im Schwerbehindertenrecht geltenden allgemeinen Verfahrensgrundsätzen sind die anspruchsbegründenden Tatsachen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (BSG, Urt. v. 15.12.1999, Az. B9 VS 2/98 R, juris, Rn. 14) Zwar ist es nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (BSG, Urt. v. 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, juris, Rn. 11), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (BSG, Urt. v. 05.05.1993, Az. 9/9a RV 1/92, juris, Rn. 14). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützt. 

In Bezug auf den Zeitpunkt der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers kann ein Vollbeweis im vorstehenden Sinne jedoch erst anhand des Befundberichtes des UKGM vom 26.08.2021 geführt werden. So wurde die Trigeminusneuralgie links erstmals im August 2021 diagnostiziert. Zwar hat beispielsweise Herr Dr. E. in seinem Befundbericht vom 30.09.2021 von einem durch den Kläger geschilderten neu aufgetretenen neuropathischen Schmerz in der linken Gesichtshälfte des Klägers berichtet, welcher sich nach einer Zahnextraktion im Dezember 2020 und einer Kieferhöhlen-Operation im März 2021 in den Frühling zunächst abschwächte und ab Sommer zu einem Dauerschmerz verfestigte. Jedoch sind diese Angaben, wie auch der Anamnesebericht von Frau Dr. B. von Januar 2021 über Schmerzschilderungen des Klägers hinsichtlich seiner linken Gesichtshälfte, nicht eindeutig auf die später diagnostizierte Trigeminusneuralgie links zurückzuführen. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Ende 2020 und Anfang 2021 geschilderten Schmerzsymptomatik im Zusammenhang mit den zahn-/kiefermedizinischen Behandlungen zu sehen war. Für eine Feststellung ab August 2021 spricht zudem § 2 Abs. 1 SGB IX, wonach für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein nicht nur vorrübergehender Zustand, mithin ein Zeitraum von über 6 Monaten verlangt wird.
Für einen früheren Zeitpunkt fehlt es somit an hinreichenden Anhaltspunkten im medizinischen Berichtswesen.

Nach alledem waren die Bescheide in dem noch angefochtenen Umfang rechtmäßig und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § §143, 144 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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