Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 RJ 452/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 252/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente hat.
Die am 04.03.1942 geborene Klägerin war ab 1964 mit dem Versicherten G. R., dem Vater ihrer 1963 und 1965 geborenen Kinder, verheiratet. Sie war bis zur Geburt ihres zweiten Kindes versicherungspflichtig beschäftigt. Danach übte sie während der Ehe keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus.
Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11.05.1971, rechtskräftig ab 11.06.1971, aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden. Im Scheidungsverfahren trafen die Eheleute am 11.05.1971 zur Niederschrift des Landgerichts u.a. folgende Regelung:
§ 1: Die Parteien verzichten gegenseitig auf eigene Unterhaltsansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließlich des Notbedarfs und nehmen gegenseitig diesen Verzicht an. § 3: Herr R. verpflichtet sich, ab Rechtskraft der Scheidung für jedes Kind je 150,00 DM Unterhalt monatlich im voraus an Frau R. zu bezahlen.
Ab dem 14.06.1971 war die Klägerin wieder versicherungspflichtig beschäftigt; in der Zeit vom 14.06.1971 bis 31.12.1971 erzielte sie ein Einkommen von 5.548,00 DM.
Der Versicherte war zum Zeitpunkt der Scheidung als Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt und erzielte ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 01.01. bis 03.11.1971 ein Bruttoarbeitsentgelt von 15.344,71 DM. Von 1976 bis zu seinem Tod am 05.03.1995 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von zuletzt monatlich 1.315,61 DM. Die berufstätige Klägerin bezog zu diesem Zeitpunkt ein Gehalt von monatlich 2.500,00 DM netto.
Weder die Klägerin noch der Versicherte haben erneut geheiratet.
Einen ersten im August 1997 gestellten Antrag auf Geschiedenenwitwenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.1997 ab. Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage nahm die Klägerin zurück und beantragte, ihr Hinterbliebenenwitwenrente ab dem 60. Lebensjahr zu gewähren.
Am 08.08.2002 stellte die Kläger erneut Antrag auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente. Mit Bescheid vom 29.08.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen am 18.09.2002 eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2003 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.02.2003 Klage zum SG erhoben mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nach § 243 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien erfüllt, weil der von ihr erklärte Unterhaltsverzicht eine "leere Hülse" darstelle. Der Versicherte sei im Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts weder zahlungswillig noch zahlungsfähig gewesen.
Mit Urteil vom 25.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Unterhaltsverzicht schließe grundsätzlich die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente aus. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei dieser Unterhaltsverzicht nur dann aus Billigkeitsgründen als unschädlich für den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI anzusehen, wenn er im Hinblick auf die in Nr. 1 dieser Vorschrift genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter gehabt habe, mithin einer "leeren Hülse" gleichkomme. Die Annahme einer "leeren Hülse" komme dann in Betracht, wenn ohne die Verzichtserklärung der Ehefrau schon im Zeitpunkt der Scheidung sowie im Zeitpunkt des Todes des Versicherten aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten wirtschaftlichen Gründen kein Unterhaltsanspruch bestanden habe und auch nach den bei Abschluss der Vereinbarung über den Unterhaltsverzicht gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise für die Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau habe gerechnet werden können. Hierbei komme es jeweils nur auf rentenrechtlich relevante Unterhaltsansprüche an, die zumindest 25 % des maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreichten oder überstiegen. Subjektive Überlegungen der früheren Ehepartner und damit auch die Frage, welche Erwägungen für die Erklärung des Unterhaltsverzichts ausschlaggebend gewesen seien, seien in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich wie Billigkeitserwägungen. Da zum Zeitpunkt der Scheidung ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch von 241,80 DM bestanden habe, der über dem durchschnittlichen 1971 geltenden Sozialhilferegelsatz in Höhe von 174,00 DM monatlich gelegen habe, stelle der Unterhaltsverzicht keine leere Hülse dar. Auch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand des Versicherten vor seinem Tode sei die Klägerin nicht unterhaltsbedürftig gewesen. Der Versicherte habe im März 1995 eine Erwerbsunfähigkeitrente in Höhe von 1.315,00 DM bezogen, dem habe Einkommen der Klägerin in Höhe von 2.500,00 DM netto gegenübergestanden.
Gegen das am 05.12.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der anlässlich der Scheidung vereinbarte Unterhaltsverzicht sei sittenwidrig und damit unwirksam, weil hierbei der Kernbereich des Unterhaltsrechts, nämlich der Unterhalt wegen Kindesbetreuung, betroffen gewesen sei. Die dadurch bedingte nachhaltige Verschlechterung der Betreuungssituation der Kinder führe zur Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichts. Zudem habe der Unterhaltsverzicht eine leere Hülse dargestellt. Es sei nicht das Einkommen im Monat der Scheidung zugrunde zu legen, sondern das durchschnittliche Bruttoeinkommen des gesamten Jahres 1971. Der Versicherte habe im Jahr 1971 einen Nettolohn von ca. 1.000,00 DM erzielt. Abzüglich der Unterhaltsverpflichtung für die beiden Kinder sei ein anrechenbares Einkommen von ca. 700,00 DM verblieben. Der verbleibende Unterhaltsanspruch habe somit unter dem Sozialhilferegelsatz von 174,00 DM gelegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01. April 2002 Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des am 05. März 1995 verstorbenen G. R. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten habe die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen diesen gehabt, da ihr Netto-Einkommen wesentlich höher als das des Versicherten gewesen sei. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht sittenwidrig und deshalb nichtig gewesen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Der Anspruch der Klägerin, deren Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden worden ist und die nicht wieder geheiratet hat, richtet sich nach § 243 SGB VI. In Betracht kommt allein ein Anspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI, da ein Anspruch auf Witwenrente nach § 243 Abs. 1 oder 2 SGB VI u.a. voraussetzt, dass der geschiedene Ehegatte, dessen Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden worden ist und der weder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft eingegangen ist, im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte (§ 243 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 SGB VI). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
Nach § 243 Abs. 3 Satz 1 SGB VI besteht Anspruch auf große Witwenrente auch ohne Vorliegen der in Absatz 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten, die
1. einen Unterhaltsanspruch nach Absatz 2 Nr. 3 wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und 2. zum Zeitpunkt der Scheidung ein eigenes Kind erzogen haben und 3. das 60. Lebensjahr vollendet haben, wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes weder ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für die Witwe des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften besteht.
Ein Unterhaltsanspruch nach dieser Vorschrift besteht deshalb nicht, weil einem Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht deren fehlende Bedürftigkeit oder die mangelnde Leistungsfähigkeit des Versicherten entgegengestanden hat, sondern weil die Klägerin auf Unterhalt verzichtet hat.
Dieser Unterhaltsverzicht war nicht sittenwidrig nach § 138 BGB und deshalb nichtig. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.02.2004 - XII ZR 265/02, in juris) kommt Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts nur dann in Betracht, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder zu einem erheblichen Teil abbedungen werden, ohne dass diese Nachteile durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Neben dem Unterhaltsverzicht wurden nämlich noch weitere Scheidungsfolgen vereinbart wie insbesondere das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder, das allein der Klägerin zugesprochen wurde, und die Verpflichtung des Versicherten zur Gewährung von Kindesunterhalt. Schließlich war in die Vereinbarung auch einbezogen, dass sich der Versicherte verpflichtete, kurzfristig aus der ehelichen Wohnung auszuziehen. Der Unterhaltsverzicht erfolgte damit im Zusammenhang mit dem Erhalt des Sorgerechts und der Sicherung des Unterhalts der Kinder und war deshalb für die Klägerin gerade nicht einseitig belastend.
Der Unterhaltsverzicht stellt auch keine leere Hülse im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar. Danach ist der Unterhaltsverzicht nur dann unschädlich und lässt den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI unberührt, wenn er lediglich deklaratorischer Art ist und deshalb quasi eine leere Hülse darstellt. Hiervon ist dann auszugehen, wenn
1. für den früheren Ehegatten kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt in Mindesthöhe von 25 % des sozialrechtlichen Mindestbedarfs bestand, und zwar weder zur Zeit der Scheidung noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand und 2. allein die in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Einkommensverhältnisse ursächlich dafür waren, dass in beiden maßgeblichen Zeiträumen ein Unterhaltsanspruch nicht oder nicht in der erforderlichen Höhe bestanden hat und 3. der frühere Ehegatte es bei Abschluss des Erlassvertrages vernünftigerweise als ausgeschlossen betrachten durfte, die einen Unterhaltsanspruch hindernden Gründe könnten bis zum Tode des Versicherten infolge einer in Rechnung zu stellenden Änderung der Verhältnisse des Versicherten wieder entfallen (BSG, Urteil vom 21.01.1993 - 13 RJ 91/91 - SozR 3-2200 § 1265 Nr. 9; Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 15/94 - in juris; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 SGB VI Rn 66).
Der Unterhaltsverzicht der Klägerin stellt deshalb keine leere Hülse dar, weil zum Zeitpunkt der Scheidung bzw. der Erklärung des Unterhaltsverzichts ein realisierbarer Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt in Höhe von mehr als 25 % des sozialrechtlichen Mindestbedarfs bestanden hat und die Klägerin damit auf einen Unterhaltsanspruch in relevanter Höhe verzichtet hat.
Als sozialhilferechtlicher Mindestbedarf anzusetzen sind die Regelsätze für Haushaltsvorstände und Alleinstehende ohne die Kosten der Unterkunft (BSG, Urteil vom 12.05.1982 - 5b/5 RJ 30/80 - SozR 2200 § 1265 Nr. 63). Dieser Satz betrug im Jahr 1971 174,00 DM, ein Viertel hiervon somit 43,50 DM.
Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsverzichts bzw. des Erlasses des Scheidungsurteils einen diesen Betrag übersteigenden Unterhaltsanspruch.
Die Klägerin, deren Ehe mit Schuldausspruch gem. § 58 EheG geschieden worden ist, hatte Anspruch auf angemessenen Unterhalt. Nach der Düsseldorfer Tabelle hat der Unterhaltsanspruch der nicht erwerbstätigen Ehefrau in der Regel 2/5 des Nettoeinkommens des erwerbstätigen Ehemannes betragen, wobei vorab der Kindesunterhalt vom Nettoeinkommen des Mannes abzuziehen war (Kalthoener/Haase-Becher/Büttner, Die Rechtsprechung der Landgerichte zur Höhe des Unterhalts, 1975, Rn. 8f). Hat die Ehefrau gearbeitet, so hat der Unterhaltsanspruch ca. 1/3 des Unterschiedsbetrags der Nettoeinkommen der Ehegatten betragen, wobei gleichfalls vorab der Kindesunterhalt vom Nettoeinkommen des Mannes abzuziehen war (Kalthoener, a.a.O.).
Zum Zeitpunkt der Scheidung war der Versicherte versicherungspflichtig beschäftigt als Arbeiter bei dem Rheinkieswerk Fuchs + Groß in Eggenstein. Vom 01.01.1971 bis 03.11.1971 hat er ein Bruttoarbeitsentgelt von 15.344,71 DM erzielt, im Mai 1971 hat sein Bruttoeinkommen 1.527,33 DM betragen. Hieraus errechnet sich, wie das SG - auf dessen Berechnung gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird - zutreffend ausgeführt hat, nach Abzug der Sozialversicherungsabgaben und Steuern ein Nettoeinkommen im Monat der Scheidung in Höhe von jedenfalls über 1.000,00 DM.
Die Klägerin hat erst am 14.06.1971 wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei ihrem früheren Arbeitgeber, der Deutschen Bundespost, aufgenommen. Dahingestellt bleiben kann, ob die Klägerin aufgrund des hierbei erzielten Einkommens keinen Unterhaltsanspruch mehr gehabt hätte, da sie jedenfalls im Zeitpunkt der Scheidung am 11.05.1971 und auch im Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils am 11.06.1971 (noch) nicht gearbeitet und deshalb kein Einkommen erzielt hat.
Ausgehend von einem Nettoeinkommen nach Abzug des Kindesunterhalt von 300,00 DM in Höhe von 700,00 DM hätte der Klägerin ohne den Verzicht ein Unterhaltsanspruch in Höhe von ca. 280,00 DM (700,00 DM: 5 x 2) und damit sogar über dem Sozialhilfesatz zugestanden.
Unbeachtlich ist schließlich, dass der Versicherte nach den Angaben der Klägerin seiner Unterhaltspflicht seinen beiden Kindern gegenüber nachgekommen ist und sie deshalb eine Beschäftigung aufgenommen hat. Denn maßgeblich ist allein, ob ein Unterhaltsanspruch dem Grunde nach bestanden hätte, aus dem ggf. hätte vollstreckt werden können, wie ausweislich des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Heilbronn bezüglich des Kindesunterhalts geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente hat.
Die am 04.03.1942 geborene Klägerin war ab 1964 mit dem Versicherten G. R., dem Vater ihrer 1963 und 1965 geborenen Kinder, verheiratet. Sie war bis zur Geburt ihres zweiten Kindes versicherungspflichtig beschäftigt. Danach übte sie während der Ehe keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus.
Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11.05.1971, rechtskräftig ab 11.06.1971, aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden. Im Scheidungsverfahren trafen die Eheleute am 11.05.1971 zur Niederschrift des Landgerichts u.a. folgende Regelung:
§ 1: Die Parteien verzichten gegenseitig auf eigene Unterhaltsansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließlich des Notbedarfs und nehmen gegenseitig diesen Verzicht an. § 3: Herr R. verpflichtet sich, ab Rechtskraft der Scheidung für jedes Kind je 150,00 DM Unterhalt monatlich im voraus an Frau R. zu bezahlen.
Ab dem 14.06.1971 war die Klägerin wieder versicherungspflichtig beschäftigt; in der Zeit vom 14.06.1971 bis 31.12.1971 erzielte sie ein Einkommen von 5.548,00 DM.
Der Versicherte war zum Zeitpunkt der Scheidung als Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt und erzielte ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 01.01. bis 03.11.1971 ein Bruttoarbeitsentgelt von 15.344,71 DM. Von 1976 bis zu seinem Tod am 05.03.1995 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von zuletzt monatlich 1.315,61 DM. Die berufstätige Klägerin bezog zu diesem Zeitpunkt ein Gehalt von monatlich 2.500,00 DM netto.
Weder die Klägerin noch der Versicherte haben erneut geheiratet.
Einen ersten im August 1997 gestellten Antrag auf Geschiedenenwitwenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.1997 ab. Die hiergegen zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage nahm die Klägerin zurück und beantragte, ihr Hinterbliebenenwitwenrente ab dem 60. Lebensjahr zu gewähren.
Am 08.08.2002 stellte die Kläger erneut Antrag auf Gewährung von Geschiedenenwitwenrente. Mit Bescheid vom 29.08.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen am 18.09.2002 eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2003 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.02.2003 Klage zum SG erhoben mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nach § 243 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien erfüllt, weil der von ihr erklärte Unterhaltsverzicht eine "leere Hülse" darstelle. Der Versicherte sei im Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts weder zahlungswillig noch zahlungsfähig gewesen.
Mit Urteil vom 25.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Unterhaltsverzicht schließe grundsätzlich die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente aus. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sei dieser Unterhaltsverzicht nur dann aus Billigkeitsgründen als unschädlich für den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI anzusehen, wenn er im Hinblick auf die in Nr. 1 dieser Vorschrift genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter gehabt habe, mithin einer "leeren Hülse" gleichkomme. Die Annahme einer "leeren Hülse" komme dann in Betracht, wenn ohne die Verzichtserklärung der Ehefrau schon im Zeitpunkt der Scheidung sowie im Zeitpunkt des Todes des Versicherten aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten wirtschaftlichen Gründen kein Unterhaltsanspruch bestanden habe und auch nach den bei Abschluss der Vereinbarung über den Unterhaltsverzicht gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise für die Zukunft nicht mit dem Entstehen von Unterhaltsansprüchen der geschiedenen Ehefrau habe gerechnet werden können. Hierbei komme es jeweils nur auf rentenrechtlich relevante Unterhaltsansprüche an, die zumindest 25 % des maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreichten oder überstiegen. Subjektive Überlegungen der früheren Ehepartner und damit auch die Frage, welche Erwägungen für die Erklärung des Unterhaltsverzichts ausschlaggebend gewesen seien, seien in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich wie Billigkeitserwägungen. Da zum Zeitpunkt der Scheidung ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch von 241,80 DM bestanden habe, der über dem durchschnittlichen 1971 geltenden Sozialhilferegelsatz in Höhe von 174,00 DM monatlich gelegen habe, stelle der Unterhaltsverzicht keine leere Hülse dar. Auch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand des Versicherten vor seinem Tode sei die Klägerin nicht unterhaltsbedürftig gewesen. Der Versicherte habe im März 1995 eine Erwerbsunfähigkeitrente in Höhe von 1.315,00 DM bezogen, dem habe Einkommen der Klägerin in Höhe von 2.500,00 DM netto gegenübergestanden.
Gegen das am 05.12.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der anlässlich der Scheidung vereinbarte Unterhaltsverzicht sei sittenwidrig und damit unwirksam, weil hierbei der Kernbereich des Unterhaltsrechts, nämlich der Unterhalt wegen Kindesbetreuung, betroffen gewesen sei. Die dadurch bedingte nachhaltige Verschlechterung der Betreuungssituation der Kinder führe zur Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichts. Zudem habe der Unterhaltsverzicht eine leere Hülse dargestellt. Es sei nicht das Einkommen im Monat der Scheidung zugrunde zu legen, sondern das durchschnittliche Bruttoeinkommen des gesamten Jahres 1971. Der Versicherte habe im Jahr 1971 einen Nettolohn von ca. 1.000,00 DM erzielt. Abzüglich der Unterhaltsverpflichtung für die beiden Kinder sei ein anrechenbares Einkommen von ca. 700,00 DM verblieben. Der verbleibende Unterhaltsanspruch habe somit unter dem Sozialhilferegelsatz von 174,00 DM gelegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. November 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01. April 2002 Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des am 05. März 1995 verstorbenen G. R. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten habe die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen diesen gehabt, da ihr Netto-Einkommen wesentlich höher als das des Versicherten gewesen sei. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht sittenwidrig und deshalb nichtig gewesen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Der Anspruch der Klägerin, deren Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden worden ist und die nicht wieder geheiratet hat, richtet sich nach § 243 SGB VI. In Betracht kommt allein ein Anspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI, da ein Anspruch auf Witwenrente nach § 243 Abs. 1 oder 2 SGB VI u.a. voraussetzt, dass der geschiedene Ehegatte, dessen Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden worden ist und der weder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft eingegangen ist, im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte (§ 243 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 SGB VI). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
Nach § 243 Abs. 3 Satz 1 SGB VI besteht Anspruch auf große Witwenrente auch ohne Vorliegen der in Absatz 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten, die
1. einen Unterhaltsanspruch nach Absatz 2 Nr. 3 wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und 2. zum Zeitpunkt der Scheidung ein eigenes Kind erzogen haben und 3. das 60. Lebensjahr vollendet haben, wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes weder ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für die Witwe des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften besteht.
Ein Unterhaltsanspruch nach dieser Vorschrift besteht deshalb nicht, weil einem Unterhaltsanspruch der Klägerin nicht deren fehlende Bedürftigkeit oder die mangelnde Leistungsfähigkeit des Versicherten entgegengestanden hat, sondern weil die Klägerin auf Unterhalt verzichtet hat.
Dieser Unterhaltsverzicht war nicht sittenwidrig nach § 138 BGB und deshalb nichtig. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.02.2004 - XII ZR 265/02, in juris) kommt Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts nur dann in Betracht, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder zu einem erheblichen Teil abbedungen werden, ohne dass diese Nachteile durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Neben dem Unterhaltsverzicht wurden nämlich noch weitere Scheidungsfolgen vereinbart wie insbesondere das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder, das allein der Klägerin zugesprochen wurde, und die Verpflichtung des Versicherten zur Gewährung von Kindesunterhalt. Schließlich war in die Vereinbarung auch einbezogen, dass sich der Versicherte verpflichtete, kurzfristig aus der ehelichen Wohnung auszuziehen. Der Unterhaltsverzicht erfolgte damit im Zusammenhang mit dem Erhalt des Sorgerechts und der Sicherung des Unterhalts der Kinder und war deshalb für die Klägerin gerade nicht einseitig belastend.
Der Unterhaltsverzicht stellt auch keine leere Hülse im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar. Danach ist der Unterhaltsverzicht nur dann unschädlich und lässt den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI unberührt, wenn er lediglich deklaratorischer Art ist und deshalb quasi eine leere Hülse darstellt. Hiervon ist dann auszugehen, wenn
1. für den früheren Ehegatten kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt in Mindesthöhe von 25 % des sozialrechtlichen Mindestbedarfs bestand, und zwar weder zur Zeit der Scheidung noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand und 2. allein die in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Einkommensverhältnisse ursächlich dafür waren, dass in beiden maßgeblichen Zeiträumen ein Unterhaltsanspruch nicht oder nicht in der erforderlichen Höhe bestanden hat und 3. der frühere Ehegatte es bei Abschluss des Erlassvertrages vernünftigerweise als ausgeschlossen betrachten durfte, die einen Unterhaltsanspruch hindernden Gründe könnten bis zum Tode des Versicherten infolge einer in Rechnung zu stellenden Änderung der Verhältnisse des Versicherten wieder entfallen (BSG, Urteil vom 21.01.1993 - 13 RJ 91/91 - SozR 3-2200 § 1265 Nr. 9; Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 15/94 - in juris; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 SGB VI Rn 66).
Der Unterhaltsverzicht der Klägerin stellt deshalb keine leere Hülse dar, weil zum Zeitpunkt der Scheidung bzw. der Erklärung des Unterhaltsverzichts ein realisierbarer Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt in Höhe von mehr als 25 % des sozialrechtlichen Mindestbedarfs bestanden hat und die Klägerin damit auf einen Unterhaltsanspruch in relevanter Höhe verzichtet hat.
Als sozialhilferechtlicher Mindestbedarf anzusetzen sind die Regelsätze für Haushaltsvorstände und Alleinstehende ohne die Kosten der Unterkunft (BSG, Urteil vom 12.05.1982 - 5b/5 RJ 30/80 - SozR 2200 § 1265 Nr. 63). Dieser Satz betrug im Jahr 1971 174,00 DM, ein Viertel hiervon somit 43,50 DM.
Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Abschlusses des Unterhaltsverzichts bzw. des Erlasses des Scheidungsurteils einen diesen Betrag übersteigenden Unterhaltsanspruch.
Die Klägerin, deren Ehe mit Schuldausspruch gem. § 58 EheG geschieden worden ist, hatte Anspruch auf angemessenen Unterhalt. Nach der Düsseldorfer Tabelle hat der Unterhaltsanspruch der nicht erwerbstätigen Ehefrau in der Regel 2/5 des Nettoeinkommens des erwerbstätigen Ehemannes betragen, wobei vorab der Kindesunterhalt vom Nettoeinkommen des Mannes abzuziehen war (Kalthoener/Haase-Becher/Büttner, Die Rechtsprechung der Landgerichte zur Höhe des Unterhalts, 1975, Rn. 8f). Hat die Ehefrau gearbeitet, so hat der Unterhaltsanspruch ca. 1/3 des Unterschiedsbetrags der Nettoeinkommen der Ehegatten betragen, wobei gleichfalls vorab der Kindesunterhalt vom Nettoeinkommen des Mannes abzuziehen war (Kalthoener, a.a.O.).
Zum Zeitpunkt der Scheidung war der Versicherte versicherungspflichtig beschäftigt als Arbeiter bei dem Rheinkieswerk Fuchs + Groß in Eggenstein. Vom 01.01.1971 bis 03.11.1971 hat er ein Bruttoarbeitsentgelt von 15.344,71 DM erzielt, im Mai 1971 hat sein Bruttoeinkommen 1.527,33 DM betragen. Hieraus errechnet sich, wie das SG - auf dessen Berechnung gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird - zutreffend ausgeführt hat, nach Abzug der Sozialversicherungsabgaben und Steuern ein Nettoeinkommen im Monat der Scheidung in Höhe von jedenfalls über 1.000,00 DM.
Die Klägerin hat erst am 14.06.1971 wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei ihrem früheren Arbeitgeber, der Deutschen Bundespost, aufgenommen. Dahingestellt bleiben kann, ob die Klägerin aufgrund des hierbei erzielten Einkommens keinen Unterhaltsanspruch mehr gehabt hätte, da sie jedenfalls im Zeitpunkt der Scheidung am 11.05.1971 und auch im Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils am 11.06.1971 (noch) nicht gearbeitet und deshalb kein Einkommen erzielt hat.
Ausgehend von einem Nettoeinkommen nach Abzug des Kindesunterhalt von 300,00 DM in Höhe von 700,00 DM hätte der Klägerin ohne den Verzicht ein Unterhaltsanspruch in Höhe von ca. 280,00 DM (700,00 DM: 5 x 2) und damit sogar über dem Sozialhilfesatz zugestanden.
Unbeachtlich ist schließlich, dass der Versicherte nach den Angaben der Klägerin seiner Unterhaltspflicht seinen beiden Kindern gegenüber nachgekommen ist und sie deshalb eine Beschäftigung aufgenommen hat. Denn maßgeblich ist allein, ob ein Unterhaltsanspruch dem Grunde nach bestanden hätte, aus dem ggf. hätte vollstreckt werden können, wie ausweislich des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Heilbronn bezüglich des Kindesunterhalts geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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