Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3482/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1821/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte mit Bescheid vom 14.4.1975 zu Unrecht dem Kläger die Verletztenrente entzogen hat.
Der 1957 geborene Kläger erlitt am 25.7.1972 einen Arbeitsunfall, als beim Transport von Eisencontainern sein rechter Unterschenkel zwischen zwei Containerteile geriet. Hierbei zog er sich einen Schienbeinbruch rechts sowie zahlreiche Brüche der Mittelfußknochen zu.
Mit Bescheid vom 27.11.1973 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 2.10.1972 bis auf weiteres eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH und mit Bescheid vom 28.3.1974 eine Dauerrente nach einer MdE um 20 vH. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie: Muskelminderung am rechten Bein. Schwellneigung im körperfernen Unterschenkel rechts. Beweglichkeitseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk rechts. Vermehrte Abflachung des rechten Fußgewölbes. Verminderte Abrollbewegung des rechten Vorfußes. Gangbehinderung. Knochenkalksalzminderung im Bereich der Mittelfußköpfchen rechts. Grundlage für die Dauerrentengewährung war das Gutachten von Dr. F. vom 26.3.1974.
Im Rentengutachten zur Rentennachprüfung vom 27.3.1975 führte Dr. F. aus, es sei eine Besserung eingetreten. Die Beinmuskulatur rechts sei kräftiger und die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk rechts besser geworden. Die MdE betrage noch 10 vH.
Mit Bescheid vom 14.4.1975 entzog die Beklagte die dem Kläger bisher gewährte Dauerrente mit Ablauf des Monats Mai 1975. Zur Begründung führte sie aus, in den für die bisherige Rente maßgebenden Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung (Besserung) eingetreten. Die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk und die Abrollbewegung des Vorfußes rechts seien wieder frei. Die Gehfähigkeit des rechten Beines sei unbehindert, worauf u. a. auch die seitengleiche Fußsohlenbeschwielung hinweise. Die Muskulatur des rechten Beines habe sich gekräftigt. Die Schwellneigung im körperfernen Unterschenkeldrittel rechts sei zurückgegangen. Der Knochenkalksalzgehalt im Bereich der Mittelfußköpfchen rechts habe sich wieder normalisiert.
Am 7.10.2005 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Seit zwei Jahren habe er immer wiederkehrende Schmerzen im Bereich des rechten Sprunggelenks. Er beantrage eine Rente nach einer MdE um 20 vH und rege eine erneute orthopädische Untersuchung an.
Die Beklagte beauftragte Professor Dr. H., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser gelangte im Gutachten vom 9.12.2005 zum Ergebnis, die MdE betrage seit 27.3.1975 10 vH. Es zeige sich keine Verschlechterung im Vergleich zum Gutachten vom 27.3.1975.
Mit Bescheid vom 19.1.2006 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 ab und führte aus, Anhaltspunkte, dass der Bescheid vom 14.4.1975 unrichtig sei, hätten sich nicht ergeben. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente seien weiterhin nicht erfüllt, da die MdE unter 20 vH liege. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.4.2006 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 12.5.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart und begehrte die Gewährung von Verletztenrente.
Das SG holte von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten bei Dr. H. und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein unfallchirurgisches Gutachten bei Prof. Dr. D. ein.
Dr. H. führte im Gutachten vom 21.11.2006 aus, der Kläger habe glaubhaft bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen am rechten Vor- und Mittelfuß angegeben. Auf Grund der Fußfehlform, die rechts ausgeprägter sei als links, sei der Kläger auf orthopädisches Maßschuhwerk angewiesen. Ein wesentliches unfallbedingtes Funktionsdefizit bestehe im Bereich der rechten unteren Extremität jedoch nicht. Die Unfallfolgen, die im Gutachten von Dr. Sp. vom 26.3.1974 festgestellt und im Bescheid vom 28.3.1974 anerkannt worden seien, hätten sich nicht geändert. Abweichungen von Vorgutachten bestünden nicht.
Prof. Dr. D. legte im Gutachten vom 15.10.2007 dar, im Vergleich zum Gutachten vom 26.3.1974 sei bei der jetzigen Nachuntersuchung eine kräftigere körpernahe rechtsseitige Oberschenkelmuskulatur festgestellt worden. Diese bestehe seit der gutachterlichen Nachuntersuchung vom 27.3.1975. Die erneute Bewegungseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk bestehe seit dem Zeitraum zwischen dem Gutachten von Dr. H. vom 21.11.2006 und seiner Untersuchung, da Dr. H. eine freie Beweglichkeit im rechten oberen und unteren Sprunggelenk dokumentiert habe. Er bewerte die unfallbedingte MdE ab dem Zeitpunkt der Änderung mit 10 vH.
Mit Gerichtsbescheid vom 1.4.2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach dem medizinischen Sachverhalt seien keine Hinweise ersichtlich, dass sich die Folgen des Versicherungsfalls vom 25.7.1972 in rentenberechtigendem Ausmaß verschlechtert hätten. Das SG stütze seine Überzeugung auf das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. H. vom 9.12.2005, das orthopädische Gutachten von Dr. H. vom 21.11.2006 sowie das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. D. vom 15.10.2007.
Gegen den am 8.4.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.4.2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, die von Prof. Dr. D. erhobenen Befunde (deutliche Arthrose am rechten Sprunggelenk, Bewegungseinschränkungen am oberen und unteren Sprunggelenk sowie die Beschwerden) rechtfertigten sein Begehren auf Gewährung von Verletztenrente. Unter Berücksichtigung der objektiv nachgewiesenen Beschwerden und der antizipierten Erfahrungsgrundsätze sei die MdE-Einschätzung von Prof. Dr. D. nicht nachvollziehbar.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 14. April 1975 zurückzunehmen und ihm Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, das SG habe überzeugend ausgeführt, aus welchen Gründen dem Antrag des Klägers nicht entsprochen werden könne. Der Kläger übersehe die übereinstimmenden Beurteilungen aller gehörten Gutachter. Auch Prof. Dr. D. komme zum Ergebnis, dass keine Unfallfolgen in rentenberechtigendem Ausmaß vorlägen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 und auf Gewährung von Verletztenrente hat.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 19.1.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.4.2006, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 gem. § 44 SGB X abgelehnt hat.
Maßgebend ist deswegen allein, ob die Beklagte bei Erlass des Entziehungsbescheides das Recht unrichtig angewandt bzw. von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist.
§ 44 SGB X, der am 1.1.1981 in Kraft getreten ist, findet auch Anwendung auf Verwaltungsakte, die vor seinem Inkrafttreten ergangen sind (vgl. BSG - GS - BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr. 3), sodass er auch Rechtsgrundlage für die Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 ist. Den Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat das SG zutreffend wiedergegeben; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 14.4.1975 von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Tatsachen, die dafür sprechen würden, hat der Kläger nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig hat die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 14.4.1975 das Recht unrichtig angewandt.
Nach § 622 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 14.4.1975 Anwendung fand, war eine neue Feststellung zu treffen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen waren, eine wesentliche Änderung eintrat. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO konnte eine Dauerrente nur in Abständen von mindestens einem Jahr geändert werden.
Eine wesentliche Änderung lag nach der damaligen (und auch heutigen) Rechtslage vor, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlimmerung der Unfallfolgen der Grad der MdE um mehr als 5 vH veränderte (vgl. BSGE 32, 245,249). Ob eine wesentliche Änderung vorlag, war durch einen Vergleich der für die letzte Feststellung maßgebenden Verhältnisse mit denjenigen zu ermitteln, die bei der Prüfung der Neufeststellung vorlagen.
Beim Kläger waren die unfallbedingten Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt der Dauerrentengewährung (Bescheid vom 28.3.1974) vorlagen und wie sie im Gutachten von Dr. F. beschrieben wurden, mit denjenigen zu vergleichen, die im Zeitpunkt des Entziehungsbescheides vom 14.4.1975 vorlagen.
Unter Beachtung dieser Vorschriften und Grundsätze durfte die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zum 31.5.1975 entziehen. Denn ausweislich des Gutachtens von Dr. F. vom 27.3.1975 war im Vergleich zum Gutachten vom 26.3.1974 eine wesentliche Änderung/Besserung im Sinne einer Kräftigung der Beinmuskulatur rechts und einer Verbesserung der Beweglichkeit im rechten oberen und unteren Sprunggelenk eingetreten. So konnten bei der Begutachtung im Jahr 1974 Umfangsunterschiede am Oberschenkel von 3 cm und eine Beweglichkeitseinschränkung im oberen Sprunggelenk rechts gegenüber links sowie eine Beweglichkeitseinschränkung im unteren Sprunggelenken rechts gegenüber links um ein Drittel festgestellt werden, während bei der Begutachtung im Jahr 1975 eine Muskeldifferenz von lediglich 0,5 cm und eine freie Beweglichkeit in dem oberen und unteren Sprunggelenk rechts vorlagen. Angesichts dessen ist die MdE-Einschätzung für die Unfallfolgen mit 10 vH im Gutachten vom 27.3.1975 nicht zu beanstanden. Darüber hinaus hatte derselbe Arzt - Dr. F. - , der das Gutachten vom 26.3.1974 erstattet hatte, das Gutachten vom 27.3.1975 erstellt, sodass gewährleistet war, dass gleiche Maßstäbe angelegt wurden. Die Beurteilung von Dr. F. wird darüber hinaus von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. D., dem Arzt des Vertrauens des Klägers, bestätigt und steht im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur. Eine sekundäre Arthrose mit wesentlichen Funktionsstörungen lag beim Kläger nicht vor. Da es sich um eine Rentenentziehung handelte, die mit einer Anfechtungsklage anfechtbar gewesen wäre, ist maßgebend der Zeitpunkt der Bescheiderteilung und eine spätere Änderung unbeachtlich (BSGE 85, 98; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl. § 54 Rdnr. 33). Für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheides vom 14.4.1975 ist deswegen unerheblich, ob es im Jahr 2003/2004 zu einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Verschlimmerung gekommen ist.
Unabhängig vom Streitgegenstand (Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 gem. § 44 SGB X) vermögen die bisher vorliegenden Gutachten, insbesondere von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. D., das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH - auch ab einem späteren Zeitpunkt, z. B. 2003/2004 - nicht zu stützen.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte mit Bescheid vom 14.4.1975 zu Unrecht dem Kläger die Verletztenrente entzogen hat.
Der 1957 geborene Kläger erlitt am 25.7.1972 einen Arbeitsunfall, als beim Transport von Eisencontainern sein rechter Unterschenkel zwischen zwei Containerteile geriet. Hierbei zog er sich einen Schienbeinbruch rechts sowie zahlreiche Brüche der Mittelfußknochen zu.
Mit Bescheid vom 27.11.1973 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 2.10.1972 bis auf weiteres eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH und mit Bescheid vom 28.3.1974 eine Dauerrente nach einer MdE um 20 vH. Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte sie: Muskelminderung am rechten Bein. Schwellneigung im körperfernen Unterschenkel rechts. Beweglichkeitseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk rechts. Vermehrte Abflachung des rechten Fußgewölbes. Verminderte Abrollbewegung des rechten Vorfußes. Gangbehinderung. Knochenkalksalzminderung im Bereich der Mittelfußköpfchen rechts. Grundlage für die Dauerrentengewährung war das Gutachten von Dr. F. vom 26.3.1974.
Im Rentengutachten zur Rentennachprüfung vom 27.3.1975 führte Dr. F. aus, es sei eine Besserung eingetreten. Die Beinmuskulatur rechts sei kräftiger und die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk rechts besser geworden. Die MdE betrage noch 10 vH.
Mit Bescheid vom 14.4.1975 entzog die Beklagte die dem Kläger bisher gewährte Dauerrente mit Ablauf des Monats Mai 1975. Zur Begründung führte sie aus, in den für die bisherige Rente maßgebenden Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung (Besserung) eingetreten. Die Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk und die Abrollbewegung des Vorfußes rechts seien wieder frei. Die Gehfähigkeit des rechten Beines sei unbehindert, worauf u. a. auch die seitengleiche Fußsohlenbeschwielung hinweise. Die Muskulatur des rechten Beines habe sich gekräftigt. Die Schwellneigung im körperfernen Unterschenkeldrittel rechts sei zurückgegangen. Der Knochenkalksalzgehalt im Bereich der Mittelfußköpfchen rechts habe sich wieder normalisiert.
Am 7.10.2005 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Seit zwei Jahren habe er immer wiederkehrende Schmerzen im Bereich des rechten Sprunggelenks. Er beantrage eine Rente nach einer MdE um 20 vH und rege eine erneute orthopädische Untersuchung an.
Die Beklagte beauftragte Professor Dr. H., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser gelangte im Gutachten vom 9.12.2005 zum Ergebnis, die MdE betrage seit 27.3.1975 10 vH. Es zeige sich keine Verschlechterung im Vergleich zum Gutachten vom 27.3.1975.
Mit Bescheid vom 19.1.2006 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 ab und führte aus, Anhaltspunkte, dass der Bescheid vom 14.4.1975 unrichtig sei, hätten sich nicht ergeben. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente seien weiterhin nicht erfüllt, da die MdE unter 20 vH liege. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.4.2006 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 12.5.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart und begehrte die Gewährung von Verletztenrente.
Das SG holte von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten bei Dr. H. und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein unfallchirurgisches Gutachten bei Prof. Dr. D. ein.
Dr. H. führte im Gutachten vom 21.11.2006 aus, der Kläger habe glaubhaft bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen am rechten Vor- und Mittelfuß angegeben. Auf Grund der Fußfehlform, die rechts ausgeprägter sei als links, sei der Kläger auf orthopädisches Maßschuhwerk angewiesen. Ein wesentliches unfallbedingtes Funktionsdefizit bestehe im Bereich der rechten unteren Extremität jedoch nicht. Die Unfallfolgen, die im Gutachten von Dr. Sp. vom 26.3.1974 festgestellt und im Bescheid vom 28.3.1974 anerkannt worden seien, hätten sich nicht geändert. Abweichungen von Vorgutachten bestünden nicht.
Prof. Dr. D. legte im Gutachten vom 15.10.2007 dar, im Vergleich zum Gutachten vom 26.3.1974 sei bei der jetzigen Nachuntersuchung eine kräftigere körpernahe rechtsseitige Oberschenkelmuskulatur festgestellt worden. Diese bestehe seit der gutachterlichen Nachuntersuchung vom 27.3.1975. Die erneute Bewegungseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk bestehe seit dem Zeitraum zwischen dem Gutachten von Dr. H. vom 21.11.2006 und seiner Untersuchung, da Dr. H. eine freie Beweglichkeit im rechten oberen und unteren Sprunggelenk dokumentiert habe. Er bewerte die unfallbedingte MdE ab dem Zeitpunkt der Änderung mit 10 vH.
Mit Gerichtsbescheid vom 1.4.2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nach dem medizinischen Sachverhalt seien keine Hinweise ersichtlich, dass sich die Folgen des Versicherungsfalls vom 25.7.1972 in rentenberechtigendem Ausmaß verschlechtert hätten. Das SG stütze seine Überzeugung auf das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. H. vom 9.12.2005, das orthopädische Gutachten von Dr. H. vom 21.11.2006 sowie das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. D. vom 15.10.2007.
Gegen den am 8.4.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.4.2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, die von Prof. Dr. D. erhobenen Befunde (deutliche Arthrose am rechten Sprunggelenk, Bewegungseinschränkungen am oberen und unteren Sprunggelenk sowie die Beschwerden) rechtfertigten sein Begehren auf Gewährung von Verletztenrente. Unter Berücksichtigung der objektiv nachgewiesenen Beschwerden und der antizipierten Erfahrungsgrundsätze sei die MdE-Einschätzung von Prof. Dr. D. nicht nachvollziehbar.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 14. April 1975 zurückzunehmen und ihm Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, das SG habe überzeugend ausgeführt, aus welchen Gründen dem Antrag des Klägers nicht entsprochen werden könne. Der Kläger übersehe die übereinstimmenden Beurteilungen aller gehörten Gutachter. Auch Prof. Dr. D. komme zum Ergebnis, dass keine Unfallfolgen in rentenberechtigendem Ausmaß vorlägen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 und auf Gewährung von Verletztenrente hat.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 19.1.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.4.2006, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 14.4.1975 gem. § 44 SGB X abgelehnt hat.
Maßgebend ist deswegen allein, ob die Beklagte bei Erlass des Entziehungsbescheides das Recht unrichtig angewandt bzw. von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist.
§ 44 SGB X, der am 1.1.1981 in Kraft getreten ist, findet auch Anwendung auf Verwaltungsakte, die vor seinem Inkrafttreten ergangen sind (vgl. BSG - GS - BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr. 3), sodass er auch Rechtsgrundlage für die Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 ist. Den Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat das SG zutreffend wiedergegeben; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 14.4.1975 von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Tatsachen, die dafür sprechen würden, hat der Kläger nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig hat die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 14.4.1975 das Recht unrichtig angewandt.
Nach § 622 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 14.4.1975 Anwendung fand, war eine neue Feststellung zu treffen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesen waren, eine wesentliche Änderung eintrat. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO konnte eine Dauerrente nur in Abständen von mindestens einem Jahr geändert werden.
Eine wesentliche Änderung lag nach der damaligen (und auch heutigen) Rechtslage vor, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlimmerung der Unfallfolgen der Grad der MdE um mehr als 5 vH veränderte (vgl. BSGE 32, 245,249). Ob eine wesentliche Änderung vorlag, war durch einen Vergleich der für die letzte Feststellung maßgebenden Verhältnisse mit denjenigen zu ermitteln, die bei der Prüfung der Neufeststellung vorlagen.
Beim Kläger waren die unfallbedingten Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt der Dauerrentengewährung (Bescheid vom 28.3.1974) vorlagen und wie sie im Gutachten von Dr. F. beschrieben wurden, mit denjenigen zu vergleichen, die im Zeitpunkt des Entziehungsbescheides vom 14.4.1975 vorlagen.
Unter Beachtung dieser Vorschriften und Grundsätze durfte die Beklagte die Verletztenrente des Klägers zum 31.5.1975 entziehen. Denn ausweislich des Gutachtens von Dr. F. vom 27.3.1975 war im Vergleich zum Gutachten vom 26.3.1974 eine wesentliche Änderung/Besserung im Sinne einer Kräftigung der Beinmuskulatur rechts und einer Verbesserung der Beweglichkeit im rechten oberen und unteren Sprunggelenk eingetreten. So konnten bei der Begutachtung im Jahr 1974 Umfangsunterschiede am Oberschenkel von 3 cm und eine Beweglichkeitseinschränkung im oberen Sprunggelenk rechts gegenüber links sowie eine Beweglichkeitseinschränkung im unteren Sprunggelenken rechts gegenüber links um ein Drittel festgestellt werden, während bei der Begutachtung im Jahr 1975 eine Muskeldifferenz von lediglich 0,5 cm und eine freie Beweglichkeit in dem oberen und unteren Sprunggelenk rechts vorlagen. Angesichts dessen ist die MdE-Einschätzung für die Unfallfolgen mit 10 vH im Gutachten vom 27.3.1975 nicht zu beanstanden. Darüber hinaus hatte derselbe Arzt - Dr. F. - , der das Gutachten vom 26.3.1974 erstattet hatte, das Gutachten vom 27.3.1975 erstellt, sodass gewährleistet war, dass gleiche Maßstäbe angelegt wurden. Die Beurteilung von Dr. F. wird darüber hinaus von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. D., dem Arzt des Vertrauens des Klägers, bestätigt und steht im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur. Eine sekundäre Arthrose mit wesentlichen Funktionsstörungen lag beim Kläger nicht vor. Da es sich um eine Rentenentziehung handelte, die mit einer Anfechtungsklage anfechtbar gewesen wäre, ist maßgebend der Zeitpunkt der Bescheiderteilung und eine spätere Änderung unbeachtlich (BSGE 85, 98; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl. § 54 Rdnr. 33). Für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheides vom 14.4.1975 ist deswegen unerheblich, ob es im Jahr 2003/2004 zu einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Verschlimmerung gekommen ist.
Unabhängig vom Streitgegenstand (Überprüfung des Bescheides vom 14.4.1975 gem. § 44 SGB X) vermögen die bisher vorliegenden Gutachten, insbesondere von Prof. Dr. H. und Prof. Dr. D., das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH - auch ab einem späteren Zeitpunkt, z. B. 2003/2004 - nicht zu stützen.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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