L 5 R 1843/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 890/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1843/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18.3.2009 wird aufgehoben. Der Beklagten wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die Altersrente des Klägers vorläufig ohne Abzug einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers in Höhe von 83,53 EUR (ungekürzt) auszuzahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

Der 1943 geborene Kläger, Spätaussiedler aus Rumänien (Zuzug nach Deutschland am 22.9.1981), beantragte am 26.2.2008 Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahrs. Unter dem 25.3.2008 erklärte er ergänzend, er verschiebe den Leistungsbeginn einer ihm zustehenden Rente des rumänischen Rentenversicherungsträgers auf unbestimmte Zeit (Verwaltungsakte S. 10).

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 2.4.2008 (Verwaltungsakte S. 20a) mit, gem. § 2 Satz 1b Fremdrentengesetz (FRG) gelte dieses Gesetz nicht für Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, einem bilateralen Sozialversicherungsabkommen oder den innerstaatlichen Vorschriften eines Vertragsstaates anrechenbar seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob diese Zeiten im Einzelfall tatsächlich der Berechnung der Leistung zu Grunde gelegt würden. Damit sei entsprechend den Grundsätzen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bestimmt, dass die Entschädigung der ausländischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten vorrangig vom Träger des Staates zu erfolgen habe, nach dessen Rechtsvorschriften sie zurückgelegt worden seien, hier also vom rumänischen Rentenversicherungsträger. Das FRG sei insoweit nachrangig. Aus Gründen des Vertrauensschutzes würden die in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten jedoch weiterhin nach dem FRG bei der deutschen Rente des Klägers berücksichtigt. Damit es dadurch zu keiner ungerechtfertigten Doppelleistung komme, sehe § 31 FRG vor, dass die deutsche Rente um die ausländische Rente vermindert werde, soweit sie auf denselben Versicherungszeiten beruhe. Diesen Vertrauensschutz (weitere Anrechnung der ausländischen Zeiten nach dem FRG) habe der Gesetzgeber in der Erwartung eingeräumt, dass eine ausländische Rente bezogen werde und diese nach § 31 Abs. 1 FRG angerechnet werden könne. Im Ergebnis werde also die ausländische Rentenleistung auf das Niveau des FRG aufgestockt. Die Anrechnung der ausländischen Rente diene auch der Entlastung der deutschen Rentenversicherung, die für die nach dem FRG berücksichtigten Zeiten keine Beiträge erhalten habe. Deshalb sei beabsichtigt, die dem Kläger zustehende rumänische Rente in ihrer voraussichtlichen Höhe anzurechnen, auch wenn diese tatsächlich nicht bezogen werde. Der Kläger möge deshalb seine Entscheidung überprüfen und die ihm gegen den rumänischen Rentenversicherungsträger zustehenden Rentenansprüche geltend machen. Ggf. werde die deutsche Rente ab 1.6.2008 um monatlich 83,53 EUR gemindert. Den Anrechnungsbetrag habe man auf der Basis eines rumänischen Rentenpunktes für die Altersrente eines durchgehend beschäftigten Durchschnittsverdieners ermittelt. Er entspreche gem. Art. 107 VO (EWG) Nr. 574/72 umgerechnet 83,53 EUR Monatsrente für deckungsgleiche deutsche und rumänische Zeiten.

Unter dem 15.4.2008 machte der Kläger geltend, die Beklagte habe kein Recht zum Abzug einer fiktiven rumänischen Rente.

Mit Bescheid vom 24.4.2008 (Widerspruchsakte S. 5) gewährte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 1.6.2008 (monatlicher Zahlbetrag 796,10 EUR; Änderungsbescheid vom 16.6.2008, Widerspruchsakte S. 6). Die voraussichtlich zustehende rumänische Rente werde angerechnet. Die (deutsche) Rente ruhe in Höhe des Bruttobetrages der Leistung aus der rumänischen Sozialversicherung. Die monatliche ausländische Leistung sei in dem Verhältnis bei der Rente aus der deutschen Rentenversicherung anzurechnen, in dem die Monate, die bei beiden Leistungen zu berücksichtigen seien, zu allen bei der ausländischen Leistung berücksichtigten Monaten stünden, also im Verhältnis 255 zu 255. Die Rente von 966,61 EUR werde damit um 83,53 EUR gemindert (Anlage 7 des Rentenbescheids).

Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.2.2009 zurück, worauf der Kläger am 23.2.2009 Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben hat, über die noch nicht entschieden ist. Außerdem suchte er um vorläufigen Rechtsschutz nach.

Zur Begründung trug er vor, er sei auf die Zahlungen nach dem FRG angewiesen. Es gebe keinen Fall, in welchem aus Rumänien eine Leistung nach Deutschland in EUR gezahlt worden wäre. Rumänische Renten würden auch nur auf Konten in Rumänien überwiesen; dies habe die Deutsche Rentenversicherung Bund festgestellt. Sie gehe auch selbst im Ergebnis davon aus, dass Rentenleistungen in Rumänien kein gleichwertiger Ersatz für die entsprechenden FRG-Rentenanteile darstellten; deshalb habe sie auch die angebotene Abtretung rumänischer Renten abgelehnt. Die gezahlte Rente führe zu einem Leben am Rande der Armutsgrenze; die Beklagte kürze ohne Rechtsgrund einen erheblichen Betrag, der zur Lebensführung dringend erforderlich sei.

Die Beklagte trug vor, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehle es am Anordnungsanspruch; die Minderung der Rente sei zu Recht erfolgt. Ein Anordnungsgrund liege ebenfalls nicht vor. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die monatliche Rentenkürzung von 83,53 EUR ein derart wesentlicher Nachteil drohe, dass er den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht abwarten könne. Insoweit müsse auch berücksichtigt werden, dass es im Einflussbereich des Klägers liege, den ausländischen Rentenanspruch zu realisieren, und dadurch schadlos gestellt zu werden.

Mit Beschluss vom 18.3.2009 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Zur Begründung führte es aus, nach summarischer Prüfung müsse der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen angesehen werden. Deshalb sei eine Interessenabwägung anzustellen. Dem Kläger sei zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Ihm drohe lediglich eine zeitlich verzögerte Auszahlung des zum Ruhen gebrachten Rentenanteils. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass er eine bleibende Schädigung wirtschaftlicher Interessen zu erwarten habe.

Auf den ihm am 23.3.2009 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 16.4.2009 Beschwerde eingelegt. Er trägt ergänzend vor, er sei auf die ungekürzte Rente zur Bestreitung des Lebensunterhalts dringend angewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18.3.2009 aufzuheben und der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, seine Altersrente vorläufig ohne Abzug einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers in Höhe von 83,53 EUR (ungekürzt) auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist gem. §§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgeben müssen, die Rente des Klägers vorläufig ungekürzt auszuzahlen. Hierfür sind folgende Erwägungen des Senats maßgeblich:

Vorläufiger Rechtsschutz ist vorliegend gem. § 86b Abs. 2 SGG statthaft. Denn die Beklagte hat dem Kläger im Rentenbescheid vom 29.8.2008 Altersrente (von vornherein) unter Anrechnung einer fiktiven Leistung des rumänischen Rentenversicherungsträgers – und damit in verminderter Höhe – bewilligt. Mit seiner im Hauptsacheverfahren erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur ungekürzten Rentengewährung. Er wendet sich nicht (isoliert) gegen das Ruhen der deutschen Rente in Höhe einer rumänischen Fiktivrente gem. § 31 FRG, weshalb die Klage nicht als Anfechtungsklage gegen eine selbständig anfechtbare Teilregelung des Rentenbescheids, sondern als Leistungsklage anzusehen ist; vorläufiger Rechtsschutz nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage) kommt deshalb nicht in Betracht (vgl. hierzu und zum Folgenden auch Senatsbeschluss vom 9.3.2009, - L 5 R 5340/08 ER- B -).

Gem. § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage) nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1, Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2, Regelungsanordnung). Mit der Sicherungsanordnung soll die Rechtsstellung des Antragstellers (vorläufig) gesichert, mit der Regelungsanordnung soll sie (vorläufig) erweitert werden. Voraussetzung ist jeweils die Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds. Unter dem Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch zu verstehen, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht. Der Anordnungsgrund besteht in der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss gerechtfertigt sein. Daher müssen Gründe vorliegen, aus denen sich ihre besondere Dringlichkeit ergibt.

Bei Auslegung und Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich in nicht wieder gut zu machender Weise verletzten könnte. Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde. Schließlich kann im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung getroffen und dem Antragsteller daher nicht schon in vollem Umfang, und sei es nur für eine vorübergehende Zeit, gewährt werden, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Erst recht ist es grundsätzlich unzulässig, durch einstweilige Anordnung über das im Hauptsacheverfahren Erreichbare hinauszugehen. Letzteres ist von Belang, wenn der Behörde für die in der Hauptsache begehrte Entscheidung ein Ermessens- oder ein Beurteilungsspielraum eröffnet ist. Auch in solchen Fällen ist der Erlass einer einstweiliger Anordnung freilich möglich, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist (zu alledem etwa Puttler, in NK-VwGO § 123 Rdnr. 94 ff.; Kopp/Schenke, VwGO § 123 Rdnr.12 ff. m.N. zur Rechtsprechung).

Der Senat kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend klären, ob die Vorgehensweise der Beklagten, die Anrechnung zustehender und nicht nur tatsächlich gewährter Auslandsrenten, rechtens, insbesondere von der Vorschrift des § 31 FRG erlaubt ist. Hierbei stellen sich schwierige Rechtsfragen, deren Klärung nicht Gegenstand eines Eilverfahrens sein kann, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Damit kann über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs des Klägers ebenfalls nicht abschließend befunden werden. Der Senat stützt seine Entscheidung daher auf eine Folgenabwägung, die den Anforderungen der betroffenen Grundrechte Rechnung trägt. Ausschlaggebend ins Gewicht fällt, dass dem Kläger bei Versagung vorläufigen Rechtsschutzes schwere Nachteile drohen, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr ohne Weiteres zu beseitigen wären. Der monatliche Zahlbetrag seiner Rente beläuft sich auf nur 796,10 EUR - seit 1.8.2008: 878,57 EUR -, der Anrechnungsbetrag (Ruhensbetrag nach § 31 FRG) auf 83,53 EUR. Nach Auffassung des Senats ist dem Kläger, der zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf die Rentenzahlung angewiesen ist, angesichts der geringen Rentenhöhe nicht abzuverlangen, sich bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache mit dem gekürzten Zahlbetrag zu behelfen. Demgegenüber besteht für die Beklagte grundsätzlich die Möglichkeit, etwaige Überzahlungen künftig ggf. aus der laufenden Rente zurückzufordern (vgl. etwa § 51 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, SGB I). Damit ist den Belangen des Klägers Vorrang einzuräumen. Nach Ergehen von Hauptsacheentscheidungen käme u.U. auch eine (vorzeitige) Abänderung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren getroffenen Entscheidung in Betracht (vgl. dazu näher etwa Hk-Binder, SGG § 86b Rdnr. 50). Vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes geht der Senat bei dieser Sachlage aus, ohne dass hierzu weitere Glaubhaftmachungen zu fordern wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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