L 34 AS 765/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 109 AS 30933/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 765/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Klägerin begehrt die Erstattung von Bewerbungskosten oberhalb eines Betrages von 260 EUR.

Die 1975 geborene Klägerin, die seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhält, war bis Ende Februar 2007 in N wohnhaft und verzog sodann mit ihrem Partner, Herrn Z., sowie dem gemeinsamen Kind nach B. Sie beantragte Ende Januar 2007 bei der Beklagten die Erstattung von Bewerbungskosten in Höhe von 125 EUR für 21 im selben Monat getätigte Bewerbungen, nachdem ihr mit Bescheid von Mitte Januar 2007 Bewerbungskosten in Höhe von 105 EUR bewilligt worden waren. Die Beklagte gewährte ihr mit Bescheid von Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides von März 2007 für 21 nachgewiesene Bewerbungen jeweils einen pauschalen Betrag von 5 EUR, d.h. insgesamt 105 EUR. Für eine nachgereichte Bewerbung gewährte ihr die Beklagte mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheids vom selben Tag 5 EUR für aufgewandte Bewerbungskosten. Gegen beide Bescheide von Februar 2007 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 104 AS 9229/07 Klage mit dem Begehren, ihr die jeweils doppelten Beträge für die getätigten Bewerbungen zu gewähren. Im Termin vom 9. Oktober 2007 nahm die Klägerin die Klage insoweit zurück, als sie ursprünglich u.a. die Erstattung von über einen Betrag von 260 EUR hinausgehenden Bewerbungskosten geltend gemacht hatte. Zugleich beantragte sie gegenüber der Beklagten zur Niederschrift im Terminsprotokoll, ihr entstandene Bewerbungskosten, soweit diese einen Betrag von mehr als 260 EUR betragen, als Leistung nach § 23 Abs. 1 SGB II auf Darlehensbasis zu gewähren. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts vom 9. Oktober 2007 ist beim Landessozialgericht Berlin Brandenburg zum Aktenzeichen L 14 AS 63/08 die Berufung der Klägerin bzw. die hilfsweise zum Aktenzeichen L 14 AS 930/09 NZB erhobene Nichtzulassungsbeschwerde anhängig.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Darlehens für Bewerbungskosten über den Betrag von 260 EUR jährlich hinaus mit Bescheid vom 15. November 2007 ab. Den von der Klägerin hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2007 zurück und führte zur Begründung aus, dass es ihr kraft Gesetzes verwehrt sei, Bewerbungskosten über den Höchstbetrag von jährlich 260 EUR hinaus zu erbringen. Die Gewährung eines darüber hinausgehenden Darlehens sei nicht zulässig. Soweit Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Bewerbungen entstünden, nicht von der Regelleistung gedeckt seien, wären diese als Bewerbungskosten bis zu einem Höchstbetrag von 260 EUR zu übernehmen.

Mit der am 28. November 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie meint, der Beklagten hätte es nicht zugestanden, die Erstattung von Bewerbungskosten der Höhe nach zu beschränken. Es sei verfassungswidrig, nur einen Betrag in Höhe von 260 EUR zu erstatten. Da man zehn Bewerbungen im Durchschnitt pro Monat von ALG-II-Empfängern fordere, wären dies jährlich 120 Bewerbungen mit einem anerkannten Kostenfaktor von 600 EUR. Die tatsächlichen Kosten einer ordentlichen Bewerbungsmappe betrügen aber fast das Doppelte, nämlich ca. 10 EUR pro Bewerbung. Es könne nicht erwartet werden, dass von der Regelleistung in Höhe von 311 EUR monatlich auch noch ca. 100 EUR für Bewerbungen abgezweigt werden müssten.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Mai 2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte für den im Oktober 2007 gestellten Antrag örtlich nicht zuständig sei. Der Antrag der Klägerin sei auch nicht rechtzeitig gestellt worden. Im Übrigen träfen die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid zu. Die Berufung sei nicht statthaft.

Mit der am 17. September 2008 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde hat die Klägerin zunächst sinngemäß beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 19. Mai 2008 zuzulassen. Aufgrund richterlichen Hinweises vom 8. April 2009 hat die Klägerin die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen, am 28. April 2009 Berufung eingelegt und zugleich vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Regelleistung zu niedrig sei, nicht das soziokulturelle Existenzminimum abdecke und insofern gegen das Grundgesetz verstoße. Insbesondere die Regelsätze für Kinder würden deren spezifischem Bedarf nicht gerecht. Die Regelsätze für Erwachsene müssten mindestens 445 EUR betragen, um das Existenzminimum zu sichern, insbesondere weil die Berufungsbeklagte ständige Nachweise von Bewerbungen von ihr gefordert habe. Sie stütze ihre Anträge vor allem auf die Ausführungen von Herrn Dr. jur. M F, Professor an der Fachhochschule F, dessen Anhörung sie in einer mündlichen Verhandlung vor dem LSG Berlin-Brandenburg beantrage.

Darüber hinaus beantragt die anwaltlich vertretene Klägerin schriftsätzlich wörtlich,

1. die Analyse und ordnungsgemäße Regelsatzbemessung von 2004 zeitnah zu aktualisieren und Dr. jur. M F, Professor an der Fachhochschule F, in der mündlichen Verhandlung zu hören, 2. vom Gericht einzuholendes unabhängiges Sachverständigengutachten zur ordnungsgemäßen Regelsatzbemessung für den Leistungszeitraum.

In der Sache beantragt die Klägerin sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 1. ihr Bewerbungskosten über den Betrag von 260 EUR hinaus zu erstatten, hilfsweise die Berufungsbeklagte zu verurteilen, ihr die Bewerbungskosten, welche den Betrag von 260 EUR übersteigen, als einmalige Beihilfe nach § 73 SGB XII zu erstatten, weiter hilfsweise ihr diese Bewerbungskosten als Darlehen zu gewähren, 2. hilfsweise die Erstattung eines monatlichen Mehrbedarfs in Höhe von 50 EUR, weiter hilfsweise einer monatlichen Regelleistung in Höhe von mindestens 445 EUR, 3. ihr weitere Kosten des Widerspruchsverfahren zu erstatten, und zwar in Höhe von 30 EUR für Porto- und Telekommunikationsentgelte und 202,30 EUR an Beratungskosten des Rechtsanwalts.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der den streitgegenständlichen Zeitraum umfassenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die gemäß § 143 SGG statthafte Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht nach Maßgabe des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG beschränkt, weil dem Begehren der Klägerin (bei unbeziffertem Klageantrag) ein 750 Euro übersteigender Beschwerdewert zu entnehmen ist. Die Berufung ist auch gemäß §§ 151 i.V.m. 66 Abs. 2 SGG fristgerecht eingelegt worden. Die Beklagte ist im Sozialgerichtsprozess schließlich beteiligtenfähig nach § 70 Nr. 2 SGG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar § 44b SGB II als mit Art. 28 und Art. 83 GG unvereinbar erklärt (Urteile vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04 – Juris). Die gemäß § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaften können jedoch für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2010 (BVerfG, aaO.) auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig werden.

Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Erstattung über einen Gesamtbetrag von 260 EUR hinausgehende Bewerbungskosten.

Ein solcher Anspruch besteht zunächst – unabhängig von einer örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten gemäß § 36 Satz 1 SGB II und der Frage der Rechtzeitigkeit der Antragstellung –gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) i.V.m. §§ 45 – 47 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III – in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes [AFRG] vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) nicht. Danach kann die Agentur für Arbeit neben den Leistungen nach § 35 des Dritten Buchs (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II) weitere im SGB III geregelte Leistungen erbringen. Dazu gehören nach § 45 Satz 2 Nr. 1 SGB III (in der genannten Fassung des AFRG) auch Kosten für die Erstellung und Versendung von Bewerbungsunterlagen (Bewerbungskosten). Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 SGB III, wonach Bewerbungskosten bis zu einem Betrag von 260 EUR jährlich übernommen werden können, gibt jedoch keinen Raum für eine Auslegung des Gesetzes im Sinne der Klägerin (vgl. zur Höchstbetragsgrenze des § 46 Abs. 1 SGB III in der genannten Fassung des AFRG das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 2. September 2004 – B 7 AL 62/03 R – Juris RdNr. 16 f.).

Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 16 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB II in der genannten Fassung, wonach weitere Leistungen erbracht werden können, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Denn diese dürfen nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift die Leistungen nach Absatz 1 nicht aufstocken.

Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme von über einen Jahresbetrag in Höhe von 260 EUR hinausgehenden Bewerbungskosten folgt ferner nicht aus § 23 Abs. 1 SGB II. Danach wird ein im Einzelfall von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts, der weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann, als Sachleistung oder als Geldleistung im Darlehenswege gewährt. Es fehlen hier schon Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin über einen Betrag von 260 EUR hinausgehende Bewerbungskosten im Januar 2007 entstanden sind. Vielmehr hat die Klägerin selbst der Beklagten gegenüber mit ihrem Schreiben vom 26. Januar 2007 für 21 getätigte Bewerbungen eine Kostenübernahme nur in Höhe von 125 EUR beantragt und hinsichtlich der weiteren Bewerbung vom 9. Januar 2007 keine konkreten Kosten beziffert. Im Übrigen ist auch nicht dargetan, dass ein etwaiger Bedarf, zu dessen Deckung sie nunmehr ein Darlehen begehrt, im Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten ungedeckt gewesen wäre, da die geltend gemachten Bewerbungen bereits getätigt waren.

Schließlich ergibt sich ein dahingehender Anspruch der Klägerin nicht aus § 73 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII). Danach können Leistungen vom zuständigen Träger der Sozialhilfe auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Ein sozialhilferechtlich anzuerkennender Bedarf der Klägerin in Bezug auf die im Januar 2007 getätigten Bewerbungen besteht jedoch nicht. Ein solcher Anspruch würde im Übrigen auch am Nachrang der Sozialhilfe scheitern: Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von anderen Trägern der Sozialleistungen erhält. Wie ausgeführt, wurden der Klägerin aber bereits von der Beklagten Aufwendungen für 22 Bewerbungen aufgrund der Bescheide von Februar 2007 erstattet.

Soweit die Klägerin hilfsweise die Erstattung eines monatlichen Mehrbedarfs in Höhe von 50 EUR bzw. einer monatlichen Regelleistung in Höhe von mindestens 445 EUR beansprucht mit der Begründung, dass die Beklagte ständige Nachweise von ihr in Bezug auf Bewerbungen gefordert habe, ist die Klage – die Zulässigkeit der hierin liegenden Klageerweiterung gemäß § 99 SGG unterstellt – unzulässig, weil es an den erforderlichen Sachurteilsvoraussetzungen fehlt. Denn weder liegt ein einen entsprechenden Antrag der Klägerin ablehnender, anfechtbarer Verwaltungsakt der Beklagten vor (vgl. § 54 Abs. 1 und 4 SGG) noch wurde über einen solchen Antrag der Klägerin innerhalb der in § 88 Abs. 1 SGG genannten Frist nicht entschieden.

Bei den Anträgen der Klägerin, den Professor an der Fachhochschule Dr. jur. M F in einer mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu hören und ein unabhängiges Sachverständigengutachten zur ordnungsgemäßen Regelsatzbemessung für den Leistungszeitraum einzuholen, handelt es sich um unzulässige Beweisermittlungsanträge. Zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen (vgl. § 103 SGG) musste sich der Senat im Übrigen schon deshalb nicht gedrängt fühlen, weil Bescheide der Beklagten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Aus demselben Grund war die Anordnung des Ruhens des Verfahrens, wie von der Klägerin mit Schriftsatz vom 26. August 2009 beantragt, nicht zweckmäßig, abgesehen davon, dass kein entsprechender Antrag von der Beklagten gestellt worden ist (vgl. 202 SGG i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Klägers beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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