S 14 U 3/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 3/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte einen Verkehrsunfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkennen muss.

Der am 00.00.1962 geborene Kläger, seit Juli 1992 als Elektroniker und Programmierer bei der Firma K KG in Q beschäftigt, begab sich am 16.04.2007 nach Beendigung seiner betrieblichen Tätigkeit gegen ca. 16.30 Uhr mit seinem Motorrad auf seinen Heimweg zu seiner ca. 42 Kilometer entfernten, in X gelegenen Wohnung, als er kurz nach Heimwegsantritt bemerkte, dass die Tankanzeige seines Fahrzeuges aufleuchtete. Er verließ insoweit den direkten Weg nach Hause und suchte eine einige 100 Meter neben der Fahrtstrecke gelegene Westfalen-Tankstelle in Q auf. Nach Beendigung des Tankvorganges und Verlassen des Tankstellengeländes verunfallte der Kläger zu einem Zeitpunkt, als er den direkten Weg von der Arbeitsstätte zu seiner Wohnung noch nicht erreicht hatte, insoweit er mit seinem Motorrad, um eine Kollision mit einem nach links abbiegenden, entgegenkommenden und seine Vorfahrt nicht beachtenden Kraftwagen zu vermeiden, eine Vollbremsung unternahm und hierbei stürzte. Er erlitt dabei multiple Prellungen und Zerrungen, deretwegen er bis zum 15.07.2007 arbeitsunfähig war.

Mit Bescheid vom 24.06.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalles mit der Begründung ab, dieser sei kein Arbeitsunfall; das Betanken eines Kraftfahrzeuges, welches zum Zurücklegen des Arbeitsweges benutzt würde, habe regelhaft privaten Charakter; eine andere Beurteilung sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Notwendigkeit zum Tanken bei Antritt oder während der Fahrt überraschend und völlig unerwartet aufgetreten sei, was nur dann angenommen werden könne, wenn der Kraftstoff plötzlich aus Umständen, welche der Versicherte nicht zu vertreten habe, unerwartet zur Neige gehe; Anhaltspunkte hierfür bestünden nicht. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit welchem der Kläger geltend machte, allein ausreichend für die Begründung von Versicherungsschutz sei das unvorhergesehen notwendig werdende Nachtanken, wohingegen ein überraschendes und unerwartetes Auftreten nicht zu fordern sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2008 mit im Wesentlichen gleicher Begründung wie im angefochtenen Bescheid mit der Ergänzung zurück, Versicherungsschutz sei nur dann begründbar, wenn der Versicherte den Kraftstoffmangel und damit die Notwendigkeit des Nachtankens nicht zu vertreten habe, wohingegen bei Unachtsamkeit oder sorgfaltswidrigem Verhalten Versicherungsschutz bei derartigen Vorgängen ausgeschlossen sei.

Hiergegen richtet sich die am 07.01.2009 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2008 festzustellen, dass der Verkehrsunfall vom 16.04.2007 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat am 16.04.2007 keinen Arbeitsunfall erlitten und ist von daher durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 24.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2008 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ist, dass das Verhalten, bei er sich ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis -dem Unfallereignis- geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles, sondern für die Gewährung von Leistungen, namentlich Verletztenrente (BSG E 94, 262).

Die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsunfalles sind nicht erfüllt, es fehlt nämlich an der inneren, sachlichen Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit, die es rechtfertigt, das betreffende Verhalten dieser Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher nach den gesetzlichen Vorgaben Versicherungsschutz in den gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG E 58, 76, 77; 61, 127, 128).

Dabei hat das Bundessozialgericht zu Unfällen auf Wegen in verschiedenen Entscheidungen (zuletzt Urteil vom 04.09.2007 -B 2 U 24/06 R-) ausgeführt, dass das Zurücklegen von Wegen in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst darstellt, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit, die zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen wurde, in einer mehr (z. B. bei Betriebswegen) oder weniger engen Beziehung (z. B. Weg zur Arbeit) steht und dass die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen spezielle Probleme aufwirft. Dies gilt um so mehr, wenn nicht die Zurücklegung des Weges von und zum Ort der Beschäftigung zur Diskussion steht, sondern Maßnahmen, die die Zurücklegung eines solchen Weges erst ermöglichen. Auch im vorliegenden Fall handelt es sich bei der unfallbringenden Wegezurücklegung unzweifelhaft nicht um eine Verrichtung im Sinne einer Zurücklegung des unmittelbaren Weges von und zum Ort der versicherten Tätigkeit, sondern um eine Vorbereitungshandlung dessen. Als Vorbereitungshandlung oder vorbereitende Tätigkeiten werden insoweit Verrichtungen bezeichnet, die der eigentlichen versicherten Tätigkeit vorangehen und/oder ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Dabei hat die Frage nach dem Unfallversicherungsschutz bei solchen Vorbereitungshandlungen die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen beschäftigt, wobei die Bandbreite von alltäglichen Verrichtungen (Nahrungsaufnahme, Ankleiden, Wartung und Betanken des privateigenen PKW) über spezielle betriebsbezogene Handlungen (Kauf einer Bahnfahrkarte für den Weg zur Arbeit, Erkundigungsfahrt der neuen Arbeitsstelle) oder die Beseitigung von Hindernissen bei der Zurücklegung des Arbeitsweges (Schneeschaufeln zur Freilegung der Garagenausfahrt) bis zu Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft (Kauf von Medikamenten, Kauf von Lebensmitteln) reicht. Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, daß Vorbereitungshandlungen trotz ihrer Betriebsdienlichkeit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind und Versicherungsschutz nur ausnahmensweise besteht, wenn diese Tätigkeiten einen besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit aufweisen. Die hierin liegende Beschränkung folgt insoweit aus den gesetzlichen Vorgaben der Systematik des § 8 SGB VII; mit den Regelungen in dessen Absatz 2, mithin insbesondere in der Einbeziehung von Wegen, hat der Gesetzgeber bestimmte typische Vorbereitungshandlungen selbst dem Versicherungsschutz unterstellt, weil er insoweit ein über die eigentliche berufliche Tätigkeit hinausgehendes soziales Schutzbedürfnis angenommen hat. Dabei ist er ersichtlich davon ausgegangen, dass etwa das Zurücklegen des Weges vom und zum Ort der Tätigkeit als die der betrieblichen Tätigkeit sachlich, zeitlich oder örtlich besonders nahe klassische Vorbereitungshandlung nicht schon nach der Grundnorm des § 8 Abs. 1 SGB VII versichert ist, vielmehr es für ihre Einbeziehung einer besonderen Regelung bedurft hat. Insoweit lässt diese Konzeption erkennen, dass der Versicherungsschutz für vorbereitende Tätigkeiten grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt ist, die das Gesetz selbst ausdrücklich nennt, und dass Ausnahmen hiervon nur in Betracht kommen, wenn die Vorbereitungshandlung mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbereitungshandlung (hier Wegezurücklegung) so eng verbunden ist, dass beide bei natürlicher Betrachtungsweise eine Einheit bilden (BSG, Urteil vom 28.07.2004 -B 2 U 26/03 R-).

Insoweit ist grundsätzlich auch das Auftanken eines zur Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzten Kraftfahrzeuges nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen, da es sich auch hierbei um eine Verrichtung handelt, die üblicherweise zwar der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangeht, der Betriebsarbeit aber so fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnt ist, zuzurechnen wäre (vgl. etwa BSG E 16, 77, 78). Eine andere Beurteilung ist lediglich dann gerechtfertigt, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann.

Im Lichte der dargelegten neueren Rechtsprechung zum Unfallversicherungsschutz bei Vorbereitungshandlungen kann dieses Kriterium der "Unvorhergesehenbarkeit" vorliegend jedoch nicht begründet werden. Unter Berücksichtigung der dargelegten restriktiven Auslegung des Umfanges des Versicherungsschutzes bei Vorbereitungshandlungen ist es vorliegend nicht gerechtfertigt, den vom Kläger gewählten Abweg unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen. Denn von einer Unvorhergesehenbarbeit, die es rechtfertigt, das grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnende Auftanken eines Kraftfahrzeuges als eine Einheit mit dem Zurücklegen des Weges zum und vom Ort der Tätigkeit anzusehen, kann nur dann gesprochen werden, wenn der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige geht, was z. B. insbesondere dann der Fall sein kann, wenn wegen einer Verkehrsumleitung oder wegen eines Staues der Kraftstoffverbrauch so stark ansteigt, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeitsstelle bzw. seine Wohnung nicht mehr erreichen kann. Für eine solche Fallgestaltung sind vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich. Ein äußerer, nicht beeinflussbarer Umstand nahezu höherer Gewalt, der den Versicherten dazu zwang, Handlungen zur Ermöglichung der weiteren Zurücklegung seines Heimweges zu ergreifen, waren nicht gegeben, vielmehr beruhte die Notwendigkeit des Nachtankens auf eigenem "Organisationsverschulden" des Klägers, was eine Haftung der gesetzlichen Unfallversicherung nicht begründen kann.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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